Seit dem medialen Overkill zum nicht stattgefundenen Weltuntergang am 21.12.2012 ist der pseudowissenschaftliche Unsinn über Planet X, Nibiru und der restliche apokalyptische Quatsch wieder dort verschwunden wo er immer schon war: In den dunklen Ecken des Internets wo sich die Verschwörunstheoretiker rumtreiben. Aber dank der immer populärer werdenden sozialen Netzwerke taucht er von dort leider immer wieder auf. In letzter Zeit beispielsweise kriege ich immer wieder Anfragen ob die Geschichte mit dem mysteriösen Planeten, der aus den tiefen des Alls auftauchen und die Erde zerstören wird, wirklich stimmt. Denn angeblich wurde das von echten Astronomen bestätigt, die damit an die Öffentlichkeit gehen wollten und dafür umgebracht worden sind.
Kurz für diejenigen die das Glück haben bis jetzt noch nichts von der Sache zu wissen: Angeblich schwirrt ein Planet/Stern durchs Sonnensystem der wahlweise als “Nibiru” oder als “Planet X” bezeichnet wird. Er soll den Sumeren, den Babyloniern, den Maya und diversen anderen alten Völkern bekannt gewesen sein. Immer wieder haben wahre “Wissende” seine Existenz bekannt gegeben und die Menschheit davor gewarnt, dass er demnächst (wobei “demnächst” seit ein paar Jahrzehnten ständig in die Zukunft verschoben wird) mit der Erde kollidieren und sie zerstören wird. Die Wissenschaft und die Politiker wissen auch Bescheid, unterdrücken das Wissen aber. Und einige Astronomen, die nicht schweigen wollten, wurden deswegen umgebracht.
Nun. Ich muss zugeben das mir diese spezielle Variante des großen Verschwörungskomplexes über “Planet X” und “Nibiru” bisher unbekannt war. Ich habe daher mal ein wenig recherchiert und die deutschsprachige Quelle die mir als erstes dazu aufgefallen ist, ist ein wahres Sammelsurium an Verschwörungstheorien und anderem Unsinn. Auf der Seite “pravda.tv” (die nichts mit der russischen Zeitung zu tun hat) gibt es einen Artikel mit dem Titel “Das Geheimnis von Nibiru: Apokalypse, tote Wissenschaftler und viele offene Fragen” (WebCite). Man muss sich nicht unbedingt durch die Textwüste dort quälen; es finden sich im wesentlichen genau die gleichen haltlosen Behauptungen die ich in der Vergangenheit schon oft genug besprochen habe (dazu später mehr). Aber dort wird auch ein neuer “Beleg” für die Wahrheit der kommenden Apokalypse gebracht: Ein gewisser “Ronald Shimschuck”. Es heißt dort:
“Tatsache ist, Nibiru ist der Erde bereits verdächtig nahe gekommen. Das jedenfalls weiß der ehemaliger NASA-Astrophysiker Ronald Shimschuck. (…) Immerhin, Shimschuck ist nicht irgendjemand. In Fachkreisen jedenfalls ist er kein unbeschriebenes Blatt.”
Ähm. Doch. Genau das ist er. Ein komplett unbeschriebenes Blatt. Gibt man in der Datenbank die alle astronomischen und physikalischen Fachartikel der letzten Jahrzehnte (und sogar Jahrhunderte) enthält den Namen “Shimschuck” ein, dann bekommt man genau null Ergebnisse. Der “NASA-Astrophysiker” Ronald Shimschuck hat also offensichtlich keinen einzigen Fachartikel verfasst. Ich könnte mir noch einreden lassen, das jemand ein wissenschaftliches Studium absolviert ohne etwas zu publizieren – aber wer auch wissenschaftlich arbeitet MUSS irgendwann irgendwas veröffentlicht haben. Er muss Konferenzen besucht haben, als (ehemaliger) Mitarbeiter auf irgendwelchen Universitätsseiten gelistet haben oder sonst auf irgendeine Weise im Internet auftauchen. Aber den Namen “Ronald Shimschuck” findet man ausschließlich auf Seiten von Verschwörungstheoretikern. Daraus kann man nur schließen, dass dieser Typ entweder nicht existiert oder aber alles mögliche ist, aber mit Sicherheit kein Astrophysiker…
Dieser Herr Shimschuck scheint aber zumindest bis jetzt dem tragischen Schicksal seiner Kollegen entgangen sein. Denn bei pravda.tv heißt es weiter:
“Was also macht Nibiru so geheimnisvoll? Die (…) Tatsache, dass zahlreiche Wissenschaftler, die Nibiru sahen und darüber öffentlich berichteten, spurlos verschwanden oder plötzlich auf mysteriöse Weise ums Leben kamen, wie beispielsweise Allan Sandage und Brian Marsden, die beide über Nacht an einer seltenen Krankheit starben?
Doch der Reihe nach. Sandage und Marsden waren das, was man Insider nennt und sie forschten beide an der gleichen Universität. Sie untersuchten und berechneten die Daten dieses Planetensystems und stellten dazu entsprechende Informationen ins Netz. Dann starben beide plötzlich im Abstand von nur fünf Tagen. Ihre Freunde Fred Whipple und John Huchra von der Harvard University ereilte dasselbe Schicksal. Auch sie starben unter merkwürdigen Umständen.”
Jetzt wird es interessant. Denn alle genannten Astronomen gibt es tatsächlich und es waren echte Astronomen. Damit ist aber dann schon wieder Schluss mit der Realität. Sandage hat sich mit Kosmologie und Galaxien beschäftigt und nicht mit Planeten und er arbeitete am Carnegie-Institut in Kalifornien. Marsden dagegen arbeitete am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Massachusetts. Beide haben jeweils hunderte Publikationen verfasst – aber nur sechs gemeinsame Artikel veröffentlicht. Aus einem nicht weiter mysteriösen Grund: Sandage hatte einen Kometen entdeckt und diese Entdeckung dem Minor Planet Center (MPC) gemeldet. Das ist die offizielle Stelle bei der alle Daten zu Asteroiden und Kometen gesammelt werden; die Stelle an der man offizielle Entdeckungen einreicht, wo sie geprüft und auch bekannt gegeben werden. Und Marsden war Spezialist für genau diese Art der Berechnung; Spezialist für Asteroiden und Kometen und langjähriger Direktor des MPC.
Allan Sandage starb am 13. November 2010. Brian Marsden starb am 18. November 2010. Also tatsächlich nur 5 Tage später – aber absolut nicht auf “mysteriöse Weise”, nicht “über Nacht” und nicht “an einer seltenen Krankheit”. Sandage starb im Alter von 84 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Und Brian Marsden im Alter von 74 Jahren an Leukämie. Das ist zwar tragisch, aber wenn zwei Männer über 70 an Krebs sterben, dann ist das mehr oder weniger normal. Warum dann auch noch Fred Whipple und John Huchra in der Liste auftauchen, ist mir völlig rätselhaft. Huchra starb am 8. Oktober 2010 im Alter von 61 Jahren an einem Herzinfarkt, was ich ebenfalls als nicht sonderlich mysteriös ansehen würde und Fred Whipple starb am 30. August 2004 im Alter von 97 Jahren – womit ich mir auch die Angabe seiner Todesursache sparen kann: Ein Tod mit 97 Jahren ist höchstens außergewöhnlich, weil er so spät kam.
Ich habe keine Ahnung wo diese Geschichte mit den angeblich ermordeten Astronomen seinen Ursprung hat. Es würde mich zwar schon reizen, den Ursprung zu finden – aber nicht so sehr dass ich mich deswegen durch den ganzen Verschwörungsunsinn im Internet wühlen wollen würde. Am Ende würde es ja auch nichts nutzen weil die Leute die so etwas unbesehen glauben auch nicht an irgendwelchen Fakten interessiert ist.
Alte Astronomen sterben! Das finde ich als mittelalter Astronom zwar durchaus bedenklich, aber es ist der Lauf der Dinge. Ich kann mir höchstens vorstellen, dass irgendwer den Tod von Brian Marsden in Verbindung mit irgendwelchen Verschwörungen zu apokalyptischen Asteroideneinschlägen in Verbindung gebracht hat und Sandage wegen der Nähe seines Todes dann mit rein gerutscht ist. Denn Marsden war mit dem MPC dafür zuständig, den Überblick über all die Asteroiden zu behalten. Ich habe schon vor fast 10 Jahren über die Rolle des MPC bei der Entdeckung neuer Asteroiden und der Berechnung etwaiger Kollisionswahrscheinlichkeiten geschrieben.
Aber kann man jetzt wirklich ausschließen, dass Marsden NICHT über irgendeinen mysteriösen Planet Bescheid wusste? Wenn er schon derjenige war, der Daten zu allen Entdeckungen sammelt, dann wäre er doch genau derjenige, der davon erfährt? Und Sandage, als jemand der für seine Galaxieforschung ständig den Himmel beobachtet wäre doch ein guter Kandidat für einen solchen Entdecker? Könnte es nicht wirklich sein, dass die beiden mehr wussten als der Rest der Welt und deswegen sterben mussten?
NEIN – das kann nicht sein. Denn Wissenschaft funktioniert nicht so wie viele sich das vorstellen. Vor allem nicht wenn es um die Entdeckung von Asteroiden und anderen Himmelskörpern geht. Gerade da mischen so viele Hobby-Astronomen mit; da kann man unmöglich irgendwas geheim halten. Schon gar nicht einen ganzen Planeten. Der böse Nibiru soll nämlich schon im Oktober 2017 mit der Erde zusammenstoßen. Da haben die Verschwörungstheoretiker den Kram von David Meade recycelt, der genau das schon vor einiger Zeit behauptet hat und worüber ich damals auch berichtet habe. Und der gute Herr Shimschuck hat auch noch folgendes herausgefunden:
“Nibiru ist ein eigenes kleines Sonnensystem, das sich mit unserem kreuzt. In seinem Kern befindet sich ein brauner Zwergstern, der ungefähr ein Achtel der Größe unserer Sonne hat. Der braune Zwerg wird von sieben Planeten oder Monden umkreist. Einige sind kleiner als unser Mond, andere größer als die Erde. (…) Wissenschaftler wie Ronald Shimschuck vermuten nun, dass dieses kleine Sonnensystem die Erde in einem Abstand von 0.3 astronomischen Einheiten passieren wird. Das sind 27.886.742 Meilen (44.879.361 Kilometer) oder ein Drittel der Distanz zwischen Erde und Sonne.”
Ich würde mir ja so sehr wünschen, dass die Leute die sowas behaupten, glauben oder weiterverbreiten nur einmal ein brauchbares Buch über Astronomie in die Hand nehmen. Oder meinetwegen mal bei YouTube vernünftige Wissenschaftsvideos anschauen anstatt dem ganzen atemlos-spektakulären Verschwörungskram. Denn dann würde ihnen sofort auffallen, was für ein grandioser Quatsch das ist. Meine Güte – wir können mittlerweile Planeten entdecken die hunderte Lichtjahre weit entfernt andere Sterne umkreisen! Wie soll uns da ein komplettes zweites Sonnensystem entgehen das sich noch dazu mitten IN UNSEREM SONNENSYSTEM befindet?!
Ja ganz einfach. Weil das alles nämlich nur von der Südhalbkugel der Erde aus zu sehen ist und auch nur mit ganz speziellen Teleskopen! Steht zumindest so in den meisten der entsprechenden Artikel und natürlich auch bei pravda.tv. Ist aber halt trotzdem Blödsinn. Ein brauner Zwerg, sieben Planeten: All die reflektieren Licht. Und Licht kann man beobachten; mit ganz normalen Teleskopen. Und bei einem zweiten Stern im Sonnensystem braucht man dazu auch kein sonderlich großes. Die Dinger könnte man mit freiem Auge sehen, wenn sie da wären! Und Augen sind auch auf der Südhalbkugel ausreichend vorhanden.
Abgesehen davon bräuchte es das gar nicht, denn all diese Himmelskörper wären schon seit Jahrtausenden bekannt. Wir alle könnten sie Nacht für Nacht beobachten. Beziehungsweise nicht, denn würden sich da noch bis zu acht weitere Himmelskörper im Sonnensystem rumtreiben, wäre es schon vor ein paar Milliarden Jahren aufgrund der gravitativen Störungen instabil geworden.
Ich kann nur das wiederholen, was ich immer wiederhole. Riesige Planeten tauchen nicht einfach aus dem Nichts auf. Sie machen sie bemerkbar. Man kann sie sehen. Man kann ihre gravitative Wirkung spüren. Keiner der bekannten Planeten wäre dort, wo er laut unseren Berechnungen sein sollte, wenn da noch ein brauner Zwerg im Sonnensystem sitzt. Ich will jetzt aber nicht all das wiederholen was ich früher schon wiederholt habe (die Leute die all das glauben lesen das sowieso nicht). Ich verlinke einfach auf die Texte die ich früher schon geschrieben habe:
- Was ist der Unterschied zwischen Planet X und Nibiru?
- Wie kann Planet X/Nibiru die Erde beeinflussen?
- Warum wissen Astronomen, dass es Nibiru/Planet X nicht geben kann?
- Hat die NASA Nibiru/Planet X nicht schon beobachtet? (da geht es auch die Geschichte mit dem IRAS-Teleskop die bei pravda.tv wieder aufgewärmt wird)
- Hat man Planet X/Nibiru nicht schon auf vielen Fotos entdeckt?
- Verursacht Planet X/Nibiru Erdbeben?
- Was ist mit den Beweisen für die Existenz von Planet X/Nibiru die man im Internet finden kann?
- Wieso man Planet X/Nibiru schon längst entdeckt hätte, wenn es ihn gäbe
- Man kann die Existenz so eines Planeten auch nicht vertuschen!
Und für diejenigen die Lust haben zu lernen, WIE die Wissenschaft unbekannte Planeten entdeckt und wie die echte, wahre wissenschaftliche Geschichte der Suche nach “Planet X” abgelaufen ist, verweise ich sehr gerne noch mal auf diese Serie (die vielleicht bald einen weiteren Teil braucht):
- Die lange Suche nach Planet X (1781-1989): Neptun, Pluto und das vorläufige Ende
- Die lange Suche nach Planet X (1990-2010): Zwischenspiel im Kuipergürtel und das Verschwinden eines Planeten
- Die lange Suche nach Planet X (2010-2015): Ferne Asteroiden und unklare Spuren
- Die lange Suche nach Planet X (2016): Die Entdeckung von “Planet 9”
Und weil ich schon mal bei fiktiven Wissenschaftlern bin: Im Artikel bei pravda.tv wird auch ein gewisser “Ethan Trowbridge” erwähnt. Der ist angeblich Klimaforscher, ebenso Nibiru-Insider und behauptet, dass der Klimawandel nur auf die Auswirkungen des nahenden Planet X zurückzuführen ist. Das ist zwar einerseits tröstlich für die ganzen Klimawandelleugner die nun endlich ein neues Argument haben mit sie die Verantwortung für Klimawandel abstreiten können. Andererseits macht es aber auch nicht wirklich glücklich wenn man weiß, dass man nix für den Klimawandel kann, aber trotzdem in ein paar Monaten bei der globalen Apokalypse sterben muss…
Aber zum Glück stimmt davon natürlich auch nichts. Herr Trowbridge ist ebenso wie Herr Shimschuck exklusiv im verschwörungstheoretischen Teil des Internets anzutreffen (und etwas überraschend bei einem “Institut für Schweißtechnik” – was es nicht alles gibt!) und nicht dort, wo sich Wissenschaftler aufhalten. Sehr amüsant fand ich übrigens diese Seite (WebCite) auf der erklärt wird, dass US-Präsident Donald Trump sowohl Shimschuck als als auch Trowbridge zu seinen wissenschaftlichen Beratern ernannt hat. Das könnte man ihm ja fast zutrauen; zwei nicht existente Verschwörungsspinner zu Beratern zu machen würde gut zu Trump passen. Noch besser aber passt die Realität in der Trump es noch nicht mal für nötig befunden hat, einen neuen wissenschaftlichen Beraterstab zu ernennen und die entsprechende Seite im Weißen Haus nur ein “Thank you for your interest in this subject. Stay tuned as we continue to update whitehouse.gov.” zurück meldet.
Das war jetzt ziemlich viel Text für ziemlich bescheuerten Unsinn. Ich frage mich, wieso ich mir die Arbeit mache. Einerseits wird von den Verschwörungstheoretikern sowieso niemand lesen was ich schreibe; andererseits werde ich auch niemanden überzeugen können, vor allem weil ich diesen Artikel in einem Tonfall geschrieben habe mit dem sich niemand überzeugen lässt. Vermutlich habe ich den Text hier geschrieben, damit ich ein wenig Ärger über diesen Quatsch in der Öffentlichkeit abladen kann. Warum aber die Typen auf den Verschwörungsseiten all diesen Unsinn veröffentlichen ist ziemlich leicht herauszufinden. Man muss sich nur mal ansehen, wie viele Links zu pseudowissenschaftlichen Büchern dort zu finden sind; wie viele Links zu Survival-Kram, Nahrungsergänzungsmitteln und anderem Zeug das in der Szene beliebt ist. Und natürlich sind es immer Links mit einer entsprechenden Beteiligung für die, die verlinken… Das ist nicht prinzipiell verwerflich – solche Affiliate-Links verwende ich auch. Aber ich bemühe mich zumindest, die Leute nicht durch Angst und Panikmache zum Kauf zu verleiten.
Wie auch immer: Die Welt geht nicht unter. Es kommt kein fieser Planet der uns alle umbringt. Und Astronomen sind leider nicht unsterblich.
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