Hurra! Die Medien warnen wieder mal vor fatalen Kollisionen mit Himmelskörpern. “Astronomen warnen vor Kometeneinschlag mit fatalen Folgen” schreibt diesmal die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) (Link, WebCite). Der Rest der deutschsprachigen Medien hält sich derzeit zum Glück noch mit schlechten Schlagzeilen zurück, aber in Großbritannien drehen die Boulevardmedien gerade richtig ab:
- Daily Mail: “The annual Taurids meteor shower is hiding asteroids that could wipe out ENTIRE continents, experts warn” (WebCite)
- Express: “ASTEROID WARNING: Fragments which could wipe out NATIONS ‘hidden in Taurids meteor shower’” WebCite)
- The Sun: “HIDDEN THREAT:Asteroids that could wipe out an entire CONTINENT are hidden by the Taurids meteor shower, astronomers claim” (WebCite)
Versteckte Asteroiden wurden entdeckt! Sie können ganze Nationen auslöschen!! Ganze Kontinente sogar!!! Astronomen warnen!!!!
Nun, vorerst machen die Astronomen erstmal nur das, was sie immer tun. Forschen nämlich. Und ihre Forschungsergebnisse veröffentlichen sie dann. So wie Pavel Spurný von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und seine Kollegen im Fachartikel “Discovery of a new branch of the Taurid meteoroid stream as a real source of potentially hazardous bodies”.
Darin geht es um die Tauriden. So wird ein sogenannter “Meteorstrom” bezeichnet, also das was landläufig als “Sternschnuppenschauer” bekannt ist. Ein Ereignis wie die wesentlich prominenteren Perseiden, wo man deutlich mehr Sternschnuppen am Himmel sehen kann als sonst. Über Meteorströme habe ich schon oft geschrieben (hier ist eine Übersicht) und es ist überraschend dass die WAZ in ihrem Artikel dafür tatsächlich den korrekten Begriff verwendet hat (anstatt beispielsweise Asteroiden-Tsunami). Die “Kometen” aus der Schlagzeile sind aber schon wieder Unsinn.
Ok, das ist ein wenig pingelig, könnte man meinen. Asteroiden, Kometen, Meteor, Meteorit… sind ja alles irgendwelche Dinger die durchs All fliegen – da ist es doch nicht so wichtig wie die genau heißen. Na ja – abgesehen davon dass die Unterschiede durchaus interessant und relevant sind wär da halt noch das Ding mit dem Journalismus. Mit “SPD, CDU, FPD – sind ja alles irgendwelche Parteien; ist doch egal wie die jetzt genau heißt” kommt man als Politik-Journalist auch nicht durch. Und wenn man über Wissenschaft berichtet dann darf man sich durchaus auch informieren und die richtigen Wörter für die richtigen Phänomene verwenden.
Danach geht es gleich dramatisch weiter: “Wissenschaftler haben in einem Meteorstrom ungewöhnlich große Asteroiden entdeckt.” schreibt die WAZ. Was soll “ungewöhnlich groß” bedeuten? Größer als alle bisher bekannten? Die größten bekannten Asteroiden sind um die 1000 Kilometer groß. Sollte da tatsächlich jemand was gefunden haben das noch größer ist, dann wäre das tatsächlich eine Sensation. Ist aber natürlich nicht passiert… Wahrscheinlich meinte die WAZ dass die Asteroiden größer sind als man bei Objekten in einem Meteorstrom erwarten kann. Aber dann sollte man das so auch hinschreiben anstatt den Sensationalismus aus der Schlagzeile weiterzuführen. Und “entdeckt” wurden die Asteroiden übrigens auch nicht. Also irgendwann natürlich schon – aber schon vor ein paar Jahren, wie ich gleich erklären werde.
Der Rest des Artikels in der WAZ ist dann gar nicht mehr so grob falsch; führt die Leser aber in Verbindung mit der apokalyptischen Schlagzeile weiter in eine ganz falsche Richtung. Pavel Spurný und seine Kollegen haben keine akute, drohende Gefahr für unseren Planeten entdeckt. Sie haben Meteore beobachtet und analysiert. “Meteor”: So nennt man fachlich korrekt die Leuchterscheinung die am Himmel zu sehen ist wenn ein kleineres Objekt aus dem All (Fachbegriff: “Meteoroid”) auf die Erdatmosphäre trifft und sie zum leuchten bringt. Das also, was wir “Sternschnuppe” nennen oder vielleicht “Feuerball” wenn es sich um ein größeres Exemplar handelt.
Sternschnuppen sind ja generell schön zu beobachten aber auch wissenschaftlich wertvoll. Die sie verursachenden Brocken sind im Allgemeinen keine Brocken sondern eher Staubkörner. Die sieht man nicht, wenn sie einfach so durchs All fliegen. Aus der Analyse der Leuchtspur die sie über unseren Himmel ziehen kann man aber herausfinden wo sie her kommen. Deswegen gibt es Organisationen wie das European Fireball Network, das jede Menge Kameras aufgestellt hat die nichts anderes tun als die ganze Nacht über den Himmel zu beobachten um nach Sternschnuppen zu suchen. 144 solcher Feuerballbeobachtungen aus dem Herbst 2015 bilden die Grundlage der Arbeit von Pavel Spurný und seinen Kollegen.
Das ist genau die Zeit in der besagter Tauriden-Meteorstrom zu sehen ist. Meistens merkt man nichts davon; die Tauriden sind ein eher schwach ausgeprägter Sternschnuppenschauer. Ab und zu drehen sie aber auf und sind deutlich stärker als sonst. 2015 war genau so ein Jahr und (das wusste man schon vorher) man geht davon aus dass das auf eine besondere Wechselwirkung mit dem Planeten Jupiter zurück zu führen ist.
Sternschnuppenschauer kriegt man ja immer dann wenn die Erde in kurzer Zeit besonders viel Weltallstaub begegnet. Das passiert dann, wenn unser Planet die Drecksspur eines anderen Himmelskörpers im Sonnensystem kreuzt. Den ganzen Staub zum Beispiel den Kometen auf ihrem Weg um die Sonne ins Weltall pusten. Oder die Trümmer von auseinandergebrochenen Asteroiden. Deswegen wiederholen sich die Meteorströme ja auch immer jährlich. Die Trümmer müssen aber nicht gleichmäßig entlang ihrer Bahn um die Sonne verteilt sein. Sind sie im Allgemeinen auch nicht – und deswegen rauscht die Erde in manchen Jahren durch relativ dünne Staubfelder und manchmal kommt es richtig dick. Durch resonante Bewegung (was das ist erkläre ich jetzt nicht nochmal, das hab ich hier schon ausführlich beschrieben) können sich solche Klumpen bilden und das ist auch der Grund warum in manchen Jahren mehr Tauriden zu sehen sind als sonst.
Spurný und seine Kollegen haben sich nun die Tauriden-Feuerbälle genau angesehen und dabei eine neue Untergruppe identifiziert. Man kannte zuvor schon zwei Gruppen bei den Tauriden, die “nördlichen” und die “südlichen” die aus leicht unterschiedlichen Richtungen am Himmel auf die Erde fallen (man kann sie je nach Detailverliebtheit sogar noch weiter unterteilen). Ein großer Teil der Tauriden stammen vom Kometen 2P/Encke, aber wenn man nun schon eine neue Gruppe hat, so dachten sich die tschechischen Astronomen, dann kann man ja auch mal schauen ob da noch andere größere Brocken in der Nähe sind.
Sie haben also die aus den Feuerballbeobachtungen bestimmten Umlaufbahnen der Sternschnuppen mit den Umlaufbahnen von bekannten Asteroiden verglichen und festgestellt, dass zwei davon ziemlich gut in die Gruppe passen. 2015 TX24 und 2005 UR heißen die um die 200m großen Himmelskörper die man ebenfalls schon vorher entdeckt hatte aber noch nicht wusste, dass sie sich mit den Tauriden herumtreiben.
Und das war im Prinzip auch schon die eigentliche Entdeckung. Es gibt eine neue Untergruppe des Tauridenmeteorstroms und zwei größere Asteroiden sind ein Teil davon. Eine schöne, solide und interessante wissenschaftliche Arbeit von der die Medien vermutlich nie Notiz genommen hätten. Jetzt haben die Astronomen aus Tschechien aber auch eine Pressemitteilung verfasst. Die trägt den Titel “A newly discovered branch of the Taurid meteoroid stream contains hazardous asteroids” und da kann man als Journalist schon mal aufhorchen: “Gefährliche Asteroiden” – das ist immer ne gute Schlagzeile wert.
Und in dem Fall hätten die Journalisten zur Abwechslung auch mal wirklich einen vernünftigen Artikel über potentielle Asteroidenkollisionen schreiben können, wenn sie denn in der Lage gewesen den Sensationalismus mal ein wenig beiseite zu lassen. Denn in ihrer Arbeit machen sich die Astronomen nämlich auch Gedanken darüber was neben kleinen Staubkörnchen noch so alles im Tauriden-Meteorstrom rumschwirren könnte. Aus der Helligkeit und anderen Parametern der beobachteten Feuerbälle kann man nämlich auch auf die Größe der sie auslösenden Brocken schließen. Und tatsächlich waren da ein paar größere dabei; ein paar Meter im Durchmesser die uns zwar auf der Erde nichts tun weil sie es normalerweise nicht mal ansatzweise bis nach unten schaffen aber zumindest schön hell leuchten. Aber, so die Astronomen: Wenn da schon so große Dinger mit dabei sind und jetzt auch zwei mehrere hundert Meter große Asteroiden zu der Gruppe gehören, dann ist es zumindest nicht unplausibel wenn da noch mehr tendenziell umfangreiche Felsbrocken rumschwirren. Brocken von ein paar Dutzend Metern vielleicht die im Prinzip dann auch Schäden auf der Erde anrichten können, so wie damals das Ding über Russland aus dem Jahr 2013.
Das ist richtig. Aber auch ein wenig vage für meinen Geschmack. Dazu muss man auf jeden Fall folgende Dinge festhalten:
- Die beiden Asteroiden 2015 TX24 und 2005 UR sind schon lange bekannt und keiner davon stellt eine Gefahr für die Erde dar. Weder NEODys noch Sentry führen sie in ihrer Liste der gefährlichen Himmelskörper. Und auch Spurný und seine Kollegen stellen in ihrem Artikel korrekterweise fest das die Bahnen der Asteroiden die Bahn der Erde nicht kreuzen.
- Ob es noch andere größere Asteroiden in der Gruppe gibt ist nicht bekannt, auch wenn das mit gewisser Berechtigung vermutet werden darf. Aber mehr als eine Vermutung haben die tschechischen Astronomen nicht geäußert. Sie schreiben sogar explizit “We will allow theoretical celestial mechanicians to explain the formation and evolution of the Taurid new branch and the Taurid complex as a whole.”. Die Erklärung der Entstehung und Entwicklung der Tauriden-Gruppe wird also den Himmelsmechanikern überlassen (Vielen Dank!). Wie ich meine Kollegen kenne, werden sie sich dem Problem bald annehmen – und dann wissen wir genauer wie viele größere Brocken da noch sind.
- Nur weil es im Tauriden-Meteorstrom auch große Brocken geben könnte, müssen sie nicht unbedingt mit uns kollidieren. Wie gesagt: Die beiden großen Asteroiden gehören auch dazu und tun das nicht. Die Evolution so eines Meteorstroms ist komplex (weswegen der Job offensichtlich auch den Himmelsmechanikern überlassen wurde 😉 ), da muss man den Sonnenwind berücksichtigen, den Strahlungsdruck und jede Menge anderes Zeug dessen Einfluss unter anderem auch von der Größe der Objekte abhängt. Nur weil uns das kleine Zeug auf den Kopf fällt heißt das nicht dass das auch das große tut.
Und angesichts dessen ist vielleicht der letzte Absatz aus der Arbeit der tschechischen Astronomen ein klein wenig unglücklich:
“Theoretical and observational studies and searches for related asteroids belonging to this newly discovered and described branch of Southern Taurids are therefore highly recommended. A better understanding of this real source of potentially hazardous objects that are large
enough to cause significant regional or even continental damage on the Earth is a task of capital importance.”
Frei übersetzt: Es wäre cool wenn wir mehr über die Tauriden lernen würden. Denn da könnten ein paar Dinger dabei sein die vielleicht mit der Erde kollidieren und dabei richtig viel Schaden anrichten.
Damit haben Spurný & Co natürlich recht. Ich bin absolut dafür dass wir mehr über Asteroiden lernen und dass wir die Gefahr durch Asteroideneinschläge ernst nehmen (was ich ja auch schon oft genug kund getan habe). Nur: das mit dem “continental damage” ist wirklich übertrieben! Mit einem 200 Meter großen Asteroiden kriegt man keinen Kontinent platt gemacht. Nicht mal einen kleinen wie Australien. Höchstens ein kleines Land; Malta zum Beispiel, aber selbst bei Luxemburg wirds schon schwierig. Wir können mal vom schlimmstmöglichen Fall ausgehen und die Kollision der Erde mit einem 200 Meter großen Eisenasteroiden betrachten. Das ist zwar übertrieben weil die beiden großen Asteroiden in der Tauriden-Gruppe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus Gestein sind, aber egal. Dann kriegt man beim Einschlag zwar einen ordentlichen Rumms und einen Krater der 3-5 Kilometer groß ist. Und was immer das Pech hatte, sich dort zu befinden wo nun dieser Krater ist ist so sehr weg wie etwas nur weg sein kann. Im näheren Umkreis werden die Druckwelle und die ausgelösten Erdbeben so ziemlich alles platt machen. Aber schon circa 300 Kilometer weit weg kann man der Sache relativ gelassen entgegen sehen und muss sich nur mit einem mittelstarken Erdbeben rumschlagen. Und dem Rest der Welt ist der Impakt ziemlich egal.
Wie gesagt: Die Beschäftigung mit Asteroiden und der Gefahr durch Einschläge ist wichtig und lohnenswert. Aber das was die tschechischen Astronomen entdeckt haben stellt keine Gefahr für die Erde da. Die Asteroiden um die es geht sind den Astronomen weder neu noch eine Gefahr auf die Erde. Und selbst wenn sie es wären, wären die Folgen eines Einschlags nicht geeignet um ganze Kontinente zu verwüsten. Abgesehen davon geht es in der wissenschaftlichen Arbeit eigentlich auch um etwas ganz anderes. Aber die Himmelsmechanik von Sternschnuppen macht eben leider keine so schöne Schlagzeilen wie drohende Katastrophen…
Mehr schlechte Schlagzeilen gibt es hier.
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