Astronomen habe eine Region im Weltraum entdeckt, aus der eine “abstoßende” Kraft auf unsere Milchstraße wirkt. Klingt mysteriös, aber so kann man es in vielen Medien derzeit lesen. Es klingt aber nicht nur mysteriös, es klingt auch irgendwie komisch. Denn welche Kraft soll das sein? Die einzige Kraft, die auf kosmologischen Skalen zwischen den Galaxien wirkt, ist die Gravitation. Und die ist ja gerade die eine Kraft, die immer anziehend wirkt. Es gibt keine “Anti-Gravitation”, die abstoßen kann. Was ist da also los und was ist wirklich entdeckt worden?
Der Fachartikel zum Thema trägt den Titel “The dipole repeller” und stammt von Yehuda Hoffman von der Hebrew Universität in Jerusalem und seinen Kollegen. Sie haben aus einem Katalag Daten von ungefähr 8000 Galaxien in unserer kosmischen Nachbarschaft untersucht und sich angesehen, wie sie sich bewegen.

Sieht mysteriös aus, ists aber gar nicht so sehr: Die Bewegung der Galaxienhaufen in unserer Nachbarschaft (Bild: Hoffman et al, 2017)
Wir wissen schon länger, dass nicht nur die Sterne in Galaxien organisiert, sondern auch die Galaxien selbst nicht willkürlich im All verteilt sind. Unsere Sonne bildet zusammen mit ein paar hundert Milliarden anderer Sterne die Milchstraßen-Galaxie. Und unsere Galaxie ist mit der Andromedagalaxie und ein paar anderen in der Lokalen Gruppe, einem Galaxienhaufen, organisiert. Mehrere Galaxienhaufen können wiederum einen “Superhaufen” bilden und selbst diese Superhaufen können noch gemeinsame Strukturen bilden. Unsere Lokale Gruppe gehört zum Beispiel mit knapp 100.000 anderen Galaxien zum Superhaufen Laniakea. Und diese ganze riesige Gruppe von Galaxien bewegt sich gemeinsam in Richtung des Shapley-Superhaufen, der gemeinsam mit dem großen Attraktor (einem weiteren Superhaufen) für die großräumige Bewegung der Milchstraße verantwortlich ist.
So weit war die Lage schon bekannt. Das, was Hoffman und seine Kollegen nun veröffentlicht haben, liefert hier keine dramatisch neuen Erkenntnisse, verfeinert aber das Bild ein wenig. Es gibt ja nicht nur die großen Ansammlungen von Galaxien sondern auch ebenso große Regionen, in denen sich gar nichts befindet. Diese “Voids” sind schwerer zu erforschen – dort ist ja nichts, was man beobachten könnte. Die Voids bestimmen in gewissen Sinne aber genau so die Bewegung von Galaxien wie das die großen Superhaufen tun.
Allerdings nicht durch eine “abstoßende” Kraft. Dabei handelt es sich um ein Missverständnis – der relevante Satz im Fachartikel dazu ist dieser hier:
“When describing the gravitational dynamics in co-moving coordinates, by which the expansion of the Universe is factored out, underdensities repel and overdensities attract.”
Die Wissenschaftler haben bei ihrer Beschreibung der Galaxienbewegung also sich mitbewegende Koordinaten benutzt. Koordinaten, bei denen die durch die Ausdehnung des Universums verursachte Bewegung der Galaxien schon rausgerechnet worden ist. Und wenn man das tut, dann sieht die Bewegung eben nicht mehr so aus, wie man das gewohnt ist. Stellt euch folgende Situation vor: Ihr fahrt mit dem Auto mit 50 km/h durch die Stadt. Hinter euch fährt ein Auto mit 30 km/h. Ihr fahrt beide in die gleiche Richtung und beide mit positiver Geschwindigkeit vorwärts. Und da ihr schneller seid, entfernt ihr euch vom Auto hinter euch. So weit, so klar. Jetzt könnt ihr aber auch euer Auto als “in Ruhe” betrachten. Eure Geschwindigkeit beträgt dann 0 km/h. Da sich das Koordinatensystem jetzt mit euch mit – also mit 50 km/h – bewegt hat das Auto hinter euch nun in diesem neuen Koordinatensystem keine Geschwindigkeit von +30 km/h mehr, sondern von -20 km/h (30-50 = -20). In diesem Koordinatensystem sieht es also so aus, als würde das hinter euch fahrende Auto von “abgestoßen”.
So ist das auch bei den Galaxien. Da kommt keine “mysteriöse” Kraft irgendwo aus dem Weltall. Aber es gibt Regionen in denen unterdurchschnittlich wenig Materie enthalten ist. Aus dieser Region wirkt keine bzw. eine viel geringere Anziehungskraft als aus den Regionen, in denen sich die Superhaufen befinden. Und wenn man das spezielle Koordinatensystem benutzt, dann sieht es so aus, als würden die Superhaufen die Milchstraße anziehen und die Leerräume sie “abstoßen”. In diesem Video erklären die Forscher das – wenn auch nicht unbedingt allgemeinverständlich – noch einmal genauer:
Hoffmann und seine Kollegen haben also keine “Anti-Gravitation” oder ähnliches entdeckt. Sondern mit ihrer Bewegungsanalyse ein Leerraum im Kosmos identifiziert, der die Dynamik unserer universalen Nachbarschaft ebenso beeinflusst wie das die großen Galaxienhaufen tun. Mit genaueren Beobachtungen hoffen die Astronomen, diesen Leerraum in Zukunft auch direkt nachweisen zu können und so mehr Informationen über das Verhalten der Galaxien in unserer Ecke des Kosmos zu erhalten.
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