Der November ist irgendwie vergangen, ohne das ich was davon gemerkt habe. Bzw. hab ich zuviel gemerkt und deswegen den November verpasst. Ich bin andauernd durch die Gegend gereist, mein Podcast ist kaputt gegangen und immer noch repariert und ein paar Dutzend andere Kleinigkeiten sind passiert. Und dann schaut man auf den Kalender und sieht: Oha, der Monat ist rum und ich hab gar keine Zeit gehabt darüber nachzudenken, was ich über die Bücher schreiben kann, die ich zwischendurch gelesen habe. Deswegen gibt es heute zur Abwechslung mal nur eine kurze Buchempfehlungsrunde. Denn trotz allen Stresses habe ich doch ein paar Bücher gelesen, die ich euch sehr gerne empfehlen möchte!
Krimis aus Berlin
“Neuntöter” und “Blutbuche” von Ule Hansen: Das war ja mal ne Überraschung. Ich les zwar schon Krimis, aber meistens eher nur dann, wenn es irgendeinen besonderen Grund gibt. Zum Beispiel wenn ich irgendwo bin wo ich noch nie war und mir zur Einstimmung einen passenden Regionalkrimi besorge. Oder wenn das Setup irgendwie besonders ist; mit wissenschaftlichen Hintergrund zum Beispiel. Aber die beiden Bücher von Ule Hansen sind eigentlich auf den ersten Blick ganz klassische Krimi/Thriller. Es geht um irre Serienmörder und die “Profilerin” Emma Carow die die Morde aufklären will. Also nichts, was man nicht anderswo so schon oft genug gelesen und gesehen hätte. Aber trotzdem hab ich die Bücher nicht mehr aus der Hand legen können. Die Atmosphäre ist so dicht; die Figuren und natürlich ganz besonders die Hauptperson sind so echt und die Details der Handlung so originell und überraschend intelligent, dass man nicht mehr aufhören will zu lesen wenn man mal angefangen hat. Wenn ihr Krimis mögt, dann lest die Bücher. Und wenn ihr bis jetzt skeptisch wart, was dieses Genre angeht: Lest sie ebenfalls!
Anhalter trifft Star Trek
“Gate Crashers” (auf deutsch noch nicht verfügbar) von Patrick Tomlinson ist hervorragende Science-Fiction. Science-Fiction, die sich selbst nicht allzu ernst nimmt. Es liest sich ein wenig wie “Per Anhalter durch die Galaxis” sein hätte können, wenn Douglas Adams nicht nur Pointen sondern auch eine vernünftige Handlung geschrieben hätte. Und tatsächlich war der Anhalter auch der maßgebliche Einfluss für Tomlinsons Buch. Die Menschheit ist dabei, sich zu den nächsten Sternen aufzumachen. Und findet unterwegs tatsächlich die ersten Anzeichen einer intelligenten außerirdischen Zivilisation. Mitten im Weltall liegt eine komische Boje rum, mit einer komischen Aufschrift. Und als die dann entziffert wird… steht da was, was ich euch nicht verrate 😉 Man merkt dem Buch neben Adams auch die Inspiration durch Star Trek an – allein der genial überzeichnete Captain Maximus Tiberius. Und dann wieder Adams, wie bei dem komischen Quantencomputerkult im Keller der NASA. Lest das Buch einfach, wenn ihr ein paar sehr vergnügliche Stunden haben wollt. Neben all den schon erwähnten Einflüssen ist es eine sehr schöne Variation der “Menschheit trifft Aliens”-Thematik mit einer Geschichte und einem Ende für das sich weder Star Trek noch der Anhalter schämen hätten müssen.
Prophet wider Willen
“The Oracle Year” (auf deutsch: “Oracle Year – Tödliche Wahrheit”) von Charles Soule klingt zumindest in der deutschen Version viel ernsthafter als es eigentlich ist. Es geht darin um Will Dando, einen mäßig erfolgreichen Musiker. Der eines Tages mit über 100 sehr exakten Prophezeiungen über die Zukunft im Kopf aufwacht. Er hat keine Ahnung woher sie kommen und keine Ahnung was er damit soll. Wem nützt es zu wissen, dass an einem bestimmten Tag ein bestimmter Prediger sein Steak pfeffern wird? Oder dass ein unbedeutender Schauspieler nach einer Aufführung Standing Ovations bekommen wird? So oder so: Dando veröffentlicht ein wenig davon im Internet und findet heraus, was er damit anstellen kann: Absurd reich werden! Aber natürlich ist alles ein wenig komplizierter, als es klingt. Und Propheten haben es schwer, vor allem wenn ihre Vorhersagen immer korrekt sind. “The Oracle Year” ist ein sehr ungewöhnliches Buch, das spannend, lustig und tragisch zugleich ist und darüber hinaus auch noch jede Menge Material zum Nachdenken über grundlegende philosophische Themen liefert. Wer hätte gedacht, was aus so nem Pfeffersteak alles entstehen kann…
Etikette ist wichtig
“Die Kunst der Benennung” von Michael Ohl ist ein sehr schönes Buch. Wer noch ein intelligentes Weihnachtsgeschenk für intelligente Leute sucht, liegt damit absolut richtig. Ohl schreibt über die Taxonomie in der Biologie. Das klingt jetzt zwar nicht, als wäre das Material für ein spannendes Buch. Ist es aber! Es geht darum, wie biologische Arten ihre Namen bekommen. In der Astronomie ist das ja einfach. Wer einen Asteroid entdeckt, gibt ihm halt nen Namen und fertig. Es gibt ein paar simple Regeln (keine Schimpfwörter, keine Doppelungen, usw) aber kompliziert ist das nicht. Aber in der Biologie ist das anders. Das fängt schon mit der Frage an, was eigentlich eine Art ist? Wie stellt man fest, ob man es mit zwei unterschiedlichen Exemplaren einer Art zu tun hat oder mit zwei Exemplaren unterschiedlicher Arten. Bei nem Elefant und einem Gänseblümchen ist das leicht zu klären. Aber wenn es zum Beispiel um Insekten geht, schon viel schwieriger. Da gehts dann um Details, die nur mit dem Mikroskop sichtbar sind oder oft nichtmal da. Und wenn man ne Art mal identifiziert hat: Wie stellt man sicher, dass andere, die irgendwo Pflanzen oder Tiere klassifizieren, auch in der Lage sind, das zu tun? Wie beschreibt man eine Art korrekt, so dass alle für alle Zeiten wissen, was Sache ist? All das erklärt Ohl und er erklärt es amüsant, verständlich und mit Tiefgang. Von Adolf Hitler und seinem Einfluss auf den Namen der Fledermäuse bis hin zu Themen wie kategorischer Ontologie ist alles drin. Und vor allem macht Ohl deutlich, dass Taxonomie mehr ist als nur Etiketten kleben. Sondern eine fundamental wichtige Disziplin für das Verständnis der Welt und die Veränderung, der sie unterworfen ist. Phänomene wie die Biodiversität oder das Artensterben können wir nicht vernünftig verstehen, wenn wir zuvor nicht klären, was für Arten da eigentlich sind, die divers oder ausgestorben sein können.
Wer glaubt schon an den Zufall?
“Als der Zufall sich verliebte” von Yoav Blum: Das ist vermutlich das schönste Buch, das ich im November gelesen habe. Eigentlich ist es eine Liebesgeschichte, nur eben eine die sich in ein sehr seltsames Gewand hüllt. Es geht um “Zufallsstifter”. Das sind – nicht näher spezifizierte – Wesenheiten/Menschen die im Auftrag einer – ebenfalls nicht näher spezifizierte – Macht das tun, was ihr Name nahelegt. Nämlich für Zufälle zu sorgen. Das eine mal, als du den Bus genommen hast statt des Autos und dort deine zukünftige Frau kennengelernt hast? Als du zufällig im Fernsehen eine Sendung über Literatur gesehen hast und doch Schriftstellerin wurdest anstatt Buchhalterin? Als Wissenschaftler unerwartet Penicillin entdeckt haben? Als der Bus ohne Vorwarnung um die Ecke bog und dich umgefahren hat? War alles Zufall – aber nicht planlos. Denn die Zufallsstifter sorgen dafür, dass der Zufall keine Wahl hat. Dabei sind sie keine magischen Wesen; sie können den Zufall nicht einfach in die Welt zaubern. Das Buch ist durchsetzt mit einer wunderbaren Wissenschaftsparodie in der die Disziplin der Zufallsschaffung dargelegt wird. Man muss in und mit der Welt arbeiten, die vorhanden ist. Und durch unvorstellbar absurde und komplexe Kausalketten dafür sorgen, dass am Ende genau zufällig das passiert, was passieren soll. Der Schmetterlingseffekt auf Steroiden quasi (und die wirklich allerschönste Konsequenz des Schmetterlingseffekt die ich je gelesen habe und das sage ich jetzt auch als Experte für Chaostheorie). Und trotz all dieser thematischen Vielfalt bleibt genug Platz für die sehr elegante und tragisch-schöne Liebesgeschichte. Und die große Frage: Wie frei sind eigentlich die Zufallsstifter selbst bei ihren Handlungen? Absolute Leseempfehlung!
Verschwörungsoverkill
“Angela Merkel ist Hitlers Tochter. Im Land der Verschwörungstheorien” von Christian Alt und Christian Schiffer liefert genau das, was am Cover steht: Verschwörungstheorien in all ihrer Absurdität. Zum Glück ist es trotzdem ein unterhaltsames und vor allem größtenteils intelligentes Buch geworden. Bei solchen Themen besteht ja immer die Gefahr dass sich die Story auf “Schau mal wie doof die alle sind!” beschränkt. Oder auf “Das ist alles falsch und ich erklär euch jetzt mal genau warum das so ist, damit ihr dann gefälligst diesen Unsinn nicht mehr glaubt”. Beides tun die Autoren nicht, beziehungsweise wenn sie es tun, dann tun sie es bewusst und erklären auch, warum das kein vernünftiger Weg ist, mit dem Thema umzugehen. Das Buch ist keine Freak-Show sondern der Versuch zu klären, wo der ganze Verschwörungsquatsch eigentlich her kommt, warum er so populär ist und was man dagegen tun kann (Überraschung: Leuten zu sagen dass sie sich irren und erklären wie es wirklich ist, bringt genau gar nix!). Ich fand es vor allem gut, dass in dem Buch die Anhänger von Verschwörungstheorien nicht pauschal als irrationale Deppen dargestellt werden. Was sie ja eben nicht sind und sie dafür zu halten ist der schlechtestmögliche Ausgangspunkt für eine etwaige Aufklärung. Das Buch wird die Verschwörungstheorien nicht aus der Welt schaffen (wie denn auch?); es wird von Anhängern von Verschwörungstheorien vermutlich auch nicht gelesen werden. Aber es ist eine sehr gute Auseinandersetzung mit dem Thema und wer sich damit auseinandersetzen will, sollte es auf jeden Fall gelesen haben.
Feminismus ist notwendig
“Untenrum frei” von Margarete Stokowski klingt ein wenig nach seltsamen Sexratgeber. Ist aber alles andere als das. Die Journalistin und Autorin Stokowski hat ein Buch über Freiheit geschrieben. Die Freiheit, der die Ungleichbehandlung von und die ungleiche Sicht auf Männer und Frauen entgegen steht. Und diese Freiheit hat eben auch mit dem “Untenrum” zu tun. Oder wie Stokowski es schreibt: “Wir können nicht untenrum frei sein, wenn es obenrum nicht sind und umgekehrt. (…) Obenrum frei zu sein bedeutet Freiheit im politischen Sinne: frei von einengenden Rollenbildern, Normen und Mythen.” Und vermutlich werden jetzt einige denken: “Aber das mit der Gleichberechtigung haben wir doch schon erledigt – wenn die Welt so ist, wie sie ist, dann ist das halt so, aber an irgendwelchem Sexismus liegt das sicher nicht mehr!” Oder vielleicht denkt sich auch wer, sowas wie “Feminismus” braucht man heutzutage nicht mehr. Sicher denkt sich auch wer: “Feminismus! Das ist doch auch wieder ungerecht, warum heißt das nicht ‘Humanismus’?”. Und viele denken sicherlich: “OK, gut das ist sicher ein interessantes Buch für Frauen aber ich als Mann muss mich damit nicht beschäftigen”. Und all die, die so etwas denken, sollten genau dieses Buch lesen! Denn Stokowski schreibt nicht nur extrem witzig, sondern auch extrem intelligent. Und erklärt sehr genau und eindringlich, warum “Feminismus” eben mehr ist als nur das “(Hässliche) Frauen wollen die Weltherrschaft und die Männer unterdrücken”-Klischee. Es geht um Freiheit. Eine Welt, in der so etwas wie Feminismus wirklich nicht mehr notwendig ist, ist eine Welt in der es Frauen und Männern besser geht als heute. Deswegen ist dieses Thema auch für alle relevant. Und Stokowskis Buch auch und gerade für die (vorrangig wohl Männer) interessant und lesenswert die denken, sie bräuchten oder wollten es nicht lesen. Gebt euch einen Ruck, legt die Vorurteile kurz beiseite und werft einen Blick hinein. Es wird sich lohnen!
Was noch?
Nix mehr! Das reicht ja wohl auch für November! Aber im Dezember wird weitergelesen und wenn ich es schaffe, gibt es vielleicht auch wieder eine Weihnachtsbuchempfehlungsspezialausgabe. Bis dahin dürft ihr gerne eure eigenen Weihnachtsbuchempfehlungen mitteilen!
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