“Neutrino-Waage Katrin” – das klingt wie etwas aus einer seltsamen Abteilung von IKEA. Aber das, was letzte Woche am Karlsruher Institut für Technologie den Betrieb aufgenommen hat, kriegt man nicht im schwedischen Möbelhaus. Selbst zusammenbauen muss man es dafür aber trotzdem. Dafür braucht man aber definitiv mehr als den typischen IKEA Inbus-Schlüssel und man kann es auch nicht im Kombi nach Hause fahren. Wichtigster Bestandteil von Katrin ist eine 23 Meter lange und 200 Tonnen schwere Vakuumkammer aus Edelstahl. Das Ding wurde nur 400 Kilometer von Karlsruhe entfernt gebaut (in Deggendorf). Da man es über deutsche Straßen kaum transportieren konnte, ist es von Deggendorf auf der Donau bis ins Schwarze Meer geschippert, von dort auf einem Frachter durchs Mittelmeer, um Spanien und Frankreich herum bis nach Rotterdam und von dort dann Rhein bis fast nach Karlsruhe. Die letzten sieben Kilometer gings dann doch auf der Straße lang und allein das dauerte nochmal 10 Stunden.
Und wozu der Aufwand? Um das Gewicht von Neutrinos zu bestimmen! Über diese Teilchen habe ich letzte Woche ja schon berichtet. Die Elementarteilchen die überall sind aber kaum gemessen werden können (ich habe hier ausführlich erklärt, was das für Dinger sind) stellen die Physik seit Jahrzehnten vor Rätsel. Man weiß mittlerweile, das es drei verschiedene Arten von Neutrinos gibt, die sich ineinander umwandeln können. Diese “Neutrinooszillationen” sind ein Beleg dafür, dass die Teilchen eine Masse haben müssen. Was ja kein Problem wäre, würde das Standardmodell der Teilchenphysik nicht vorhersagen, dass Neutrinos masselos sind. Und wenn das Standardmodell ansonsten auch eine der erfolgreichsten naturwissenschaftlichen Theorien ist, irrt es hier eindeutig. Und niemand weiß warum.
Hinzu kommen nun aktuelle Experimente, die die Existenz einer vierten Neutrinoart nahelegen, was die Sache noch mysteriöser macht. Es wäre auf jeden Fall hilfreich, wenn man zumindest mal genau wüsste, wie viel Masse die Neutrinos eigentlich haben. Und genau das macht Katrin.
“Katrin” ist ein Akronym und steht für “Karlsruhe Tritium Neutrino Experiment”. Damit will man erstmals die Masse einer der drei Neutrino-Arten direkt bestimmen. Nur: Wie wiegt man etwas, das so flüchtig ist wie ein Neutrino? Da diese Teilchen nur über die schwache Kernkraft mit dem Rest der Welt interagieren, sind sie quasi gar nicht da. Die Milliarden Neutrinos die pro Sekunde durch unseren Körper rauschen spüren wir nicht; die Billiarden Neutrinos die jede Sekunde im Inneren der Sonne erzeugt werden, sausen durchs All und durch die Erde hindurch, ohne sich davon irgendwie stören zu lassen. Neutrinos wechselwirken so gut wie nie mit normaler Materie und es ist enorm schwer, diese Dinger nachzuweisen.
Es geht schon, wie ich zum Beispiel hier oder hier erklärt habe und die Neutrinoastronomie ist eine wichtige Disziplin geworden. Aber Katrin arbeitet anders. Zuerst braucht man Tritium. Das ist ein Isotop des Wasserstoffs, das anstatt nur einem Proton, ein Proton und zwei Neutronen in seinem Atomkern hat. Tritium ist radioaktiv, das heißt ein Neutron kann sich durch radioaktiven Zerfall in ein Proton umwandeln und dabei ein Elektron und ein Elektron-Neutrino freisetzen.
Genau diese Zerfallsprodukte werden im Vakuumtank von Katrin analysiert. Die Energie, die beim Zerfall von Tritium freigesetzt wird, ist bekannt. Und ebenfalls bekannt ist, dass diese Energie mehr oder weniger zufällig zwischen dem Elektron und dem Neutrino aufgeteilt wird. Die Neutrinos verabschieden sich natürlich gleich; sie sausen aus dem Tank, hinaus ins All. Aber die Elektronen bleiben da und können gemessen werden. Das ist nicht simpel, weswegen man es in dieser Form noch nie gemacht hat. Man muss sie in der Vakuumkammer mit einem Magnetfeld sammeln und zu einem passenden Detektor lenken. Aber dann kann man ihre Energie messen. Die wird – je nach Elektron – diverse Werte annehmen. Aber werden sie auch alle möglichen Energiewerte annehmen?
Wäre das Neutrino masselos, dann könnte das Elektron im Prinzip die gesamte Zerfallsenergie mitkriegen. Hat das Neutrino aber eine Masse, dann muss dem Elektron zumindest die der Ruhemasse des Neutrinos entsprechende Energie fehlen. Denn diese Energie muss beim Zerfall ja – simpel gesagt – aufgebracht werden, damit da überhaupt ein Neutrino entstehen und freigesetzt werden kann.
Mit Katrin will man nun also möglichst viele Elektronen des Tritium-Zerfall messen und ihre Energie bestimmen. All diese Energiewerte trägt man dann (wieder etwas vereinfacht gesagt) in ein Diagram ein. Und schaut dann nach, was die maximale Energie ist, die die Elektronen mitbekommen. Insgesamt stehen 18,6 Kilo-Elektronenvolt an Energie zur Verfügung. Je nachdem, wie groß die Neutrinomasse wirklich ist, können die Elektronen diese volle Energie aber nicht ausschöpfen. Und aus dem, was zu den 18,6 kEV noch fehlt, lässt sich die Masse der Neutrinos berechnen.
Das ist jedenfalls das Prinzip. Auf die Ergebnisse müssen wir noch warten. Am 11. Juni 2018 wurde Katrin offiziell eröffnet. Nun wird getestet und gearbeitet. Irgendwann kennen wir dann hoffentlich die genaue Masse der Neutrinos. Und finden dann endlich heraus, warum diese nervigen kleinen Dinger so kompliziert sind!
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