Im Winter wird es kalt. In einer Eiszeit ist es auch im Sommer kalt und im Winter noch viel kälter. Aber vor 600 Millionen Jahren könnte die ganze Erde kalt gewesen sein. Unser kompletter Planet könnte sich unter dicken Eisschicht befunden haben. Für diese Schneeball-Erde-Hypothese gibt es viele gute Hinweise. Und wenn es tatsächlich so war, dann war die totale Vereisung der Erde wahrscheinlich die bisher größte Herausforderung für das Leben auf unserem Planeten…
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Transkription
Sternengeschichten Folge 209: Schneeball Erde
In der Gegenwart haben wir das Problem, dass sich unsere Erde wegen des menschengemachten Ausstosses von Treibhausgasen immer weiter aufheizt. Die Erwärmung unseres Planeten ist ein großes Problem und wird in Zukunft ein noch viel größeres Problem werden. In der Vergangenheit könnte aber nicht Wärme sondern Kälte die größte Bedrohung für das Leben auf der Erde gewesen sein. Und zwar, als unser Planet komplett mit Eis bedeckt war. Als die Erde ein Schneeball war…
Dass sich das Klima der Erde langfristig ändert, ist bekannt. Ich habe schon in Folge 55 der Sternengeschichten über die Milankovic-Zyklen gesprochen; die langfristigen Variationen in der Umlaufbahn der Erde die durch die gravitativen Störungen der anderen Planeten ausgelöst werden und zu unterschiedlich starker Sonneneinstrahlung und klimatischen Veränderungen führen. In Folge 81 habe ich vom Wilson-Zyklus erzählt; dem durch die tektonischen Prozesse ausgelösten langsamen Tanz der Kontinente und der Bildung und Zerstörung von Superkontinenten der ebenfalls das Klima beeinflussen kann.
Geologen wissen schon seit langem, dass sich Warm- und Eiszeiten in der Geschichte der Erde abwechseln. Heute sind überall noch die Spuren der letzte Eiszeit zu sehen, die erst vor ein paar Jahrtausenden zu Ende ging. Die damals weit in den Süden und von Skandinavien bis nach Deutschland hinein gewanderten Gletscher haben die Landschaften geprägt, die sich uns heute eisfrei präsentieren; ihre kalte Vergangenheit aber nicht verstecken können.
Eiszeiten sind also nichts besonderes. Aber manche Geologen vermuten, dass es früher nicht einfach nur normale Eiszeiten gegeben haben könnte. Sondern eine globale Vereisung des Planeten. Die Gletscher wären von den Polen nicht einfach nur ein Stückchen weiter in die gemäßigten Breiten gewandert. Sondern bis in die Tropen; bis zum Äquator. Dort wo heute dauerhaft hohe Temperaturen herrschen und Eis nur in den Gläsern gekühlter Getränke zu finden ist sollen sich vor 600 bis 700 Millionen Jahren mächtige Gletscher und alles unter einer viele Meter dicken Eisschicht befunden haben.
Das klingt absurd, aber die geologischen Spuren die darauf hindeuten hat man schon in der zweiten Hälften des 20. Jahrhunderts entdeckt. In Gesteinsschichten in der Nähe des Äquators entdeckten Geologen deutliche Spuren von Vergletscherung. Inmitten von komplett regelmäßig abgelagerten Sedimentschichten stecken dort zum Beispiel riesige Felsbrocken und der einzige bekannte Weg auf dem sie dorthin gelangt sein können, sind Gletscher. Die mächtigen Eisströme können große und kleine Steine mit sich führen und wenn sie dann auftauen, werden die Felsbrocken dort fallen gelassen, wo sie sich gerade befinden. Sie liegen dann in geologischen Schichten, in denen sie eigentlich nichts zu suchen haben und genau dieses Verhalten hat man bei den Gletschern im hohen Norden und Süden der Erde oft beobachtet. Dort stellt das keine Überraschung dar; in der Nähe des Äquators dafür schon.
Früher dachten die meisten Wissenschaftler, dass die Plattentektonik der Grund dafür wäre. Die Kontinente bewegen sich zwar sehr langsam aber doch über die Oberfläche der Erde. Vielleicht waren die Regionen, die wir heute am Äquator sehen früher viel näher an den Polen und die Spuren der Gletscher stammen aus dieser Zeit? Einige wenige Geologen waren aber anderer Meinung und überzeugt, dass die Spuren von Gletschern in den Tropen tatsächlich bedeuteten, dass es früher Gletscher am Äquator gegeben haben muss – und wenn es dort Gletscher gibt, dann muss auch der Rest der Erde gefroren sein.
Das erschien unwahrscheinlich, denn es hat ja einen Grund, warum es am Äquator so heiß ist. Die Neigung der Erdachse führt in den gemäßigten Breiten zur klassischen Abfolge der Jahreszeiten. Am Äquator spielt die Neigung aber keine Rolle und deswegen gibt es dort auch keine Jahreszeiten. Es ist immer Sommer und immer heiß. Wo sollen da Gletscher herkommen?
Das fand der russische Wissenschaftler Michail Budyko heraus: Während des kalten Krieges zwischen der Sowjetunion und den USA in den 1970er und 1980er Jahren war man sehr an den Folgen atomarer Explosionen interessiert. Budyko wollte wissen, wie sich ein Atomkrieg auf das Klima auswirken könnte und entdeckte dabei einen interessanten Rückkopplungsmechanismus. Land und Ozean können Sonnenlicht absorbieren und sich aufwärmen. Eis dagegen reflektiert das Licht der Sonne. Je mehr Eis die Erdoberfläche bedeckt, desto mehr Licht reflektiert und desto weniger steht für die Erwärmung der Erde zur Verfügung. Es wird immer kälter, es bildet sich noch mehr Eis und das verstärkt wiederum die Abkühlung der Erde. Budyko fand, dass es einen Grenzwert gibt: Ist ein ausreichend großer Teil der Erde mit Eis bedeckt, dann ist die Vergletscherung nicht mehr aufzuhalten. Wenn die Gletscher vom Nordpol bis etwa zum südlichen Mittelmeer bzw. zur afrikanischen Küste vorrücken, dann hält sie nichts mehr zurück. Dann wird die Erde so kalt, dass sie komplett einfriert.
So konnte Budyko zwar erklären, wie die Erde zum Schneeball werden könnte. Aber es blieben zwei Probleme die noch nicht gelöst waren. Erstens: Wie kann man nachweisen, dass die geologischen Spuren der Gletscher am Äquator wirklich dort entstanden sind und nicht durch plattentektonische Prozesse aus den Polarregionen dorthin transportiert wurden? Und viel wichtiger, zweitens: Wie ist der Schneeball Erde wieder aufgetaut? Laut Budykos Model würde die vereiste Erde vereist bleiben. Sie würde so viel Sonnenlicht reflektieren, dass sie sich nie mehr erwärmen könnte. Das hat sie aber offensichtlich getan.
Zur Beantwortung beider Fragen hat vor allem der amerikanische Geologe Joseph Kirschvink maßgeblich beigetragen. Er nutzte paleomagnetische Methoden um den Entstehungsort der Gesteine zu identifizieren. In jedem Gestein findet man kleinste magnetische Einlagerungen. Wenn Gestein aus flüssiger Lava oder Magma entsteht, können sich die magnetischen Einlagerungen noch frei bewegen und richten sich – so wie eine Kompaßnadel – am Magnetfeld der Erde aus. Wird das Gestein dann fest, friert so auch die Richtung ein, in die die magnetischen Einlagerungen zeigen. Selbst wenn das Gestein durch tektonische Prozesse anderswo hin auf der Erde transportiert wird, bleibt diese Information erhalten. Dadurch konnte Kirschvink herausfinden, wo sich das Gestein gebildet hat, das die Spuren der Vergletscherung zeigte: Am Äquator! Das Eis war also tatsächlich dort. Die Erde musste in der Vergangenheit eingefroren sein.
Und wie taute sie wieder auf? Auch das untersuchte Kirschvink: Kohlendioxid ist ein starkes Treibhausgas und kann für eine Erwärmung der Erde sorgen. Es wird nicht nur von uns Menschen produziert sondern auch durch natürlich Prozesse, zum Beispiel bei Vulkanausbrüchen. Durch Vulkanismus gelangen auch noch andere Treibhausgase in die Atmosphäre. Normalerweise gibt es Prozesse die dafür sorgen, dass sich nicht zu viel davon ansammeln kann. Regen zum Beispiel kann das Kohlendioxid aus der Atmosphäre waschen. Aber Regen gab es auf dem Schneeball Erde nicht! Alles Wasser war gefroren. Der Vulkanismus konnte also immer mehr CO2 in die Atmosphäre pusten, das sich dort in immer größeren Mengen ansammelte, bis der Treibhauseffekt irgendwann zum Auftauen des Schneeballs Erde sorgte.
So simpel wie in diesem kurzen Überblick ist die Geschichte der vereisten Erde in der Realität aber leider nicht. Einerseits gibt es noch viele andere Spuren die darauf hindeuten, dass es diese Phasen der kompletten Vergletscherung tatsächlich gegeben hatte. Den kosmischen Staub zum Beispiel: Tag für Tag rieselt kosmischer Staub aus dem All auf die Erde und sammelt sich hier an. Dieser Staub enthält das Metall Iridium, das im Weltall häufig vorkommt, auf der Erde dagegen selten, da es in der Frühzeit des Erdgeschichte in den Kern des Planeten gesunken ist. Als die Erde während der Schneeballphase vereist war, muss sich das Iridium aus dem Weltallstaub daher im Eis angesammelt haben und als das Eis taute muss daraus eine Gesteinsschicht entstanden sein, die viel mehr Iridium enthielt als die darüber oder darunter. Genau das hat man auch entdeckt. Andererseits könnte dieser Irdium-Überschuss auch ganz ohne Gletscher sondern durch einen Asteroideneinschlag entstanden sein.
Kritiker der Schneeball-Erde-Hypothese weisen auch darauf hin, dass man die paläomagnetischen Messungen anders interpretieren kann. Und vor allem, dass das Leben auf der Erde schon lange vor der Schneeball-Phase entstanden ist und eigentlich während der globalen Vergletscherung aussterben hätte müssen. Komplexes Leben gab es damals zwar noch nicht, aber auch die simplen Mikroorganismen brauchen Licht und Wärme die sie unter einer Eisschicht nicht bekommen. Dem entgegen die Schneeball-Anhänger, dass manche Bakterien zum Beispiel auch im Eis überleben können. Und das man auch schon in den unterirdischen und unter dicken Eispanzern liegenden Seen der Antarktis Mikroorganismen gefunden hat. Vielleicht hat sogar gerade das Ende der Schneeballphase dem Leben bei seiner Weiterentwicklung geholfen. Damals kamen auf einen Schlag viele chemische Nährstoffe in die Ozeane der Erde und die überlebenden Organismen könnten sich dann besser und schneller entwickelt haben als zuvor.
Die Lage wird vorerst nicht ganz eindeutig bleiben. Dass es in der Vergangenheit der Erde Phasen gegeben hat, in denen große Teile des Planeten unter einer Eisschicht lagen, scheint unstrittig. Ob es sich dabei wirklich um die ganze Erde gehandelt hat oder ob vielleicht einige Regionen doch eisfrei geblieben sind, wird noch diskutiert. So oder so: Wenn es im Winter bei uns wieder einmal kalt werden sollte, sollten wir uns nicht beschweren. Denn es könnte alles noch viel schlimmer sein!
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