Am 22. April 2017 findet der March for Science statt. Die Protestveranstaltung in Washington gegen die wissenschaftsfeindliche Politik des US-Präsidenten Donald Trump hat in den letzten Wochen überall auf der Welt Ableger bekommen. 571 “Satellite Marches” werden aktuell gelistet und sie finden überall auf der Welt statt (sogar in Grönland). In allen größeren Städten Deutschlands ebenso wie in Österreich und der Schweiz.
“Wissenschaft beruht auf Fakten und gut begründeten Argumenten. Wissenschaft und Technik tragen wesentlich zum Wohlstand sowie zum Bildungs- und Gesundheitswesen bei, auch wenn noch viel zu tun bleibt, um weltweit bestehende Ungleichheiten zu verringern. (…) Aktuelle politische Veränderungen nicht nur in den USA geben Anlass zu großer Sorge. Die Verfälschung und Verleumdung von Tatsachen zu ideologischen Zwecken bedrohen nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Grundlagen der Demokratie. Mit dem Vienna March for Science am Samstag, 22. April 2017, rufen wir dazu auf, das Fundament der Wissenschaft zu schützen, zu stärken und zu feiern.”
So begründen die Veranstalter des Wiener “March for Science” die Veranstaltung und dem kann man eigentlich nur zustimmen. “Die Verfälschung und Verleumdung von Tatsachen zu ideologischen Zwecken” ist schon schlimm genug, wenn sie von Seiten der Esoteriker, Pseudowissenschaftler oder auch mancher Medien kommt. Wenn dann aber auch Politikerinnen und Politiker genau die gleichen Vorurteile über die Wissenschaft verbreiten; ihre Entscheidungen auf nicht haltbaren Aussagen gründen – dann wird es kritisch. Es gibt so viele Probleme die gelöst werden müssen und bei denen die Wissenschaft eine Rolle spielt: Energiepolitik, Gentechnik, Klimawandel, medizinische Forschung, usw. Um eine vernünftige Lösung zu finden und vernünftige Entscheidungen für die Gesellschaft treffen zu können braucht es eine vernünftige wissenschaftliche Basis und keine “alternative Fakten” oder Verschwörungstheorien.
Es ist daher durchaus positiv, wenn sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überall auf der Welt öffentlich äußern um zu demonstrieren, welche wichtige Rolle die Wissenschaft in der und für die Gesellschaft spielt und wieso es fatal wäre, ihre Erkenntnisse zu ignorieren. Trotzdem gibt es Kritik am “March for Science” und diese Kritik kommt nicht von außen, sondern von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern selbst. Das ist nicht allzu überraschend; alles kritisch zu betrachten ist ja ein unverzichtbarer Teil der wissenschaftlichen Arbeit. Der Biologe Martin Ballaschk kritisiert unter anderem dass die Veranstaltungen hauptsächlich vom “Establishment”, also den Universitäten und Wissenschaftsorganisatoren durchgeführt und beworben werden und schreibt zum Beispiel bei Spektrum.de:
“Die Leute im Wissenschaftsbetrieb müssen sich zunehmend fragen, ob das ein von oben verordneter Pflichttermin ist. Und für Außenstehende ist nicht klar: Was ist eigentlich die treibende Kraft hinter der Bewegung? Marschieren hier nicht auch viele “Jubelperser”, also schlicht eine Lobby, die Geld vom “Wissenschaftssystem” bekommt?
Und fragt sich angesichts der ja durchaus vorhandenen Probleme des wissenschaftlichen Systems in Deutschland: “Wie glaubwürdig ist der Marsch also, wenn sie nirgendwo thematisiert werden?”.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich dem zustimmen kann. Dass es im Wissenschaftsbetrieb Probleme gibt, wird niemand leugnen. Ich selbst schreibe ja auch immer wieder darüber: Über die seltsame Förderpolitik; über die schlechten Arbeitsbedingungen und die schlechten Karrierechancen für junge Forscherinnen und Forscher, und so weiter. Aber die Existenz dieser Probleme sorgt ja nicht dafür dass die Probleme gegen die sich der “March for Science” explizit richtet auf einmal verschwinden! Ja, man muss die vielen Probleme des Wissenschaftsbetriebs thematisieren! Aber genau so die Zustände kritisieren, die der “March for Science” kritisiert. Das eine schließt das andere nicht aus und es ist auch nicht schlimm, wenn bei einer Veranstaltung nicht alle Probleme angesprochen werden. Zu sagen “Kritisiere nicht Problem X solange Problem Y nicht auch kritisiert/gelöst wird”, führt zu nichts. Der “March for Science” spricht ein konkretes Problem an und das zu Recht. Dass man darüber die anderen Probleme nicht vergessen kann und darf, ist logisch.
Einen anderen angesprochenen Kritikpunkt kann ich ebenfalls nicht ganz nachvollziehen. Bezugnehmend auf einen Artikel bei “Science” schreibt Ballaschk:
“Denn wenn Wissenschaftler Partei ergreifen und als Interessengruppe auftreten, verliert die Wissenschaft in den Augen mancher ihre unpolitische Unschuld. Bei Themen wie Klimawandel und Grüner Gentechnik kann man beobachten, wohin das führen kann.”
Ich bin mir nicht sicher, ob die Wissenschaft überhaupt eine “politische Unschuld” besitzt und wenn ja, ob es so schlimm wäre, sie zu verlieren. Natürlich: Die Forschung selbst soll und muss frei von Ideologie sein. Aber wenn es darum geht, über die Ergebnisse der Forschung zu sprechen sollten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht anders betrachtet werden als andere Menschen. Ich finde es eher bedenklich, wenn sich die Wissenschaft komplett aus der Politik heraushält. Es ist nicht verwerflich, wenn man sich als Wissenschaftler zur Politik äußert. Wissenschaftler sind Menschen wie alle anderen auch und wie alle anderen Menschen auch sollen sie an der politischen Meinungsbildung mitwirken können. Dass das bisher eher zögerlich passiert ist, hat vielleicht auch gerade erst zu den Zuständen geführt gegen die sich der “March for Science” richtet.
Absolut zustimmen kann ich aber dem Schluss von Ballaschks Artikel:
“Die meisten Wissenschaftler haben über Jahrzehnte verschlafen, der Bevölkerung die Wichtigkeit ihres Tuns nahezubringen. Das fällt uns allen nun auf die Füße, und es wird länger als einen Nachmittag dauern, diesen Schaden zu beheben.”
Genau! Die Gefahr die ich an der ganzen Veranstaltung sehe hat genau damit zu tun. Es können noch so viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überall auf der Welt durch die Straßen der Städte spazieren: Solange der Rest der Gesellschaft sich nicht dafür interessiert, hat das ganze keinen Effekt. Veranstaltungen wie der “March for Science” sind wichtig, können ihre Wirkung aber nur entfalten, wenn es auch ein entsprechendes Publikum gibt. Und die Wissenschaft hat eben das – dank fehlendem Einsatz für die Öffentlichkeitsarbeit selbst verursachte – Problem dass sich große Teile der Gesellschaft nicht für das interessieren, was sie tut. Das lässt sich nicht durch eine einzelne Veranstaltung lösen sondern nur durch dauerhafte Arbeit. Das schreibt auch der Journalist Jan-Martin Wiarda in seiner Kritik des “March for Science”:
“Der wirklicher Austausch mit der Öffentlichkeit, der endgültige Auszug aus der großen Blase, beginnt, wenn zwei Grundregeln der Wissenschaft auch in ihrer Kommunikation beachtet werden. Erstens: Wissenschaft ist grenzenlos, das heißt: Sie macht auch an den Grenzen von Institutionen nicht Halt. Zweitens: Wissenschaft wird von Menschen gemacht. Sie ist dann faszinierend, wenn man von ihren Ideen und Entdeckungsgeschichten erzählt und nicht von Fördermechanismen und Strukturen, die sein müssen, die aber nur für Insider von Interesse sind.”
Wie gesagt: Ich halte den “March for Science” für eine gute Idee. Auch wenn der Wissenschaftsbetrieb nicht perfekt ist, kann und soll man trotzdem öffentlich für die Wissenschaft eintreten. Besonders dann, wenn sie so offensichtlich und massiv ignoriert wird, wie das Donald Trump (und leider nicht nur er) tut. Ich werde am Samstag beim “March for Science” in Wien mit dabei sein. Dort beginnt die Veranstaltung um 13 Uhr mit einem “Science Picnic” im Sigmund-Freud-Park; Forscherinnen und Forscher werden dort ihre Arbeit der Öffentlichkeit präsentieren. Danach geht der Marsch durch die Innenstadt bis zur Abschlusskundgebung um 16 Uhr am Maria-Theresien-Platz wo Elisabeth Oberzaucher (lg-Nobel-Preis-Gewinnerin 2015 und Science-Busters-Kollegin) und Martin Puntigam (ebenfalls Science-Busters-Kollege) durch das Programm führen werden.
P.S. Und falls ihr immer noch nicht wisst, ob ihr am “March for Science” teilnehmen sollt, hilft euch vielleicht das hier weiter.
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