Was ist dunkle Materie? Wissen wir nicht. Aber wir wissen jetzt immerhin, das sie langsamer ist als wir bisher dachten!
Ok, diese Aussage braucht ein wenig Kontext. Wenn wir nicht wissen, um was es geht, dann können wir auch nicht sagen, wie schnell dieses unbekannte Etwas ist. Also fangen wir beim Anfang an. Seit fast 100 Jahren beobachten Astronomen Hinweise auf eine besondere Art von Materie, die sich überall im Universum befindet. Ich habe die ganze Geschichte hier sehr ausführlich zusammengefasst. Die große Mehrheit der Astronomen geht (aus guten Gründen die ich jetzt hier aber nicht mehr im Detail erläutere) davon aus, dass die dunkle Materie aus Elementarteilchen besteht, die wir bis jetzt noch nachweisen konnten. Was nicht heißt, dass wir es nicht versuchen!
Jede Menge Experimente sind derzeit auf der Suche nach dunkler Materie. Denn die dunkle Materie ist ja nicht nur irgendwo weit draußen im Universum, sondern saust auch hier bei uns im Sonnensystem durch die Gegend. Und trifft dabei auch auf die Erde. Mit entsprechenden Detektoren könnte man diese Teilchen registrieren. Genau hier kommt jetzt aber die schon angesprochene Geschwindigkeit ins Spiel.
Dunkle Materie, in der Form in der wir sie derzeit vermuten, wechselwirkt nur sehr, sehr wenig mit normaler Materie. Es ist also nicht einfach, sie zu registrieren. Man muss unter Umständen sehr lange warten, bis der Detektor “Ping!” macht (oder was auch immer diese Detektoren tun, wenn sie dunkle Materie gefunden haben). WIE lange man warten muss, wissen wir allerdings nicht, weil wir ja nicht genau wissen, aus was sie besteht. Und das ist das Problem. Denn wenn der Detektor nicht “Ping!” macht (was bis jetzt bei allen entsprechenden Experimenten der Fall war), dann kann das entweder daran liegen, dass die dunkle Materie doch etwas anderes ist. Oder aber, dass wir halt noch länger auf das “Ping!” warten müssen. Wir müssten vor allem auch wissen, wie schnell sich die Teilchen der dunklen Materie bewegen, wenn wir abschätzen wollen, wie gut wir sie registrieren können.
Aber keine Sorge! Die Astronomen kommen zur Hilfe! Zumindest Jonah Herzog-Arbeitman von der Uni Princeton und seine Kollegen. Sie haben sich folgendes überlegt (“Empirical Determination of Dark Matter Velocities using Metal-Poor Stars”): Dunkle Materie ist überall in der Milchstraße. Besser gesagt: Unsere Milchstraße befindet sich innerhalb einer riesigen Wolke aus dunkler Materie. Das nennt sich “Standard Halo Model (SHM)” und in diesem Modell geht man davon aus, dass die dunkle Materie sich in einem dynamischen Gleichgewicht befindet und die Geschwindigkeit der Teilchen eine entsprechend typische Verteilung aufweist.
Nur. Unsere Milchstraße ist kein monolithisches Dingens, das immer schon war und sich nie verändert hat. Sie hat eine dynamische Vergangenheit. Im Laufe ihrer Geschichte hat die Milchstraße immer wieder kleinere Galaxien “geschluckt” und das ist nicht nur interessant, sondern hat auch Konsequenzen für die dunkle Materie. Denn die wechselwirkt zwar selten mit normaler Materie, wird aber trotzdem von deren Gravitationskraft beeinflusst. Anders gesagt: Die dunkle Materie sollte sich annähernd so bewegen, wie es auch die Sterne der Galaxie tun, in der sie sich befinden.
Als unsere Milchstraße in der Vergangenheit kleine Galaxien geschluckt hat, blieb das nicht folgenlos. Die Sterne der gefressenen Galaxien bilden teilweise auch heute noch “Sternströme”, also lang gezogene Strukturen aus Sternen die sich auf ähnliche Art und Weise bewegen. Außerdem unterscheiden sich die Sterne die aus anderen Galaxien in die Milchstraße gekommen sind, auch noch in ihrer chemischen Zusammensetzung. Das liegt zum Beispiel am unterschiedlichen Alter der Galaxien. In der Milchstraße gab es beispielsweise viel mehr Supernova-Explosionen. Sterne, die als Supernova explodieren, haben zuvor in ihrem Inneren jede Menge chemische Elemente geschaffen, die nun durch die Explosion verteilt werden. Das führt dazu, dass die Sterne die in der Milchstraße entstanden sind, mehr schwere chemische Elemente (also Elemente die kein Wasserstoff und kein Helium sind) enthalten.
Die Milchstraße wächst also, weil sie andere Galaxien frisst. Die Wolke aus dunkler Materie in der sich die Milchstraße befindet, wächst ebenso, weil diese anderen Galaxien ebenfalls dunkle Materie enthalten haben. Die Wolke aus dunkler Materie ist also im Laufe der Zeit hierarchisch gewachsen. Und die Sterne der Sternströme, die auch heute noch aufgrund ihrer chemischen Zusammensetzung identifizierbar sind, zeigen uns wie sich diese dunkle Materie bewegt.
Herzog-Arbeitman und seine Kollegen haben nun folgendes gemacht. Sie haben eine extrem hochauflösende Computersimulation (Eris) benutzt, um sich die Bewegung von Sternen und dunkler Materie anzusehen. Diese Simulation zeigt, wie sich Gas, Staub, Sterne und dunkle Materie in einer Galaxie wie der Milchstraße im Laufe von Jahrmilliarden verhalten.
Die Ergebnisse zeigen nun genau das, was die vorangegangenen Überlegungen vermuten lassen. Nämlich das:
Man sieht hier die Verteilung der Geschwindigkeiten die sich aus der Simulation ergeben haben (für zwei verschiedene Raumrichtungen). Interessant sind vor allem die orangene und die schwarze Kurve. In Orange sind die Geschwindigkeiten der “metallarmen” Sterne (also vorrangig die aus anderen Galaxien gefressenen) aufgetragen; schwarz ist die Geschwindigkeit der dunklen Materie. Beide Kurven passen hervorragend zusammen und bestätigen die Hypothese der Astronomen.
Das ist nicht nur theoretisch interessant, sondern auch praktisch. Denn jetzt kann man reale Daten realer Sterne aus der Umgebung des Sonnensystems nehmen. Und aus diesen Daten konkret ableiten, wie schnell die dunkle Materie auf die Erde (und die dort befindlichen Detektoren) trifft. Das haben Herzog-Arbeitman und seine Kollegen getan und festgestellt: Die dunkle Materie bewegt sich langsamer als es das Standard-Halo-Model vorhersagt. Und das hätte auch Auswirkungen auf die Wartezeit zum lang gesuchten Detektor “Ping!”
Das eröffnet interessante Möglichkeiten für die Zukunft. Das Weltraumeleskop GAIA wird beispielsweise mit seinen Daten noch viel genauere Vorhersagen der zu erwartenden Detektionsraten ermöglichen. Und wenn wir dann immer noch kein “Ping!” hören, können wir ernsthaft über Alternativen nachdenken.
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