1973 veröffentlichte der amerikanische Genetiker Theodosius Dobzhansky einen Aufsatz mit dem Titel “Nothing in Biology Makes Sense Except in the Light of Evolution” (pdf). Dieser Titel ist seitdem immer wieder zitiert worden. Die Evolution ist DAS zentrale Prinzip der Biologie und wenn man dieses fundamentale Element ignoriert, dann bleibt nur “a pile of sundry facts – some of them interesting or curious but making no meaningful picture as a whole”. Erst die Evolution macht aus einem Haufen verschiedenen Fakten ein sinnvolles Gesamtbild.
Diese Tatsache ist natürlich nicht neu und sie war es auch 1973 nicht. Aber dieser eine Satz von Dobzhansky fasst die Lage extrem gut zusammen. In diesem einen Satz wird ein einziges Wort identifiziert – Evolution – das eine komplette und sehr komplexe Disziplin quasi zusammenfasst. Jede Geschichte über die Biologie ist, früher oder später, eine Geschichte der Evolution. Man kann Biologie nicht sinnvoll vermitteln, wenn man die Evolution ignoriert.
Und die Wissensvermittlung ist auch der Grund, warum ich über diesen Satz schreibe. Ich habe kürzlich von Randy Olsons Buch “Houston, we have a narrative” berichtet. Darin beschreibt er, wie wichtig es ist, sich bei der Vermittlung von Wissenschaft an den Methoden zu orientieren, mit denen z.B. Hollywood seine Geschichten erzählt. Ich bin nicht völlig überzeugt von dem Buch, aber das, was Olson darin als die “Dobzhansky-Schablone” bezeichnet hat, finde ich sehr praktisch. Es geht um folgendes: Wenn man etwas vermitteln will, sollte man sich zuerst darüber klar werden, was das zentrale Element der Geschichte sein soll. Was ist es, das im Zentrum der Forschungsarbeit, der Dissertation, des Projekts, des Vortrags, etc steht? Ohne ein Antwort auf diese Frage läuft man Gefahr, dem Publikum nur einen “pile of sundry facts” zu liefern. Was nicht unbedingt tragisch sein muss – aber im Allgemeinen nicht die beste Strategie ist, wenn man sein Thema wirklich eindringlich vermitteln möchte (und hier geht es nicht unbedingt nur um die Kommunikation von Wissenschaft mit der Öffentlichkeit sondern auch um wissenschaftsinterne Kommunikation bei Fachvorträgen, Fachartikeln, usw).
Deswegen schlägt Olson vor, sich mit dieser Schablone zu beschäftigen:
“Nichts in ______ ergibt einen Sinn außer im Licht ______”
In der Überschrift meines Artikels habe ich das mal mit der Astronomie probiert. Was ist das zentrale Wort der Astronomie? Meiner Meinung nach die Gravitation. Egal um welches astronomische Thema man sich Gedanken macht – ohne Gravitation bleibt es unverständlich. Man braucht die Gravitation um die Entstehung und Entwicklung des Universums zu verstehen. Sterne leuchten aufgrund der Gravitation. Planeten bewegen sich aufgrund der Gravitation. Galaxien entwickeln sich aufgrund der Gravitation. Und so weiter. Die Gravitation ist vielleicht nicht so fundamental wie es die Evolution in der Biologie ist. Aber sie steht im Zentrum der Astronomie und ist das eine Phänomen, das man nie ignorieren darf.
Richtig interessant wird es aber, wenn man die Schablone auf speziellere Themen anwendet. Stellt euch vor, ihr müsst demnächst einen öffentlichen Vortrag über eure Diplom- oder Doktorarbeit halten. Wie soll der Vortrag aufgebaut werden? Um welches Konzept herum sollt ihr eure Inhalte strukturieren? Was soll das zentrale Element eurer Geschichte werden? Will man das herausfinden, dann kann die Dobzhansky-Schablone helfen. Nehmen wir zum Beispiel mal meine Dissertation. Die handelt von der Langzeitdynamik erdnaher Asteroiden und der Frage, ob sie mit den Planeten des inneren Sonnensystems kollidieren können. Wenn ich mich an meine Defensio zurück erinnere, dann habe ich dem Publikum in meinem Vortrag damals zwar meine Forschung halbwegs verständlich dargelegt. Ich fürchte aber, ich habe dort nur “a pile of sundry facts” präsentiert und keine Geschichte erzählt, die um ein zentrales Element aufgebaut ist. Hätte ich mir zuvor Gedanken darüber gemacht, hätte ich die Schablone vermutlich so ausgefüllt: “Nichts in der Langzeitdynamik erdnaher Asteroiden ergibt einen Sinn außer im Licht des Chaos”. Und hätte dann gewusst, dass ich eben das Chaos, seine Eigenschaften und seine Auswirkungen ins Zentrum meines Vortrags stellen muss.
Natürlich muss man keine Geschichten erzählen. Viele Wissenschaftler finden das sogar unpassend. Wissenschaft präsentiert Fakten, Daten, Messungen, Beobachtungen. Das alles wird ausgewertet und interpretiert und dann präsentiert. Es geht um Information und nicht um Geschichten. Aber wir Menschen sind eben viel eher geneigt Informationen aufzunehmen, wenn sie entsprechend strukturiert ist. Und die Struktur, die uns am meisten zusagt und bei der wir am aufnahmefähigsten sind, sind die klassischen Erzählstrukturen der Geschichten. Mit “Geschichte” ist jetzt übrigens nicht gemeint, dass man sich ein Märchen, eine Science-Fiction-Story, oder ähnliches ausdenken soll, um seine Forschung zu präsentieren! Es geht um die Strukturen, die all den Geschichten zugrunde liegen. Und jede Geschichte braucht eben ein zentrales Element – hat man das für seine Forschungsarbeit identifiziert, dann kann man seine Präsentation auch viel einfacher und eingängiger strukturieren. Das führt unter anderem dazu, dass man sich nicht mit zu vielen unterschiedlichen Themen verzettelt, immer wieder zum eigenen Thema zurückfinden kann und das Publikum immer weiß worum es geht und nicht verwirrt wird.
Außerdem macht es Spaß, sich mit der Schablone zu beschäftigen! Probiert doch mal, sie auf eure eigenen Arbeiten anzuwenden und postet das Ergebnis im Kommentarbereich! Oder probiert, diese Schablonen auszufüllen:
- Nichts beim Klimawandel ergibt einen Sinn außer im Licht ______ .
- Nichts in der Geschichte Deutschlands ergibt einen Sinn außer im Licht ______ .
- Nichts bei der Energiewende ergibt einen Sinn außer im Licht ______ .
- Nichts in der Chemie ergibt einen Sinn außer im Licht ______ .
- Nichts in der Raumfahrt ergibt einen Sinn außer im Licht ______ .
Und ich bin sicher, euch fallen noch ein paar andere interessante Beispiel ein!
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