“[Um einen] Apfelkuchen von Grund auf selber zu machen, müssten wir erst das Universum erfinden.” Das hat der Astronom Carl Sagan gesagt und er hat damit völlig Recht. So ein Apfelkuchen ist schnell gegessen, aber es hat ein paar Milliarden Jahre gebraucht, bis er fertig war. Und zwar nicht, weil es sich um ein wirklich kompliziertes Rezept handelt. Oder eigentlich genau deswegen, weil es sich um ein kompliziertes Rezept handelt! Was braucht man für Apfelkuchen? Äpfel, Eier, Zucker, Milch, Öl, Backpulver und Mehl, wenn man dieser Anleitung folgt. Aber was braucht man wirklich? Zucker besteht aus 12 Kohlenstoffatomen, 22 Wasserstoffatomen und 11 Sauerstoffatomen (bzw. besteht die Grundstruktur eines Zuckers aus diesen 45 Atomen; zum Backen braucht man natürlich ein paar mehr). Backpulver ist eine Mischung aus Natriumhydrogencarbonat (NaHCO3), Weinsäure (C4H6O6) und ein bisschen anderem Kram. Im Apfel findet man Zeug, das Ethyl-2-methylbutyrat, Ethylbutyrat, 2-Methylbutylacetat, Butylacetat oder Hexylacetat heißt. Und mit Eiern und Milch fang ich gar nicht erst an. Kurz gesagt: Es braucht jede Menge verschiedene Atome die sich zu jeder Menge komplexer Moleküle zusammenschließen müssen, wenn man einen Apfelkuchen machen will.
Das “Rezept” dafür will ich jetzt allerdings nicht in voller Länge aufschreiben. Wir müssten, wie Carl Sagen so richtig gesagt hat, mit dem Universum anfangen. Mit der Entstehung der ersten Elemente (Wasserstoff und Helium) und den komplexen Prozessen im Inneren der ersten Sterne, die daraus die weiteren Elemente erzeugt haben. Mit dem Tod dieser Sterne, bei dem diese Elemente im Universum verteilt wurden. Der Geburt neuer Sterne und neuer Planeten, die aus diesen neuen Elementen bestehen und der Entstehung von Leben aus diesen Elementen, das irgendwann Lust auf Apfelkuchen bekommt. Oder herausfinden will, wie das mit dieser ganzen komplexen Chemie eigentlich funktioniert.
Das wollten auf jeden Fall Marta Sewiło vom Goddard Space Flight Center der NASA und ihre Kollegen. Sie haben kürzlich sogenannte “Komplexe Organische Moleküle” in der großen Magellanschen Wolke nachgewiesen (“The Detection of Hot Cores and Complex Organic Molecules in the Large Magellanic Cloud”. Komplexe Organische Moleküle oder kurz COMs wird alles genannt, was aus mindestens sechs Atomen besteht und Kohlenstoff enthält. Wir wissen schon länger, dass man solche COMs an vielen Orten im Universum finden kann. Zum Beispiel auf Kometen oder in den Scheiben aus Gas und Staub um junge Sterne in denen Planeten entstehen.
Man ging aber bisher davon aus, dass man die COMs nur in großen, ausgewachsenen Galaxien wie unserer Milchstraße finden kann. Nur hier gibt es genug junge Sterne, die ausreichend viele Metalle herstellen. Und wenn ich “Metalle” sage, dann meine ich damit das, was Astronomen mit diesem Begriff meinen: Alle chemischen Elemente außer Wasserstoff und Helium. Wasserstoff und Helium gab es direkt nach dem Urknall, aber sonst nichts. Der ganze Rest musste erst durch die Kernfusion im Inneren der ersten Generation der Sterne entstehen. Die zweite Generation an Sternen enthielt dann schon ein wenig der neu geschaffenen Elemente und die dritte Generation noch mehr (die Menge an Metallen und damit die Generation wird in der Astronomie mit der “Metallizität” gemessen; dem prozentualen Anteil an Elementen in einem Stern, die kein Wasserstoff und kein Helium sind). Unsere Sonne gehört zur dritten Generation der Sterne und in der Milchstraße gibt es jede Menge solcher Sterne.
Es gibt daher auch jede Menge Möglichkeiten für die Elemente, sich zu komplexen Molekülen zu verbinden. In den großen Staubscheiben können sie sich an Staubkörner anlagern und verbinden. Gleiches gilt für die Brocken aus gefrorenem Gas, die man um junge Sterne herum findet. Oder in den äußeren Atmosphärenschichten großer, sich am Ende ihres Lebens aufblähenden Riesensterne. In Zwerggalaxien ist das dagegen anders. Hier gibt es viel weniger Sterne; viel weniger Dynamik und auch viel weniger neue Sterne der jüngeren Generation. Zu wenig, um große Mengen an COMs zu erzeugen jedenfalls. Dachte man.
Sewiło und ihre Kollegen haben nun aber das ALMA-Teleskop benutzt und sich ein paar spezielle Regionen in der großen Magellanschen Wolke angesehen. Das ist eine Zwerggalaxie in der unmittelbaren Nachbarschaft der Milchstraße und ALMA ist ein Teleskop mit dem man Radio- und Mikrowellenstrahlung detektieren kann. Das ist praktisch, denn genau diese Strahlung geben komplexe organische Moleküle ab (und warum sie das tun, habe ich hier ausführlich erklärt). Mit ALMA haben sie in Richtung N113 geschaut, eine Sternentstehungsregion in der großen Magellanschen Wolke und dort Ameisensäuremethylester (C2H4O2) und Dimethylether (C2H6O) entdeckt!
Es war das erste Mal, dass man so komplexe Moleküle so weit entfernt von der Erde nachweisen konnte. Und in der großen Magellanschen Wolke hat man nicht unbedingt damit gerechnet. Die Zwerggalaxie ähnelt mit ihren wenigen Sternen geringer Metallizität eher den ganz frühen Galaxien, die kurz nach dem Urknall selbst entstanden sind. Galaxien, die man zu jung für so komplexe Chemie hielt. Aber anscheinend gibt es auch hier ausreichend Möglichkeiten für Atome, sich zu komplexen Molekülen zu verbinden (auch wenn Sewiło und ihre Kollegen in ihrer Arbeit schreiben, dass sie noch nicht wissen, welchen Weg die Moleküle hier genau gefunden haben). Das ist interessant. Denn wenn man aus der großen Magellanschen Wolke wirklich Rückschlüsse auf die Vorgänge in den ersten Galaxien ziehen kann, dann heißt das, dass auch die chemisch viel komplexer waren als man bisher dachte. Mit potentiell weitreichenden Folgen!
Bei Artikeln über COMs muss man nämlich immer irgendwo erwähnen, dass es sich dabei um die Bausteine des Lebens handelt! Also keine Lebewesen an sich, aber genau die ganzen Chemikalien die man braucht, wenn irgendwo Leben entstehen soll. Und wenn es dieses Zeug auch schon in den frühen Galaxien gab, könnte sich dort auch schon sehr früh Leben gebildet haben. Mit Ameisensäuremethylester und Dimethylether wird man zwar eher keinen Apfelkuchen backen können – das eine wird u.a. als Insektizid eingesetzt und das andere als Kraftstoff für Verbrennungsmotoren. Aber erstens weiß ja niemand, was kulinarisch in der großen Magellanschen Wolke gerade angesagt ist. Und zweitens ist es immer noch ein weiter Weg und ein kompliziertes Rezept, um von C2H4O2 und C2H6O zu einem fertigen Apfelkuchen zu kommen!
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