Wenn es nach mehr geht, dann kann es nie genug Forschung und Foschungsergebnisse über Asteroiden geben. Asteroiden sind großartig – das habe ich ja hoffentlich in den 10 Jahren meiner Bloggerei mehr als deutlich gemacht. Deswegen habe ich mich auch im letzten Jahr sehr darüber gefreut, dass man einen einen Asteroid entdeckt hat, der aus einem anderen Sonnensystem kam. Asteroiden enthalten so viele Informationen und es ist großartig, wenn wir diese Informationen nicht nur über unser Sonnensystem erhalten können, sondern auch von weit entfernten anderen Sternen. Und deswegen war ich auch erfreut, als kürzlich wieder die Entdeckung eines solchen extrasolaren Asteroiden verkündet wurde.
Es handelt sich um den Asteroid mit dem Namen 2015 BZ509 und er ist ziemlich bemerkenswert. Er befindet sich in einer sogenannten 1:1 Resonanz mit Jupiter, das heißt er bewegt sich auf (annähernd) der gleichen Bahn wie Jupiter selbst. Das ist noch nicht so außergewöhnlich, von diesen Objekten gibt es jede Menge. 2015 BZ509 allerdings bewegt sich retrograd, das bedeutet er umläuft die Sonne in der anderen Richtung als das die Planeten und so gut wie alle anderen Asteroiden im Sonnensystem tun.
Woher aber wissen wir denn nun, dass 2015 BZ509 aus einem anderen Sonnensystem stammt? Das behaupten Fathi Namouni und Maria Helena Moreira Morais in ihrer Arbeit mit dem Titel “An interstellar origin for Jupiter’s retrograde co-orbital asteroid”. Der Inhalt dieses kurzen Artikels ist schnell zusammengefasst. Namouni und Morais haben die Bewegung des Asteroiden in einer Computersimulation 4,5 Milliarden Jahre in die Vergangenheit verfolgt und festgestellt, dass er immer schon eine retrograde Bewegung ausführte. Das bedeutet aber, dass er nicht gemeinsam mit den anderen Himmelskörpern des Sonnensystems entstanden sein kann. Die Art und Weise wie die Himmelskörper entstanden sind macht das enorm unwahrscheinlich. Alles ist aus einer sich drehenden Scheibe aus Gas und Staub entstanden und alles was daraus entstanden ist, muss sich in die gleiche Richtung drehen wie die Scheibe selbst. Also bleibt nur eine Möglichkeit: Der Asteroid muss woanders entstanden und während der Entstehungszeit des Sonnensystems eingefangen worden sein.
Über diese Entdeckung ist in den Medien viel berichtet worden (mehr jedenfalls als typischerweise über Asteroiden berichtet wird). Ich allerdings bin nicht ganz so überzeugt von den Schlüssen, die Namouni und Morais ziehen. An der Computersimulation an sich gibt es nichts auszusetzen; zumindest insofern man das aus dem Artikel beurteilen kann. Ich kenne Namouni und Morais auch von früheren himmelsmechanischen Arbeiten als absolut seriöse Wissenschaftler – und wenn ich jetzt diese Arbeit kritisiere, dann nicht, weil ich sie für Pseudowissenschaftler o.ä. halte! Aber ich bin skeptisch, ob man aus den Simulationen wirklich die Schlüsse ziehen kann, die sie gezogen haben.
Da ist zuerst einmal das grundlegende Chaos im Sonnensystem. Es ist nicht möglich, die Bewegung von Himmelskörpern mathematisch exakt beliebig weit in die Zukunft oder die Vergangenheit zu berechnen. Will man wirklich exakt wissen, wie sich ein Himmelskörper bewegt (zumindest so exakt, dass man zum Beispiel mit einer Raumsonde punktgenau darauf landen kann), dann ist das für ein paar Jahrhunderte oder vielleicht auch noch Jahrtausende möglich. Danach kann man nur noch statistische Aussagen machen. Deswegen haben Namouni und Morais auch nicht nur 2015 BZ509 selbst berechnet, sondern jede Menge “Klone”. Also fiktive Himmelskörper, deren Bahndaten minimal von den Beobachtungsdaten abweichen. Eine absolut übliche Taktik, da ja die Beobachtungsdaten selbst auch immer nur mit begrenzter Genauigkeit bekannt sind. In diesem Fall sind es wirklich viele Klone: Eine Million insgesamt.
Von all diesen fiktiven Asteroiden haben – zumindest wenn ich den Artikel richtig verstanden habe – nur 27 überlebt. Das soll bedeuten, dass bei der Computersimulation die 4,5 Milliarden Jahre in die Vergangenheit reicht, am Ende nur 27 übrig geblieben sind, die eine ähnliche retrograde Umlaufbahn in 1:1 Resonanz mit Jupiter zeigen wie in der Gegenwart. Die anderen sind durch die gravitativen Störungen der Planeten aus dem Sonnensystem geworfen worden, mit der Sonne oder anderen Planeten kollidiert, sind im äußeren Sonnensystem gelandet oder haben ihre Bahnen anderweitig massiv verändert. Das ist eigentlich das Ergebnis, das ich erwartet habe. Ein Asteroid mit einer Umlaufbahn wie 2015 BZ509 ist so vielen Störungen ausgesetzt, dass damit zu rechnen war, dass ihm früher oder später irgendwas zustößt.
Namouni und Morais aber nehmen die wenigen langzeitstabilen Fälle ihrer Simulation als Beleg dafür, dass dies auch die tatsächliche Vergangenheit des Asteroiden darstellt. Denn, so die Argumentation, es wäre überraschend, wenn wir den Asteroid zufällig gerade in einer stabilen retrograden Umlaufbahn um die Sonne beobachten, obwohl er eine komplett chaotische Vergangenheit hat und sich früher anderswo im Sonnensystem auf anderen Bahnen herumgetrieben hat. Also schließen sie, dass er die gegenwärtige Bahn immer schon gehabt haben muss und deswegen nicht im Sonnensystem entstanden sein kann.
Diesen Gedankengang kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Wir haben im Sonnensystem jede Menge Asteroiden auf chaotischen Bahnen beobachtet. Alle erdnahen Asteroiden zum Beispiel bewegen sich auf Umlaufbahnen, auf denen sie typischerweise erst seit ein paar hunderttausend bis Millionen Jahre sind und die sie in ein paar hunderttausend oder Millionen Jahre wieder verlassen werden. Das Sonnensystem ist ein chaotischer Ort und Chaos zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass schon kleinste Veränderungen im Laufe der Zeit zu enorm großen Veränderungen führen können. Die Bahnneigung der Umlaufbahn eines Asteroids kann sich im Laufe der Zeit durch die diversen gravitativen Störungen der anderen Himmelskörper durchaus so stark verändern, dass sie von annähernd null Grad bis weit über 90 Grad hinaus wächst. Und wenn die Bahnneigung einmal größer als 90 Grad wird, dann ist die Bahn effektiv “umgekippt” und retrograd.
All das wissen Namouni und Morais mit Sicherheit ebenfalls. Und vielleicht habe ich einen wichtigen Punkt ihrer Arbeit einfach nicht verstanden (und würde mich freuen, wenn mich jemand auf meinen Denkfehler hinweist). Aber ich sehe nicht, wie man aus den Ergebnissen der Computersimulation ausschließen kann, dass ein ganz normaler Asteroid des Sonnensystems im Laufe der letzten 4,5 Milliarden Jahre aufgrund der diversen gravitativen Störungen eine retrograde Bahn in einer 1:1 Resonanz mit Jupiter entwickelt hat. Auch wenn Namouni und Morais nicht mit absoluter Konsequenz behaupten, dass 2015 BZ509 aus einem anderen Sonnensystem stammt (sie schreiben nur “This implies that 2015 BZ509 was captured from the interstellar medium”), wäre ich in der Angelegenheit doch deutlich zurückhaltender, als sie es in ihrer Arbeit gewesen sind.
Der retrograde Asteroid ist mit Sicherheit ein faszinierender Himmelskörper der uns noch viele interessante Informationen liefern wird. Ich bleibe aber weiterhin skeptisch, ob er tatsächlich ein Besucher aus einem anderen Sonnensystem ist.
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