Wie lang ist ein Meter? Blöde Frage, könnte man denken: Ein Meter ist einen Meter lang. Ist ja schließlich auch so definiert. Aber so einfach war die Sache nicht. Und eine Zeit lang war ein Meter sogar tatsächlich ein klein wenig kürzer als ein Meter…
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Transkription
Sternengeschichten Folge 232: Wie lang ist ein Meter?
Wie lang ist ein Meter? Nun, genau einen Meter lang, was sonst. Der Meter ist ja nicht umsonst als die fundamentale Einheit der Länge definiert. Aber genau hier, wo es um die Definition und das Fundamentale geht treffen wir zwangsläufig auf die Astronomie. Und die erstaunliche Tatsache, dass der Meter keinen Meter lang ist. Oder es zumindest eine Zeit lang war.
Früher hat man alles mögliche als Maßstab für Längeneinheiten benutzt. Die Grundlage dafür waren im Allgemeinen die menschlichen Gliedmaßen. Es gab die Elle, den Fuß, die Handspanne, und so weiter. Das Problem an der Angelegenheit war ihre Beliebigkeit. Die Elle in einer Stadt konnte länger und kürzer sein als die Elle in einer anderen Stadt. Und ganz früher, als man diese Einheiten nicht nur von den Gliedmaßen abgeleitet hatte sondern auch noch tatsächlich die realen Gliedmaßen nutzte um sie abzumessen, war es völlig chaotisch. Wer da zum Beispiel beim Schneider fünf Ellen Stoff kaufte, konnte mehr oder weniger bekommen; je nachdem wie lang die Arme des jeweiligen Schneiders waren.

“Urmeter” (Bild: NIST, public domain)
Früher oder später musste sich da was ändern, vor allem als die Welt begann immer weiter zusammenzuwachsen; immer mehr Handel zwischen den Städten und Ländern getrieben wurde. Es brauchte eine einheitliche Definition und idealerweise eine, die nichts mit dem so wechselhaften menschlichen Körper zu tun hat. Idealerweise etwas, das sich nicht ändert – egal was passiert und etwas das nichts mit der menschlichen Welt zu tun hat. Und hier kommt die Astronomie ins Spiel! Planeten, Sterne, Galaxien – all das ist viel langlebiger als unsere Menschenwelt und wird von ewigen Naturgesetzen regiert, denen unser menschliches Handeln völlig egal ist. Hier kann man sich auf die Suche nach einer unverrückbaren Basis für eine fundamentale Längenskala machen.
Genau das war die Idee der Pariser Akademie der Wissenschaften im 18. Jahrhundert. 1735 schickte sie zwei Expeditionen auf die Reise. Eine nach Lappland und eine nach Ecuador. Sie sollten den Umfang der Erde messen und daraus eine neue Längeneinheit berechnen: Den Meter. Definiert über den “Erdquadranten” auf dem “Merdidian von Paris”. Also der zehnmillionste Teil der Linie die vom Nordpol direkt durch Paris bis zum Äquator reicht, das sollte in Zukunft exakt einem Meter entsprechen.
In den 1790er Jahren, also während der französischen Revolution, setzte der französische Nationalkonvent diese Definition offiziell fest – und damit alles auch wirklich genau war, schickte man zwei französische Wissenschaftler auf den Weg. Jean Delambre und Pierre Méchain starteten von Paris aus in unterschiedliche Richtungen. Delambre ging nach Norden an die Küste und begann seine Arbeit von Dünkirchen aus. Méchain machte sich auf nach Süden in Richtung Spanien. Die Distanz zwischen Barcelona und der nördlichen Küste Frankreichs sollte vermessen werden. Exakt vermessen, und nicht einfach nur abgeschätzt. Die Erwartungen waren groß:
“Vergessen Sie nicht, dass Sie die wichtigste Mission ausführen, mit der jemals ein Mensch betraut wurde, dass Sie für alle Nationen dieser Welt arbeiten und dass Sie der Vertreter der Akademie der Wissenschaften und aller Gelehrten des Universums sind.”
, gab ihnen der berühmte Chemiker Antoine-Laurent Lavoisier mit auf den Weg.
Das bedeutete schwierige Arbeit für die Astronomen. Sie mussten auf der gesamten Strecke nach markanten Punkten suchen die in Sichtweite voneinander lagen. Kirchtürme, Berge, hohe Häuser – was auch immer. Von jedem dieser Vermessungspunkte mussten zwei weitere Vermessunspunkte sichtbar sein. Mit ihren Teleskopen vermaßen die Astronomen dann die Sichtwinkel zwischen all den Punkten und legten so ein Netz aus Dreiecken über das ganze Land. Aus dieser Triangulation konnten sie dann später exakt die Länge der Strecke berechnen, die sie berechnen wollten: Den Teil des Meridians vom Nordpol über Paris zum Äquator der genau durch Frankreich verläuft.
Sieben Jahre lang brauchten Méchain und Delambre dafür und es waren keine einfachen sieben Jahre. Die Arbeit der Landvermessung war ja an sich schon ziemlich schwierig. Das Reisen ebenfalls und um so mehr, als die beiden durch ein Land reisen musste, in dem immer noch Revolution herrschte. Zwei Wissenschaftler die mit Fernrohren auf Häuser kletterten und in die Gegend spähten erregten da mehr als einmal die Aufmerksamkeit von Behörden und Revolutionären die sie für feindliche Spione hielten.
Aber irgendwann war es dann geschafft; alle Dreiecke waren vermessen und alle Daten ausgewertet. Delambre und Méchain konnten offiziell die Länge des neuen Meters verkünden, der dann in Form des “Urmeters” auch sichtbar gemacht wurde. Ein Platinstab mit exakt den Abmessungen die aus den Berechnungen der beiden Astronomen folgten wurde erstellt und als offizieller Prototyp und als Grundlage für die Längenmessung in Paris aufbewahrt.
So weit, so gut: Es gab nur ein Problem an der ganzen Sache. Der Meter war zu kurz! Wenn per offizieller Definition ein Meter der zehnmillionste Teil des Meridianbogens vom Nordpol über Paris bis zum Äquator entsprechen soll, dann muss dieser Meridianbogen natürlich auch exakt 10.000 Kilometer lang sein. Eine genauere Messung im 19. Jahrhundert zeigte allerdings, dass diese Strecke 10.001,966 Kilometer lang ist. Was nichts anderes bedeutet als dass der Meter den Delambre und Méchain bestimmt hatten, 0,2 Millimeter zu kurz ist.
Pierre Méchain war im Jahr 1793 in Barcelona. Er war schon länger dort als er wollte, den während seiner Vermessungsmission brach Krieg zwischen Spanien und Frankreich aus und er konnte nicht weiter reisen. Die Zeit nutzte er, um all Daten noch einmal durch zu gehen, Messungen zu verbessern und neu auszuwerten. Doppelt hält besser – dachte Méchain. Und war schockiert als er feststellen musste, dass die Resultate bei der zweiten Berechnung nicht mit denen übereinstimmten die er beim ersten Mal erhalten hatte. Und dann musste er Spanien verlassen, ohne zurück kehren zu können. Und ohne herausfinden zu können, wo nun genau der Fehler steckt.
Tja, eine blöde Situation. Méchain entschloss sich, die Sache zu verheimlichen. Und weigerte sich, nach Paris zurück zu kehren. Das fand man dort nicht so toll, denn immerhin wollte man die Sache mit dem Meter endlich zu Ende bringen. 1798 konnte er dann schließlich doch noch überredet werden, seine Daten in Paris abzuliefern. Das tat er – gab aber nur seine Ergebnisse heraus und hielt die den Berechnungen zugrunde liegenden Messungen zurück.
Erst nach seinem Tod im Jahr 1804 konnte sein Kollegen Jean-Baptiste Delambre die Aufzeichnungen von Méchain einsehen und stellte fest, dass hier irgendwas nicht stimmt. Auch er war sich nicht sicher, ob er die Sache öffentlich machen sollte oder nicht. Das tat er dann aber doch und das war gut. Nicht nur, weil so ein Fehler in den Fundamenten der Längenmessung sichtbar gemacht wurde. Sondern auch, weil man nun die Ursache dafür erkennen konnte.
Unsere Erde ist keine perfekte Kugel. Das wussten die Wissenschaftler natürlich auch schon zur Zeit von Méchain und Delambre. Sie ist abgeplattet, das heißt der Umfang der Erde ist ein klein wenig größer, wenn man ihn entlang des Äquators misst als wenn man ihn über die beiden Pole entlang misst. Was man aber noch nicht wusste, war WIE unförmig die Erde eigentlich war. Man dachte eigentlich, es wäre egal welchen Meridian man vermisst, den der vom Pol durch Paris zum Äquator führt oder einen anderen, der zum Beispiel durch Moskau, Tokio oder sonst irgendwo durch führen konnte. Tatsächlich aber würde man jedes Mal eine Distanz erhalten, die sich von den anderen Distanzen unterscheidet. Die Erde ist verbeult (und damit sind natürlich nicht die Berge und Hügel gemeint; so etwas kann man in den Berechnungen berücksichtigen). Sie ist weder eine Kugel, noch ein abgeflachtes, ovales Ellipsoid. Sie hat eine ganz spezielle Form, wie ich in Folge 146 der Sternengeschichten erzählt habe; die geophysikalischen Vorgänge in ihrem Inneren erzeugen Abweichungen die es unmöglich machen sie exakt durch irgendein regelmäßiges Objekt zu beschreiben.
Das war eine interessante wissenschaftliche Entdeckung, aber an der Definition des Meters änderte man trotzdem nichts. Und so war er also tatsächlich kürzer als er es laut Definition sein sollte. Zwischenzeitlich ließ man die Form der Erde komplett aus der Definition heraus und definierte den Meter als die Länge des Meter-Prototypen aus Iridium des Internationalen Büro für Maß und Gewicht in Paris aufbewahrt wurde. Seit 1960 spielt das alles aber keine
Rolle mehr. Da verlegte man sich auf eine noch fundamentalere Definition: “Ein Meter ist das 1 650 763,73-fache der Wellenlänge der von Atomen des Nuklids 86Kr beim Übergang vom Zustand 5d5 zum Zustand 2p10 ausgesandten, sich im Vakuum ausbreitenden Strahlung”. Das klingt ziemlich kompliziert und ist es auch. Es geht um Atome und um Elektronen aus der Atomhülle die mehr oder weniger Energie haben können. Je nach Energie nehmen sie verschiedene Zustände ein und können zwischen diesen Zuständen wechseln. Tun sie das, können sie manchmal Energie in Form von Lichtwellen aussenden und wenn sie das tun, dann tun sie das bei einer ganz genau definierten Wellenlänge. Genau darauf basiert diese neue Definition: Man muss “nur” das entsprechende Atom mit den entsprechenden Zuständen betrachten und die Wellenlängen des ausgesandten Lichts messen und schon weiß man, wie lang ein Meter ist.
1983 änderte man die Sache ein letztes Mal. Es störte die Wissenschaftler, das sich mit jeder neuen Definition des Meters auch der Wert von wichtigen Naturkonstanten wie zum Beispiel der Lichtgeschwindigkeit änderte. Die Lichtgeschwindigkeit wurde in Metern pro Sekunde gemessen. Und wenn man die Definition von “Meter” oder “Sekunde” ändert, ändert man natürlich auch den Zahlenwert der Messungen. Man beschloss sich, die Sache umzudrehen: Nun definierte man den Wert der Lichtgeschwindigkeit und die Länge des Meters wurde zu etwas, was aus einer Messung abgeleitet wird.
Seit damals ist die Geschwindigkeit des Lichts (im Vakuum) exakt 299792458 Meter pro Sekunde und ein Meter ist offiziell “die Strecke die Licht im Vakuum binnen des 299.792.458. Teils einer Sekunde zurücklegt”.
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