Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 246: Der dunkle Fluss
Sternengeschichten Folge 246: Der dunkle Fluss
Dunkler Fluss! Das klingt ein wenig mysteriös. Das klingt ein wenig romantisch. Das klingt eigentlich gar nicht nach Astronomie. Es ist aber Astronomie, denn beim dunklen Fluss geht es nicht um irgendein besonderes Gewässer sondern um die Eigenschaften von Galaxien. In Folge 63 der Sternengeschichten habe ich schon mal ausführlich über die großräumige Struktur des Universums gesprochen. So wie Planeten sich in Sonnensystemen zusammenfinden und viele Sterne gemeinsam eine Galaxie bilden, ordnen sich auch die Galaxien selbst wieder in großen, durch Gravitation aneinander gebundenen Galaxienhaufen an. Diese Galaxienhaufen – und Haufen die aus Galaxienhaufen bestehen – sind die größten Strukturen die wir im Kosmos kennen.
Verschiedene Beobachtungskampagnen haben in der Vergangenheit die Verteilung der Galaxienhaufen im Universum gemessen. Und dabei nicht nur deren Position bestimmt sondern auch die Geschwindigkeit bestimmt mit der sie sich bewegen. Eine Frage die sich hier sofort stellt lautet: Die Geschwindigkeit in Bezug auf was? Die Angabe einer Geschwindigkeit macht ja nur dann Sinn, wenn man weiß auf was sie sich bezieht. In Bezug auf die Oberfläche der Erde bewege ich mich momentan zum Beispiel gar nicht, denn ich sitze an meinem Schreibtisch und spreche in ein Mikrofon. In Bezug auf die Sonne bewege ich mich allerdings sehr wohl und zwar mit ungefähr 30 Kilometer pro Sekunde gemeinsam mit der Erde um sie herum. Und so weiter: Erde und Sonne bewegen sich gemeinsam durch die Galaxie; die Galaxie mit Erde, Sonne und all ihren anderen Sternen bewegt sich durch den lokalen Galaxienhaufen. Und auch der bewegt sich – aber in Bezug auf was?
Die Referenz die man in diesem Fall benutzt ist der kosmische Mikrowellenhintergrund. Davon habe ich in Folge 66 schon ein wenig mehr erzählt. Kurz gesagt handelt es sich dabei um die allererste Strahlung; das allererste Licht das sich im Kosmos ausbreiten konnte. Während der ersten 400.000 Jahre seiner Existenz war das Universum noch zu heiß als das komplette Atome existieren konnten. Die Elektronen der Atomhüllen waren von den Atomkernen getrennt und schwirrten überall durch die Gegend. Dadurch behinderten sie das Licht, das von den Elektronen aufgehalten wurde und sich nicht ausbreiten konnte. Erst als der Kosmos weit genug abgekühlt war, haben sich die Elektronen an die Atomkerne gebunden und der Weg für die Strahlung war frei. Einen Teil dieses allerersten Lichts können wir auch heute noch beobachten und es zeigt uns das älteste Bild unseres Kosmos; quasi ein Babyfoto des Universums.
Da diese allererste Strahlung überall im Universum entstanden ist erreicht sie uns auch heute noch von allen Punkten des Kosmos und aus allen Richtungen. Sie ist fast komplett gleichmäßig über den ganzen Himmel verteilt: Würde es sich dabei um sichtbares Licht handeln das wir sehen können und nicht um langwellige Mikrowellenstrahlung, dann könnten wir mit unseren Augen den ganzen Himmel gleichmäßig leuchten sehen. Aber weil es eben kein sichtbares Licht ist sind wir auf entsprechende Messinstrumente angewiesen die uns das gleichmäßige Leuchten des Mikrowellenhintergrunds zeigen. Und dieser Hintergrund eignet sich wunderbar als Bezug für die Angabe der Geschwindigkeit von Galaxien.
Nach allem was wir bisher über die Entstehung des Universums und die Entstehung der Galaxien wissen, sollte es da keine bevorzugten Richtungen und Geschwindigkeiten geben. Sie sollten sich komplett zufällig in alle möglichen Richtungen bewegen. Im Jahr 2008 haben dann aber Wissenschaftler um Alexander Kashlinsky vom Goddard Space Flight Center der NASA die Bewegung von 700 Galaxienhaufen im Detail untersucht. Und dabei entdeckt dass sie das nicht zufällig tun. Sie scheinen sich bevorzugt in eine ganz bestimmte Richtung zu bewegen; auf einen Punkt zu der von uns aus gesehen neben dem Sternbild des Zentauren liegt.
Ein paar Jahre später hat man dann Daten des WMAP-Satelliten in die Analyse mit einbezogen. WMAP, die “Wilkinson Microwave Anisotropy Probe” wurde speziell für die Messung der kosmischen Hintergrundstrahlung gebaut. Kashlinsky und seine Kollegen konnten jetzt 1400 Galaxienhaufen untersuchen und fanden wieder keine zufällige Verteilung der Bewegungsrichtung sondern eine gerichtete Strömung der Galaxien auf einen bestimmten Punkt zu.
Die Bewegung von Galaxienhaufen auf diesen großen Maßstäben ist immer ein Resultat der Gravitationskraft. Wenn sich alles in eine bestimmte Richtung bewegt, dann muss sich dort mehr Materie befinden als anderswo die eine stärkere Gravitationskraft ausübt als die anderen Regionen im Universum. Über ein ähnliches Phänomen habe ich schon in Folge 113 der Sternengeschichten gesprochen als es um den “Großen Attraktor” ging. In diesem Fall war die Sache aber ein wenig komplizierter. Dort war nichts zu beobachten was diese Bewegung verursachen hätte können. Man wusste nur, dass die Bewegung stattfindet, aber nicht was sie verursacht. Und in Anlehnung an die dunkle Materie und die dunkle Energie, zwei andere astronomische Phänomene von deren Existenz man zwar weiß, dessen Ursache man aber noch nicht kennt, haben Kashlinsky und seine Kollegen ihre Entdeckung den “dunklen Fluss” genannt. Aber so wie man dunkle Materie und dunkle Energie nicht miteinander verwechseln darf, weil es sich dabei um völlig unterschiedliche Dinge handelt, darf man auch den dunklen Fluss nicht mit der dunklen Materie und der dunklen Energie in Verbindung bringen. Alle drei Phänomene teilen sich zwar das Adjektiv “dunkel”, aber das heißt in diesem Fall eben nichts anderes als “unbekannt”.
Natürlich haben die Astronomen trotzdem spekuliert um was es sich handeln könnte. Die einfachste Möglichkeit: Materie die wir schlicht und einfach nicht sehen können. Nicht, weil es sich um irgendeine mysteriöse Substanz handelt. Sondern weil wir nicht das gesamte Universum sehen können. Wir können nur das Licht sehen, dass in den 13,8 Milliarden Jahren seit denen das Universum existiert Zeit hatte, bis zu uns zu gelangen. Wir gehen aber davon aus, dass der gesamte Kosmos viel zu groß ist als das wir alles sehen könnten was er enthält. In Folge 69 der Sternengeschichten habe ich von der kosmischen Inflation gesprochen, also der Phase unmittelbar nach dem Urknall als sich das Universum während einer enorm kurzen Zeit enorm schnell ausgedehnt hat. Viel schneller als das Licht – was übrigens kein Widerspruch zu Einsteins Relativitätstheorie ist. Die besagt nur, dass sich nichts schneller als das Licht bewegen kann. Das bedeutet: durch den Raum bewegen! Bei der Expansion des Kosmos bewegt sich aber nichts durch den Raum. Der Raum selbst dehnt sich aus und das kann er im Prinzip so schnell machen, wie er möchte. Und wenn er sich früher einmal überlichtschnell ausgedehnt hat – wovon alle gängigen Theorien zur Entstehung des Universums ausgehen – dann ist der Kosmos heute so groß, dass es viele Regionen gibt von denen wir nichts sehen weil das Licht uns von dort noch nicht erreicht hat. Hinter diesem “kosmischen Horizont” könnten sich Materieansammlungen befinden deren Gravitationskraft die Galaxienhaufen beeinflusst. Die Gravitationskraft selbst kann sich natürlich auch nicht schneller als das Licht bewegen. Aber es geht hier ja um Galaxien die sich sehr, sehr weit von uns entfernt befinden. Sie sind also, vereinfacht gesagt, näher am Horizont als wir. Der Horizont selbst ist aber immer nur Ansichtssache: Was für uns dahinter liegt und uns (noch) nicht beeinflussen kann ist von einem anderen, weit entfernten Beobachtungspunkt durchaus sichtbar und spürbar. Die fernen Galaxien also können die Gravitation spüren von der wir nichts mitkriegen. Aber wir können diese Galaxien sehen und der dunkle Fluss zeigt uns, dass da etwas ist was wir nicht sehen können, aber die Galaxien beeinflusst.
Möglicherweise zumindest. Denn es gibt noch einen weiteren wichtigen Unterschied. Wie ich in den Folgen 25 und 26 erklärt habe, sind die dunkle Materie und die Energie mittlerweile so gut wie zweifelsfrei nachgewiesen. Wir kennen zwar deren Ursache nicht, aber dass da etwas ist, das eine Ursache haben muss, ist mehr oder weniger unstrittig. Beim dunklen Fluss ist das nicht so. Denn hier gab es schon ziemlich bald Kritik anderer Astronomen. Ich habe vorhin deswegen so ausführlich über die kosmische Hintergrundstrahlung gesprochen weil man die wirklich gut verstehen muss, wenn man sie als Referenz für die Geschwindigkeit von Galaxienhaufen benutzen will. Macht man hier einen Fehler, dann stimmen auch die Geschwindigkeitsangaben nicht. Und wenn die Hintergrundstrahlung auch sehr, sehr gleichmäßig verteilt ist, gibt es doch kleine Unregelmäßigkeiten. Die muss man kennen und berücksichtigen und das ist eine sehr komplizierte Aufgabe. Die Messungen sind nicht einfach; es gibt Unmengen an störenden Einflüssen die man identifizieren und bei den Berechnungen berücksichtigen muss, und so weiter. Und viele Wissenschaftler waren und sind der Ansicht, dass das bei der “Entdeckung” des dunklen Fluss nicht ausreichend gut passiert ist. Die Galaxienhaufen würden sich nicht wirklich alle in eine bestimmte Richtung bewegen. In Wahrheit habe man einfach nur den als Referenz dienenden Hintergrund nicht genau genug verstanden und so die Geschwindigkeiten falsch bestimmt.
Und tatsächlich haben andere Daten aus anderen Beobachtungen keine Anzeichen einer gerichteten Bewegung gezeigt. Und als dann der Nachfolger des WMAP-Satelliten, das europäische Planck-Weltraumteleskop die Hintergrundstrahlung noch genauer vermessen hat als je zuvor, fanden sich auch hier keine Hinweise auf den dunklen Fluss. Das war zumindest die Meinung einiger Wissenschaftler; andere, die andere mathematische Methoden zur Datenauswertung verwendet haben waren dagegen der Ansicht dass es einen dunklen Fluss durchaus geben könnte.
Und das ist mehr oder weniger der aktuelle Stand der Dinge. Die Geschwindigkeit und die Bewegungsrichtung von weit entfernten Galaxienhaufen lässt sich derzeit nicht genau genug bestimmen um einen dunklen Fluss zweifelsfrei nachzuweisen. Oder zu widerlegen. Der dunkle Fluss ist eine faszinierende Sache, eine Möglichkeit etwas über einen Teil des Universums herauszufinden der uns eigentlich verschlossen ist. Vielleicht ist der dunkle Fluss aber auch nur das Result ungenauer Messungen. Das wird erst die Zukunft zeigen…
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