Gastbeitrag! Ich habe kürzlich wieder einmal einen Workshop zum Wissenschaftsbloggen gehalten und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wie üblich angeboten, die während des Workshops geschriebenen Artikel auch hier im Blog als Gastbeitrag zu veröffentlichen. Denn nichts hilft besser beim Lernen als echtes Feedback echter Leserinnen und Leser! Deswegen würde ich euch auch bitten, genau dieses Feedback zu liefern. Aber natürlich in einer vernünftigen, hilfreichen und seriösen Form!
Der nun folgende Beitrag stammt von Romy Clement.
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“Die sind so hässlich, muss man die schützen?”
In den vergangenen Wochen habe ich mich in einem Projekt (Waldrapp) engagiert, das es sich zum Ziel gesetzt hat, Waldrappe im mitteleuropäischen Raum wieder heimisch zu bekommen. Waldrappe, das sind Zugvögel, die sich bis ins 17. Jahrhundert bei uns im Alpenraum getummelt haben. Bis sie schließlich jenes Schicksal ereilt hat, das sie mit so vielen anderen Arten teilen: Sie sind dem Menschen zum Opfer gefallen und langsam, aber sicher in unseren Breiten ausgerottet worden. Weil ihr Lebensraum durch Siedlungen eingeschränkt wurde und weil ihr Fleisch auch zu gut schmeckte.

Schönheit liegt im Auge des Betrachters (Bild: Library of Congress, public domain)
Seither gibt es Waldrappe – abgesehen von einer letzten freilebenden Kolonie in Marokko – nur noch in Zoos. Doch eine beherzte Gruppe Menschen hat sich zusammengetan, um den Tieren eine neue Chance zu geben. So wurde das Waldrappteam gegründet, das im Rahmen eines EU-Life-Projektes das Ziel verfolgt, den Vogel auch bei uns wieder anzusiedeln und zugfähig zu bekommen. Bis 2019 soll es einen stabilen Bestand von 120 wildlebenden Tieren geben, die jedes Jahr selbstständig von ihren neu gegründeten Brutgebieten in ihr Winterquatier in der Toskana (ja, der Vogel hat Geschmack) ziehen. Als Brutgebiete wurden Orte in Bayern, Bodensee und auch Salzburg auserkoren, die die nötigen Bedingungen vorweisen, um den Vögeln ein ungestörtes und vollwertiges Leben zu bieten. Das gute Leben für Waldrappe? Das gibt es und es beinhaltet grüne Wiesen, wo sie ihre Nahrung in Form von Insekten und kleinen Tierchen finden und steile Felswände, deren Nischen und Vorsprüngen sie zum Brüten nutzen. Weil gefrorene Böden, wie sie bei uns im Winter vorkommen, die Nahrungssuche durchaus einschränken, reisen sie im Herbst in den Süden, wo die Temperaturen gemäßigter sind.
Nun gibt es dabei ein kleines Problem. Die Vögel kennen den Weg nicht.
Deswegen werden die frisch geschlüpften Küken noch während der ersten Lebenstage aus dem Elternnest genommen und langsam auf menschliche Ziehmütter geprägt, denen sie schließlich – nach vielen Monaten aufopfernder Pflege und Aufzucht – in den Süden folgen. Damit das funktioniert, müssen die Ziehmütter natürlich selbst vom Boden abheben und mit den Vögeln mitfliegen. Dies geschieht mittels Ultraleichtflugzeugen. Höhenangst wäre dabei definitiv kontraindiziert.

Mit Ultraleichtflugzeugen, wie diesem hier, wird den Waldrappe der Weg in den Süden gezeigt (Bild: CC0 Public Domain)
Doch lange bevor überhaupt ans Fliegen zu denken ist, kommen die Küken zunächst einmal in eine Aufzuchtstation, bis sie kräftig genug sind und mehr Raum für ihre ersten Flugübungen brauchen. Dann geht es weiter in ein Trainingslager. Die Aufzuchtstation ist eigentlich nur ein Container. Und dieser befindet sich jedes Jahr im Frühling im Zoo Schönbrunn, wo die Kleinen auch von der interessierten Öffentlichkeit bestaunt werden können. Damit wird natürlich Aufmerksamkeit generiert, die dem Projekt zu Gute kommt. Und genau hierbei habe ich meine paar Cent beigetragen. Weil Artenschutz für mich ein wichtiges Thema ist, und weil mich das Projekt vollinhaltlich überzeugt hat, habe ich mich einige Wochenenden lang in das Infozelt vor dem Container gestellt und versucht, Zoobesuchern die Faszination Waldrapp näherzubringen.

Schönheit liegt im Auge des Betrachters II (Bild: XoMEoX, CC-BY 4.0)
Nun ist so ein ausgewachsener Waldrapp rein äußerlich betrachtet schon ein merkwürdiger Geselle. Sein Kopf ist kahl und rötlich und von langen, abstehenden Schopffedern umrahmt – das kann man sich ein bisschen vorstellen wie einen Vokuhila mit Glatze (im Englischen “Skullet” genannt). Zusätzlich hat er einen dünnen, langen, gebogenen Schnabel, mit dem er alles mögliche Getier aus dem Boden pickt. Selbst seine Jungen haben beim Kindchenschema nicht in die Vollen gegriffen, so sind sie zwar komplett von Flaum bedeckt, aber eben doch in einem unscheinbaren Grauton gehalten.

Der Waldrapp ist ein merkwürdiger Vogel. In der Sonne erscheint sein tiefschwarzes Federkleid bunt. (Bild: H. Zell, CC-BY-SA 3.0)
Das blieb auch vielen Zoobesuchern nicht unbemerkt, die sich immer wieder dazu bemüßigt fühlten, auf die – vermeintlichen – äußerlichen Unzulänglichkeiten des Waldrapps hinzuweisen. So hörte ich immer wieder Ausrufe, die von „Naja, irgendwie is er ja eh lieb.“ bis zu bestimmten „Aber schön ist der nicht!“ reichten. Als Naturwissenschafterin bin ich jedoch geschult darin, Schönheit nicht nur im Augenscheinlichen zu erkennen und so habe ich meist diplomatisch versucht, auf die anderen Qualitäten des Waldrapps hinzuweisen. Wie etwa auf sein außergewöhnliches Federkleid, das auf den ersten Blick tiefschwarz erscheint, in der Sonne jedoch in den unterschiedlichsten Farben schimmert. Außerdem ist die Fähigkeit, einen Beitrag zur Regulierung des Ökosystems zu leisten, keineswegs an die optischen Reize eines Lebewesens geknüpft. Doch als schließlich ein Besucher voller Überzeugung fragte: „Die sind so hässlich, muss man die wirklich schützen?“, da wollte ich eigentlich als Antwort nur noch einen Spiegel zücken.
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