Ich hab zwar eigentlich momentan überhaupt keine Zeit – die monatlichen Buchempfehlungen müssen aber trotzdem sein. Der Monat ist immerhin gleich zu Ende und ich hab ein paar sehr geniale Bücher gelesen die ich euch ganz dringend empfehlen möchte!

Größer als die Unendlichkeit

Ich habe vor zwei Jahren schon vom ersten Buch von Eugenia Cheng geschwärmt. Nun ist ihr neues Werk erschienen und es ist mindestens ebenso gut! Es heißt “Beyond Infinity: An Expedition to the Outer-Limits of the Mathematical Universe” und ist leider noch nicht auf deutsch erschienen. Wer mit englischen Bücher kein Problem hat sollte es aber unbedingt trotzdem lesen. Auch wenn ihr denkt ihr könntet mit Mathematik nicht viel anfangen. Gerade wenn ihr denkt, ihr könntet mit Mathematik nicht viel anfangen!

cheng

Cheng ist wahnsinnig gut darin Mathematik verständlich zu beschreiben. Sie ist aber ebenso gut darin Mathematik interessant zu beschreiben! Und wenn sie dann noch so ein faszinierendes Thema wie die Unendlichkeit auswählt kann dabei nur ein Buch herauskommen das jetzt schon zu meinen Allzeitfavoriten bei der populärwissenschaftlichen Literatur zählt. Cheng ist nicht nur professionelle Mathematikerin sondern auch professionelle Pianistin – und begeisterte Hobbyköchin. All das führt sie in ihrem Buch zusammen: Kunst, Küche und Mathematik. Und wer denkt, das würde nicht zusammenpassen der hat sich massiv geirrt. Was Chengs Buch so besonders macht ist nicht nur allein die Auswahl der Thematik. Wer sich schon ein bisschen mit populärer Mathematik beschäftigt hat, hat sicher auch schon mal was über unendlich große oder kleine Zahlen gehört. Über all die Paradoxa, die da auftreten wie zum Beispiel Hilberts Hotel oder die absurd erscheinenden Cantorschen Unendlichkeiten die größer als unendlich sind. Auch ich habe all diese Themen schon gekannt. Mich aber bei Chengs Buch keine Sekunde gelangweilt!

Ganz im Gegenteil: Ich habe bis jetzt noch keine so klare, so faszinierende und so interessante Darstellung dieses Themas gelesen. Das was ich eigentlich schon zu wissen glaubte habe ich dank Chengs Darstellung erst so richtig verstanden. Sie treibt das Beispiel von Hilberts Hotel weit über die Grenzen des in der Öffentlichkeitsarbeit üblichen hinaus. Sie erklärt wie das mit Pseudogleichungen der Form 0/0=unendlich wirklich funktioniert. Sie erklärt so eindringlich und gut wie die moderne Mathematik Zahlen definiert und was daraus folgt das ich diese Texte eigentlich dringend für jeden Matheunterricht empfehlen würde. Zwischendurch bringt sie die abgehobene abstrakte Mathematik mit Verbindungen zu Kunst und Kochrezepten immer wieder zurück in die Realität. Und am Ende hat man sogar etwas so abstruses wie die Kategorientheorie verstanden und kapiert was zum Beispiel Wikipedia – wenig erhellend – mit dieser Beschreibung meint:

“Die Kategorientheorie lässt sich, ähnlich wie die universelle Algebra, als allgemeine Theorie mathematischer Strukturen auffassen (klassische Strukturen sind z. B. Gruppen, Ringe, Moduln und topologische Räume). Dabei werden Eigenschaften mathematischer Strukturen allerdings nicht über Relationen zwischen Elementen der Trägermenge(n) definiert, sondern mittels Morphismen und Funktoren quasi über Vergleiche sowohl innerhalb von als auch zwischen Kategorien.”

Lest das Buch! Verschenkt es! Erzählt davon! Es ist großartig!

Die zerbrochene Erde

Die “Broken Earth Trilogy” von N. K. Jemisin liegt schon länger bei mir zuhause rum. Zum Glück habe ich sie jetzt endlich gelesen – nicht auszudenken wenn ich dieses geniale Werk weiterhin ignoriert hätte! Die Serie besteht aus den drei Bänden: “The Fifth Season”, “The Obelisk Gate” und “The Stone Sky” (und ist noch nicht auf deutsch erhältlich). Ich frage mich allerdings wie ich sie vernünftig beschreiben kann. Auf den ersten Blick sieht das Ganze nach einem klassischen Fantasy-Setting aus. Eine Welt, die irgendwo im Mittelalter steckt. Menschen mit besonderen magischen Kräften. Und eine Welt die gerettet werden muss. Aber wer sich jetzt irgendwas in der Art von “Herr der Ringe” vorstellt könnte gar nicht mehr daneben liegen.

jemisin

Ich habe noch nie eine Serie wie die von Jemisin gelesen. Ich weiß nicht wie sie darauf gekommen ist, Fantasy mit Geologie zu kombinieren. Aber es war einer der besten Einfälle die man haben kann! Die Welt von N.K. Jemisin ist ein Planet mit einem riesigen Superkontinent der “Stillness” heißt. Der ständigen geologischen Katastrophen unterworfen ist. Alle paar Jahrhunderte gibt es gewaltige Erdbeben; Vulkanausbrüche oder ähnliche seismische Megaereignisse. Die Bewohner der Welt nennen das die “Seasons” – und nach jeder Season wird die Zivilisation weit in ihrer Entwicklung zurückgeworfen. Alles dreht sich dort um das unterirdische; alle Städte sind darauf ausgerichtet eine Season möglichst gut überleben zu können. Und es gibt die “orogenes”: Menschen die in der Lage sind die Seismik zu manipulieren. Sie können geologische Schichten und die Vorgänge dort dank spezieller Sinnesorgane direkt wahrnehmen und beeinflussen. Sie können Erdbeben auslösen, Vulkane am Ausbrechen hindern, Gestein bewegen, und so weiter. Das klingt nach einer sinnvollen Fähigkeiten – aber in einer so geophobischen Gesellschaft wie auf Stillness sind betrachtet man orogenes als eine Art Monster die man streng kontrollieren muss wenn man sie schon nicht ausrotten kann. Jeder orogenes muss schon als Kind in eine spezielle Ausbildungsanstalt um die Fähigkeiten zu schulen und wird sein Leben lang von den “Guardians” kontrolliert. Ich will jetzt nicht unbedingt viel von der Handlung verraten; dafür ist sie viel zu faszinierend und ihr sollt sie selbst entdecken. Aber es ist höchst beeindruckend was für eine Welt Jemisin da gebaut hat.

Und die Welt wird immer seltsamer. Da gibt es die “stone eaters” – deren Existenz ich jetzt einfach mal erwähne aber nicht erkläre sonst nehm ich euch die Spannung. Aber allein für diese Erfindung hätte Jemisin noch viel mehr Auszeichnungen für diese Serie verdient als “nur” den Hugo-Award. Und das Buch wird im Laufe der Geschichte immer mehr von Fantasy zu Science-Fiction. Ich würde ja jetzt gerne noch verraten wie auch die Astronomie (die in der Welt von Stillness, wo alle nur nach unten blicken und nicht zum Himmel kaum als mehr denn als unnötige Pseudowissenschaft betrachtet wird) in der Story auftaucht. Aber dann würde ich euch um den großen und grandiosen Schlussmoment des ersten Bandes bringen und das möchte ich nicht.

N.K. Jemisins Bücher gehören zu dem besten was ich bis jetzt gelesen habe.

Austromir

Österreich ist nicht unbedingt eine Weltraumnation. Aber Anfang der 1990er Jahren haben auch wir unseren ersten Schritt ins All gewagt. 1991 flog der Österreicher Franz Viehböck zur russischen Raumstation Mir. Von dieser Mission berichtet er im Buch “Austromir ’91. Der österreichische Schritt ins Raumzeitalter” (nur noch antiquarisch erhältlich).

austromir

Ko-Autor ist Clemens Lothaller, der ebenfalls zum Kosmonauten ausgebildet wurde. Erst wenige Monate vor dem Start entschied sich ob Viehböck oder Lothaller ins All fliegen würde und bis zum Schluss war Lothaller der Ersatzmann für die Austromir-Mission. Wie man damit umgeht jahrelang für ein Ziel zu trainieren das man dann doch nicht erreichen darf ist eines der Themen des Buches und wenn ihr es noch irgendwo findet kann ich nur raten es euch zu besorgen. Viehböck und Lothaller beschreiben den Auswahlprozess und das Training für den Flug zur Mir sehr anschaulich und packend. Sie beschreiben es allerdings vor allem völlig unglamourös: Man ist ja meistens die heroischen Geschichten von amerikanischen oder sowjetischen Raumfahrern gewöhnt. Ein paar ganz normale Wiener die sich vom kleinen Österreich in die desolate Sowjetunion (die dann während der ganzen Ausbildung zum chaotischen Russland wird) aufmachen ist eine ganz andere Geschichte. Aber eine die zu lesen sich lohnt. Sie ist voll mit obskuren Details (wie der ungeplanten Entfernung sämtlicher Zehennägel Viehböcks in einem russischen Krankenhaus). Sie ist aber auch ein wunderbares Plädoyer für die bemannte Raumfahrt.

Und dann natürlich auch ein – zumindest aus österreichischer Sicht – spannendes Stück Zeitgeschichte. Die deutschen Leserinnen und Leser haben ja ihre eigenen Erinnerungen an all die vielen deutschen Raumfahrer. Wir Österreicher aber haben nur Franz Viehböck und ich erinnere mich noch sehr genau an 1991 als wir uns den Start der Rakete damals live im Fernsehen im Physikunterricht in der Schule angesehen haben. Es war schön zu sehen, dass auch unser kleines Land ein wenig im Weltraum mitmischen darf. Und ich freue mich daher wirklich, wirklich sehr das ich Franz Viehböck demnächst auch mal persönlich kennenlernen kann! Wer ebenfalls Lust hast den Austronauten zu sehen, der muss am 23. Oktober 2017 in den Wiener Stadtsaal kommen: Dort werden die Science Busters ihr neues Programm “Warum landen Asteroiden immer in Kratern?” präsentieren und zur Wien-Premiere wird Franz Viehböck als special guest mit uns auf der Bühne stehen!

Franz Viehböck ist schon passend angezogen für die Science-Busters-Show am 23.10.2017 in Wien

Franz Viehböck ist schon passend angezogen für die Science-Busters-Show am 23.10.2017 in Wien

Was ich sonst noch gelesen habe

  • Über die ein wenig seltsamen Bücher von Tom Holt habe ich letzten Monat schon berichtet. Im September habe ich noch zwei davon gelesen: “Valhalla” und “Odds and Gods” (auf deutsch: “Auch Götter sind nur Menschen”). Die waren nicht weniger seltsam (wieder ging es um eine Mischung aus Management und Religion) – aber ein klein wenig weniger verwirrend als die anderen Bände.
  • Die wunderbar skurrilen Thüringer Regionalkrimis von Hans-Henner Hess habe ich früher schon vorgestellt. Jetzt ist mit “Grillwetter” der vierte Band erschienen und der ist nicht weniger wunderbar skurril als die drei davor.
  • Die Jahrhundert-Trilogie (“Sturz der Titanen”, “Winter der Welt”, “Kinder der Freiheit”) von Ken Follett ist zwar schon etwas älter. Aber wer mal wirklich lange lesen will und dabei einen halbwegs guten Überblick über die Geschichte des ersten und zweiten Weltkriegs und des kalten Krieges erhalten will, der liegt damit richtig.

Das war’s für den September. Ich hatte diesmal wirklich Glück mit meiner Literaturauswahl. Und hoffe auf mindestens ebenso gute Bücher für den Oktober!

Die Links zu den Bücher sind Amazon-Affiliate-Links. Beim Anklicken werden keine persönlichen Daten übertragen.

Kommentare (4)

  1. #1 Montafoner
    Merseburg
    30. September 2017

    Ach Florian, warum so bescheiden: Ein bißchen Österreich war 1991 bereits hinterm Neptun und fliegt und fliegt und fliegt… .
    Auf Eugenia Cheng hast Du mich jetzt richtig neugierig gemacht, vielen Dank!

  2. #2 Kai
    1. Oktober 2017

    Hi,
    Chengs Bücher hab ich mir sofort gekauft. Dabei fällt mir wieder auf wie nervig es ist, dass ich mir aus Prinzipgründen kein Amazon Kindle gekauft hab (ich mag die Kopierschutzfunktion nicht, die mir vorschreibt bei wem ich meine E-Books kaufen soll). Doof nur, dass die E-Books auf Amazon immer billiger sind als anderswo (zumindest englischsprachige wo keine Buchpreisbindung herrscht) und viele E-Books sogar nur auf Amazon erhältlich sind. Ich hoffe ja noch darauf, dass unsere Politiker irgendwann auf die Idee kommen die erzwungene Bindung zwischen Amazon E-Books und ihrem Kindle zu verbieten. Aber da kann ich vermutlich lange drauf warten…

    Davon abgesehen: Danke für die vielen Buchtipps. Hab schon viel gelesen was du in deinem Blog vorgestellt hast. Und dabei so manches Juwel (z.B. Dreikörperproblem) gefunden.

  3. […] nur ein weiteres Mal das Buch “Beyond Infinity” von Eugenia Cheng emfehlen (Ich habe es hier ausführlich besprochen) in dem genau diese Dinge sehr anschaulich und verständlich erklärt […]

  4. #4 Waldi
    10. Mai 2018

    Danke für den Buchtipp. Wer ein faible für Mathematik hat, kann ich auch das populärwissenschaftliche Buch “Die Musik der Primzahlen…” empfehlen.