“Neutrino-Waage Katrin” – das klingt wie etwas aus einer seltsamen Abteilung von IKEA. Aber das, was letzte Woche am Karlsruher Institut für Technologie den Betrieb aufgenommen hat, kriegt man nicht im schwedischen Möbelhaus. Selbst zusammenbauen muss man es dafür aber trotzdem. Dafür braucht man aber definitiv mehr als den typischen IKEA Inbus-Schlüssel und man kann es auch nicht im Kombi nach Hause fahren. Wichtigster Bestandteil von Katrin ist eine 23 Meter lange und 200 Tonnen schwere Vakuumkammer aus Edelstahl. Das Ding wurde nur 400 Kilometer von Karlsruhe entfernt gebaut (in Deggendorf). Da man es über deutsche Straßen kaum transportieren konnte, ist es von Deggendorf auf der Donau bis ins Schwarze Meer geschippert, von dort auf einem Frachter durchs Mittelmeer, um Spanien und Frankreich herum bis nach Rotterdam und von dort dann Rhein bis fast nach Karlsruhe. Die letzten sieben Kilometer gings dann doch auf der Straße lang und allein das dauerte nochmal 10 Stunden.

Katrin wird geliefert (Bild: KIT)

Katrin wird geliefert (Bild: KIT)

Und wozu der Aufwand? Um das Gewicht von Neutrinos zu bestimmen! Über diese Teilchen habe ich letzte Woche ja schon berichtet. Die Elementarteilchen die überall sind aber kaum gemessen werden können (ich habe hier ausführlich erklärt, was das für Dinger sind) stellen die Physik seit Jahrzehnten vor Rätsel. Man weiß mittlerweile, das es drei verschiedene Arten von Neutrinos gibt, die sich ineinander umwandeln können. Diese “Neutrinooszillationen” sind ein Beleg dafür, dass die Teilchen eine Masse haben müssen. Was ja kein Problem wäre, würde das Standardmodell der Teilchenphysik nicht vorhersagen, dass Neutrinos masselos sind. Und wenn das Standardmodell ansonsten auch eine der erfolgreichsten naturwissenschaftlichen Theorien ist, irrt es hier eindeutig. Und niemand weiß warum.

Hinzu kommen nun aktuelle Experimente, die die Existenz einer vierten Neutrinoart nahelegen, was die Sache noch mysteriöser macht. Es wäre auf jeden Fall hilfreich, wenn man zumindest mal genau wüsste, wie viel Masse die Neutrinos eigentlich haben. Und genau das macht Katrin.

Katrin ist angekommen  (Bild: KIT)

Katrin ist angekommen (Bild: KIT)

“Katrin” ist ein Akronym und steht für “Karlsruhe Tritium Neutrino Experiment”. Damit will man erstmals die Masse einer der drei Neutrino-Arten direkt bestimmen. Nur: Wie wiegt man etwas, das so flüchtig ist wie ein Neutrino? Da diese Teilchen nur über die schwache Kernkraft mit dem Rest der Welt interagieren, sind sie quasi gar nicht da. Die Milliarden Neutrinos die pro Sekunde durch unseren Körper rauschen spüren wir nicht; die Billiarden Neutrinos die jede Sekunde im Inneren der Sonne erzeugt werden, sausen durchs All und durch die Erde hindurch, ohne sich davon irgendwie stören zu lassen. Neutrinos wechselwirken so gut wie nie mit normaler Materie und es ist enorm schwer, diese Dinger nachzuweisen.

Es geht schon, wie ich zum Beispiel hier oder hier erklärt habe und die Neutrinoastronomie ist eine wichtige Disziplin geworden. Aber Katrin arbeitet anders. Zuerst braucht man Tritium. Das ist ein Isotop des Wasserstoffs, das anstatt nur einem Proton, ein Proton und zwei Neutronen in seinem Atomkern hat. Tritium ist radioaktiv, das heißt ein Neutron kann sich durch radioaktiven Zerfall in ein Proton umwandeln und dabei ein Elektron und ein Elektron-Neutrino freisetzen.

Im Inneren des Vakuumtanks von Katrin (Bild: KIT, Michael Zacher)

Im Inneren des Vakuumtanks von Katrin (Bild: KIT, Michael Zacher)

Genau diese Zerfallsprodukte werden im Vakuumtank von Katrin analysiert. Die Energie, die beim Zerfall von Tritium freigesetzt wird, ist bekannt. Und ebenfalls bekannt ist, dass diese Energie mehr oder weniger zufällig zwischen dem Elektron und dem Neutrino aufgeteilt wird. Die Neutrinos verabschieden sich natürlich gleich; sie sausen aus dem Tank, hinaus ins All. Aber die Elektronen bleiben da und können gemessen werden. Das ist nicht simpel, weswegen man es in dieser Form noch nie gemacht hat. Man muss sie in der Vakuumkammer mit einem Magnetfeld sammeln und zu einem passenden Detektor lenken. Aber dann kann man ihre Energie messen. Die wird – je nach Elektron – diverse Werte annehmen. Aber werden sie auch alle möglichen Energiewerte annehmen?

Wäre das Neutrino masselos, dann könnte das Elektron im Prinzip die gesamte Zerfallsenergie mitkriegen. Hat das Neutrino aber eine Masse, dann muss dem Elektron zumindest die der Ruhemasse des Neutrinos entsprechende Energie fehlen. Denn diese Energie muss beim Zerfall ja – simpel gesagt – aufgebracht werden, damit da überhaupt ein Neutrino entstehen und freigesetzt werden kann.

Wie weit reicht die Energie der Elektronen? (Simulation des Energiespektrums von Katrin: Zykure, CC-BY-SA 3.0)

Wie weit reicht die Energie der Elektronen? (Simulation des Energiespektrums von Katrin: Zykure, CC-BY-SA 3.0)

Mit Katrin will man nun also möglichst viele Elektronen des Tritium-Zerfall messen und ihre Energie bestimmen. All diese Energiewerte trägt man dann (wieder etwas vereinfacht gesagt) in ein Diagram ein. Und schaut dann nach, was die maximale Energie ist, die die Elektronen mitbekommen. Insgesamt stehen 18,6 Kilo-Elektronenvolt an Energie zur Verfügung. Je nachdem, wie groß die Neutrinomasse wirklich ist, können die Elektronen diese volle Energie aber nicht ausschöpfen. Und aus dem, was zu den 18,6 kEV noch fehlt, lässt sich die Masse der Neutrinos berechnen.

Das ist jedenfalls das Prinzip. Auf die Ergebnisse müssen wir noch warten. Am 11. Juni 2018 wurde Katrin offiziell eröffnet. Nun wird getestet und gearbeitet. Irgendwann kennen wir dann hoffentlich die genaue Masse der Neutrinos. Und finden dann endlich heraus, warum diese nervigen kleinen Dinger so kompliziert sind!

Kommentare (27)

  1. #1 Spritkopf
    18. Juni 2018

    Zum Transport der Vakuumkammer gibt es bei der Tube ein Video.

  2. #2 Crazee
    18. Juni 2018

    Das ist wirklich spannende Forschung. Danke für die Artikel/Podcasts.

  3. #3 Jens
    18. Juni 2018

    MIT Katrin misst man die Masse des Elektron-Neutrino. Wenn man die hat, kann man auf die Masse der anderen Neutrinos schließen?

  4. #4 René
    18. Juni 2018

    @Jens:
    Ich habe mal einen GEO Artikel (GEO NR. 07/2017) diesbezüglich gelesen. Dort stand, wie auch schon im Artikel von Florian erklärt, dass das Elektron alle möglichen Energiezustände einnehmen kann, aber ganz ganz selten, bekommt das Elektron die gesamte Energie bei der Aufspaltung ab und das Elektronneutrino nichts. Die Energie des eingefangenen Elektrons ist dann maximal. Nun kann man damit auf die Energie des Ursprungsneutrinos schließen und über E=mc^2 auf die Masse des Neutrinos.
    Die Wahrscheinlichkeit, dass genau diese Energieaufteilung eintritt ist in etwa so graß, als wenn man im Lotto zweimal direkt hintereinander den Jackpot knackt.

  5. #5 Jojo
    18. Juni 2018

    Hier gibts auch einen interessanten Film vom KIT zu dem Thema: https://youtu.be/1w_B0xeR3jo
    Mehr Info: https://www.katrin.kit.edu/

  6. #6 René
    18. Juni 2018

    Musste nochmal nachlesen und gemerkt, dass es vielleicht etwas missverständlich war.
    Bei dem Zerfall wird insgesamt eine Energie von 18,6 keV frei, wovon das freiwerdende Elektron im Mittel 5,7 keV kinetische Energie mitbekommt. Die verbleibende Energie ist eine Summe aus Masse des Neutrinos und kinetische Energie des Neutrinos. Das ist das Problem. Da wir die 1. die Masse des Neutrinos nicht kennen, und 2. nur das Elektron direkt beobachten können, wissen wir nicht, wie die Restenergie in Masseenergie (E=mc^2) und kinetische Energie des Neutrinos aufgeteilt ist.
    Die Stochastik besagt aber, dass es bei ganz ganz wenigen Zerfallsprozessen fast die gesamte Energie des Prozesses auf das Elektron abfällt. Das Neutrino bekommt also keine kinetische Energie ab. Dadurch verschwindet die Summe und die Energiedifferenz der Elektronenenergie zu der GEsamtenergie muss also die Ruhemasseenergie sein. Das ist das, was mit Katrin gemessen werden soll.

  7. #7 MartinB
    18. Juni 2018

    ““Neutrino-Waage Katrin” – das klingt wie etwas aus einer seltsamen Abteilung von IKEA. ”
    YMMD

  8. #8 pane
    18. Juni 2018

    Zum Transport bleibt natürlich die Frage, warum man nicht einfach den Rhein-Main-Donau-Kanal genommen hat. Ich schätze mal, weil die Brücken nicht hoch genug sind. Die über dem Rhein sind es aber anscheinend, und zwar zumindest bis Karlsruhe.

  9. #9 walter
    18. Juni 2018

    Es is immer wieder faszinierend, dass man riesigste Geräte braucht um solch kleine Teilchen zu finden und zu erforschen. Und dann erst die dahinter stehende Technik! Unglaublich. Bin schon gespannt was man alles finden wird.

  10. #10 gedankenknick
    18. Juni 2018

    Werden da die Experimentalabfälle eigentlich recycled? Und wenn nicht, kann man dann anschließend die Neutrinos benutzen, um sein Eigenheim zu heizen, nachdem sie gewogen wurden und nicht mehr gebraucht werden? Gemäß Herrn H.T.Sch. ließe sich ja zumindest das Elektroauto “Pi” hervorragend mit Neutrinos antreiben, wenn man die bloß mal zu fassen und in den Tank bekommen würde… ^^
    *duck&cover*

  11. #11 Reggid
    18. Juni 2018

    Was ja kein Problem wäre, würde das Standardmodell der Teilchenphysik nicht vorhersagen, dass Neutrinos masselos sind. Und wenn das Standardmodell ansonsten auch eine der erfolgreichsten naturwissenschaftlichen Theorien ist, irrt es hier eindeutig.

    das Standardmodell sagt nicht vorher, dass Neutrinos masselos sein müssen. neutrinomassen ungleich 0 sind im Standardmodell überhaupt kein Problem.

    es gibt verschiedene modelle (wie z.B. majorana-neutrinos und seesaw mechanismus) um zu erklären warum die neutrinomassen so viel viel kleiner sind als die anderen, weil man das als “unnatürlich” empfinden kann (wobei wir auch bei der masse des elektrons und des topquarks einen faktor >10^5 unterschied haben und das im rahmen des standardmodells niemanden zu stören scheint.). aber wenn einen diese “unnatürlichkeit” nicht stört dann kann man neutrinomassen im standardmodell 1:1 gleich wie für alle anderen fermionen über den standard higgs-mechanismus einführen. da gibt es wirklich nicht ein problem damit, keinen widerspruch, alles ganz standard.

    der grund warum es oft heißt dass im “standardmodell” die neutrinos masselos sind ist einfach ein historischer. als das was man heute “standardmodell” nennt fertig ausgearbeitet wurde und auch seinen namen als solches erhielt, gab es eben noch keinen einzigen hinweis darauf dass neutrinos eine masse haben. also wurde sie – mit allen damaligen experimentellen befunden konsistent – als masselos angenommen. aber nicht aus irgendeiner theoretischen notwendigkeit heraus.

    erst später fand man durch die neutriooszillation heraus dass sie eben doch eine von 0 verschiedene masse haben müssen (bzw. ganz streng genommen folgt daraus eigentlich nur das mindestens zwei der drei Neutrinos massive sein müssen). jetzt zu sagen dass neutrinomassen dem Standardmodell widersprechen würden oder das Standardmodell etwas anderes vorhergesagt hätte, beschreibt die tatsächliche Situation aber nicht korrekt.

    die bloße annahme von m=0 aus dem grund das man damals eben keine hinweise auf eine masse hatte, ist ganz sicher keine vorhersage von irgendetwas. (das standardmodell sagt im übrigen gar keine fermionmassen vorher. das sind alles rein experimentell bestimmte werte).

    bei neutrinos gibt es neben der “unnatürlichkeit” schon noch andere gründe warum man gerne über anderen modellen zur massenerzeugung zusätzlich zum normalen higgsmechanismus spekuliert. nämlich – ganz salopp gesagt – weil es möglich ist. rechtshändige neutrinos wären im standardmodel ungeladen unter allen wechselwirkungen (elektromagnetisch, stark und schwach) und damit sind neutrinos die einzigen teilchen im standardmodell für die prinzipiell die möglichkeit besteht ein sog. “majorana-masse” zu haben (für die geladnen fermionen ist dies nicht möglich). und oftmal hat die erfahrung gezeigt dass wenn irgendetwas nicht durch eine bestimmte symmetrie verboten ist, dann ist es das wert dort genauer hinzusehen.

    aber wie gesagt: wenn man will kann man neutrinomassen im standardmodell ganz normal wie für alle anderen fermionen auch einführen. auch wenn’s vielleicht ein bisschen langweilig ist.

  12. #12 Yeti
    18. Juni 2018

    Warum muss das so ein riesen Trumm sein?

    Mir fällt spontan kein Argument ein, warum dieses Experiment bzw. diese Messungen nicht auch in einer Flaschen- oder vielleicht nur Automobil-großen Vakuumkammer durchzuführen.

    Meine Vermutung:

    Es geht darum viele Messungen zu machen (viele Tritium-Zerfälle pro Zeit) und trotzdem ein taugliches Vakuum für die Messung an sich zu haben.

    Kommt das etwa hin?

  13. #13 Karl Mistelberger
    18. Juni 2018

    > “Neutrino-Waage Katrin” – das klingt wie etwas aus einer seltsamen Abteilung von IKEA.
    Kurie-Plot sieht auf einen flüchtigen Blick aus wie ein Tippfheler, aber:

    2. Neutrinoless double beta decay and neutrino masses

    We begin with the arguably best motivated possibility for the decay, the ‘standard interpretation’ or ‘mass mechanism’, namely that the light massive neutrinos that we observe to oscillate in terrestrial experiments mediate double beta decay. In this case, searches for the process are searches for neutrino mass, complementing the other approaches to determine neutrino masses. Those approaches include direct searches in classical Kurie-plot experiments like the upcoming KATRIN [23], Project 8 [24], ECHo [25] or MARE [26] experiments, and cosmological observations, …

    https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1367-2630/17/11/115010/meta

  14. #14 Wizzy
    18. Juni 2018

    @Yeti
    Nein. Um die kleinen Neutrinomassen zu bestimmen, muss die Energieauflösung exorbitant gut sein, was nur eine große Magnetfeldfläche leistet. Genaueres hier: https://de.wikipedia.org/wiki/KATRIN#Spektrometer “Um die Verringerung von B auf 1/20000 zu erreichen, muss der freie Querschnitt zwischen den Spulen auf das 20000-fache des Spulenquerschnitts anwachsen; dies erklärt die großen Ausmaße des Hauptspektrometer-Vakuumtanks (Durchmesser 10 m).”

  15. #15 Bullet
    18. Juni 2018

    Was ich nicht so ganz verstehe: bei diesem Riesending ist es doch bestimmt einfacher, das an Ort und Stelle zusammenzubauen und nur die Werkzeuge zum Bau zu transportieren. Den Berg zum Propheten, gewissermaßen. Weiß eine/r, warum das hier offenbar nicht griff?

  16. #16 Florian Freistetter
    18. Juni 2018

    @Reggid: “aber wenn einen diese “unnatürlichkeit” nicht stört dann kann man neutrinomassen im standardmodell 1:1 gleich wie für alle anderen fermionen über den standard higgs-mechanismus einführen. da gibt es wirklich nicht ein problem damit, keinen widerspruch, alles ganz standard.”

    Kann man, klar. Aber tut man ja anscheinend nicht. Zumindest nicht standardmäßig im Standardmodell, oder? Denn ansonsten wäre es ja keine so große Überraschung gewesen, als man die Oszillationen fand. Aber wenn Neutrinos so komplett unproblematisch wären fürs Standardmodell, dann würd man ja nicht all diese Experimente machen, um die Dinger zu verstehen.

  17. #17 Reggid
    18. Juni 2018

    @Florian

    Denn ansonsten wäre es ja keine so große Überraschung gewesen, als man die Oszillationen fand

    wenn man bis 70 jahre nach der ersten vorhersage des Teilchens und 50 jahre nach dem ersten nachweis eben dieses Teilchens noch nie einen hinweis auf eine masse hatte (und daher auch immer vom masselosen fall ausgegangen ist), dann ist es natürlich schon eine große sache wenn man dann plötzlich doch rausfindet dass es anders ist. unabhängig davon ob das dem theoretischen Modell dahinter widerspricht oder nicht.

    Aber wenn Neutrinos so komplett unproblematisch wären fürs Standardmodell, dann würd man ja nicht all diese Experimente machen, um die Dinger zu verstehen.

    erstens ist das mit dem “unproblematisch” eine gewisse geschmackssache. denn es gibt keinen strikten mathematischen grund die große Hierarchie zwischen den neutrinomassen und den anderen massen im Standardmodell als Problem zu sehen. es ist eben – wie man sagt – “unnatürlich”. aber ein strenger grund ist das nicht.

    dazu kommt noch die sache mit der möglichen majorana eigenschaft der neutrinos. das wäre sehr interessant und für manche vielleicht auch “natürlicher” (weil der majorana term durch nichts verboten zu sein scheint), aber streng genommen notwendig ist es auch nicht um die massen zu erklären. aber spannender wäre es halt. (und ein gewisses wunschdenken gehört halt auch dazu, weil natürlich will man ja was neues entdecken)

    und zweitens weiß man ja auch nach wie vor nichts über die absoluten werte der neutrinomassen. die oszillationen liefern einem ja nur die differenzen (daher könnte ja rein prinzipiell auch eines immer noch exakt masselos sein, auch wenn davon wohl kaum jemand ausgeht – wieder weil’s ja “unnatürlich” wäre), nur die kosmologie konte bisher ein paar schranken an die neutrinomassen liefern. d.h. sogar WENN man keine gründe hätte zu glauben dass noch mehr dahinter steckt (und die hat man ja, ich sage ja nur das es nicht strikt notwendig ist und die massen dem standardmodell an sich nicht widersprechen), wäre es immer noch die experimente wert um die tatsächlichen werte der neutrinomassen zu messen.

  18. #18 Wizzy
    18. Juni 2018

    @Bullet
    Gute Frage, ich vermute mal dass das in der Fertigungshalle der MAN DWE GmbH grundsätzlich einfacher und bezahlbarer zu fertigen war als das ohne eine solche in Karlsruhe mit der geforderten hohen Präzision hinzubekommen. Der Finanzrahmen spielt dabei eine große Rolle.
    Fun fact: Der Autobahntransport war eigentlich eingeplant und es kam erst nachher heraus, dass die Maße (genauer die Raummaße(!), Tonnage war passend geplant) dies nicht zuließen. Allerdings war der knapp 9000 km lange Schiffstransport als kreativer Notfallplan dann nicht so teuer wie man denkt – es gab eine zeitliche Verzögerung von einigen Monaten, die aus Gesamtprojektsicht letztlich gut vertretbar war.

  19. #19 Florian Freistetter
    18. Juni 2018

    @Reggid: Ich seh schon, ich muss irgendwann mal was über diese ganze Majorana-Sache schreiben, damit ich das auch ordentlich verstehe 😉

  20. #20 Marcel
    Krefeld
    18. Juni 2018

    Wow.. Ich mein dann muss ja an ganz schön vielen Schrauben des Standardmodells “gedreht” werden. Aber Experimentalphysiker haben schon länger versucht den Theoretikern klar zu machen, dass sie der Theorie nach masselosen Teilchen eben doch Masse zurechnen mussten. Hat den Theoretiker nur nicht geschmeckt. ” Störe meine Gleichung nicht” Oder ich hab da was falsch bzw. übertrieben in Erinnerung. Mal sehen ob und wie sich das auf Astronomische Modelle auswirkt. Immerhin auch Masse die nicht berücksichtigt wurde. Da will ich ehrlich sein. Ich verstehe die Notwendigkeit das Konzept der dunklen Materie eingeführt zu haben. Nur kommt mir das eher naja unwissenachaftlich vor, Masse die man nicht Messen kann. Aber Faradays Magnetfelder waren ja ähnlich.. wollte man auch nicht glauben. Wieviel Neutrinos braucht man wohl für eine Sonnenmasse hehe??

  21. #21 Florian Freistetter
    18. Juni 2018

    @Marcel: “Wieviel Neutrinos braucht man wohl für eine Sonnenmasse hehe??”

    Also man kann die Menge an Neutrinos schon abschätzen. Aus Messungen, aber auch aus der Theorie. Immerhin kommen die ja nicht aus dem Nichts, sondern (vor allem) aus den Sterne. Und so viele Sterne um ausreichend Neutrinos zu produzieren, um die dunkle Materie zu erklären, gibts nicht.

  22. #22 Marcel
    18. Juni 2018

    @FF
    Hast mich nicht enttäuscht. Ich wusste da kommt noch dieses schönen Abends ne Antwort. Das dachte ich mir im Nachgang als ich es abgeschickt hatte, dass man es so versteht.. Natürlich glaube ich nicht ernsthaft Neutrinos könnten die beobachtete Bewegung der Galaxien erklären 🙂
    In Ermangelung besserer Konzepte bleibt ja nur mit dem Wissen zu arbeiten, dass wir haben. Ich kann auch verstehen, dass sich da keiner mit Newton anlegen wollte. Aber vielleicht wird doch etwas Übersehen.. Ich fand den Artikel über die Galaxie, die ohne dunkle Materie auskommt, so unglaublich faszinierend.
    Ich hoffe doch es war einer von deinen.. wenn nicht..
    Ich mag SciencBlogs.de 🙂
    mit besten Grüßen

  23. #23 Captain E.
    18. Juni 2018

    Und wieviele primordiale Neutrinos könnte es wohl geben?

  24. #24 Wizzy
    19. Juni 2018

    @Captain E.
    Lesenswert ist dazu https://en.wikipedia.org/wiki/Cosmic_neutrino_background “[Primordial neutrinos] have a very low energy, around 10−4 to 10−6 eV. [The cosmic neutrino background] may not be directly observed in detail for many years, if at all.”

    Allerdings gibt es indirekte Evidenz zur Anzahldichte (s.e.). Derzeit wird nicht erwartet, dass der CNB etwas zur Dunklen Materie beiträgt – eher umgekehrt: Dar 1991 NASA, Konferenzabstract: “[…] dark matter annihilation could have […] contributed significantly to the cosmic neutrino background.”

  25. #25 Chemiker
    Karlsruhe
    19. Juni 2018

    Eine kleine Korrektur: Der Tritium-Zerfall findet nicht in diesem Tank statt, der Tank dient ‘nur’ als letzte Stufe der Energiemessung der Elektronen. Der Aufbau ist ca. 70m lang, davon entfallen nur 20m auf den Haupttank. Ganz am Anfang von KATRIN ist ein mit flüssig Neon/Argon thermostatisiertes Rohr, in dem sich eine relevante Menge T2 befindet (Bereich µbar). Die Messung selber findet in diesem Tank in einem Hochvakuumtank statt, und leider sind alle normalen Techniken, um Strahlung aus einem Bereich mit hohem Druck in einen mit niedrigen zu bekommen, hier verboten. Diaphragmen z.B. würden die Energie der Elektronen verändern, ein absolutes No-Go. DAher folgt auf die Elektronenquelle erst mal ein längeres Rohr, an dem seitlich viele Pumpen das Tritium wegpmpen. Damit kommt man in einen Bereich, in dem relevante freie Weglängen auftreten und der Elektronenstrohm wird über vier Spiegel U-förmig umgelenkt. Das inzwischen hochverdünnte neutrale Gas tut sich da berets sehr schwer. Nebenbei: Nur Spiegel als elektronenoptiken sind erlaubt, die ändern nichts an der Energie. Danach kommen wieder ein paar Pumpen. Zwischen dieser Driftstrecke und dem Hauptspektrometer ist noch ein deutlich kleineres Vorspektrometer verbaut in dem erst mal mindestens 99% der Elektronen in nicht so interessanten Energiebereichen weggeworfen werden. Diese Spektrometer sind Hochvakuumtanks, der große der mit Abstand größte der Welt für so wenig darinnen. Druckverhältnisse im Bereich 10^-10 bis 10^-11 mbar. Das ist auch der Grund, warum das nicht vor Ort zusammengebastelt werden kann – das ist nicht ganz so einfach. Schon eine Pore in einer Schweißnaht, aus der dann ganz langsam Zeugs in das Vakuum hineindiffundiert kann alle Planungen über den Haufen werfen. Genauer gibt es das alles auf https://www.katrin.kit.edu/, das würde ich neugierigen auch empfehlen. Ich selber gehöre nicht zu dem Experiment, hatte aber mal eine ganze Hannover Messe das Glück, genau neben den Brüdern und Schwestern von KATRIN zu stehen und viele Gespräche mit anhören zu können. Beeindruckend, nicht nur die pure Größe, auch die Genauigkeitsanforderungen. Die Messung ist im Prinzip der Versuch, eine sehr kleine Größe als Differenz zweier großen zu bestimmen – das macht das echt nicht einfach.

  26. #26 Florian Freistetter
    19. Juni 2018

    @Chemiker: “Eine kleine Korrektur: Der Tritium-Zerfall findet nicht in diesem Tank statt, der Tank dient ‘nur’ als letzte Stufe der Energiemessung der Elektronen.”

    Habs jetzt genauer beschrieben. Danke.

  27. […] Die Neutrino-Waage Katrin nimmt den Betrieb auf […]