Was passiert wirklich, wenn Astronomen einen Asteroid entdecken der sich auf einem Kollisionskurs mit der Erde befindet? Wird gleich der Präsident benachrichtigt? Der amerikanische? Dürfen die Medien Bescheid wissen oder wird alles vertuscht?
Angeregt durch die Kommentare zu meinem letzten Beitrag habe ich ein wenig nachgeforscht, wie die Kommunikation im Falle der Entdeckung eines kollidierenden Asteroiden wirklich aussehen würde. Glücklicherweise gab es in der jüngeren Geschichte der Menschheit noch keinen Asteroideneinschlag mit globalen Folgen (das schlimmste Ereignis der letzten Jahrhunderte war das Tunguska-Ereignis 1908 das für die meisten Menschen folgenlos in der sibirischen Taiga stattgefunden hat). Bis jetzt haben wir auch noch keinen Asteroiden entdeckt, der sich auf Kollisionskurs mit der Erde befindet. Aber was wäre wenn…?
In Kinofilmen ist es fast immer der (US-amerikanische) Präsident, der die Menschheit über den drohenden Untergang benachrichtigt. Natürlich wusste die Regierung schon lange vorher Bescheid aber um Panik zu vermeiden, wurde die Sache geheimgehalten. Benachrichtigen Astronomen wirklich als erstes den Präsident oder die Regierung wenn sie glauben, einen gefährlichen Asteroiden entdeckt zu haben? Würden deutsche Astronomen Frau Merkel Bescheid sagen oder doch lieber gleich dem amerikanischen Präsidenten, der ja immer für die Weltrettung zuständig ist (als Physikerin hätte Angela Merkel aber zumindest mehr Ahnung von der Materie als ihr amerikanischer Kollege)? Sind Astronomen verpflichtet, solche Entdeckungen geheim zu halten?
Entdeckung und Bahnberechnung
Die Wirklichkeit ist – nicht überraschend – ganz anders als im Kino. Wie ich schon im vorherigen Beitrag geschrieben habe, ist die Entdeckung und die Bahnbestimmung von Asteroiden ein komplexer Prozess.
Alles beginnt damit, dass ein Astronom einen vermutlich unbekannten Kleinkörper entdeckt. Das muss kein professioneller Astronom sein; an der Jagd nach Asteroiden beteiligen sich auch viele Amateurastronomen. Diese Beobachtungen werden dann an das Minor Planet Center (MPC) der Internationalen Astronomischen Union (IAU) gesandt. Das MPC ist offiziell zuständig für die Sammlung, Auswertung und Veröffentlichung von Daten über Asteroiden und Kometen. Auch die Namensgebung der Objekte erfolgt durch das MPC. Jeder, der einen neuen Kleinkörper entdeckt oder neue Beobachtungsdaten schon bekannter Kleinkörper hat, kann sie übers Internet dem MPC mitteilen. Aus diesen Beobachtungsdaten ermittelt das MPC dann eine provisorische Bahn die dann ebenfalls im Internet zusammen mit Angaben über die Beobachter und deren Instrumente veröffentlicht wird. Das sieht dann zum Beispiel so aus. Auf diese Daten können auch Sentry und NEODys zugreifen. Das sind automatisierte Programme der NASA (Sentry) bzw. der Universität Pisa (NEODys), die aus den provisorischen Bahndaten berechnen, ob die Möglichkeit einer Kollision mit der Erde besteht oder nicht. Da die Beobachtungen ja immer mit Fehlern behaftet sind, kann man keine exakten Bahn bestimmen. Sentry und NEODys prüfen nun, wieviele der theoretisch möglichen Bahnen zu einer Kollision führen würden. Sind eine oder mehrere der möglichen Bahnen potentiell gefährlich, dann wird das Objekt als “Virtual Impactor” bezeichnet. Natürlich muss das noch nicht heissen, dass das Objekt tatsächlich mit der Erde kollidiert – aufgrund der wenigen Messungen die anfänglich zur Verfügung stehen werden relativ viele Objekte als “Virtual Impactor” bezeichnet. Aber auch hier ist im Prinzip für jeden einsehbar, bei welchen Asteroiden das der Fall ist und genau diese Objekte sollten dann von den Astronomen bevorzugt nachbeobachtet werden um die Bahn genauer berechnen zu können. Es werden dann also relativ schnell neue Beobachtungsdaten an das MPC gesendet; Sentry und NEODys können die Bahnen genauer berechnen und im Allgemeinen kann dann ziemlich schnell “Entwarnung” gegeben werden. Aber was würde passieren, wenn das mal nicht der Fall ist – wenn die neuen Beobachtungen immer deutlicher darauf hinweisen, dass eine Kollision bevorsteht? Wenn vielleicht sogar mit Sicherheit gesagt werden kann, dass der Asteroid die Erde trifft?
Der Ernstfall
Aus dem, was ich oben geschrieben habe, ist schon mal klar, dass Geheimhaltung nicht möglich ist. Zu diesem Zeitpunkt wissen schon viele Leute Bescheid: alle Astronomen, die die eigentlichen Beobachtungen durchgeführt haben. Es kann eigentlich gar nichts geheimgehalten werden. Beobachtungen müssen immer bestätigt werden; neuen Daten sind nötig um die Bahn zu berechnen. Wenn ein gefährliches Objekt entdeckt wird, sollten also soviel Leute (Astronomen) wie möglich davon erfahren, damit möglichst schnell neue Daten vorhanden sind.
Aber wie läuft das dann konkret ab? Wer informiert wen, im Falle des Falles?
Ein möglicher “Ernstfall” ist am 13. Januar 2004 eingetreten. Da wurde ein Objekt entdeckt das die provisorische Bezeichnung AL00667 trug. Und erste Rechnungen legten die Möglichkeit nahe, das dieser Asteroid mit der Erde kollidieren könnte – und zwar schon in 2 Tagen!
Angefangen hat die Geschichte mit Beobachtungen die im Rahmen von LINEAR durchgeführt wurden – dem Lincoln Near Earth Asteroid Research; ein Projekt des Massachusetts Institute of Technology zur Suche nach erdnahen Asteroiden. Wie üblich wurden die Daten ans MPC übermittelt. Tim Spahr, ein Wissenschaftler am MPC hat die Daten verarbeitet und auf der Homepage des MPC veröffentlicht, kurz bevor er zum Abendessen nach Hause ging. Nun konnten Astronomen überall auf der Welt darauf zugreifen und Nachbeobachtungen anstellen um die Existenz dieses neuen Objekts zu bestätigen. Ein deutscher Amateurastronom (Reiner Stoss) hat diese Daten gesehen und überrascht festgestellt, dass AL00667 im Laufe des nächsten Tages etwa vierzigmal heller werden wird. Das würde aber bedeuten, dass er der Erde sechsmal näher kommt als im Moment – der Asteroid schien sich also sehr schnell direkt auf die Erde zuzubewegen! In einer Yahoo-Mailing-Liste hat er darüber berichtet – und zufälligerweise hat Alan Harris (ein professioneller Astronom) dort mitgelesen. Er hat das ganze überprüft und sofort David Morrison (Chef der Asteroidenabteilung der IAU) und Don Yeoman (Chef der Abteilung für erdnahe Asteroiden der NASA) informiert. Diese probierten, Tim Spahr zu erreichen um an die Daten zu kommen – leider erfolglos. Brian Marsden, Chef des MPC konnte allerdings erreicht werden und übermittelte die Daten von AL00667 an die NASA. Diese berechneten nun eine neue Bahn, die diesmal relativ weit an der Erde vorbeiführen würde. Zwischenzeitlich hatte aber auch Tim Spahr von der Angelegenheit erfahren und ebenfalls eine neue Bahn ins Internet gestellt auf der der Asteroid wieder auf die Erde zufliegt (sie aber knapp verpasst). Schließlich konnte ein weiterer Amateurastronom durch seine Beobachtungen eine Kollision des Asteroiden mit der Erde endgültig ausschließen.
Es ging also – simpel gesagt – drunter und drüber und keiner wusste so genau, was los ist.Das MPC hatte nicht gemerkt, dass die publizierten Beobachtungsdaten eine Kollision in allernächster Zukunft nahelegen und die späteren Berechnungen der Bahn sind ziemlich unkoordiniert abgelaufen (die Kollegen von NEODys wurden beispielsweise überhaupt nicht informiert). Clark Chapman schreibt in einem Bericht (“NEO Impact Scenarios”, AIAA 2004 Planetary Defense Conference) über die Angelegenheit:
“With
hindsight, we can surely imagine better solutions than any of those
implemented on the NEOCP in unplanned crisis-mode that night. But the
chief blameworthy error is lack of thorough planning by the NEO
community for such a contingency, not in the spur-of-the-moment
decisions actually made”.
(Im Nachhinein können wir uns sicherlich bessere Möglichkeiten vorstellen die Angelegenheit zu behandeln als diejenigen, die im ungeplanten Krisemodus dieser Nacht verwendet wurden. Aber der tadelnswerteste Fehler lag im Mangel an vernünftiger Planung von Seiten der NEO-Community und nicht in den spontanen Entscheidungen die gemacht wurden)
Man war also offensichtlich nicht wirklich darauf vorbereitet, was zu tun ist, wenn ein bevorstehender Asteroideneinschlag entdeckt wird. Angeblich war Clark Chapman sogar kurz davor, Präsident Bush zu informieren (der am nächsten Tag passenderweise sowieso eine Rede im NASA-Hauptquartier halten sollte). Chapman dementiert dies allerdings – er hätte im Falle des Falles nur Don Yeomans von der NASA angerufen; von dort wäre die Nachricht dann durch die Hierarchien nach oben gewandert und eventuell im Weißen Haus gelandet. Yeomans meinte aber, dass er die Daten sowieso erst selbst überprüfen würde, bevor er sie weiterleitet und in diesem Fall auch nicht einfach auf Chapman gehört hätte.
Auch hier war also unklar, wie genau vorgegangen werden sollte und wer wen informiert. Für große Objekte gibt es entsprechende Notfallpläne (zumindest in den USA). Diese großen Asteroiden können aber auch im Allgemeinen viel früher entdeckt werden und man hat genug Zeit, in Ruhe genaue Beobachtungen und Berechnungen anzustellen. AL00667 ist aber ein relativ kleines Objekt; nur ~30 Meter groß und dadurch auch schwer zu entdecken. Auch wenn so ein kleiner Asteroid keine Gefahr für die Menschheit an sich darstellt – große Schäden können durchaus angerichtet werden – vergleichbar mit dem Tunguska-Ereignis, bei dem ein ähnlich großer Asteroid ein Gebiet von immerhin 2000 km² verwüstet hat!
Fazit
Ich will hier aber gar nicht schlecht über die beteiligten Wissenschaftler reden! Chapman selbst sagt zu der ganzen Geschichte:
“It is
a story of success in that the impact prediction was nullified in
record time, less than half-a-day, but the success was accomplished
through a set of ad hoc, unofficial, and often unfunded activities and
relationships, although assisted in major ways by the official
infrastructure, such as it exists (the LINEAR Project, the IAU Minor
Planet Center, and the NASA NEO Program Office)”
“Es ist insofern eine Erfolgsgeschichte als die Vorhersage des Einschlags in Rekordzeit für nichtig erklärt werden konnte: in weniger als einem halben Tag. Dieser Erfolg wurde allerdings hauptsächlich durch eine Reihe von spontanen, inoffiziellen und oft ungedecktet Aktivitäten und Beziehungen erzielt (obwohl auch die offizielle Infrastruktur von LINEAR, des MPC und der NASA geholfen hatten)”
Obwohl es also keine offizielle Regelung für diesen Ernstfall gab, hatten es die Wissenschaftler trotzdem geschafft durch internationale Kooperation und die Zusammenarbeit von professionellen und Amateurastronomen enorm schnell herauszufinden, wie groß die Gefahr wirklich war! Und natürlich hat man durch diese Episode auch gelernt, dass noch große Defizite bei der Kommunikation und Organisation existieren. Wir können also zuversichtlich sein, dass zukünftige “Ernstfälle” besser gehandhabt werden. Trotzdem wäre es natürlich wünschenswert, wenn diese Organisationen ein bisschen mehr Anerkennung und Unterstützung von offizieller Seite bekommen würden (und das MPC in Zukunft nicht mehr auf Spendenaufrufe angewiesen ist um seine wichtige Arbeit weiterzuführen!)
Weiterführende Links
- auf Spaceref.com gibt es Details zur Geschichte um AL00667
- auch Universe Today gibt eine schöne Zusammenfassung
- der Artikel “The hazard of near-Earth asteroid impacts on earth“ von Clark Chapman (Earth and Planetary Science Letters, Band 222, p. 1-15) gibt einen fundierten Überlick über das Thema “Kollisionen”
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