Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb 2016. Hinweise zum Ablauf des Bewerbs und wie ihr dabei Abstimmen könnt findet ihr hier.
Das sagt die Autorin des Artikels, Lisa Leander über sich:
Ich bin gelernte Wissenschaftsjournalistin, arbeite aber jetzt am KIT. Im Studium und beruflich habe ich schon ab und zu an verschiedenen Stellen gebloggt.
——————————————
Worte sind nie genug
Es gibt diese Menschen, die gar nichts Böses wollen. Sie glauben nicht an Verschwörungen, verteufeln keine Impfungen oder Maßnahmen für den Klimaschutz. Sie wollen einfach nur die Welt erklären. Aber genau an dieser Stelle läuft alles schief. Die theoretische Physikerin Sabine Hossenfelder kennt solche Menschen. Sie hat Emails bekommen, in denen der Absender erklärt, er habe wahrscheinlich die neue Weltformel entdeckt, ob sie seine Theorie nicht eben prüfen könne. Er (es ist komischerweise immer ein er) ist selbst kein Physiker. Doch anstatt die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen, bot Hossenfelder einen neuen Service an: “Talk to a physicist. Call me on Skype. $50 per 20 minutes“.
Was dann geschah, erklärt sie in einem Blogpost. Sie hatte Erfolg mit ihrer Idee und hat für ihren Bericht im Netz viel Anerkennung bekommen. Denn diese Emails kennen nicht nur Physiker, sondern auch Wissenschaftsjournalisten und Mitarbeiter aus der Öffentlichkeitsarbeit. Ich habe sie auch erhalten, und nicht nur Emails, sondern schriftliche Abhandlungen, die per Post kamen, viele Seiten, aufwendig gestaltet und gebunden. Es sollte um Physik gehen, doch die Texte enthielten keine einzige Formel. Ich finde es toll, dass Sabine Hossenfelder die „autodidaktischen Physiker“, wie sie sie nennt, ernst nimmt und sich als Ansprechpartnerin anbietet. Doch die Frage bleibt: Wie kommen die Leute eigentlich darauf, immense Zeit und Mühe in, nun ja, gedankliche Luftschlösser zu stecken? Viele von ihnen haben anscheinend echtes Interesse an den Geheimnissen des Universums, warum steuern sie zielsicher an bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnissen vorbei?
Hossenfelder hat dazu folgende Erklärung: Die Wissenschaft wird zu anschaulich dargestellt. Journalisten würden oft Metaphern oder Illustrationen benutzen, um komplizierte Zusammenhänge und Phänomene zu erklären, ohne deutlich zu machen, wie unzureichend solche Umschreibungen sind. Mich überzeugt dieses Argument nicht ganz, ähnlich sieht es Henning Krause von der Helmholtz-Gemeinschaft in seiner Augenspiegel-Kolumne (im Absatz: “Wie sollen ForscherInnen kommunizieren?”). Ich musste spontan an einen Beitrag von Axel Bojanowski denken, in dem er sich damit auseinandersetzt, wie gut oder wie schädlich Metaphern im Wissenschaftsjournalismus sein können. Er schreibt über Geologie und wenn er Vereinfachungen benutzt, ist ihm klar, dass sie nicht exakt sind. Doch wenn er einen lesenswerten Artikel verfassen will, muss er diese Ungenauigkeit in Kauf nehmen. Zugespitzter – dafür sehr amüsant – ist es in diesem GIF zur Entdeckung des Higgs-Bosons dargestellt. Doch auch hier macht der Autor klar, dass er der Presse nicht vorwirft, alles zu verfälschen. Vielmehr möchte er zeigen, wie schwer es ist, die Fachsprache zu „übersetzen“.
Ich denke, die meisten Wissenschaftsjournalisten kennen den Nutzen und die Gefahren von Metaphern sehr wohl. Ein großer Teil von ihnen hat selbst ein wissenschaftliches Studium hinter sich – wie Bojanowski. Sie kennen beide Welten, die der (früheren) Fachkollegen und die des Publikums, für das sie berichten. Auch diejenigen, die keine Wissenschaftler sind, müssen das runterbrechen, was ihnen der Experte im Interview so ausführlich dargestellt hat. Das Gleiche gilt für Pressesprecher, die diesen Balanceakt zum Beispiel bei Pressemitteilung bewältigen müssen.
Es gibt natürlich Ausnahmen, vor allem wenn unbedacht schlechte Vergleiche gezogen werden oder eine ohnehin schon schiefes Bild immer wieder übernommen wird. In der Berichterstattung zur Entdeckung des Higgs Bosons war das sicher der Fall (Gottesteilchen!). Trotzdem musste ich nach Hossenfelders Blogbeitrag an etwas anderes denken. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich zum ersten Mal die „Kurze Geschichte der Zeit“ von Stephen Hawking in der Hand hatte. Es war auf jeden Fall lange bevor ich selbst den Berufsweg Wissenschaftsjournalist eingeschlagen habe. Es war eine illustrierte Ausgabe und ich fand sie fantastisch! Die vielen Bilder halfen über die schwierigen Textstellen hinweg, selbst wenn man nur durch die Abbildungen blätterte, gab es eine Menge zu entdecken. Genau das muss Sabine Hossenfelder meinen, wenn sie von den bunten Illustrationen spricht, von den manche Leute denken mögen: „Genau so ist das, so funktioniert das.“ Daraufhin formulieren und konstruieren sie ihre eigene Weltformel. All die Mathematik und die jahrelange Forschungsarbeit, die hinter diesen Theorien steht, sind schließlich nicht erkennbar. Ich meine, ich hätte einmal gelesen, dass in Hawkings ursprünglichem Manuskript eine ganze Menge Formeln erhalten waren. Doch da das Buch eine breite Leserschaft erreichen sollte, flogen sie bei den Überarbeitungen des Textes wieder raus. Wesentlich besser erinnere ich mich daran, dass mein Physikprofessor solche Bücher als Werke der Naturphilosophie bezeichnete, nicht der Physik – denn die Sprache der Physik sei die Mathematik, und die fehle hier komplett.
Hatte ich beim Lesen damals die Vorstellung, das Universum ließe sich in ein paar bunten Bildern erklären? Fest steht, dass ich bei dem Buch von Hawkings Physikerkollegen Kip Thorne – ein Wälzer mit mathematischem Anhang namens „Gekrümmter Raum und verbogene Zeit“ – nie über das einleitende Kapitel hinauskam. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass man wissenschaftliche Sachverhalte in Worten niemals so präzise ausdrücken kann, wie es in Formeln möglich ist – das gilt zumindest für die Naturwissenschaften. Die Übersetzung in geschriebene Sprache ist immer eine Annäherung, eine Umschreibung, ein Ausschnitt des Ganzen. Selbst an die einfachsten, grundlegendsten Gesetze kann man nur dann wirklich erfassen und auf ihnen aufbauen, wenn man die Formeln vor sich hat. Geht es nur nach der fachlichen Genauigkeit, hat der Journalist, Autor oder wer auch immer im Grunde schon verloren, sobald er die ersten Worte aufs Papier bringt.
Ich werde trotzdem nicht aufhören, solche Bücher zu lesen. Neben denen, die sich ebenfalls gerne in solchen Texten vertiefen, gibt es andere, die sie nicht mögen, oft aus den oben genannten Gründen. Ich fand es allerdings interessant, dass Sabine Hossenfelder auf nicht explizit auf diesen Punkt eingegangen ist. Die großen Unterschiede zwischen journalistischen Produkten und Sachbüchern lasse ich jetzt außen vor, doch können nicht beide das Weltbild beeinflussen, dass die wissenschaftlichen Autodidakten sich aufbauen? Oder braucht man nur „populärwissenschaftlich“ davor zu schreiben, damit die Sache scheinbar klar ist? Wie gehen die Autoren solcher Bücher damit um, haben sie einfach Lust am sprachlichen Formulieren oder hadern sie auch mit den Worten?
So, das waren einige offene Fragen zum Schluss 🙂 Was meint ihr? Ohne die eine oder die andere Seite verteufeln zu wollen, was und vor allem wie lest ihr, wenn es um Wissenschaft geht?
Kommentare (18)