Normalerweise landet der Urin im Klo. Dabei könnte man damit so viele andere tolle Sachen machen (hier können “Freunde der skatologischen Rhetorik“ ihr jeweiligen Lieblingswitze über Körperflüssigkeiten einsetzen).
Urin kann aber auch Anlass für fundamentale Entdeckungen sein. Urin kann die Lösung für große Probleme bei der Raumfahrt werden. Oder aber für seltsame Lyrik:
„Doch ein Feuer, wie Phosphor, ward nie gesehen:
Es ist kalt, und es kann im Wasser bestehen.
In diesem verliert es den Feuerschein,
Sonst würd’ es entschweben dem Erdensein.
Dann sieht es dem hellen Bernstein gleich,
Einem Stein aus dem Mineralienreich.
Der Natur ward der Phosphor sonst unbekannt.
Ein Feuerkünstler ihn erst jüngst erfand.
Zum Schauspiel, o Fürst, ist er dir beschieden,
Sonst wäre er nie entdeckt hienieden!
Wenn der Perser dies Licht verehrt als Gott,
Hätt’ nie ihn getroffen der Ägypter Spott;
Denn der Phosphor mit seinem ewigen Licht
Der durchlöcherten Sternenkugel entspricht.
Die Lebenskraft, gesucht von Weisen der Welt,
Die auf Gräbern der Alten oft dargestellt,
Gleicht dem Phosphor mit seinem stetigen Schein,
Der ohne Vestalin glüht ganz allein.
Jeremiae unlöschbarer Opferbrand,
In dem Feuer des Phosphor sein Gleichnis fand.
Wer seine Natur nicht näher kennt,
Der fürchtet im Dunkeln, daß er brennt;
Indessen man kann ihn gefahrlos berühren,
Von seinem Feuer ist nichts zu spüren.
Den Dingen teilt mit er sein Körperlicht;
bestreicht man mit ihm das Angesicht,
So wird es leuchtend und man geht einher
Wie Moses, umgeben vom Flammenmeer.
Zu fest berührt von harter Hand
Voll Zorn gerät er leicht in Brand.
Mit Geprassel loht empor sein Gischt,
Der, wie die Naphta schwer erlischt.
Das feurige Kleid, von Medea beschert,
Wird leichter am Brennen als Phosphor gestört,
Doch ruhig liegend verbirgt er die Kraft,
Kaum fühlt man die Wärme als Eigenschaft.
Sein Glanz nur zeigt, daß ihm Leben nicht fehle:
Ein Sinnbild ist er der glücklichen Seele!“
Das Gedicht hat der berühmte Philosoph und Wissenschaftler Gottfried Wilhelm Leibniz über das chemische Element Phosphor geschrieben das seine Entdeckung dem Urin zu verdanken hat.
1669 war der deutsche Apotheker Hennig Brand auf der Suche nach dem „Stein der Weisen“ und warum er den gerade im Urin gesucht hat, ist eher unklar. Er hat Urin gesammelt und dann langsam und lange erhitzt, bis nur noch ein schwarzer Rückstand übrig blieb. Was seine Frau von diesem Experiment gehalten hat, ist nicht überliefert, aber vermutlich war sie nicht sehr erfreut – vor allem weil Brand schon vorher das ganze Vermögen seiner Frau für andere alchemistische Experimente aufgebraucht hatte. In dem Urin-Rückstand fand Brand nach weiteren – übelriechenden Experimenten – eine weiße, wachsartige Substanz, die sich leicht entzündet und dann mit einem hellen, kalten Licht brennt. Das war der „Phosphor“ und man wusste damals nicht wirklich viel damit anzufangen. Brand war so unklug, das Rezept zu verkaufen anstatt es selbst auszunutzen. Der Käufer, der Kaufmann und Alchemist Johann Daniel Kraft wurde damit reich: Er verdiente Geld damit, das Element den Königshäusern Europas vorzuführen (und Leibniz, darum das Gedicht). Und war überzeugt, dass man damit Gold machen könnte.
Kann man nicht. Aber Phosphor ist trotzdem enorm wichtig. Phosphor wird zur Herstellung von Düngemittel verwendet; fast die gesamte Weltproduktion geht dafür drauf. Früher musste man meistens Guano sammeln – also Vogelkot – um so an den Phosphor zu kommen, der sich auch dort findet (In den USA gibt es sogar ein Gesetz, laut dem jeder US-Bürger eine (unbewohnte) Insel für die USA in Staatsbesitz nehmen darf – sofern sie keinem anderen Land gehört – wenn es dort Vogelscheiße gibt). Das war nicht unbedingt eine einfach und angenehme Arbeit – es ist also durchaus praktisch dass wir mittlerweile gelernt haben den Phosphor auch ohne Urin und Kot zu gewinnen (zum Beispiel aus dem Sedimentgestein Phosphorit das mit Quarz in einem Schmelz-Reduktionsofen zu Phosphor umgesetzt wird).
In unserem Körper spielt Phosphor eine essenzielle Rolle als Bestandteil der DNA und RNA. Ein 70kg schwerer Mensch enthält ~700 g Phosphor (600g davon in den Knochen). Phosphor ist also eine unbestreitbar wichtige Substanz und seine Entdeckung vermutlich eines der erfolgreichsten Dinge die je mit Urin angestellt worden sind.
Aber auch in Zukunft könnte Urin eine wichtige Rolle spielen – nämlich dann, wenn die Menschen im Weltall leben oder andere Planeten kolonialisieren wollen. Das Problem mit dem Weltall ist ja, dass es da nichts gibt. Also nichts, von dem wir Menschen leben können. Keine Luft, kein Wasser und keine Nahrung. Wenn man also in einer Raumstation Pflanzen anbauen will, muss man die auch irgendwie gießen. Das braucht Wasser und das muss man mitbringen. Und das ist teuer – alles ist teuer, wenn man es ins All bringen will.
Aber Jens Hauslage vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat dafür vielleicht eine Lösung. In seinem Labor arbeitet er daran, Tomatenpflanzen zu züchten die nicht nur im All wachsen, sondern auch mit Urin gegossen werden können.
Es wäre praktisch, wenn man einfach auf die Pflanzen pinkeln könnte, aber so einfach ist es nicht. Es geht darum, die Vorgänge nachzuvollziehen die auf der Erde auch ganz natürlich ablaufen. Der Urin (der im Labor künstlich hergestellt wird, obwohl ein bisschen auch von „Freiwilligen“ stammt) fließt durch spezielle Filter die von Bakterien bewohnt sind und zum Beispiel den Ammoniak der dort enthalten ist in Düngemittel aufspalten. Im Rahmen der „Eu:CROPIS“-Mission soll das vor Ort im All getestet werden.
Und wenn das mit den Tomaten nicht funktioniert, kann man Urin immer noch verwenden um sich vor kosmischer Strahlung zu schützen. Die ist eines der großen Hindernisse bei langen Flügen im Weltraum. Außerhalb des schützenden Erdmagnetfeldes und der Erdatmosphäre schwirrt jede Menge hochenergetische und radioaktive Strahlung durchs All (die kommt von der Sonnenaktivität, aber auch von anderen Sternen) und erhöht die Gefahr dass die Astronauten an Krebs erkranken. Man muss sich also irgendwie abschirmen. Metall könnte das leisten, aber man braucht viel Metall und das ist schwer und teuer ins All zu bringen. Wasser funktioniert als Abschirmung auch sehr gut – und das gilt auch für „Wasser mit Zusatzstoffen“ alias Urin. Die Astronauten könnten ihren Urin also einfach in Beuteln sammeln und damit die Wände ausstopfen.
Pinkeln wird bei der Besiedelung anderer Planeten also zu einer lebenswichtigen Aufgabe. Beziehungsweise zu einer doppelt lebenswichtigen Aufgabe, denn was auch immer wir vom Urin halten: Halten sollten wir ihn auf keinen Fall zu lange wenn wir nicht schwere gesundheitliche Schäden erleiden wollen. Dass der Astronom Tycho Brahe im 15. Jahrhundert an den Folgen einer geplatzten Blase starb (weil er aus Höflichkeit nicht aufs Klo gehen wollte solange der Kaiser noch mit ihm am Tisch saß) ist allerdings nur ein Mythos…
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