Wenn ich aus dem Fenster in meinem Arbeitszimmer schaue, kann ich die Fahnen über dem Eingang des Hotels nebenan flattern sehen. Daraus kann ich schließen, dass dort draußen ein starker Wind weht, auch wenn ich ihn weder spüren noch sehen kann. Und genau auf diese Weise wissen wir auch von der Existenz der Dunklen Materie. Die haben wir uns nicht “einfach ausgedacht” wie man so oft hören kann. Seit bald 100 Jahren beobachten wir, wie sich Sterne und Galaxien im Universum auf eine Art und Weise bewegen, die nur durch die Anwesenheit eines bisher ungeklärten gravitativen Einflusses möglich ist (siehe hier für alle Details). Bis jetzt haben wir leider noch nicht heraus gefunden, was genau die Ursache dafür ist, aber Wissenschaftler überall auf der Welt arbeiten daran. Und Sternströme könnten in naher Zukunft wichtige Hinweise auf die Natur der dunklen Materie liefern.
Ich habe über dieses Thema schon früher berichtet. “Sternströme” sind – ganz vereinfacht gesagt – das, was übrig bleibt, wenn unsere Milchstraße andere Galaxien frisst. Es kommt immer wieder zu Kollisionen zwischen großen und kleinen Galaxien. Wenn dann eine Zwerggalaxie auf eine riesige Ansammlung von Sternen wie unsere Milchstraße trifft, dann wird die kleine Galaxie durch die Gravitationskraft regelrecht auseinander gerissen. Es entsteht ein “Sternstrom”, also ein “Fluss” aus Sternen, der sich um die Milchstraße windet und den wir deswegen erkennen, weil sich die Sterne dort alle mit mehr oder weniger der gleichen Geschwindigkeit in die gleiche Richtung bewegen.
Von solchen Sternströmen haben wir um die Milchstraße herum schon einige identifiziert. In den äußeren Regionen unserer Milchstraße gibt es aber nicht nur Sternströme, sondern – vermutlich – auch größere und kleinere Wolken aus dunkler Materie. Bei ihrer Bewegung um die Milchstraße trifft die dunkle Materie immer wieder auf die Sternströme und beeinflusst dort mit ihrer Gravitationskraft die Sterne. Was also machen vernünftige Astronomen? Sie simulieren am Computer, wie die Anwesenheit der dunklen Materie die Sternströme verändern würde! Und genau das haben Nilanjan Banik von der Uni Amsterdam (vom originell benannten “GRAPPA Institut” für theoretische Physik) und seine Kollegen getan (“Probing the nature of dark matter particles with stellar streams”).
Das interessante an diesem Ansatz ist nicht nur die Tatsache, dass man Sternströme nutzen kann, um auf die Anwesenheit dunkler Materie zu schließen. Das kann man mit jeder Menge anderer Methoden ja auch. Mit der Methode von Banik und seinen Kollegen kann man auch die Natur der dunklen Materie entschlüsseln. Wir wissen ja derzeit nicht, aus welcher Art von Materie (wenn überhaupt) die dunkle Materie besteht. Nicht aus dem Zeug jedenfalls, das wir bisher kennen – und unbekanntes Zeug ist per Definition unbekannt. Es gibt also jede Menge Modelle und Hypothesen die in Frage kommen. Die unterscheiden sich – unter anderem – in der Menge und Größe der “Klumpen” die sie in der Umgebung der Milchstraße bilden. Und damit auch in den Auswirkungen, die sie auf die Sternströme haben.
Banik und seine Kollegen haben sich nun in der Computersimulation genau angesehen, wie sich die Dichte der Sternströme verändert je nachdem welche Art von dunkler Materie da draußen rumschwirrt. Die gute Nachricht: Es gibt deutliche Unterschiede je nach Natur der dunklen Materie. Die schlechte Nachricht: Wir sind technisch noch nicht in der Lage, die unterschiedlichen Vorhersagen auch durch Beobachtung zu überprüfen. Die gute, aber auch ein wenig frustrierende Nachricht: In ein paar Jahren wird das Large Synoptic Survey Telescope (LSST) seine Arbeit aufnehmen, den Himmel neu katalogisieren und dabei unter anderem die Dichte der Sterne in den Sternströmen genau bestimmen. Und das ist dann die wirklich gute Nachricht: Wir werden mit diesem Ansatz das Rätsel um die dunkle Materie nicht endgültig lösen können (das kann nur die Teilchenphysik) – aber man wird definitive Aussagen über die Gültigkeit der unterschiedlichen Modelle machen können. Oder anders gesagt: Wir werden dann zwar immer noch nicht wissen, aus was die dunkle Materie besteht, aber auf jeden Fall besser wissen, aus was sie nicht besteht!
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