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Sternengeschichten Folge 284: Maria Cunitz

Um die Region der Gestirne zu durchwandern sind zwei Flügel erforderlich, nämlich die Geometrie und die Arithmetik. Das hat Maria Cunitz gesagt, eine Astronomin die im 17. Jahrhundert nicht nur gezeigt hat, dass sie so gut wie alle anderen in der Lage ist, die Geometrie und die Arithmetik zu verstehen, die man für die Erforschung des Himmels braucht. Sie hat außerdem erkannt, wie wichtig es ist, das Wissen über die Sterne auch an Menschen zu vermitteln, die keine Ahnung von Mathematik haben. Das war für die damalige Zeit ein ungewöhnlicher Gedanke, vor allem wenn man bedenkt, dass diese Zeit nicht nur eine Zeit war, in der Frauen die Wissenschaft betreiben wollten, große Schwierigkeiten in den Weg gelegt wurden, sondern auch eine, in der man gerade erst dabei war, den Himmel so richtig zu verstehen.

Denkmal für Maria Cunitz in Schweidnitz. Bilder von ihr sind leider nicht erhalten (Bild: Sueroski, CC-BY-SA 3.0)

Denkmal für Maria Cunitz in Schweidnitz. Bilder von ihr sind leider nicht erhalten (Bild: Sueroski, CC-BY-SA 3.0)

Maria Cunitz wurde 1610 geboren, vermutlich am 29. Mai. Ihr Geburtstag ist eines der vielen Details ihrer Biografie, die man heute nicht mehr rekonstruieren kann. Immerhin wissen wir, dass sie aus Wohlau stammt, das heute in Polen liegt. Ihr Vater war ein Arzt, der in Frankfurt an der Oder Medizin, Mathematik und Astronomie studiert hatte. Neben seiner Arbeit als Arzt blieb er aber sein Leben lang von der Astronomie fasziniert und diese Faszination dürfte auch auf seine Tochter Maria übergesprungen sein.

Sie war aber von Anfang an ein begabtes Kind. Lesen konnte sie schon mit fünf Jahren und danach lernte sie Polnisch, Französisch, Italienisch, Griechisch, Latein, Hebräisch, aber auch Musik und Geschichte. Vor allem aber lernte sie auch Mathematik. Und man darf davon ausgehen, dass ihr Vater ihr auch den Gebrauch der damals üblichen astronomischen Instrumente beigebracht hat.

Marias Kindheit und Jugend war eine Zeit, in der die Astronomie beziehungsweise die gesamte Naturwissenschaft im Umbruch begriffen war. Ein Jahr vor ihrer Geburt veröffentlichte Johannes Kepler sein berühmtes Buch “Astronomia Nova”. Darin demonstrierte er, dass sich die Planeten auf elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen und nicht auf kreisförmigen Bahnen, wie man bisher dachte. Zur gleichen Zeit zeigte auch Galileo Galilei durch die Beobachtung der Venus mit dem von ihm entwickelten Teleskop, dass die Erde sich tatsächlich um die Sonne bewegt und nicht das Zentrum des Universums ist, wie viele auch damals noch dachten.

Die Arbeit von Galilei und vor allem die Kepler stellte die Astronomie auf eine völlig neue Stufe. Mit Keplers mathematischen Gesetzen war es nun möglich die Bewegung von Himmelskörper viel besser zu beschreiben als zuvor. Das erste Mal hatte man auch eine rechnerisch genau Theorie zur Bewegung der Planeten und nicht mehr nur die qualitativen Beschreibungen, die bis dahin vorhanden waren. Mit dem Teleskop hatte man ein neues wissenschaftliches Instrument, um die Sterne und den Himmel genauer zu beobachten als zuvor.

In diese wissenschaftliche Aufbruchsstimmung platze die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges. Als er 1618 begann, war Maria acht Jahre alt. Vorerst war der Krieg allerdings noch fern. Mit 19 Jahren heiratete Maria den Rechtsanwalt David Gerstmann. Der stirbt aber schon zwei Jahre später und Maria kehrt wieder zurück in ihr schlesisches Elternhaus. Dort hat sie nun Zeit, um sich der Astronomie zu widmen. Der Krieg, der mittlerweile auch Schlesien erreicht hat, betrifft sie vorerst aber nicht. Maria lernt weiter und beobachtet weiter den Himmel.
Einer ihrer Lehrer ist der Arzt Elias Krätschmaier und die Beziehung der beiden geht schnell auf eine sehr persönliche Ebene über. Die beiden heiraten, ziehen nach Pietschen, das sich ebenfalls in Schlesien befindet und widmen sich von da an gemeinsam der Wissenschaft.

Maria konzentriert sich bei ihrer astronomischen Arbeit vor allem auf die Mathematik. Die war damals mindestens ebenso wichtig wie sie heute in der Astronomie ist. Die Astronomie des 17. Jahrhunderts lief aber noch ein wenig anders ab als wir das heute gewohnt sind. Man wusste ja noch nicht, was man da am Himmel eigentlich sehen konnte. Man sah Sterne und Planeten, aber das waren aus Sicht der damaligen Astronomen nicht mehr als Lichtpunkte. Natürlich gab es Spekulationen, worum es sich dabei handeln könnte, aber man hatte keine Möglichkeiten, mehr darüber herauszufinden. Man konnte nicht mehr tun, als die Positionen der Sterne und Planeten möglichst genau zu beobachten und aus diesen Beobachtungen mathematische Theorien über die Bewegung der Himmelskörper abzuleiten.

Besonders wichtig waren dafür die sogenannten “Tafeln”. Das waren dicke Sammlungen voll mit langen Listen mit Beobachtungen von Planeten und daraus vorherberechnete zukünftige Positionen beziehungsweise mathematische Regeln für diese Vorhersage. Lange Zeit am populärsten waren die im 13. Jahrhundert erstellten Alfonsinischen Tafeln, die damals auf Anordnung von Alfons X., dem König von Kastilien erstellt wurden. 1627 veröffentlichte dann aber Johannes Kepler die von Kaiser Rudolf II in Auftrag gegebenen “Rudolfinischen Tafeln”. Darin konnte Kepler nicht nur jede Menge neuen Beobachtungen sondern vor allem seine neue mathematische Theorie zur Bewegung der Planeten anwenden. Sie waren besser als bisherige Tafelwerke und natürlich erregten sie auch die Aufmerksamkeit von Maria Cunitz.

Sie erkannte, wie viel besser diese Tafeln im Vergleich zu früheren Werken waren. Sie war aber auch selbstbewusst genug um festzustellen, dass man auch Keplers großes Werk noch verbessern konnte. Vor allem hat sie daran gestört, dass nur Fachleute verstehen konnten, worum es darin ging. Es war voll mit komplizierter Mathematik und in Latein geschrieben, der damaligen Sprache der Wissenschaft, die aber kaum jemand aus der normalen Bevölkerung verstand.

Aber Maria Cunitz war der Meinung, dass alle Menschen die Faszination erleben sollten, die sie selbst für die Astronomie empfand. Es sollte einen “leichten, kurzen, schnurgeraden, richtigen Weg [geben um den] Kern und Nutzen der Sternkunst zu weisen”, wie sie sagte und genau das setzte sie in die Tat um.

Sie began, die Daten von Kepler durch eigene Beobachtungen zu ergänzen und durch eigene Berechnungen zu überprüfen. Daraus erstellt sie ihr eigenes Tafelwerk, mit einer Mathematik, die auf die komplizierten Ausdrücke von Kepler verzichtete. Und sie veröffentlichte auch eine deutsche Version, was für damalige Verhältnisse so ungewöhnlich war, das Maria extra in der Einleitung darauf hin weisen musste, dass sie das deswegen tat, damit die “Kunstliebenden deutscher Nation nicht durch Unkundigkeit der lateinischen Sprache zurückgehalten werden”, sich mit Astronomie zu beschäftigen.

Die einfache Mathematik und die deutsche Sprache waren aber nicht das ungewöhnlichste an Maria Cunitz’ Buch. Aus damaliger Sicht am außergewöhnlichsten war es, dass es von einer Frau verfasst wurde. Deswegen musste sich Marias Ehemann Elias im Vorwort extra noch einmal zu Wort melden und darauf hinweisen, dass das Buch wirklich von Maria Cunitz verfasst wurde und nicht von ihm.

1650 wurde das Werk dann veröffentlicht und zwar unter dem Titel “Urania Propitia”. Das bedeutet so viel wie “allgemeinverständliche Astronomie” und im deutschen Titel stellt Maria Cunitz im langatmigen Stil ihrer Zeit noch einmal klar, worum es geht. Nämlich Um “Newe und Langgewünschete/ leichte Astronomische Tabelln/ durch derer vermittelung auff eine sonders behende Arth/ aller Planeten Bewegung/ nach der länge/ breite/ und andern Zufällen/ auff alle vergangene/ gegenwertige/ und künfftige Zeits-Puncten fürgestellet wird. Den Kunstliebenden Deutscher Nation zu gutt/ herfürgegeben”.

Titelseite der Urania Propitia

Titelseite der Urania Propitia

Sich direkt an die Öffentlichkeit zu wenden war damals aber nicht unbedingt ungefährlich. Unter den Wissenschaftlern ging es hauptsächlich um die Wissenschaft. Und man war sich mehr oder wenig einig, dass die neue Astronomie tatsächlich die Realität beschrieb und die Erde nicht das Zentrum des Universums war. In der Kirche und in der Öffentlichkeit herrschte aber oft immer noch das alte geozentrische Weltbild vor. Und wer sich öffentlich zu sehr für die neue heliozentrische Astronomie einsetzte, konnte auch Mitte des 17. Jahrhunderts noch große Schwierigkeiten mit der Kirche kriegen. Maria Cunitz verzichtet daher im deutschen Teil ihrer Arbeit darauf, den Namen “Kepler” zu erwähnen. Sicherlich auch in dem Bewusstsein, dass man damals immer noch viel zu oft außergewöhnliche Frauen als “Hexen” bezeichnete, sie verhaftete, folterte oder verbrannte.

Trotz dieser Schwierigkeiten wurde Maria Cunitz’ Buch ein Erfolg und sie sehr bekannt. Vielleicht wurde ihr diese Bekanntheit aber dann doch noch zum Verhängnis. 1661 starb ihr Ehemann Elias. Maria ist nun Witwe und gerät, als nun alleinstehende Frau, vielleicht doch noch in Schwierigkeiten. Jedenfalls sind Briefe, die sie damals an ihre heute noch berühmten Astronomenkollegen geschrieben hat, verschwunden. In den Bibliotheken von Göttingen und Wien schnitt man Maria Cunitz’ Namen aus dem Rücken ihrer Bücher. Von ihren übrigen Werken ist heute keines mehr auffindbar. Was in den letzten Lebensjahren von Maria Cunitz genau passiert ist, wissen wir allerdings nicht. Wir wissen nur, dass sie am 22. August 1664 starb und das sich heute kaum jemand an sie erinnert. Selbst unter Astronomen ist ihr Name kaum bekannt und das ist schade.

Sie war eine der bedeutensten Astronominnen der frühen Neuzeit. Sie war eine bedeutende Astronomin zu einer Zeit, als es für Frauen immens schwer war, sich überhaupt irgendwie in der Wissenschaft zu betätigen. Vor allem war sie aber eine Wissenschaftlerin, die sich aktiv dafür eingesetzt hat, auch dem Rest der Menschen die Faszination der Wissenschaft nahe zu bringen. Die polnische Stadt Swidnica, das zur Zeit von Maria Cunitz das schlesische Schweidnitz und lange Zeit ihr Wohnort war, hat im Jahr 2009 ein Denkmal für sie aufgestellt. Und auf der Venus wurde ein Krater nach ihr benannt. Ein Venuskrater und ein Denkmal in Polen sind aber definitiv zu wenig, um die Leistung und das Leben dieser außergewöhnlichen Frau zu würdigen.

Kommentare (6)

  1. #1 pane
    4. Mai 2018

    Früher hatte man verloren, wenn man kein Latein sprach. Heute hat man verloren, wenn man kein Englisch spricht.

  2. #2 Bullet
    4. Mai 2018

    Quark. Früher (wann denn eigentlich?) war man vielleicht in der Wissenschaft auf verlorenem Posten, wenn man die Sprache der Wissenschaft nicht sprach – aber das ist eine Nullaussage.
    Der Fall mit Englisch als Quasi-Weltsprache, mit der du in vielen Gegenden der Welt auch weiterkommst, wenn du nur was zu mampfen brauchst, ist da etwas völlig anderes.

  3. #3 Blake
    4. Mai 2018

    Der Haarspalter hat recht 🙂

  4. #4 Alderamin
    4. Mai 2018

    @Florian

    Von Maria Cunitz habe ich zuvor tatsächlich noch nie etwas gehört. Danke für den Artikel, wieder was gelernt!

  5. #5 PDP10
    4. Mai 2018

    @pane:

    Früher hatte man verloren, wenn man kein Latein sprach. Heute hat man verloren, wenn man kein Englisch spricht.

    Nun, du könntest jetzt zwei Dinge tun:

    1. Dich weiter beklagen und eine Revolution anzetteln mit der Absicht durch zu setzen, dass man gefälligst auf der ganzen Welt Deutsch zu sprechen hat. Oder

    2. Englisch lernen.

    Letzteres wäre keine so schlechte Idee, da das Lernen einer neuen Sprache bekanntermassen auch sonst den geistigen Horizont erweitert. Da gibts sogar wissenschaftliche Studien von Neurologen zu …

    Aber das ist schon wieder sowas von OT!

    Zum Thema kann ich kann nur wiederholen, was @Alderamin schon gesagt hat:
    Maria Cunitz war mir bisher auch völlig unbekannt.

    Interessant!