Ihr wollte eine Million Dollar verdienen? Dann müsst ihr nur eine Frage beantworten. Und zwar die nach den mathematischen exakten Lösungen der sogenannten Navier-Stokes-Gleichungen! Dafür ist seit fast zwei Jahrzehnten ein hoher Geldpreis ausgesetzt. Völlig zu Recht, denn diese Gleichungen sind für die Beschreibung astronomischer Phänomene im Weltall genau so interessant wie für die Vorgänge auf unserer Erde. Sie spielen in der reinen Mathematik genau so eine wichtige Rolle wie in der angewandten Technik und der Funktionsweise von Autos, Flugzeugen, etc. Worum es sich bei diesen Gleichungen genau handelt und was sie so schwer zu lösen macht erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.
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Transkription
Sternengeschichten Folge 217: Das ungelöste Problem der Navier-Stokes-Gleichungen
In dieser Folge der Sternengeschichten geht es um ein Problem mit dessen Lösung man sich eine Million Dollar verdienen kann. Es ist allerdings durchaus ein wenig knifflig. So knifflig, dass es zu den sieben Millenium-Problemen gehört. Die hat im Jahr 2000 das Clay Mathematics Institute aus den USA zusammengestellt. Es handelt sich um mathematische Vermutungen für die trotz langer Suche noch kein Beweis gefunden werden konnte. Das trifft auf ziemlich viele Probleme zu, in diesem Fall sind es aber Vermutungen die von großer Bedeutung für die Mathematik sind. So große Bedeutung, dass für ihre Lösung eben besagte eine Million Dollar ausgelobt wurden.
Die Mathematik ist für alle Naturwissenschaften ein unverzichtbares Werkzeug und jeder mathematische Fortschritt dort findet früher oder später auch seine Anwendung in Physik, Astronomie und Co. Das gilt auch für die sieben Millenium-Probleme; bei einem davon gilt das aber ganz besonders. Es geht dabei um die sogenannten Navier-Stokes-Gleichungen. Der französische Mathematiker Claude Louis Marie Henri Navier und der Ire George Gabriel Stokes beschäftigten sich im 19. Jahrhundert mit dem Verhalten von Flüssigkeiten und Gasen. Ganz besonders interessiert waren sie an der Frage, wie sich strömende Gase und Flüssigkeiten mathematisch beschreiben lassen. Sie fanden ein System komplizierter mathematischer Gleichungen, mit denen sich solche Strömungen beschreiben lassen.
Aber wie das in der Mathematik oft so ist: Es mag durchaus kompliziert sein, eine Gleichung aufzustellen – noch komplizierter ist es meistens, diese Gleichung dann auch zu lösen. Und genau davon handelt das Millenium-Problem der Navier-Stokes-Gleichung. Es ist leicht zu sehen, warum es nicht nur in der Mathematik wichtig ist, das Verhalten von strömenden Flüssigkeiten und Gasen zu verstehen. Gase strömen in einem Verbrennungsmotor. Oder der Turbine eines Flugzeuges. Gase strömen in der Atmosphäre der Erde und erzeugen das Wetter. Autos werden so gebaut, dass die Luft möglichst ohne Widerstand über sie hinweg strömt. Überall in der Natur strömen Gase und Flüssigkeiten; überall in unseren technischen Geräten gibt es Strömungen die verstanden werden müssen. Und nicht nur auf der Erde, auch im Weltall spielen strömende Gase eine Rolle. Betrachten wir zum Beispiel die Zeit vor 4,5 Milliarden Jahren als in unserem Sonnensystem die Planeten entstanden sind. Ursprünglich gab es dort nur die junge Sonne die von einer großen Scheibe aus Gas und Staub umgeben war. All dieses Gas und der Staub wirbelten durcheinander und beeinflussten sich gegenseitig. Das Resultat dieses Wirbelns und Beeinflussens waren zuerst kleinere Felsbrocken die sich aus dem Gas und dem Staub gebildet haben und später große Planeten, die aus der Kollision von Felsbrocken entstanden sind.
Wenn wir diesen Prozess korrekt verstehen wollen, müssen wir auch verstehen wie genau das Gas sich verhalten hat; wie genau es in der Scheibe um die junge Sonne geströmt ist. Und auch später spielen diese Phänomene eine Rolle: In Folge 68 der Sternengeschichten habe ich von der planetaren Migration erzählt; davon wie die Planeten in der Frühzeit des Sonnensystems aufgrund ihrer Wechselwirkung mit dem damals noch vorhandenen Gas und dem Staub ihre Umlaufbahnen vergrößert und verkleinert haben. Auch hier müssen wir die Strömungen verstehen, wenn wir die Planeten verstehen wollen. Die Atmosphäre von Gasplaneten wie Jupiter und Saturn sind ein einziges großes Strömungssystem aus verschiedenen Gasen. Das Verhalten unserer Sonne wird von den Plasmaströmungen in ihrem Inneren bestimmt. Oder nehmen wir schwarze Löcher: Bevor Material in ein schwarzes Loch fällt, bewegt es sich zuerst auf spiralförmigen Bahnen um das Loch herum. Schwarze Löcher können also von großen Scheiben aus Gas und Staub umgeben sein und wir stehen wieder vor dem Problem, Strömungen verstehen zu müssen wenn wir verstehen wollen, welche hochenergetischen Prozesse dort ablaufen können und wie schwarze Löcher beispielsweise die extrem hell leuchtenden Quasare – von denen ich in Folge 52 mehr erzählt habe – antreiben können.
Kurz gesagt: Ohne ein vernünftiges Verständnis von Strömungen in Gasen und Flüssigkeiten sind wir in der Naturwissenschaft aufgeschmissen. Die Navier-Stokes-Gleichungen sagen uns, wie wir das Verhalten solcher Strömungen mathematisch modellieren können. Aber sie zeigen uns auch das große Problem an der Sache: Die Turbulenz. So gut wie überall wo etwas strömt, kommt es auch zu Turbulenzen. Zu Wirbeln, Durchmischung und chaotischen Veränderungen. Genau das macht die Sache schwierig. Es gibt zwar jede Menge Computersimulationen die mit verschiedensten Techniken die Navier-Stokes-Gleichungen nutzen um Strömungen darzustellen und zu untersuchen. Aber wir wissen immer noch nicht, ob diese Gleichungen abseits von numerischen Computersimulationen überhaupt klar definierte und exakte mathematische Lösungen haben!
Klar, auch Computersimulationen sind gute und brauchbare Instrumente. Wenn es zum Beispiel um die gravitative Wechselwirkung von Himmelskörpern geht, stehen die Astronomen ja vor einer ähnlichen Situation. Wie ich in Folge 96 der Sternengeschichten schon erzählt habe, war es hier auch vergleichsweise einfach, mathematische Gleichungen aufzustellen, die diese Wechselwirkung beschreiben. Jahrhundertelang hat aber niemand eine mathematisch exakte Lösung dieser Gleichung gefunden mit der man die Bewegung von Himmelskörpern unter ihrer wechselseitigen Gravitationskraft ebenso exakt beschreiben kann. Man ging davon aus das es so eine Lösung geben müsse – aber wie der französische Mathematiker Henri Poincaré im 19. Jahrhundert zeigen konnte hatte man sich da geirrt. Er bewies, dass es keine Lösung geben kann. Und damit auch, dass die numerischen Näherungslösungen einer Computersimulation alles sind, was wir haben.
Was die Bewegung von Himmelskörpern angeht haben wir uns damit abgefunden und seit die Computer so schnell und gut rechnen können wie sie es heute tun ist die Sache auch kein großes Problem mehr. Die Lösungen die wir erhalten sind zwar nur Näherungslösungen aber die mathematische Kraft der Computer erlaubt es uns im Prinzip diese Näherungen beliebig genau zu machen. Wie die Situation bei den Navier-Stokes-Gleichungen aussieht, wissen wir allerdings noch nicht. Hier suchen die Mathematiker immer noch nach einer exakten Lösung; hier hofft man immer noch, die Sache mathematisch in den Griff kriegen zu können. Wenn es gelänge wäre das großartig und mit Sicherheit mehr als das Preisgeld von einer Million Dollar wert. Die Möglichkeit, die Navier-Stokes-Gleichungen auf diese Weise viel besser verstehen zu können als heute; die Möglichkeit dadurch auch das Verhalten von Strömungen und vor allem von Turbulenzen viel besser verstehen zu können als heute würde nicht nur enorme Fortschritte bei der Analyse von naturwissenschaftlichen Phänomen ermöglichen sondern hätte auch massive Auswirkungen auf all unsere Technik die sich mit Strömungen beschäftigen muss. Bessere Wettervorhersage; bessere Turbinen; bessere Motoren – und so weiter.
Das Problem der Navier-Stokes-Gleichungen steht völlig zu Recht auf der Liste der großen ungelösten Probleme der Mathematik. Aber große ungelöste Probleme bleiben meistens deswegen so lange ungelöst, weil es verdammt schwer ist, sie zu lösen! Es gab in der Vergangenheit immer wieder Leute die meinten sie hätten die Sache durchschaut und jedes Mal haben sich danach Fehler im mathematischen Beweis gefunden. Den letzten großen Fehlschlag in Sachen Navier-Stokes gab es im Jahr 2014. Da hatte der kasachische Mathematiker Muchtarbai Otelbajew eine Lösung der Gleichungen veröffentlicht. Seit mehr als 30 Jahren hat er laut eigener Aussagen daran gearbeitet und eine hundertseitige Abhandlung war das Resultat dieser Arbeit. Geholfen hat es ihm trotzdem nichts: Andere Mathematiker überprüften den Beweis und fanden ein paar kleine Fehler. Und in der Mathematik reichen eben leider auch schon kleine Fehler um das gesamte Gedankengebäude zu Fall zu bringen.
Das Problem der Navier-Stokes-Gleichungen bleibt vorerst ungelöst. Aber früher oder später wird sich auch hierfür eine Lösung finden. Entweder eine echte Lösung oder aber der Beweis, dass keine Lösung existiert. Beides ist aus mathematischer und naturwissenschaftlicher Sicht gleich wertvoll. So oder so – Hauptsache wir wissen Bescheid und woran wir sind!
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