Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
Mehr Informationen: [Podcast-Feed][iTunes][Bitlove][Facebook] [Twitter][Sternengeschichten-App]
Über Bewertungen und Kommentare freue ich mich auf allen Kanälen.
—————————————————————————————
Sternengeschichten Folge 267: Die vierte Dimension
In der heutigen Folge der Sternengeschichten machen wir uns auf den Weg in die vierte Dimension! Zumindest ist es das, was man in der Science-Fiction, der Esoterik oder der Pseudowissenschaft immer gerne tut, wenn man irgendwo auf die vierte (oder fünfte, oder sechste oder was-weiß-ich-wievielte) Dimension trifft: Man geht “hinein”. Die vierte Dimension ist dann irgendein seltsamer oder mythischer Ort; ein anderes Universum und auf jeden Fall etwas ganz anderes als unsere normale Welt.
Dabei ist die vierte Dimension eigentlich gar nichts davon. Eigentlich ist sie nur eine Zahl. Aber um das zu verstehen, müssen wir uns zuerst einmal ansehen, was man in der Wissenschaft tatsächlich unter dem Wort “Dimension” versteht. Dazu fangen wir am besten mit der Mathematik an. In der Mathematik ist die Dimension wirklich “nur” eine Zahl. Simpel gesagt, beschreibt man damit die Anzahl der Freiheitsgrade für die Bewegung in einem Raum. Man muss allerdings aufpassen, was die Wörter “Bewegung” und “Raum” in diesem Zusammenhang bedeuten.
Um es nicht allzu kompliziert zu machen, bleiben wir für den Anfang aber bei dem, was man normalerweise darunter versteht. Und denken uns den Raum vorerst mal als ganz normales Zimmer. Ich kann mich in diesem Zimmer in verschiedene Richtungen bewegen. Ich kann vor und zurück gehen; ich kann nach links oder rechts gehen und ich kann – wenn ich möchte – auch auf meinen Schreibtisch klettern oder gar mein Bücherregal. Wenn man das ganze genau betrachtet, dann gibt es aber nur drei fundamental unterschiedliche Richtungen. Wenn ich mir mein Zimmer als Würfel vorstelle, und ich mich genau an einer der Ecken befinde, dann kann ich von dort drei unterschiedlichen Kanten folgen, zwischen denen jeweils ein Winkel von 90 Grad besteht. Und eine beliebige Bewegung zu einer beliebigen Position innerhalb des Würfels kann ich immer aus unterschiedlichen Bewegungen parallel zu den drei Kanten zusammensetzen.
Das klingt kompliziert, ist aber simpel. Es ist genau das, was wir vom Alltag kennen. Man kann entweder vor oder zurück gehen; links oder rechts und rauf beziehungsweise runter. Das sind die drei fundamentalen Richtungen. Und weil es drei sind, sprechen wir von einem dreidimensionalen Raum. Ein zweidimensionaler Raum ist ebenso leicht vorstellbar. Hier gibt es nur zwei Richtungen, in die man sich bewegen kann. Wenn ich mit einem Bleistift auf einem Blatt Papier zeichne, dann kann ich meinen Strich entweder vor/zurück machen oder von links nach rechts (beziehungsweise eine Bewegung die aus diesen beiden Richtungen zusammengesetzt ist). Aber ich kann keinen Strich machen, der sich fünf Zentimeter über dem Papier befindet. Diese Richtung steht mir nicht zur Verfügung, weil das Blatt Papier zweidimensional ist und nicht dreidimensional.
Und ja, in der Realität ist das Papier natürlich schon dreidimensional. Es hat eine gewissen Dicke und die Spur die mein Bleistift hinterlässt befindet sich auf dem Papier, erstreckt sich also in einer dritten Dimension. Aber wir sprechen hier von einem mathematischen Idealfall und nicht der Realität.
Wenn wir noch eine Dimension weg nehmen, dann sind wir in einem eindimensionalen Raum. Beziehungsweise einer Linie. Hier gibt es jetzt nur noch eine Richtung die mir zur Verfügung steht. Ich kann mich nur vor und zurück entlang der Linie bewegen, andere Möglichkeiten existieren nicht. Und entferne ich noch eine Dimension, dann gibt es gar keine Richtung mehr. Ich bin, wo ich bin und komme nicht weg. Ein solcher nulldimensionaler Raum ist nichts anderes als ein Punkt.
Ganz vereinfacht gesagt entspricht die Dimension der Menge an Zahlen die ich benötige, um in einem Raum einwandfrei zu sagen, wo ich bin. Beim Punkt braucht man gar keine Zahl; es gibt nur eine Möglichkeit. Bei einer Linie muss ich eine Zahl angeben – zum Beispiel den Abstand vom Anfang der Linie – um genau zu wissen, wo ich mich befinde. In einer Ebene brauche ich zwei Zahlen und im normalen dreidimensionalen Raum benötigt man drei Koordinaten (die wir normalerweise als Länge, Breite und Höhe bezeichnen) um einen Ort eindeutig angeben zu können.
Das alles ist recht simpel. Und eine vierte Dimension ist nicht viel komplizierter. Einen vierdimensionalen Raum kriegen wir, wenn wir vier grundlegend unterschiedliche Richtungen der Bewegung haben. Das Problem ist hier allerdings, das wir uns so etwas nicht vorstellen können. Nehmen wir an, wir haben vier gerade Stöcke. Einen davon legen wir auf den Boden. Jetzt nehmen wir den zweiten und platzieren ihn so, dass er mit dem ersten genau einen rechten Winkel bildet. Kein Problem – wir müssen ihn vielleicht nur ein wenig festkleben, damit er nicht verrutscht. Den dritten Stock platzieren wir nun so, dass er sowohl mit dem ersten als auch dem zweiten Stock einen rechten Winkel bildet. Auch das ist keine schwierige Aufgabe. Wenn die ersten beide Stöcke auf dem Boden liegen, dann ragt der dritte einfach von dort gerade hinauf. Was aber, wenn wir nun den vierten Stock so platzieren sollen, dass er mit dem ersten, dem zweiten UND dem dritten jeweils einen rechten Winkel bildet? Das schaffen wir nicht. Es gibt keine passende Richtung mehr, in die wir ihn zeigen lassen können. Und so viel wir auch darüber nachdenken und so sehr wir uns anstrengen: Wir werden nicht in der Lage sein, uns so eine Richtung vorstellen zu können.
In der Mathematik dagegen ist das absolut kein Problem. Ein vierdimensionaler Raum ist einfach nur ein Raum, in dem man vier Zahlen benötigt um eine Position eindeutig anzugeben. In einem fünfdimensionalen Raum braucht man fünf Zahlen. Und so weiter. Dass wir uns solche Räume nicht anschaulich vorstellen können, hindert uns nicht daran, sie mathematisch zu beschreiben. Das funktioniert exakt so wie bei den vertrauten Räumen mit weniger Dimensionen. Wir können auch dort geometrische Objekte definieren. Eine Kugel zum Beispiel ist im dreidimensionalen Raum die Menge aller Punkte, deren Abstand von einem Mittelpunkt kleiner oder gleich einem vorgegebene Kugelradius ist. Und genau die gleiche Definition funktioniert auch für eine vierdimensionale Kugel. Nur das es hier eben Punkte in einem vierdimensionalen Raum sind. Ebenso kann ich siebzehn-dimensionale Kugel beschreiben oder fünfundzwanzig-dimensionale Würfel. Mathematisch kein Problem; vorstellen kann man sich das leider nicht. Wenn wir es probieren, dann wird es verwirrend.
Die Oberfläche einer dreidimensionalen Kugel ist zum Beispiel eine zweidimensionale Fläche. Wie zum Beispiel die Oberfläche der Erde. Die Oberfläche einer vierdimensionalen Kugel wäre dagegen dreidimensional und wie um Himmels Willen soll man sich das vorstellen? Da ist es besser, wir flüchten uns in die abstrakte Welt der Mathematik.
Denn ein “Raum” muss nicht unbedingt das sein, was wir im Alltag unter “Raum” verstehen. Also kein Raum im Sinne eines Zimmers, wie in dem Beispiel vorhin. Auch kein Raum im Sinne eines Orts oder des Weltraums. In der Mathematik wird dieser Begriff viel abstrakter verwendet. Schauen wir uns das ganze an einem Beispiel an. Ich gehe gerne laufen. Wenn ich laufe, dann tue ich das mit einer bestimmten Geschwindigkeit. Ich habe dabei einen bestimmten Puls. Ich habe einen bestimmte Körpertemperatur. Und eine bestimmte Schrittlänge. Das sind vier Zahlen. Diese vier Zahlen kann ich für jeden Zeitpunkt meines Laufs messen und aufschreiben.
Ich kann mir nun außerdem einen abstrakten vierdimensionalen Raum vorstellen. Beziehungsweise nicht vorstellen, aber mathematisch beschreiben. Eine “Richtung” in diesem Raum beschreibt die Geschwindigkeit. Bewege ich mich entlang dieser Richtung, dann steigt oder sinkt die Geschwindigkeit. Die zweite “Richtung” beschreibt den Puls. Die dritte die Körpertemperatur und die vierte die Schrittlänge. Wenn ich mir nun die vier Messwerte für den ersten Zeitpunkt ansehe, dann kann ich damit einen ganz bestimmten Punkt innerhalb des vierdimensionalen Raums markieren. Mit den vier Messwerten für den zweiten Zeitpunkt einen zweiten Punkt im Raum. Und so weiter. Ich kann meinen Lauf als Abfolge von Punkten in einem vierdimensionalen Raum darstellen; das ist mathematisch überhaupt kein Problem. Ich kann der Kurve durch den vierdimensionalen Raum folgen und schauen, wie sich meine Messwerte im Laufe der Zeit verändert haben.
Das gleiche geht mit fünf, sechs oder beliebig vielen Dimensionen. Und genau hier tauchen die höheren Dimensionen auch in der Astronomie auf. Ich habe früher schon mal – in Folge 93 der Sternengeschichten – das Konzept des “Phasenraums” erklärt. Und die abstrakten Räume von denen ich gerade gesprochen habe, sind nichts anderes als das. Es sind Räume, die bestimmte dynamische Systeme beschreiben. Im Fall von meinem Beispiel war das dynamische System ich, wie ich durch die Gegend jogge. Aber genau so gut kann es ein Planet sein, der die Sonne umkreist. Wenn ich den Zustand der Bewegung des Planeten beschreiben will, dann komme ich mit drei Zahlen nicht aus. Damit kann ich zwar seine Position im realen dreidimensionalen Raum beschreiben. Aber die Position allein sagt mir nichts über die Bewegung aus. Ich muss auch wissen, mit welcher Geschwindigkeit sich der Planet gerade in jede der drei Raumrichtungen bewegt. Insgesamt benötige ich also sechs Zahlen, wenn ich den dynamischen Zustand erfassen will. Und wenn ich nicht nur einen Planeten habe, sondern an der Dynamik eines Systems aus zwei Planeten interessiert bin, brauche ich zwölf Zahlen, um dieses System zu beschreiben: Drei Koordinaten für den Ort des ersten Planeten, drei für den Ort des zweiten und nochmal jeweils drei für ihre Geschwindigkeiten. Ich habe dann also einen zwölfdimensionalen Phasenraum und kann für jeden Zeitpunkt einen Punkt in diesem Raum markieren, der mir genau Auskunft darüber gibt, wo sich jeder der beiden Planeten befindet und wie schnell sie sich bewegen. Und habe ich nicht zwei Planeten sondern eine Galaxie mit einer Milliarde Sterne, dann hat mein Phasenraum eben sechs Milliarden Dimensionen.
Mathematisch gesehen ist die vierte Dimension also nicht weiter außergewöhnlich. Sie unterscheidet sich nicht von der dritten Dimension oder der achten oder der 275ten Dimension. Es ist einfach nur eine Zahl.
“Aber was ist denn mit der Zeit?” wird sich jetzt sicher der eine oder die andere schon die ganze Zeit gefragt haben. Ist denn nicht die Zeit die vierte Dimension? War das nicht das, was Albert Einstein herausgefunden hat? Das es nicht nur drei Dimensionen gibt, sondern eine vierdimensionale Raumzeit? Jawohl, das hat er herausgefunden. Aber, und ich hoffe das in dieser Folge klar gemacht zu haben, das Wort “Dimension” kann eben sehr viel mehr bedeuten. Die Sache mit der Zeit und der vierten Dimension ist nur ein physikalischer Spezialfall. Aber natürlich ein sehr interessanter und sehr relevanter Spezialfall. Über den ihr deswegen in der nächsten Folge der Sternengeschichten sehr viel mehr erfahren werdet.
Kommentare (38)