Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 312: Mizar
Mizar ist ein Stern. Das ist zwar falsch, wie wir noch hören werden, aber fürs erste belassen wir es erst einmal dabei. Wer Mizar sehen will, muss am Himmel den Großen Wagen suchen. Diese markante Konstellation von Sternen werden die meisten kennen. Dabei handelt es sich übrigens nicht um ein Sternbild sondern um einen Asterismus, wie ich in Folge 190 schon erklärt habe. Der Große Wagen ist Teil des Sternbilds Großer Bär – aber heute soll es ja nicht um Sternbilder gehen, sondern um Mizar.
Am hinteren Ende des Großen Wagens kann man den hellen Stern Mizar sehen. Das geht auch mit freiem Auge sehr gut. Und direkt neben Mizar liegt ein anderer Stern – Alkor, ebenfalls sehr hell und gut mit freiem Auge sichtbar. Sofern man halbwegs gute Augen hat. Denn die beiden Sterne liegen sehr dicht nebeneinander und man muss einen scharfen Blick haben, um beide getrennt voneinander wahrnehmen zu können. Deswegen war Mizar schon in der Antike als “Augenprüfer” bekannt, also als Stern an dem man sein Sehvermögen testen konnte.
Die Nähe der Sterne hat sich in den entsprechenden Überlieferungen niedergeschlagen. Bei den arabischen Astronomen waren Mizar und Alkor als “Pferd” und “Reiter” bekannt; in Nordamerika sah man Mizar als Frau, die ein Kind auf dem Rücken trägt. Oder, bei den kanadischen Ureinwohnern, als Jäger Chickadee und seinen Kochtopf.
Mizar und Alkor stehen allerdings nicht nur dicht nebeneinander am Himmel sie sind auch beide ungefähr 83 Lichtjahre von der Erde entfernt. Es wird aber noch ein wenig komplizierter. Denn zu Beginn des 17. Jahrhunderts begannen die Astronomen das erste Mal damit, Fernrohre zu benutzen um den Himmel zu beobachten. Und als der italienische Naturwissenschaftler Benedetto Castelli sein Instrument auf Mizar richtete, sah er auf einmal nicht mehr nur einen Lichtpunkt, sondern zwei. Das berichtete er seinem Lehrer Galileo Galilei, der die Beobachtung bestätigen konnte.
Dass es sowas wie echte Doppelsterne geben kann, also zwei Sterne die einander umkreisen, wusste man damals noch nicht. Aber Mizar, der eben nicht nur ein Stern ist sondern zwei, war wohl der erste Doppelstern, den man mit einem Teleskop entdeckt hatte. Und es gab in dieser Region am Himmel noch weitere Entdeckungen zu machen. Der Thüringer Mathematiker und Astronom Johann Georg Liebknecht beobachtet im Dezember 1722 mit seinem Teleskop einen schwachen Lichtpunkt zwischen Mizar und Alkor. Er glaubte ebenfalls zu sehen, wie dieser Lichtpunkt sich bewegte. Er war daher überzeugt, dass es sich um einen noch unbekannten Planeten des Sonnensystems handeln musste, den er “Sidus Ludoviciana” nannte, also “Ludwigs Stern”, nach dem Landgrafen Ludwig V. von Hessen-Darmstadt der die damalige Ludwigs-Universität in Gießen gegründet hatte, an der Liebknecht arbeitet. Der Versuch, sich bei seinem Chef einzuschmeicheln war aber nicht erfolgreich. Denn Liebknecht hatte übersehen, dass der “Planet” schon 1616 von Benedetto Castelli entdeckt worden war; genau da, wo er fast 100 Jahre später immer noch am Himmel stand. Er konnte sich nicht bewegt haben; war also kein Planet sondern einfach nur ein Stern.
Mizar selbst, beziehungsweise um ab jetzt genau zu sein: Die beiden Sterne die den Doppelstern Mizar bilden, wurde aber natürlich weiter erforscht. Im 19. Jahrhundert war er der erste Doppelstern, der mit der damals neuen Technik der astronomischen Fotografie abgebildet wurde. Und wirklich interessant wurde es dann 1889. Die amerikanische Astromomin Antonia Maury war damals damit beschäftigt die Spektren von Sternen zu analysieren und kategorisieren. Ein Spektrum kriegt man, wenn man das Licht eines Sterns in seine Bestandteile aufspaltet, also in die unterschiedlichen Farben aus denen es besteht. In diesem Regenbogen der Farben des Sternlichts findet man aber auch jede Menge dunkle Linien. Die werden von den chemischen Elementen erzeugt, aus denen der Stern besteht und die jeweils einen ganz charakteristischen Teil des Lichts blockieren.
Die Position dieser Linien lässt sich dabei sehr gut theoretisch vorhersagen. Wenn der Stern sich aber bewegt, verschieben sich auch die Linien. Und wenn der Stern periodisch hin und her wackelt, dann wackeln auch die Linien hin und her. Das Wackeln der Linien kann man – auf jeden Fall damals – sehr viel besser und genauer beobachten als das Wackeln des Sterns selbst. Als nun Antonia Maury den helleren Stern des Mizar-Doppelsterns – der offiziell Mizar A – genannt wird, beobachtete und sein Spektrum untersuchte, fand sie dort genau so ein Wackeln. Das wurde nicht durch die Bewegung von Mizar A um seinen Partner Mizar B verursacht; das hatte Maury schon berücksichtigt. Sondern Mizar A musste selbst wieder ein Doppelstern sein; dessen beide Komponenten so eng beieinander stehen, dass man sie nur durch die Spektralanalyse entdecken konnte. Antonia Maury war die erste, die das entdeckt hatte, was wir heute einen “spektroskopischen Doppelstern” nennen.
Wir haben nun also Mizar und Alkor, dicht nebeneinander. Mizar selbst besteht aber eigentlich aus den Sternen Mizar A und Mizar B. Und auch Mizar A ist ein Doppelstern, dessen Komponenten Mizar Aa und Mizar Ab genannt werden. Aber das war noch lange nicht das Ende der Geschichte. 1908 fanden die Astronomen Hans Ludendorff und Edwin Frost dass auch Mizar B ein spektroskopischer Doppelstern ist.
Mizar ist also kein Stern, wie ich anfangs gesagt habe. Es handelt sich um ein Vierfachsternsystem, das wir uns jetzt ein wenig genauer ansehen. Sowohl Mizar Aa als auch Mizar Ab sind heiße, große Sterne vom Typ A mit einer Oberflächentemperatur von etwa 9000 Grad (also fast doppelt so heiß wie die Sonne). Sie sind beide mehr als 2,5 so groß wie die Sonne und leuchten mehr als 30 Mal heller als unser Stern. Auch die Massen sind fast identisch: Jeweils ein wenig mehr als die doppelte Sonnenmasse. Der Abstand zwischen ihnen schwankt zwischen 0,12 und 0,39 Astronomische Einheiten. Damit sind sie einander immer näher als es in unserem Sonnensystem die Sonne und der Merkur sind – es handelt sich also tatsächlich um ein sehr enges Doppelsternsystem.
Was Mizar B angeht, wissen wir leider noch nicht ganz so viel. Wir wissen, dass die beiden Sterne Mizar Ba und Mizar Bb einander nicht so ähnlich sind wie die Komponenten von Mizar A. Ihre Massen und Leuchtkräfte müssen unterschiedlich sein; vermutlich ist Mizar Ba ungefähr doppelt so schwer die Sonne währen Mizar Bb deutlich leichter ist. Sie brauchen circa 175 Tage um einander zu umkreisen, wie groß der Abstand zwischen ihnen ist, ist ebenfalls unbekannt.
Wie lange die beiden Sternpaare von Mizar A und Mizar B brauchen, um einander zu umkreisen, wissen wir ebenfalls noch nicht exakt. Dafür haben wir sie noch nicht lange genug beobachtet. Sie werden aber auf jeden Fall ein paar tausend Jahre benötigen. Es ist ebenfalls noch nicht ganz klar, ob die vier Sterne von Mizar vielleicht auch noch zusammen mit Alkor ein Mehrfachsternsystem bilden ob sie einander nur zufällig nahe sind. Nach den genauesten Messungen die wir bis jetzt haben, beträgt der Abstand zwischen Alkor und Mizar circa 0,28 Lichtjahre. Das ist ziemlich wenig, wenn es sich um eine rein zufällige Begegnung handeln sollten.
Andererseits sind Alkor und Mizar Teil des Ursa-Major-Sternhaufens. In so einem Haufen können Sterne einander immer wieder nahe kommen beziehungsweise kann die ganze gravitative Interaktion zwischen all den Sternen die Bildung von Doppelsternen zwischen denen ein großer Abstand liegt, auch verhindern. So lange wir nicht mehr und bessere Beobachtungsdaten über die Bewegung der Sterne haben, können wir schwer entscheiden, ob die beiden wirklich zusammengehören oder nicht.
Aber wenn, dann können wir unserem Sternenensemble noch ein weiteres Mitglied hinzufügen. Denn auch Alkor ist kein Einzelstern sondern besteht aus zwei Komponenten. Dann hätten wir es hier also mit einem Vierfachsternsystem zu tun, das zusammen mit einem Doppelsternsystem ein Sechsfachsternsystem bildet. Und damit wäre das Ende vielleicht immer noch nicht erreicht. Beobachtungen aus dem Jahr 2016 legen nahe, dass Mizar Aa und Mizar Ab eventuell noch von einem weiteren, sehr leuchtschwachen Stern umkreist werden. Einem Stern, der selbst wiederum ein Doppelsternsystem ist. Dann wäre wir insgesamt schon bei acht Sternen, die dort im Großen Wagen einander umkreisen.
Es lohnt sich also den kleinen Lichtpunkt im Großen Wagen weiterhin im Auge zu behalten! Es würde mich nicht überraschen, wenn ein genauerer Blick dort noch mehr Himmelskörper sichtbar macht…
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