Kurze Info in eigener Sache: Heute Abend halte ich einen Vortrag in Hamburg. Der Eintritt ist frei, es geht um Astronomie und Bier und ich freue mich, wenn ihr kommt!
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Warum ist alles so wie es ist? Warum ist nicht alles ganz anders? Ok, das sind ziemlich naive Fragen. Die Dinge sind halt so wie sie sind, denn wenn sie anders wären, wäre alles anders. Und das war jetzt eine ziemlich naive (und nichtssagende) Antwort. Aber man kann die Sache durchaus auch wissenschaftlich exakter angehen. Und sich zum Beispiel fragen, warum unser Sonnensystem genau so aussieht wie es aussieht. Unsere Sonne wird von acht Planeten umkreist; vier davon eher klein und vier eher groß. Von den vier Gesteinsplaneten mit fester Oberfläche – Merkur, Venus, Erde und Mars – ist die Erde der größte Himmelskörper. Der nächstgrößere Planet – Uranus oder Neptun, je nachdem ob man nach Durchmesser oder nach Masse geht – gehört schon wieder zur ganz anderen Klasse der Gasplaneten. Aber muss das alles so sein? Wir haben ja mittlerweile schon jede Menge andere Planetensysteme entdeckt und dort gibt es völlig andere Konfigurationen. Dort gibt es Planeten die deutlich größer als die beiden größten bei uns – Jupiter und Saturn – sind. Dort gibt es Planeten die größer als die Erde aber kleiner als Neptun sind; sogenannte Supererden. Und so weiter – es gibt eine große Vielfalt an möglichen Planetensystemen.
Wie ein Planetensystem aussieht hängt natürlich vom Anfangszustand ab. Also von der Größe der Wolke aus Gas und Staub aus der es entstanden ist, von der Menge an Material das dort vorhanden ist, von dessen chemischer Zusammensetzung, von Größe und Temperatur des Sterns um das es sich bildet, von der kosmischen Nachbarschaft (Ist es ein Doppel- oder Mehrfachsternsystem? Befindet es sich im Zentrum der Galaxis oder weiter außen?) und jeder Menge anderer Parameter.
Aber wenn wir jetzt mal nur beim Sonnensystem bleiben: Wie viel Variation wäre hier möglich gewesen? Muss das Sonnensystem, im Rahmen seiner Möglichkeiten, zwangsläufig zu dem werden was es heute ist? Wären auch andere Konfigurationen von Planeten möglich gewesen? Oder anders gesagt: Warum ist alles so wie es ist? Warum ist nicht alles ganz anders?
Mit dieser Frage haben sich Volker Hoffmann von der Universität Zürich und seine Kollegen beschäftigt. Ihre Arbeit mit dem Titel “Chaos in Terrestrial Planet Formation” ist zwar schon drei Jahre alt was aber nichts daran ändert das sie enorm interessant ist!
Natürlich kann man so eine Frage nicht definitiv beantworten. Das Sonnensystem ist genau einmal entstanden und es ist unmöglich herauszufinden wie es ausgesehen hätte, wenn vor 4,5 Milliarden Jahren irgendwas anders gewesen wäre. Wir können nicht in der Zeit zurück reisen und an der Wolke aus Gas und Staub herumfummeln… Aber wir können Computer programmieren! Und in einer Computersimulation die Entstehung der Planeten verfolgen. Dazu fängt man mit einer großen Menge an kleinen Planetesimalen an, also kleinen Felsbrocken die in einer großen Scheibe um die Sonne verteilt sind. Dann berechnet man wie die sich bewegen, sich gegenseitig beeinflussen und wie sie miteinander kollidieren und zu immer größeren Objekten verschmelzen bis am Ende Planeten entstanden sind. In der Praxis ist das natürlich keineswegs simpel; die entsprechenden Computerprogramme sind äußerst knifflig und sie zu entwerfen und zu programmieren kann genau so aufwendig sein wie der Bau eines neuen Teleskops.
Wenn man die Wechselwirkung so vieler verschiedener Objekte berechnen will, dann geht das eigentlich nur mit Parallelrechnern. Man verwendet also – vereinfacht gesagt – nicht einen einzigen Computer sondern sehr viele auf einmal. Die Berechnungen werden aufgeteilt, an die verschiedenen Computer geschickt und die Ergebnisse wieder zusammengeführt. Auch das ist nicht trivial – und es gibt hier eine für unser spezielles Problem sehr spezielle und wichtige Fehlerquelle. Es kann (und wird!) passieren, dass zwei Simulationen die mit dem gleichen Computerprogramm und den gleichen Anfangswerten auf dem gleichen Parallelrechner durchgeführt werden zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Das klingt eigentlich so als könne das nicht sein, denn der Computer macht ja immer das gleiche. Er macht genau das für das er programmiert wurde. Und trotzdem sind die Ergebnisse unterschiedlich weil es sich eben um viele verschiedene Computer (bzw. eigentlich viele verschiedene Prozessoren in einem Computer) handelt. Und wenn da Zahlenwerte zwischen den Prozessoren hin und her geschickt werden; mal hier zwischengespeichert werden und mal dort, dann hat das Auswirkungen. Es gibt Rundungsfehler weil eine Zahl im Computer nur mit einer bestimmten Menge an Nachkommastellen gespeichert werden kann. In der realen Mathematik spielt es keine Rolle ob ich a + b + c rechne oder zum Beispiel a + c + b. Das Ergebnis ist immer das gleiche. Bei der Berechnung auf einem Computer kann es aber einen Unterschied machen, weil die Zwischenergebnisse an unterschiedlichen Orten mit unterschiedlichen Rundungsfehlern gespeichert werden.
Im Fall der Simulationen von Hoffmann und seinen Kollegen müssen auch die Kollisionen zwischen den Planetesimalen berechnet werden. Von denen gibt es jede Menge – und auch hier kommt es auf die Reihenfolge an in der sie berechnet werden. Und auch diese Reihenfolge ist bei der Berechnung auf Parallelrechner nicht zwingend eindeutig festgelegt. Man kann all diese Probleme natürlich durch entsprechende Vorkehrungen bei der Programmierung vermeiden. Hoffmann und seine Kollegen haben sich entschieden darauf zu verzichten, denn sie wollten ja gerade herausfinden, was kleinste Veränderungen im Laufe der Zeit verursachen können. Nämlich das hier:
Dieses Bild zeigt das Ergebnis von vier identischen Durchläufen der Simulation. Jedes Kästchen zeigt eine Darstellung des Sonnensystems zu einem bestimmten Zeitpunkt. Auf der x-Achse ist der mittlere Abstand der Objekte von der Sonne aufgetragen (in Astronomischen Einheiten; die Erde befände sich also bei “1”), auf der y-Achse die Exzentrizität der Umlaufbahn, also die Abweichung von der Kreisform. Ganz links ist der Ausgangszustand zu sehen: Eine flache, runde Scheibe aus Planetesimalen die sich ungefähr von der heutigen Bahn der Venus bis hinter die heutige Bahn des Mars erstreckt (der Bereich der äußeren Planeten wurde in der Simulation vorerst ignoriert). In den folgenden Spalten sieht man, wie sich im Laufe der Zeit Planeten bilden (je größer der Kreis desto größer ihre Masse). Und man sieht deutlich, wie sich am Ende der Simulation nach knapp 150 Millionen Jahren vier ganz unterschiedliche System gebildet haben. Es sind zwar immer mehr oder weniger erdgroße Planeten entstanden – aber an unterschiedlichen Positionen mit unterschiedlichen Bahnen und unterschiedlichen Massen.
Zur Erinnerung: Am Ausgangszustand der Simulationen wurde nichts verändert. Die Wissenschaftler haben – vereinfacht gesagt – viermal hintereinander auf “Start” gedrückt und trotzdem war das Ergebnis am Ende unterschiedlich! Allein nur durch die winzigen Veränderungen die von den unterschiedlichen Rundungsfehlern bei den Berechnungen verursacht wurden.
Das sieht man auch an diesem Bild:
Es zeigt alle Planeten die bei allen durchgeführten Simulationen entstanden sind. Auf der x-Achse ist immer der mittlere Abstand zur Sonne in astronomischen Einheiten aufgetragen. Das linke Bild zeigt die Verteilung der Masse der Planeten, das mittlere Bild die Neigung ihrer Umlaufbahnen und das rechte Bild die Verteilung der Bahn-Exzentrizitäten. Hier sind außerdem die Ergebnisse gezeigt die man erhält, wenn man Jupiter und Saturn in die Simulation inkludiert. Die unterschiedlichen Grautöne stehen für unterschiedliche Modelle: “NJS” (weiß) für das System ohne Jupiter und Saturn, “EJS” (dunkelgrau) für Jupiter und Saturn auf ihren heutigen Bahnen und “CJS” (grau) für Jupiter und Saturn auf kreisförmigen Bahnen. Hier erkennt man nun allerdings schon einen etwas deutlicheren Einfluss der auch durch genauere Analysen der Ergebnisse bestätigt wird (und bei dieser Analyse haben Hoffmann und seine Kollegen dann auch die oben angesprochenen Vorkehrungen bei der Programmierung getroffen um die Simulationen reproduzierbar zu machen). Dort wo es große Planeten wie Jupiter und Saturn gibt, entstehen weniger und weniger massereichen Planeten die außerdem exzentrischere und kleinere Umlaufbahnen haben als die Planeten die in Systemen ohne Gasriesen entstehen.
Das überraschendste ist aber für mich wirklich die extreme Sensibilität der Planetenentstehung in Bezug auf die Anfangswerte. Die von den Rundungsfehlern verursachten Unterschiede im Anfangszustand entsprechen Unterschiede in den anfänglichen Positionen der Planetesimale von weniger als einem Millimeter! Hoffmann und seine Kollegen schreiben in ihrem Artikel auch:
“There is no reason to expect that this behaviour does not continue to much smaller scales. Perhaps if our early solar system had contained one extra molecule, the Earth would not have formed at all.”
Wäre vor 4,5 Milliarden Jahren nur ein Molekül mehr (oder weniger) bei der Entstehung des Sonnensystems vorhanden gewesen, dann hätte sich die Erde vielleicht niemals gebildet! Das ist schon eine sehr faszinierende Vorstellung. Gut, man darf sich von ihr aber auch nicht zu sehr gefangen nehmen lassen. Wenn ein Molekül anders gewesen wäre, dann wäre höchstwahrscheinlich nicht DIE Erde entstanden – aber wahrscheinlich ein ähnlich großer Planet an ähnlicher Position mit ähnlichen Eigenschaften auf dem vermutlich dann ebenso Leben möglich wäre wie es auf DER Erde der Fall. Aber es hätte zumindest prinzipiell nicht so ablaufen müssen. Die Entstehung der Planeten im Sonnensystem war ein zutiefst chaotischer Prozess. All die unzähligen Kollisionen haben zu einem einmaligen Ergebnis geführt. Und da diese Kollisionen eben chaotisch ablaufen reicht es, irgendwo eine einzige etwas anders ablaufen zu lassen um den ganzen Rest des Prozesses ganz anders ablaufen zu lassen. Ein kleiner Felsbrocken der dann doch nicht mit einem anderen kollidiert fliegt weiter und kollidiert mit einem ganz anderen Trumm. Das dann einen ganz anderen Weg einschlägt, mit ganz anderen Planetesimalen kollidiert – und so weiter. Und am Ende ganz andere Planeten an einem ganz anderen Ort entstehen lässt…
Die Entstehung der Planeten hat ein paar Millionen Jahre gedauert. Die Simulationen von Hoffmann und seinen Kollegen zeigen aber, dass es nur 500 Jahre dauert bis sich zwei Simulationen so weit auseinander entwickelt haben um absolut nichts mehr miteinander zu tun zu haben. Womit wir wieder am Anfang sind: Alles ist so wie es ist, weil die Dinge früher so waren wie sie waren. Wären sie auch nur minimal anders gewesen, dann wäre alles anders.
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