Würden wir 4,5 Milliarden Jahren in die Vergangenheit reisen, würden wir unser Sonnensystem kaum wieder erkennen. Die gerade erst entstandene Sonne ist von eben so jungen Planeten umgeben. Wir sehen zwei große Gasplaneten, die uns an Jupiter und Saturn erinnern. Weiter draußen im Sonnensystem ziehen zwei oder drei weitere, aber kleinere Gasplaneten ihre Runden und es ist noch unklar, welche beiden davon wir später als Uranus und Neptun bezeichnen werden und welcher Planet durch das Chaos der Gravitationskräfte aus dem Sonnensystem geschleudert wird. Näher an der Sonne finden wir kleinere, felsigere Planeten. Aber dort gibt es noch keinen Merkur, keine Venus, keinen Mars und keine Erde. Es gibt ein paar Dutzend größere und kleinere Himmelskörper, die einander immer wieder in die Quere kommen. Sie kollidieren miteinander; zerstören sich gegenseitig; werfen einander aus dem Sonnensystem; stürzen in die Sonne oder verschmelzen bei den Zusammenstößen zu größeren Objekten. Erst nach ein paar Millionen Jahren hat sich alles so weit beruhigt, dass nur noch die acht uns heute vertrauten Planeten in ihrer (fast) endgültigen Form die Sonne umkreisen.
Dieses Szenario entstammt den Computersimulationen, die wir zur Entstehung des Sonnensystems gemacht haben. Aber Simulationen sind das eine – die Realität ist etwas anderes. Wie können wir wirklich herausfinden, was damals passiert und wie das Sonnensystem zur Zeit seiner Entstehung ausgesehen hat? Denn wir haben ja keine Zeitmaschine. Dafür haben wir etwas, was fast so gut ist: Material, das aus genau dieser Zeit der chaotischen Kindheit der Planeten stammt. Es sind die Asteroiden beziehungsweise die Meteoriten (wie Asteroiden genannt werden, sobald sie auf die Erde gefallen sind). Wenn wir also etwas über die Vergangenheit lernen wollen, müssen wir diese faszinierenden Objekte untersuchen.
Und genau das tun die Forscherinnen und Forscher auch. Zum Beispiel Farhang Nabiei von der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne in der Schweiz und seine Kollegen. Sie haben einen ganz besonderen Meteoriten untersucht. “Almahata Sitta”, wie das Objekt nach seinem Fundort im Ostteil der Sahara genannt wird, ist der einzige Meteorit, dessen Einschlag auf der Erde wir nicht nur beobachtet sondern auch vorhergesagt haben. Am 7. Oktober 2008 ist der knapp vier Meter große Asteroid 2008 TC3 mit unserem Planeten kollidiert, genau so wie man es kurz nach seiner Entdeckung aufgrund von Bahnberechnungen voraus gesagt hatte (Ich habe damals in meinem Blog darüber berichtet). Ein kleines Stück dieses ehemaligen Asteroiden haben Nabiei und seine Kollegen untersucht und dabei eine faszinierende Entdeckung gemacht (“A large planetary body inferred from diamond inclusions in a ureilite meteorite”).
Im Material des Meteoriten fanden die Forscher Diamanten. Das ist aber noch nicht die eigentliche Entdeckung. Das ist normal für einen “Ureilit”, wie diese spezielle Art der Gesteinsmeteorite genannt wird. Sie bestehen aus Silikatgestein; haben aber einen hohen Anteil an Kohlenstoff, der dort in Form von Graphit und winzigen, nur ein paar Mikrometer großen Diamanten zu finden ist. Diamanten entstehen aber nicht einfach so aus dem Nichts. Um schnöden Kohlenstoff in die spezielle Kristallform zu bringen, die wir “Diamant” nennen, braucht es spezielle Bedingungen. Enorm hohen Druck zum Beispiel, wie er bei Kollisionen zwischen Himmelskörpern entsteht. Aber, und das zeigen die Untersuchungen von Nabiei und seinen Kollegen, dafür sind die Diamanten in Almahata Sitta zu groß. Sie müssen durch einen anderen Prozess entstanden sein. Und der hat mit dem planetaren Chaos der Entstehung unseres Sonnensystems zu tun.
Diamanten können auch im Inneren von Planeten entstehen, dort wo der Druck der Gesteinsmassen groß genug ist. So entstanden auch die Diamanten, die wir hier auf der Erde aus dem Untergrund buddeln. Den genauen Analyse-Prozess, den Nabiei und seine Kollegen bei Almahata Sitta durchgeführt haben, werde ich jetzt nicht erklären (da kommen Begriffe wie “Ca–Fe–Na phosphate inclusions”, “stoichiometric bulk chemical composition” oder “graphitized twins” vor). Im Wesentlichen geht es um eine elektronenmikroskopische Untersuchung der winzigen Diamanten und dem Material, in das sie eingebettet sind bzw. dem Material das sich zwischen den Diamanten befindet. Daraus lassen sich die Bedingungen ableiten, die während ihrer Entstehung geherrscht haben. So konnten Nabiei nicht nur eine Entstehung durch Kollisionen ausschließen, sondern auch einen Prozesse, bei dem sich gasförmiger Kohlenstoff langsam ablagert. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Diamanten in einer Umgebung entstanden sein müssen, in der für lange Zeit ein Druck von mehr als 200.000 bar geherrscht hat. Bedingungen, wie man sie nur im Inneren eines großen Himmelskörpers finden kann.
Mindestens so groß wie der Merkur und vielleicht so groß wie der Mars muss der Planet gewesen sein, in dem die Diamanten von Almahata Sitta vor 4,5 Milliarden Jahren entstanden sind. Es muss sich um einen der vielen Planeten gehandelt haben, die in der Urzeit des Sonnensystems um unseren Stern gekreist sind. Dieser Planet ist mit einem der anderen jungen Planeten zusammen gestoßen und wurde dabei zerstört. Bruchstücke dieser kosmischen Kollision sind in die Sonne gestürzt. Andere sind aus dem Sonnensystem geworfen worden. Wieder andere sind mit anderen Himmelskörpern zusammen gestoßen. Und ein paar sind im Weltall geblieben und haben dort als Asteroiden ihre Runden gezogen. Bis am 7. Oktober 2008 eines dieser Bruchstücke auf die Erde fiel, von Wissenschaftlern in der Wüste aufgesammelt und nun in einem Schweizer Labor untersucht wurde. Und uns so konkrete Hinweise auf die Existenz eines der vielen Planeten unseres Sonnensystems geliefert hat, die schon vor Milliarden von Jahren zerstört worden sind. Die faszinierendsten Geschichten erzählt eben immer noch die Wissenschaft!
Kommentare (11)