SG_LogoDas ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.

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Sternengeschichten Folge 317: Die kosmische Strahlung

In der letzten Folge der Sternengeschichten habe ich von der kosmischen Hintergrundstrahlung erzählt. Heute geht es etwas, das sehr ähnlich klingt aber trotzdem etwas ganz anderes ist: Die Kosmische Strahlung. Kosmische Strahlung klingt ein klein wenig esoterisch. Ist aber trotzdem echte Wissenschaft. Und für uns Menschen durchaus sehr relevant. Angefangen hat alles mit dem deutschen Physiker Theodor Wulf, der 1909 ein Gerät entwickelt hat, mit dem er die Rate der Ionenproduktion messen konnte. Ein Ion ist ein Atom, das elektrisch geladen ist. Normalerweise sind Atome das ja nicht, denn sie haben einen elektrisch positiv geladenen Atomkern der von elektrisch negativ geladenen Elektronen umgeben ist. Beide Ladungen gleichen sich aus und insgesamt ist es elektrisch neutral. Verliert ein Atom aber ein Elektron oder mehrere, dann gibt es keinen Ausgleich mehr und das Atom ist ionisiert. Wulf konnt mit seinem Gerät messen, wie schnell solche Ionen produziert werden. Seine Experimente führte er unter anderm am Eiffelturm in Paris durch; damals mit 300 Metern das höchste Gebäude der Welt. Und er stellte fest: An der Spitze des Eiffelturms wurden mehr Ionen produziert als unten.

Victor Hess und sein Ballon (Bild: APS, Public Domain)

Victor Hess und sein Ballon (Bild: APS, Public Domain)

Irgendwas musste also dafür sorgen, dass mehr Atome ionisiert werden, je höher man sich über dem Erdboden befindet. Seine Arbeit wurde aber weitestgehend ignoriert. Erst ein paar Jahre später geriet das Thema so richtig ins Blickfeld der Wissenschaft. Da benutzte der österreichische Physiker Victor Hess die – nun verbesserten – Wulfschen Apparate und nahm sie mit auf eine Ballonfahrt. Am 7. August 1912 fuhr er von Böhmen bis Brandenburg und erreichte Höhen von über 5000 Metern. Dort oben war die Rate mit der Atome ionisiert wurden, ungefähr viermal so groß wie am Boden.

Es lag auf jeden Fall nicht an der Sonne. Das überprüfte Hess, in dem er sein Experiment auch während einer Sonnenfinsternis durchführt. Stattdessen kam er zu dem Schluss, das es eine Art von Strahlung geben muss, die von oben – also aus dem Weltall – auf die Erde fällt und die in der Lage ist, Atome zu ionisieren. Je mehr Atmosphäre über uns ist, desto stärker wird diese Strahlung abgeschwächt. Und deswegen steigt die Rate der Ionisation, je weiter man sich vom Erdboden entfernt. Hess nannte diese Strahlung “Höhenstrahlung” und wurde für die Entdeckung im Jahr 1936 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet (Und ja, es gab tatsächlich mal eine Zeit, in der Österreicher Physiknobelpreise bekommen haben…).

Mittlerweile wissen wir auch recht gut, worum es sich dabei handelt. Der Begriff “Strahlung” ist allerdings ein wenig irreführend. Unter Strahlung stellen wir uns ja normalerweise so etwas wie elektromagnetische Strahlung vor. Also Licht, oder Radiowellen oder Ultraviolettstrahlung. Diese Art von Strahlung kann – sofern sie energiereich genug ist – tatsächlich Atome ionisieren. Das ist zum Beispiel der Grund, warum die UV-Strahlung der Sonne Hautschäden oder Sonnebrand verursachen kann, wie ich in Folge 282 der Sternengeschichten ausführlich erklärt habe.

Die kosmische Strahlung besteht allerdings aus Teilchen. Der größte Teil, ungefähr 90 Prozent, sind Protonen, also die positiv geladenen Bausteine aus denen Atomkernen bestehen. Ein kleinerer Teil, knapp 9 Prozent, sind sogenannte Alpha-Teilchen, die aus zwei Protonen und zwei Neutronen – also den elektrisch nicht geladenen Atomkernbaustenen – bestehen. Das ist nicht überraschend: Wasserstoff ist das häufigste Element im Universum und der Atomkern eines Wasserstoffatoms ist nichts anderes als ein einziges Proton. Das zweithäufigste Element im Kosmos ist Helium und sein Atomkern besteht aus zwei Protonen und zwei Neutronen, also einem Alpha-Teilchen. Die Hauptbestandteile der kosmischen Strahlung sind also die Kerne der zwei häufigsten Elemente im Universum. Ein sehr geringer Teil der kosmischen Strahlung besteht aus den Kernen anderer Elemente beziehungsweise aus Elektronen. Und ein noch geringerer Teil besteht aus Positronen und Anti-Protonen, also Antimaterie-Teilchen.

Da kommt kosmische Strahlung raus Bild: NASA’s Goddard Space Flight Center/SDO

Aber: Wo kommt das ganze Zeug her? Wer schmeißt Bruchstücke von Atomen auf die Erde und warum? Hauptverantwortlich ist tatsächlich die Sonne. Denn die strahlt ja nicht nur Licht ab, sondern schleudert auch Teile von sich selbst hinaus ins All. Das ist der sogenannte Sonnenwind und der besteht aus Wassertoff und Helium, also dem Zeug, aus dem auch die Sonne selbst zusammengesetzt ist. Man kann das ein wenig mit einem Topf voll kochendem Wasser vergleichen: Auch da gibt es immer ein paar Spritzer, die aus dem Topf hinaus geschleudert werden. Aber natürlich ist die Sonne kein Kochtopf sondern eine gigantische Kugel aus extrem heißen Gas. So heiß, dass die Atome aus denen es besteht nicht mehr zusammenhalten und die Elektronen von den Atomkernen getrennt werden. Das Material der Sonne ist also ionisiert, elektrisch geladen und kann so von ihren gewaltigen Magnetfeldern beeinflusst werden. Es kann schnell beschleunigt werden und ein Teil davon fliegt entlang der Magnetfeldlinien hinaus ins All.

Die Sonne macht einen großen Teil der gesamten kosmischen Strahlung aus. Aber nicht alles. Ungefähr 1000 Teilchen pro Quadratmeter und Sekunde treffen auf die Erde und manche haben einen richtig weiten Weg hinter sich. Denn was die Sonne kann, können andere Sterne ebenfalls. Auch sie haben einen Sternwind. Und wenn die Teilchen dieses Sternwinds ausreichend Energie mitbekommen haben, dann können sie auch die Erde erreichen. Ein Teil der kosmischen Strahlung stammt also von all den anderen Sternen in unserer Milchstraße. Ein Teil kommt auch von Supernova-Explosionen, Pulsaren und anderen astronomischen Phänomen die sehr viel Energie freisetzen können. Dieser Teil der kosmischen Strahlung wird “Galaktische Kosmische Strahlung” genannt.

Und wenn es galaktische kosmische Strahlung gibt, dann muss es auch extragalaktische kosmische Strahlung geben. Und genau so ist es auch. Aber damit Teilchen aus anderen Galaxien bis zu uns gelangen können, müssen sie schon richtig viel Energie haben. Ein normaler Stern schafft es eigentlich nicht, Teilchen mit solcher Wucht durch die Gegend zu schleudern, dass sie den intergalaktischen Raum durchqueren können. Da braucht es schon etwas anderes: Nämlich die supermassereichen schwarzen Löcher die sich in den Zentren der Galaxien befinden. Mit ihren gewaltigen Massen und gewaltigen Magnetfeldern können sie Materie wirklich schnell beschleunigen und tatsächlich quer durchs Universum schleudern.

Den Ursprung der kosmischen Strahlung können wir feststellen, wenn wir die Energie der Teilchen messen und das können wir durch entsprechende Detektoren, die überall auf der Erde (und im Weltall) platziert sind. Je mehr Energie, desto weiter muss der Weg gewesen sein, denn das Teilchen zurück gelegt hat. Allerdings ist es schwer, die kosmische Strahlung direkt zu beobachten. Sobald sie auf die Atmosphäre der Erde trifft, macht sie dort das, was schon Wulf und Hess nachgewiesen hatten. Sie ionisiert die Atome der Luft. Aber nicht nur: Die Teilchen der kosmischen Strahlung können mit solcher Wucht auf die Atome der Luft treffen, dass eine nukleare Spallation stattfindet. Was eigentlich nichts anderes ist, als eine Kernspaltung. Ein großer Atomkern wird zertrümmert und es entstehen zwei kleinere Kerne. Die sind manchmal stabil; manchmal nicht und zerfallen dann zu weiteren, anderen chemischen Elementen.

Ein einziges Proton der kosmischen Strahlung kann so einen Teilchenschauer erzeugen, der aus mehr als einer Million Sekundärteilchen besteht. Ein Teil davon kommt am Erdboden an und kann nachgewiesen werden; ebenso kann es bei den diversen Teilchreaktionen in der Atmosphäre passieren, das dabei Energie in Form von Licht abgestrahlt wird. Es gibt also quasi kleine Lichtblitze, die man mit freiem Auge natürlich nicht wahrnehmen kann, aber mit entsprechenden Teleskopen schon.

Mit einem so einem “Fluoreszenzdetektor” hat man am 15. Oktober 1991 auch das “Oh-My-God-Teilchen” gefunden. Also das “Oh-Mein-Gott-Teilchen”, das aber nichts mit Religion zu tun hat, sondern vielleicht besser “Ach-du-meine-Güte-Teilchen” oder “Ach-du-Scheiße-Teilchen” genannt werden sollte. Der Name stammt von der absurd hohen Energie, den dieses eine Teilchen – vermutlich ein Proton – hatte. Und zwar 300 Trillionen Elektronenvolt, was nach viel klingt und auch viel ist. Ein paar Billionen mal mehr als Teilchen der kosmischen Strahlung normalerweise haben. Die Kollision des Oh-My-God-Teilchens mit Teilchen der Erdatmosphäre setzt Energien frei, die 100 mal größer sind als das, was wir mit dem großen LHC-Teilchenbeschleuniger des CERNs hinkriegen.

E.Coli - quasi Götter in der Welt der Protonen! (BIld:  Rocky Mountain Laboratories, NIAID, NIH, gemeinfrei)

E.Coli – quasi Götter in der Welt der Protonen! (BIld: Rocky Mountain Laboratories, NIAID, NIH, gemeinfrei)

Das Teilchen war mit einer Geschwindigkeit von 99,99999999999999999999951 % der Lichtgeschwindigkeit unterwegs! Selbst wenn es nur ein simples Proton war, braucht es enorme Energien, um es so schnell zu beschleunigen. Und laut der Einsteinschen Relativitätstheorie gibt es ja auch noch einen relativistischen Massezuwachs: Das was wir im Alltag Masse nennen ist ja nur die “Ruhemasse”; je schneller sich etwas bewegt, desto größer wird aber die geschwindigkeitsabhängige relativistische Masse. In diesem Fall entspricht sie der Masse eines E.coli-Bakteriums, was nicht sehr beeindruckend klingt. Solange man sich klar macht, das es sich hier um ein unvorstellbar kleines Teilchen handelt, um einen subatomaren Baustein von Atomkernen. Aus Sicht eines Protons ist ein Bakterium dreimal so groß wie aus unserer Sicht die Sonne! Würde man das Oh-My-God-Teilchen gleichzeitig mit einem Lichtteilchen, das sich ja mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, auf den Weg zum mehr als 4 Lichtjahre entfernten Stern Alpha Centauri schicken, dann hätte das Lichtteilchen dort nur einen Vorsprung von 200 Nanonmetern!

Egal wie man es betrachtet: Das Oh-My-God-Teilchen ist außerordentlich und hat seine Bezeichnung durchaus verdient. Wo kommt so ein Ding her? Keine Ahnung! Wir wissen, das Teilchen nicht beliebig hohe Energien haben, weil sie auf ihrer Reise durchs All mit dem ganzen Zeug wechselwirken, was da sonst noch ist. Zum Beispiel die kosmische Hintergrundstrahlung, die ich schon in Folge 315 der Sternengeschichten erklärt habe. Das bremst und lenkt sie – vereinfacht gesagt – ab. Das Oh-My-God-Teilchen sollte nicht mehr als etwa 165 Millionen Lichtjahre zurück gelagt haben und bei der hohen Energie sollte es auch auf mehr oder weniger gerader Linie durchs All gesaust sein. Verfolgt man den Weg des Oh-My-God-Teilchens aber zurück, dann sehen wir dort nichts, was so ein Teilchen erzeugen kann.

Die Herkunft der extrem hochenenergetischen Teilchen der kosmischen Strahlung ist also immer noch rätselhaft. Aber es lohnt sich, sie zu erforschen und zu verstehen. Denn die Strahlung ist auch für uns Menschen relevant. Aber dazu mehr in der nächsten Folge der Sternengeschichten.

Kommentare (10)

  1. #1 Bernd
    21. Dezember 2018

    @Florian
    ‘Mit einem so einem “Fluoreszenzdetektor” hat man am 15. Oktober 1991 auch das “Oh-My-God-Teilchen” gefunden.’

    War das ein singuläres Ereignis, oder hat man derartige Teilchen seitdem noch öfter detektiert?

  2. #2 anders
    21. Dezember 2018

    Angeblich hat man noch mehr so Teilchen gefunden, meint wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Oh-My-God-Teilchen.

    Anscheinend betreibt derzeit nur die University von Utah so einen Detektor, bzw. ein Array davon, so dass es meines Wissens keine zweite Quelle der Erkenntnis gibt.

  3. #3 Alderamin
    21. Dezember 2018

    @Florian

    Wo kommt so ein Ding her? Keine Ahnung!

    Zum Beispiel aus Texas ;-). (Nicht gerade dieses, aber andere seiner Art).

  4. #4 Heino Wedig
    Eckernförde
    21. Dezember 2018

    “Und ja, es gab tatsächlich mal eine Zeit, in der Österreicher Physiknobelpreise bekommen haben…”
    Keine Sorge, das Durchschnittsalter der Nobelpreisträger für Physik soll bei 55 Jahren liegen. Es ist also noch Zeit.

  5. #5 pane
    21. Dezember 2018

    Kann so ein Teilchen nicht von einem beliebigen Supermassives schwarzes Loch erzeugt worden sein? Ein solches Ding heißt doch aktiver Kern, wenn es gerade ganze Sterne, oder besser noch, Gruppen von Sternen verschlingt, aber einzelne Atome kommt doch immer wieder vor, selbst in unsere Milchstraße. Und wir reden doch von einem einzelnen Proton.

  6. #6 Anderas
    La Salvetat St Gilles
    22. Dezember 2018

    Oh wie du diesen Kommentar nicht mögen wirst… es sind Aliens! 🙂

    Der Auspuff eines superstarken Ionenantriebs! Oder, in diesem Fall, ein Photonenantrieb!

    *duck weg*

    🙂

  7. #7 Jürgen A.
    Berlin
    22. Dezember 2018

    Die “Oh-mein-Gott”-Teilchen sind glücklischerweise sehr selten. Sie sind sehr schädlich für alles biologische Material, auf das sie stoßen. Mich würde nicht wundern, wenn jemand behaupten würde, das sind primordiale Teilchen, die haben ihre Energie noch vom Urknall. Eine nicht belegbare spekulative Behauptung.

    Erich Regener hat 1933 ausgerechnet, daß die Gesamtenergie aller ionisierenden kosmischen Strahlung einer Wärmestrahlung von 2,8 K entspricht. Damals hieß das Ultrastrahlung. Die Gesamtenergie der ionisierenden kosmischen Strahlung ist also nicht sehr hoch, aber doch biologisch schädlich und muß daher möglichst gut abgeschirmt werden.

    Mich würde interessieren, welchen Weg diese “Oh-mein-Gott”-Teilchen in der Erdatmosphäre zurücklegen können, bevor ihre Energie abgebaut ist ? Können diese Teilchen auch deutlich ins Eis (Icecube) oder in die Erde eindringen ? (Neutrinodetektoren ?)

  8. #8 FrankhattekeineZeit
    Schwerte
    22. Dezember 2018

    Es ließt sich, als ließe sich mit dem Array die Richtung des “Oh-mein-Gott”-Teilchens recht genau bestimmen. Wie das?

  9. #9 pederm
    22. Dezember 2018

    @FrankhattekeineZeit
    Weil es aufgrund seiner enormen Geschwindigkeit eine lange Schneise der atomaren und molekularen Verwüstung durch die Erdatmosphäre zieht.

  10. #10 schorsch
    22. Dezember 2018

    Warum wartet Hess, um den Einfluss der Sonne als Ursache ausschließen zu können, auf eine Sonnenfinsternis? Hätte es die nächstbeste Nacht nicht getan?

    Oder mußte er mit der Möglichkeit rechnen, dass die kosmische Strahlung durch die Erdatmosphäre oder das Erdmagnetfeld um den Globus herumgelenkt wird?