In meiner Serie über die wissenschaftliche Arbeit von Stephen Hawking ging es bisher schon um den Anfang des Universums, die Thermodynamik schwarzer Löcher und die berühmte Hawking-Strahlung. Die letzten beiden Themen hängen auch direkt mit einer großen ungelösten Frage zusammen, zu der Hawking und seine Kollegen sich Jahrzehnte lang gestritten haben. Es geht um das “Informationsparadoxon schwarzer Löcher”.
Das, was ein schwarzes Loch auszeichnet, ist sein Ereignishorizont. Hinter dieser Grenze ist die Anziehungskraft so groß, dass man schneller als das Licht sein müsste, um sich vom schwarzen Loch entfernen zu können. Das aber ist unmöglich, also kann nichts aus dem Bereich hinter dem Ereignishorizont entkommen. Auch kein Licht, weswegen das Loch schwarz ist. Das führt zu einem großen Problem. Ein schwarzes Loch scheint in der Lage zu sein, Informationen zu zerstören.
Stellen wir uns vor, ich würde eines meiner Bücher verbrennen. Dann habe ich nur einen Haufen Asche und die Information die sich in dem Buch befand, ist verloren. Das ist praktisch zwar richtig; theoretisch aber nicht ganz. Denn ich könnte im Prinzip aufzeichnen, wie sich all die einzelnen Asche- und Rauchteilchen bewegt haben; den Prozess dann umkehren und so aus der Asche wieder das ursprüngliche Buch erzeugen. Wie gesagt: In der Praxis funktioniert das nicht, aber die bekannten Gesetze der Physik sind alle zumindest im Prinzip reversibel. Die Information in meinem Buch wurde zwar massiv verändert, aber nicht zerstört.
Das gilt auch für die Quantenmechanik. Die ist zwar voll mit “Unbestimmtheiten”, aber trotzdem deterministisch. Das heißt: Hat man eine Wellenfunktion (mit diesen mathematischen Objekten beschreibt man Dinge in der Quantenmechanik), dann ist der zukünftige Zustand der Wellenfunktion durch den gegenwärtigen Zustand bestimmt. Und man kann die mathematische Operation mit der man die zukünftige Entwicklung der Wellenfunktion berechnet auch wieder umkehren. Zusammen folgt daraus genau das, was ich vorhin mit dem verbrannten Buch erklärt habe: Information kann nicht zerstört werden.
Was aber, wenn ich mein Buch in ein schwarzes Loch werfe? Dann verschwindet es hinter dem Ereignishorizont und kommt von dort nie mehr zurück. Diese Entwicklung lässt sich nicht mehr umkehren. Die Information ist jetzt tatsächlich verschwunden und das widerspricht dem gesamten Fundament der Quantenmechanik.
Aber was ist mit der Hawking-Strahlung? Die war ja Hawkings berühmteste Entdeckung: Auch schwarze Löcher können Strahlung abgeben und lösen sich, wenn auch nur sehr, sehr langsam, auf. Wenn das schwarze Löcher also nach unvorstellbarer langer Zeit verdampft ist: Kommt dann mein Buch wieder zum Vorschein? Aber “wo” soll es denn auftauchen? Wenn das schwarze Loch strahlt, dann sollte es auch zerstrahlen. Am Ende ist dann also das schwarze Loch weg. Und damit die Information.
Wir wissen, dass der Ereignishorizont eines schwarzen Lochs nicht einfach nur ein “Vorhang” ist, der irgendwann gelüftet wird und alles dahinter wieder so freigibt, wie es ursprünglich war. Er existiert, weil sich dahinter eine extrem verformte Region der Raumzeit befindet (wäre das nicht so, gäbe es auch keinen Ereignishorizont). Die Materie aus der das schwarze Loch besteht, muss so enorm stark komprimiert worden sein, dass sie quasi nur noch ein unvorstellbar dichter “Punkt” aus Materie ist. Mein Buch wird in sämtliche Bestandteile aufgespalten und Teil dieses extremen Zustands der Materie. Aber vielleicht gibt es eine Möglichkeit, es wieder zu rekonstruieren – so wie beim Verbrennen, in dem man “einfach” die Information der Bewegung von Rauch und Asche folgt? Denn da ist ja noch die Hawking-Strahlung. Ist sie der “Rauch”, dessen Information man benutzen kann, um die hinter dem schwarzen Loch verlorene Information wieder zu gewinnen? Oder bleibt da am Ende nach dem Verdampfen des Lochs doch irgendwas übrig, dass die Information enthält?
Nein, sagt Stephen Hawking. Denn da gibt es ja noch das “Keine-Haare-Theorem” (von dem ich vorgestern schon gesprochen habe). Das besagt, das schwarze Löcher keine Eigenschaften haben. Es gibt nur drei Parameter, die sie vollständig beschreiben: Ihre Masse, ihre elektrische Ladung und ihr Drehimpuls. Egal wie die Materie ursprünglich beschaffen war, aus der das schwarze Loch entstanden ist; am Ende bleibt ein Ding mit genau diesen drei Eigenschaften übrig und nicht mehr. Deswegen muss auch die Hawking-Strahlung rein thermisch sein, also komplett unabhängig vom Material, das hinter den Ereignishorizont fällt. Selbst wenn es technisch möglich wäre, die Hawking-Strahlung schwarzer Löcher zu beobachten, würden wir da keine Information finden, die etwas mit dem verlorenen Buch zu tun hat.
Stephen Hawking war davon überzeugt, dass schwarze Löcher tatsächlich Quanteninformationen zerstören können. Andere Physiker waren anderer Meinung, zum Beispiel Leonard Susskind und Gerard ‘t Hooft (von Susskind gibt es sogar ein Buch über diesen – wissenschaftlichen! – Streit: “Der Krieg um das Schwarze Loch: Wie ich mit Stephen Hawking um die Rettung der Quantenmechanik rang”*). Eine der favorisierten Auflösungen dieses “Informationsparadoxons” trägt den schönen Namen anti-de Sitter/conformal field theory correspondence oder kurz AdS/CFT correspondence. Zu erklären, was das genau ist, würde definitiv zu weit führen. Ganz kurz gesagt geht es dabei um eine Entsprechung zweier physikalischer Theorien. Einerseits einer Quantenfeldtheorie, also die Art von Theorie mit der wir aktuell Elementarteilchen und Kräfte zwischen den Teilchen beschreiben; andererseits Theorien die aus Hypothesen zu einer Vereinigung von Quantenmechanik und Relativitätstheorie stammen. Zwischen diesen beiden Beschreibungen der Welt scheint es Ähnlichkeiten zu geben und wenn beide Ansätze tatsächlich einander entsprechen, kann man daraus auch Aussagen über den etwaigen Informationsverlust in schwarzen Löchern machen. Dann folgt daraus zum Beispiel, dass die Hawking-Strahlung eben nicht exakt gleichförmig ist, sondern minimale “Quantenschwankungen” aufweist, mit denen man die Informationen über das hinter dem Ereignishorizont verschwundene Material rekonstruieren kann.
Hawking selbst hat sich ebenfalls mit dieser AdS/CFT correspondence beschäftigt und kam im Juli 2004 zu dem Schluss, dass Information in schwarzen Löchern nicht vollständig zerstört wird (wodurch er einige Wetten mit Kollegen verlor, die er zuvor zu diesem Thema abgeschlossen hatte). Aber beendet ist die Sache mit dem Informationsparadox deswegen noch lang nicht! Es gibt immer noch keine Theorie, die uns eindeutig sagt, was mit Informationen passiert, die hinter einem Ereignishorizont verschwindet. Die kann es erst geben, wenn wir auch eine Theorie haben, mit der wir ein schwarzes Loch vernünftig beschreiben können. Und zwar das schwarze Loch selbst, also das “Etwas” hinter dem Ereignishorizont. Das können wir nicht, denn dazu braucht es erst einmal eine Theorie der Quantengravitation; also eine Vereinigung von Quantenmechanik und Relativitätstheorie.
Hypothesen über das Schicksal verlorener Information gibt es dagegen jede Menge. Vielleicht wird ja Information doch einfach zerstört? Nur weil wir Erhaltungssätze so gerne mögen, muss das Universum sich ja nicht unbedingt daran halten. Oder vielleicht bleibt nach Auflösung des schwarzen Lochs ein seltsames Quantenobjekt übrig, das extrem viel Information gespeichert hat? Oder die Information landet einfach in einem Paralleluniversum? Und so weiter – die theoretische Physik hat im Laufe der Zeit jede Menge Vorschläge hervorgebracht, um das Informationsparadoxon zu lösen. Und wird das vermutlich noch einige Zeit lang tun. Dieses Vermächtnis von Stephen Hawking wird uns ziemlich sicher noch sehr lange beschäftigen…
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