Wer braucht 22.426 Kugelsternhaufen? Nein, nicht das ich welche zu verkaufen oder verschenken hätte. Aber genau so viele haben Astronomen nun in einem neuen Katalog veröffentlicht (“A wide field map of intracluster globular clusters in Coma”). Jetzt sind Kugelsternhaufen sehr interessante Gebilde (siehe hier). Es sind kugelförmige Haufen von Sternen (was angesichts des Namens nicht sehr überraschend ist) und man findet sie in den Außenbereichen von Galaxien. Die Sterne aus denen die Haufen bestehen sind im Allgemeinen sehr alt und warum das so ist und wie die Dinger genau entstehen wissen wir heute immer noch nicht.
Aber jetzt haben wir 22.426 Stück von ihnen kartografiert. Wozu? Weil die Astronomie ein großes Problem hat: Wir können nur das sehen, was wir sehen können. Wollen gerne aber auch über Dinge Bescheid wissen, die wir nicht sehen können. Zum Beispiel: Was treiben eigentlich Galaxien so, wenn sie im Laufe von ein paar Milliarden Jahren miteinander über ihre Gravitationskraft wechselwirken? Das können wir prinzipiell sehen, aber in der Praxis halt nicht, weil wir dafür ein paar Milliarden Jahre warten müssten. Oder: Wo ist da in und zwischen den Galaxie die dunkle Materie und ist sie da überhaupt? Dunkle Materie können wir ja per Definition nicht sehen, würden aber trotzdem gerne Bescheid wissen.
Uns bleibt das, was wir sehen können und das sind in diesem Fall Kugelsternhaufen. Die von Madrid und seinen Kollegen beobachtetet Haufen sind Teil des Coma-Galaxienhaufens. Der ist ein paar hundert Millionen Lichtjahre weit weg und besteht aus circa 1000 Galaxien. Überall um und zwischen diesen Galaxien sind die Kugelsternhaufen. Und werden natürlich von all dem beeinflusst, was da sonst noch so passiert. Wenn zwei Galaxien einander zu nahe kommen, verändert sich die Anordnung der Kugelsternhaufen. Wenn dunkle Materie zwischen den Galaxien ist, verändert deren Gravitationskraft die Bewegung und Geschwindigkeit der Kugelsternhaufen. Und so weiter: Die 22.426 Kugelsternhaufen im Coma-Cluster sind quasi ein Schnappschuss des gegenwärtigen dynamischen Zustands der wiederum ein Resultat der vergangenen Entwicklung ist.
Wir können jetzt also im Computer ein Modell des ganzen Systems erstellen und schauen, an welchen Knöpfen wir drehen müssen, um genau das zu kriegen, was wir tatsächlich beobachten können. Wir können schauen, wie viel dunkle Materie wo sein muss; wie und welche Galaxien sich begegnet sein müssen, und so weiter. Dafür brauchen wir 22.426 Kugelsternhaufen!
Es ist übrigens auch ganz interessant zu sehen, wie Madrid und seine Kollegen ihren Katalog gebastelt haben. Kugelsternhaufen kann man prinzipiell sogar mit freiem Auge sehen. Zumindest die, die sich in unserer Nähe befinden. Aber natürlich nicht die im Coma-Haufen! Dazu braucht es das Hubble-Weltraumteleskop und das haben die Astronomen auch benutzt. Aber leider ist mitten in der Arbeit die Kamera des Teleskops kaputt gegangen und es hat drei Jahre gedauert, bis sie repariert war (das Teleskop ist zwar super aber der Anfahrtsweg ein bisschen umständlich). Also haben die Astronomen sich den Rest ihrer Daten aus bestehenden Aufnahmen zusammengesucht. Das heißt: In Archiven nach passenden Bildern suchen; dort nach Kugelsternhaufen suchen und alles so lange zusammenpuzzeln bis man ein komplettes Bild hat.
Dazu steht in der Pressemitteilung:
“He [Madrid] assembled a mosaic of the central region of the cluster, working with students from the National Science Foundation’s Research Experience for Undergraduates program. “This program gives an opportunity to students enrolled in universities with little or no astronomy to gain experience in the field,” Madrid said.”
Jede Menge Studentinnen und Studenten konnten also bei diesem Projekt mitmachen und “Erfahrungen sammeln”. Vermutlich die Erfahrung was passiert, wenn irgendwo Wissenschaftler in einer Besprechung folgendes Gespräch führen: “Die verdammte Kamera ist kaputt, was machen wir jetzt?” – “Hmm, wir könnten uns die Daten auch aus irgendwelchen Archiven zusammensuchen.” – “Aber wer hat den Lust auf so einen nervigen Kleinscheiß?” – “Ha! Ich hab da ne Idee…”
So oder so: Wir haben jetzt 22.426 Kugelsternhaufen und werden sie bestmöglich im Sinne der Astronomie einsetzen!
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