Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 268: Die vierdimensionale Raumzeit
In der letzten Folge der Sternengeschichten habe ich von der vierten Dimension erzählt. Ich habe erklärt, dass das Wort “Dimension” deutlich weniger mysteriös ist, als man das vermutet. Eine “Dimension” hat in der Wissenschaft nichts mit geheimnisvollen Orten oder ähnlichen Phänomenen zu tun. Eine Dimension ist erst einmal nichts anderes als eine Zahl. In der letzten Folge habe ich mich mit abstrakten mathematischen Räumen beschäftigt, die im Prinzip beliebig viele Dimensionen haben können – je nachdem was man damit beschreiben will. In diesem Zusammenhang ist eine vierte Dimension nicht anders als eine dritte Dimension oder meinetwegen eine zweiundfünfzigste Dimension.
Heute möchte ich aber von den abstrakten Räumen weg und hin zum realen physikalischen Raum. Der Raum, in dem wir leben; das echte Universum also. Unter “Dimension” verstehen wir in diesem Zusammenhang vor allem eine “Richtung”. Keine Richtung im alltäglichen Sinn – also nichts wie “Dort rüber und dann fünf Meter die Straße lang” oder so. Es geht um grundsätzlich unterschiedliche Richtungen und davon haben wir genau drei Stück. Wir nennen sie normalerweise “vor/zurück”, “links/rechts” und “hoch/runter”. Nehmt eure Hand, streckt den Daumen nach oben, den Zeigefinger nach vorne und den Mittelfinger zur Seite: Das sind die drei grundlegenden Richtungen die die drei Dimensionen des Raums darstellen.
Wenn ihr euch eure Finger anseht, dann werdet ihr sehen, dass jeder Finger in einem Winkel von 90 Grad zu jedem anderen Finger steht. Wenn ihr in Richtung einer vierten Dimension zeigen wollt, dann müsstet ihr den vierten Finger so orientieren, dass er einen Winkel von 90 Grad zu allen drei anderen Finger einnimmt. Das ist nicht möglich. Wir können uns auch nicht vorstellen, wie so eine Richtung aussehen sollte. Wir haben auch noch nie irgendwo so eine Richtung gesehen. Das legt ziemlich deutlich nahe, dass so eine vierte Richtung nicht existiert. Der Raum in dem wir leben hat nur drei Dimensionen!
Schauen jetzt auf das, was man ebenfalls oft mit der vierten Dimension verbindet: Die Zeit! Wie ist das denn mit der “Raumzeit” die Albert Einstein im Rahmen seiner Relativitätstheorie entwickelt hat? “Die Raumzeit ist vierdimensional”, heißt es da ja, und eine der vier Dimensionen ist die Zeit. Aber wie hat man sich das vorzustellen und was bedeutet das?
Es ist ja eigentlich keine große Erkenntnis, wenn man feststellt, dass Raum und Zeit irgendwie zusammengehören. Wir befinden uns immer irgendwo im Raum und das immer zu einem gewissen Zeitpunkt. Aber vor Einstein ging man im Wesentlichen davon aus, dass der Raum und die Zeit beide nur eine Art von Bühne für die Vorgänge im Universum sind. Der Raum ist der Raum und die Zeit ist die Zeit. Der Raum hat drei Dimensionen und ist halt da und in ihm passieren Sachen. Und die Zeit vergeht.
Albert Einstein hat diese Ansicht radikal verändert. Es ist natürlich absolut nicht möglich, die gesamte Relativitätstheorie kurz in einer Folge der Sternengeschichten zu erklären. Dazu bräuchte es mindestens eine ganze Serie von Folgen und vielleicht mache ich die irgendwann auch einmal. Für heute reicht aber nur ein sehr grober Überblick. Eine der zentralen Erkenntnisse von Albert Einstein war die Feststellung, dass sich das Licht immer gleich schnell bewegt, egal wer diese Geschwindigkeit misst. Das widerspricht dem, was wir im Alltag erleben. Wenn ich in einem fahrenden Auto sitze und einen Ball zum Beispiel mit einer Geschwindigkeit von 5 Kilometer pro Stunde in Fahrtrichtung werfe, dann sehe ich, wie sich der Ball mit eben diesen 5 Kilometern pro Stunde von mir entfernt. Eine Person, die am Straßenrand steht, sieht aber wie sich der Ball mit den 5 km/h PLUS die 100 km/h mit denen das Auto unterwegs ist entfernt. Zwei Personen messen eine unterschiedliche Geschwindigkeit des Balls, weil sie selbst sich unterschiedlich schnell bewegen. Beim Licht ist das anders. Hätte ich statt des Balls eine Lampe eingeschaltet, dann würde ich vom Auto aus exakt die gleiche Geschwindigkeit des Lichts messen wie die Person, die sich am Straßenrand befindet.
Wenn sich der Wert der Lichtgeschwindigkeit nicht ändert, dann muss sich etwas anderes verändern. Und das, so Einstein, ist das was wir als “Raum” und “Zeit” verstehen. Das ist ja auch irgendwie logisch: Eine Geschwindigkeit ist definiert als eine Längeneinheit pro Zeiteinheit. Zum Beispiel Kilometer pro Stunde. Wenn jetzt aber beide Beobachter den gleichen Zahlenwert für die Lichtgeschwindigkeit messen, obwohl sie sich selbst unterschiedlich schnell bewegen, dann müssen sie auch unterschiedliche Vorstellungen von dem haben, was sie unter “Kilometer” und “Stunde” verstehen. Nur wenn das, was ich unter “Kilometer” und “Stunde” verstehe, sich von dem unterscheidet was die Person am Straßenrand unter “Kilometer” und “Stunde” versteht, können wir trotzdem beide am Ende den exakt gleichen Wert für die Lichtgeschwindigkeit messen.
Oder anders gesagt: Wie wir den Raum und die Zeit erleben hängt davon ab, wie schnell wir uns bewegen. Das ist, in sehr vereinfachter Form, die grundlegende Erkenntnis von Albert Einstein. Raum und Zeit sind eben NICHT absolut und unabhängig von den Ereignissen, die im Raum und der Zeit passieren. Vor allem hängen Raum und Zeit zusammen. Diesen Zusammenhang hat Einstein als “Raumzeit” bezeichnet. Wir bewegen uns nicht durch den Raum und unabhängig davon auch noch durch die Zeit, sondern wir bewegen uns durch die Raumzeit und, wieder sehr vereinfacht gesagt, nur diese Bewegung ist konstant. Je schneller wir uns durch den Raum bewegen, desto langsamer bewegen wir uns durch die Zeit!
Das klingt seltsam, man kann es sich aber leicht vorstellen, wenn man die Zeit kurz ignoriert und sich nur auf den Raum konzentriert. Stellt euch einen große, leeren Parkplatz vor. Wir stehen am südlichen Ende und wollen zur anderen Seite im Norden. Wir könnten jetzt zum Beispiel schräg hinüber gehen, und bewegen uns dabei mit jedem Schritt sowohl nach Norden als auch nach Osten. Wir können unsere Bewegung unter zwei Gesichtspunkten betrachten: Die Geschwindigkeit, mit der wir uns Richtung Osten bewegen und die Geschwindigkeit mit der wir uns Richtung Norden bewegen. Wenn wir einer wirklich exakt schräg verlaufenden Linie folgen, von der südostlichen Ecke zur nordwestlichen Ecke des Platzes, dann sind die Geschwindigkeiten gleich. Wir bewegen uns genau so schnell nach Norden wie wir uns nach Osten bewegen.
Wir könnten aber auch einen geraderen Weg einschlagen. Von der südwestlichen Ecke zur nordwestlichen Ecke des Parkplatzes. Jetzt bewegen wir uns NUR in Richtung Norden. Die Geschwindigkeit in der wir uns Richtung Norden bewegen ist größer als im vorherigen Beispiel, die Geschwindigkeit Richtung Osten ist gleich Null. Anders gesagt: Je schneller wir uns nach Norden bewegen, desto langsamer bewegen wir uns nach Osten.
So ist es auch mit der Bewegung durch die Raumzeit. Je schneller wir uns durch den Raum bewegen, desto langsamer bewegen wir uns durch die Zeit. Wenn wir einfach nur still an einem Ort verharren, vergeht für uns ja immer noch die Zeit. Wir “bewegen” uns durch die Zeit, auch wenn wir unsere räumliche Position nicht verändern. Wenn wir das aber tun, also zum Beispiel schnell mit dem Auto fahren oder einer Rakete durchs All fliegen, dann wird die Geschwindigkeit mit der wir uns durch die Zeit bewegen, langsamer. Anders gesagt: Die Zeit vergeht aus unserer Sicht langsamer. Das ist es, was Einstein meint, wenn er sagt, dass bewegte Uhren langsamer laufen als ruhende. Das ist nicht einfach nur eine Hypothese, das ist experimentell nachgewiesen worden. Zum Beispiel durch das “Hafele-Keating-Experiment” im Jahr 1971, als man eine Atomuhr mit einem Flugzeug durch die Gegend flog und mit einer am Boden ruhenden Atomuhr verglich. So wie Einstein vorhergesagt hatte, zeigten beide Uhren danach leicht unterschiedliche Uhrzeiten an. Den Effekt der unterschiedlich vergehenden Zeit sehen wir aber auch überall in der Natur, bei den Eigenschaften von Elementarteilchen, und so weiter.
Zurück zur vierten Dimension: Das, was ich eben über die Raumzeit gesagt habe, wird mathematisch mit einem abstrakten vierdimensionalen Raum beschrieben. Drei der Dimensionen dieses Raums entsprechen den drei normalen Dimensionen des normalen Raums den wir aus dem Alltag kennen. Die vierte Dimension ist die Zeit. Dieser vierdimensionale Raum wird “Minkowski-Raum” oder eben “Raumzeit” genannt. Ein Punkt in diesem Raum wird durch vier Koordinaten angeben: drei Raumkoordinaten und eine Zeitkoordinate und so ein vierdimensionaler Punkt wird “Ereignis” genannt.
In einem normalen, dreidimensionalen Raum kann man leicht Abstände zwischen zwei Punkten messen. Wenn ich wissen will, wie weit zum Beispiel der Knauf der Schublade meines Schreibtischs vom Griff der Zimmertür entfernt ist, muss ich einfach nur ein Maßband nehmen und entsprechend messen. Ich kann auch “Abstände” zwischen Zeitpunkten messen. Der Abstand zwischen dem Punkt, an dem ich heute morgen aufgestanden bin und dem Punkt, an dem ich angefangen habe, diesen Podcast aufzunehmen, beträgt vier Stunden. Das Prinzip ist das gleiche, nur sind wir es gewohnt, das in diesem Fall nicht “Abstand” zu nennen, sondern “Dauer”.
Mathematisch gesehen ist es kein Problem, Abstände auch in Räumen mit mehr als drei Dimensionen zu messen. Eine Funktion, die das tut, wird “Metrik” genannt beziehungsweise im Fall der Relativitätstheorie “Metrischer Tensor” – aber auf diese Details will ich gar nicht eingehen. Man kann auf jeden Fall auch für die vierdimensionale Raumzeit eine Funktion definieren, mit der sich Abstände zwischen den vierdimensionalen Punkten dieses abstrakten Raums messen lassen. Dieser verallgemeinerte Abstandsbegriff wird “Eigenzeit” genannt (eine vielleicht etwas verwirrende Bezeichnung, aber das lässt sich jetzt nicht mehr ändern). Man kann also zwei Ereignisse in der Raumzeit betrachten, jedes davon beschrieben durch einen vierdimensionalen Punkt mit drei Raum- und einer Zeitkoordinate und über die Eigenzeit den Abstand zwischen diesen beiden Ereignissen berechnen. So wie vorhin beim Beispiel mit der Bewegung nach Norden oder nach Osten am Parkplatz, kann man auch bei diesem Abstand in der Raumzeit einen Teil als räumlichen Abstand und einen Teil als zeitlichen Abstand auffassen. Welcher Anteil aber wie groß ist, hängt davon ab, wie schnell sich der Beobachter bewegt, der die Ereignisse aufzeichnet.
Die Raumzeit besteht also aus vier Dimensionen. Die Zeit ist die vierte Dimension in diesem Raum – aber das heißt nicht, dass sie eine “Richtung” ist, vergleichbar mit den drei Richtungen die wir aus dem normalen Raum kennen. Einsteins Idee der vierdimensionalen Raumzeit beschreibt einen abstrakten, mathematischen Raum. Es handelt sich um eine mathematisch einheitliche Darstellung dessen, was in Raum und Zeit passiert und diese mathematische Beschreibung funktioniert, wenn man die Phänomene in einem abstrakten, vierdimensionalen Minkowski-Raum betrachtet. Das bedeutet nicht, dass das Universum tatsächlich räumlich vierdimensional ist. Der Minkowski-Raum ist nicht mit dem Universum identisch sondern eine mathematische Methode das Universum zu beschreiben. Die Zeit ist keine neue “Richtung”; die vierte Dimension auch bei Albert Einstein kein mysteriöser Ort oder ähnliches.
Das bedeutet aber nicht, dass unser Universum nicht vielleicht doch auch abseits mathematischer Beschreibung mehr als nur die drei Dimensionen besitzt, die wir kennen. Vielleicht gibt es tatsächlich noch andere “Richtungen” – aber was es damit auf sich haben könnte, erfahrt ihr in der nächsten Folge der Sternengeschichten.
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