Per Zufall hat eine niederländische Lehrerin im Jahr 2007 ein seltsames grünes Ding am Himmel entdeckt. Dieses Ding hat sich als bisher unbekanntes astronomisches Phänomen herausgestellt, als ein Objekt aus dem wir viel über die Wechselwirkung zwischen Galaxien und das Verhalten schwarzer Löcher lernen können. Wie und warum diese Entdeckung passiert ist und was das grüne Dinge tatsächlich ist erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
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Sternengeschichten Folge 215: Hanny’s Voorwerp
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um Hanny’s Voorwerp. Das klingt seltsam. Das ist auch seltsam. Es handelt sich dabei um ein Phänomen, dass sich wissenschaftlich korrekt als das Ionisations-Echo eines Quasars beschreiben lässt. Das klingt allerdings immer noch ein wenig seltsam, also sollte ich mit der Erklärung vielleicht am Anfang anfangen.
Alles begann mit dem Galaxy Zoo. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Citizien-Science-Projekt. Also ein wissenschaftliches Vorhaben, das nicht nur von professionellen Wissenschaftler durchgeführt wird, sondern auch auf die Mitarbeit einer großen Anzahl von Freiwilligen angewiesen ist, die selbst keine Wissenschaftler sind. Im Jahr 2007 standen Astronomen von der Universität Oxford vor einem Problem. Sie wollten Aufnahmen von Galaxien klassifizieren. Welche Arten von Galaxien es gibt habe ich ja schon in Folge 33 der Sternengeschichten erzählt. Man unterscheidet grob zwei Klassen: Elliptische Galaxien und Spiralgalaxien, wie unsere Milchstraße. Zu wissen, wie viele Galaxien welcher Art es im Universum gibt, ist wichtig. Je weiter entfernt sich die Galaxien befinden, desto älter sind sie bzw. desto früher nach dem Urknall sind sie entstanden. Weiß man, wie sich die Anzahl der elliptischen bzw. Spiralgalaxien im Laufe der Zeit verändert, kann man daraus Informationen über die Entstehung der Galaxien und ihrer Wechselwirkung ableiten und das ist die Grundlage für eine Vielzahl astronomischer und kosmologischer Forschungsprojekte.
In Oxford hatte man nun Daten des Sloan Digital Sky Survey vorliegen, einem großen Katalog voller Aufnahmen des Himmels. Eine Galaxie zu klassifizieren ist eigentlich nicht schwer: Man muss sich einfach nur die Aufnahme der Galaxie ansehen und erkennt im Allgemeinen sofort, ob es sich um eine elliptische oder eine Spiralgalaxie handelt. Problematisch war die große Anzahl der Daten. Im Sloan Digital Sky Survey waren ungefähr 900.000 Galaxien abgebildet. Computer sind bei weitem nicht so gut, die Form einer Galaxie korrekt zu erkennen und deswegen brauchte es Menschen um diese Aufgabe durchzuführen. Der Astronom Kevin Schawinski hatte 50.000 Galaxien selbst klassifiziert und dafür eine Woche gebraucht. Abgesehen davon, dass er bei dieser Rate mehrere Monate benötigt hätte um den ganzen Katalog durchzuarbeiten und man für ein verlässliches Ergebnis all diese Klassifikation auch noch mehrmals überprüfen muss und abgesehen davon, dass es noch andere Kataloge mit viel mehr Galaxien gibt die ebenfalls klassifiziert werden können ist diese Arbeit auf Dauer extrem langweilig.
Man entschied sich daher, etwas neues auszuprobieren und gründete den “Galaxy Zoo”. Jeder der wollte konnte sich dort registrieren und dann selbst bei der Klassifikation mitmachen. Die Wissenschaftler aus Oxford waren überrascht vom Erfolg dieses Projekts: Schon 24 Stunden nach dem Start führten Freiwillige aus aller Welt schon 70.000 Klassifikationen pro Stunde durch. Nach einem halben Jahr war jede Galaxie im Katalog 38 mal klassifiziert und überprüft worden. Wegen dieses Erfolgs folgten auf dieses erste Projekt viele weitere Projekte bei denen Freiwillige alle möglichen astronomischen Klassifizierungsaufgaben übernehmen können. Es hat sich aber auch gezeigt, dass solche Citizien-Science-Projekte nicht nur geeignet sind um große Mengen an Daten sehr schnell zu verarbeiten. Man kann damit auch neue Phänomene entdecken.
Als die freiwilligen Mitarbeiter die Katalogbilder zur Klassifizierung vorgelegt bekamen, konnten sie dort nicht nur angeben, ob es sich um eine elliptische oder eine Spiralgalaxie handelte. Sie konnten das Bild auch markieren, wenn sie der Meinung waren, dass es aus anderen Gründen interessant wäre. Genau so eine Markierung setzte die niederländische Lehrerin Hanny van Arkel im Jahr 2007, als sie im Rahmen des Galaxy-Zoo-Projekts eine Aufnahme einer Galaxie betrachtete.
Im oberen Teil des Bildes war einwandfrei eine Galaxie zu sehen. Im unteren Teil dagegen ein seltsames, grünes irgendwas. “Grün” ist generell auffällig auf astronomischen Aufnahmen. Es gibt kaum irgendwelche Himmelskörper die grün leuchten. Sterne zum Beispiel sind niemals grün, wie ich schon in Folge 11 der Sternengeschichten erzählt habe. Galaxien leuchten rot, blau oder gelb-weißlich aber grün findet man dort auch nicht. Wenn etwas grün leuchten kann, dann höchstens Gas – zum Beispiel Sauerstoff – das durch externe Energie zum Leuchten angeregt wird. So wie es zum Beispiel bei den Polarlichtern passiert, wo der Sauerstoff in der Erdatmosphäre für die grünen Leuchterscheinungen verantwortlich ist.
Auch die Form des seltsamen grünen Dingens war ungewöhnlich. Es hatte keine regelmäßige Struktur, wie das bei Galaxien im Allgemeinen der Fall ist. Kurz gesagt: Es war ein sehr seltsames Objekt und Hanny van Arkel dachte es wäre eine gute Idee, die restlichen Freiwilligen und die professionellen Astronomen darauf hinzuweisen. Und tatsächlich war es eine sehr gute Idee! So etwas hatte man bis jetzt noch nie gesehen und die Astronomen machten sich daran, mehr darüber herauszufinden.
Mittlerweile hatte das Ding den Namen “Hanny’s Voorwerp” bekommen, wobei “Voorwerp” niederländisch ist und so viel bedeutet wie “Objekt”. Hanny’s Objekt stellte sich als so groß wie eine kleine Galaxie heraus. Das Licht war von dort bis zu uns etwa 650 Millionen Jahre unterwegs; es ist also ein Objekt das sich weit außerhalb unserer eigenen Milchstraßengalaxien befindet. Direkt neben Hanny’s Objekt befindet sich eine kleine Spiralgalaxie mit der Bezeichnung IC 2497; die Distanz zwischen ihnen beträgt um die 60.000 Lichtjahre. So viel ließ sich relativ leicht herausfinden. Aber was war nun dieses komische grüne Ding neben der eher normalen Spiralgalaxie?
Folgendes Szenario scheint am plausibelsten zu sein: IC 2497 war früher einmal tatsächlich eine ganz normale Spiralgalaxie. Dann geschah das, was Galaxien immer wieder mal passiert – sie begegnen einer anderen Galaxie. In Folge 176 der Sternengeschichten habe ich ja schon ausführlich erklärt was bei solchen Begegnungen passiert. Die Galaxien beeinflussen sich gegenseitig mit ihrer Gravitationskraft; verändern ihre Form und werden generell ziemlich durchgerüttelt. Bei IC 2497 war das nicht anders. Ein großer Teil des zwischen den Sternen vorhandenen interstellaren Gases wurde durch den gravitativen Einfluss der anderen Galaxie aus den Spiralarmen von IC 2497 gerissen und sammelte sich ein paar zehntausend Lichtjahre entfernt. Gleichzeitig gab es auch im Zentrum von IC 2497 große Veränderungen. So wie in allen anderen Galaxien befand sich dort auch ein supermassereiches schwarzes Loch. Durch die Begegnung mit der andern Galaxien wurde nicht nur Gas aus IC 2497 heraus gerissen, viel Gas gelangte auch in das Zentrum und die Nähe des schwarzen Lochs. Das ganze Material wurde durch die Gravitationskraft des Lochs stark beschleunigt und begann zu leuchten. Das ganze Zentrum der Galaxie und der Bereich um das schwarze Loch herum wurden enorm hell und jede Menge hochenergetische Strahlung ist ins All hinaus gelangt. Es geschah das, was ich schon in Folge 52 der Sternengschichten erzählt habe: Aus dem schwarzen Loch wurde ein Quasar.
Die Strahlung des Quasars breitete sich aus und erreichte irgendwann auch die 60.000 Lichtjahre entfernt liegenden Gasmassen, die zuvor aus den Spiralarmen gerissen wurden. Die Strahlung regte dieses Gas zum Leuchten an; genau das seltsame grüne Leuchten das Hanny van Arkel auf ihrer Aufnahme sehen konnte. Der Quasar im Zentrum der Galaxie gab aber nicht nur Strahlung ab, sondern schleuderte auch Gas aus seiner Umgebung wieder weit hinaus ins All; bis hin zu Hanny’s Objekt. Der “Aufprall” dort hat Teile des Gases von Hanny’s Objekt verdichtet und die Entstehung von Sternen ausgelöst. Bessere Aufnahmen die später mit dem Hubble-Weltraumteleskop gemacht wurden, zeigen auch genau so eine Sternentstehungsregion.
Das alles ist schon faszinierend genug. Noch faszinierender ist die Tatsache, dass Hanny’s Objekt uns einen Blick in die Vergangenheit ermöglicht. Strahlung und Gas aus dem Zentrum der Galaxie IC 2497 brauchen eine gewisse Zeit um Hanny’s Objekt zu erreichen. Während also die Strahlung unterwegs war und während Hanny’s Objekt zu leuchten begann, hatten sich die Bedingungen rund um das zentrale schwarze Loch schon wieder verändert. Das dort befindliche Gas war verbraucht; in das supermassereiche schwarze Loch gefallen oder aus der Galaxie geschleudert. Es wurde wieder leer im Zentrum der Galaxie und der Quasar hörte auf zu leuchten. Auf den aktuellen Bildern sieht die Galaxie wieder wie eine ganz normale Spiralgalaxie aus und nicht wie ein Quasar. Aber Hanny’s Objekt zeigt uns ein “Lichtecho” der früheren Phase. Dort sehen wir heute immer noch den Einfluss des Quasars, der allerdings schon seit knapp 100.000 Jahren nicht mehr leuchtet.
Hanny’s Voorwerp ist ein wunderbares Beispiel für die Tatsache, dass es sich immer lohnt, möglichst genau zu beobachten. Wenn man nur lang und weit genug ins All hinaus sieht, dann wird man immer etwas finden, das man vorher noch nicht kannte. Angeregt durch die Entdeckung von Hanny van Arkel haben Astronomen in der Zwischenzeit weiter gesucht und bei anderen Galaxien noch ein paar ähnliche Objekte gefunden. Die zufällige Beobachtung einer niederländischen Lehrerin hat der Wissenschaft den Blick auf eine bis dahin völlig unbekannte Art von astronomischen Objekt eröffnet. Und wer sich dadurch inspiriert fühlt, selbst auf die Suche nach unbekannten Phänomen zu gehen: Das Galaxy-Zoo-Projekt kann immer neue Freiwillige gebrauchen…
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