Es wird wohl niemanden überraschen, wenn dieser neueste Eintrag in der “Schlechte Schlagzeilen”-Serie sich wieder einmal mit einem Artikel der Online-Ausgabe der (ich zögere, es so zu nennen…) “Zeitung” Österreich beschäftigt. Diese (ich kann mich immer noch kaum dazu durchringen, es so zu nennen…) “Zeitung” ist ja mit entsprechenden Artikeln schon oft genug in der Serie vertreten. Ein klein wenig überrascht bin dann aber zumindest ich doch darüber, WIE grauenhaft schlecht der Artikel ist, um den es geht. Die Schlagzeile lautet “Forscher sagen das Ende der Welt voraus” (WebCite). Das ist schon eine ziemlich starke und vor allem dramatische Aussage, die im ersten Satz des Artikels gleich nochmal verstärkt wird: “Ein Eis-Koloss namens Planet X soll die Erde auslöschen. Wissenschaftler wollen sich nun sicher sein.”
Die Erde wird also “ausgelöscht” und Wissenschaftler (!!) sind sich sicher, dass es passieren wird. Wie kommen die (Nein, das kann auf keinen Fall das richtige Wort sein, oder?) “Journalisten” von Österreich zu dieser Behauptung? Welche Wissenschaftler haben sie befragt? In welcher Fachpublikation haben sie recherchiert? In keiner natürlich, sie haben ihre “Informationen” aus einem englischen Boulevardblatt. Der Daily Star schrieb kürzlich: Planet X: Ice giant so big it tilts ENTIRE SOLAR SYSTEM will be found NEXT YEAR” (WebCite). Im Vergleich zur österreichischen Version ist die Schlagzeile der Briten fast noch harmlos (und bei genauerer Betrachtung sogar überraschend korrekt, aber dazu später mehr). Im Text selbst wird dann aber wieder hauptsächlich der übliche Unsinn von wegen “Planet X”, “Nibiru” und so weiter wiederholt, der seit Jahrzehnten die Werke der Verschwörungstheoretiker füllt und den ich hier im Blog auch schon oft genug behandelt habe (siehe hier für eine Übersicht).
Da draußen ist kein riesiger Planet, der demnächst die Erde zerstören wird. Aber die wissenschaftliche Grundlage – sofern man das so nennen kann – für die grauenhaften Boulevardartikel ist tatsächlich ziemlich spannend. Im Artikel des Daily Star kann man lesen:
“Planet 9 is so gigantic its gravitational field is actually causing the Sun itself and the entire Solar System to tilt on a six-degree angle.”
Der Planet um den es geht ist also so enorm gigantisch, dass er das ganze Sonnensystems in Schieflage bringt, wird da behauptet. Und wenn das so ist, dann ist es doch auch plausibel, dass er die Erde zerstört, oder?
Nun. Es geht um den “Planet 9”. So wird ein hypothetischer (!) Himmelskörper in den äußersten Bereichen des Sonnensystems bezeichnet, für dessen Existenz man Anfang des Jahres einige Hinweise gefunden hat, die durchaus vielversprechend sind (Ich habe die ganze Geschichte damals in einer kleinen Serie ausführlich behandelt: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4). Nur um das noch einmal klar zu stellen: Niemand hat diesen Planeten bisher entdeckt! Gefunden hat man einige Asteroiden die sich fern unserer Sonne befinden und deren Bahnen kleine Unregelmäßigkeiten aufweisen, die vielleicht durch den gravitativen Einfluss eines noch unentdeckten Planeten verursacht worden sein könnten. Dieser Planet wäre, wenn es ihn tatsächlich gibt, bis zu 20 Mal schwerer als die Erde und mindestens 250 Mal weiter von der Sonne entfernt als unser Planet.
In den letzten Monaten haben sich viele Wissenschaftler mit “Planet 9” beschäftigt und untersucht, wie sich seine Existenz auf das Sonnensystem auswirken könnte. Nicht, weil sie bevorstehende Katastrophen fürchten! Wenn es Planet 9 wirklich gibt, dann gibt es ihn schon genau so lange wie die anderen Planeten, also seit 4,5 Milliarden Jahren. Er wird nicht plötzlich anfangen, die Welt zu zerstören, nur weil ein paar Astronomen seit kurzer Zeit über seine Existenz spekulieren… Nein, den Wissenschaftlern geht es darum, weitere Hinweise zu finden die ihnen sagen, ob es das Ding geben kann oder nicht. Planet 9 würde ferne Asteroiden mit seiner Gravitationskraft beeinflussen und das wäre ein Weg, seine Eigenschaften bestimmen und ihn doch noch entdecken zu können. Aber vielleicht hat er auch anderweitig Einfluss ausgeübt und eröffnet uns so andere Wege, mehr über ihn herauszufinden.
Genau das haben Elizabeth Bailey vom CalTech in Kalifornien und ihre Kollegen untersucht. Ihre kürzlich veröffentlichte Facharbeit trägt den Titel “Solar Obliquity Induced by Planet Nine” und darin geht es um die Orientierung der Rotationsachse unserer Sonne. Wir wissen, dass sich die Planeten des Sonnensystems alle mehr oder weniger in der gleichen Ebene um die Sonne bewegen. Dass das so ist, liegt an der Art und Weise wie sie vor 4,5 Milliarden Jahren entstanden sind: Aus einer die Sonne umgebenden rotierenden Scheibe voll Gas und Staub. Die Scheibe war flach (warum das so sein muss, wird hier erklärt) und darum sind auch die Bahnen der Planeten die in dieser Scheibe entstanden sind alle in der gleichen Ebene. Die Sonne selbst dreht sich auch um ihre Achse und eigentlich sollte ihre Rotationsachse ziemlich genau senkrecht auf diese Ebene stehen. Das tut sie aber nicht, sondern ist um 6 Grad aus der Senkrechten geneigt. Dafür muss es einen Grund geben und bisher hatte man noch keine wirklich einleuchtende Ursache für diese Schiefstellung gefunden.
Bailey und ihre Kollegen haben in ihrer Arbeit aber gezeigt, dass Planet 9 durchaus dafür verantwortlich sein könnte. Ein massereicher Planet, mit einer fernen Umlaufbahn die selbst leicht geneigt und nicht ganz kreisförmig ist könnte mit seiner Anziehungskraft im Laufe der Jahrmilliarden an der Rotationsachse der Sonne ziehen und sie ein wenig aus der Senkrechten neigen. Die Details dieses Prozesses sind komplex; es geht um sogenannte säkulare Resonanzen (ich habe hier mehr dazu geschrieben). Kurz gesagt: Wenn die Raten, mit der sich die Umlaufbahnen von Himmelskörpern verändern in einem ganzzahligen Verhältnis zueinander stehen, dann können sie sich gegenseitig stärker beeinflussen als sonst und genau so ein Einfluss könnte für die Neigung der Rotationsachse der Sonne verantwortlich sein.
In der Wissenschaft ist es immer gut, wenn man viele verschiedene Phänomene durch eine einzige Hypothese erklären kann. Das ist meistens ein Zeichen dafür, dass man auf der richtigen Spur ist. Aber man muss auch aufpassen: Wenn die Hypothese sehr vage ist und es viele Dinge gibt die man noch nicht weiß (wie zum Beispiel die genauen Eigenschaften des Planet 9, sofern es ihn gibt), dann lässt sich das Ganze oft immer irgendwie so hinbiegen, dass es zu passen scheint. Aber es ist auf jeden Fall interessant, dass ein Himmelskörper mit den Eigenschaften die man bei Planet 9 auch schon aus anderen Gründen vermutet hat, erklären kann, warum die Rotationsachse der Sonne genau so stark geneigt ist, wie wir das beobachten.
Ob es Planet 9 wirklich gibt oder nicht wird die Zukunft zeigen. Wenn er da ist, wird er auch irgendwann beobachtet werden. Aber selbst WENN er bald entdeckt wird, taugt er dennoch nicht für Katastrophen. Planet 9 muss zwangsläufig immer weit, weit entfernt von der Erde sein. Wäre er es nicht, hätten wir ihn schon längst gefunden! Würde er irgendeinen relevanten (oder negativen) Einfluss auf die Erde ausüben die unseren Planeten zerstören könnte, wäre das in den letzten 4,5 Milliarden Jahren schon längst passiert.
Über Planet 9 kann man viele faszinierende Geschichten erzählen und die Wissenschaftler werden in nächster Zeit mit Sicherheit noch viel mehr faszinierende Forschung dazu durchführen. Es ist schade zu sehen, wie manche Medien diese Faszination mit Füßen treten und stattdessen lieber auf primitive Panikmache und noch primitiveres Click-Baiting setzen…
Mehr schlechte Schlagzeilen gibt es hier.
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