Ich kriege regelmäßig Zuschriften von diversen Leuten, die eine wissenschaftliche Theorie entwickelt haben. Oder zumindest glauben, das getan zu haben. Es geht dabei sehr oft um die Widerlegung der Relativitätstheorie. Oder eine neue Interpretation der Quantenmechanik. Um die “Entdeckung” einer großen vereinheitlichten Theorie der Physik. Und ähnlich spektakuläre Themen (aber nicht nur, oft sind es auch sehr viel speziellere Aufsätze, die mir zugeschickt werden). Ihnen allen ist gemeinsam, das sie von Leuten entwickelt wurden, die nicht Teil des üblichen wissenschaftlichen Betriebs sind. Die also keine Ausbildung in der Wissenschaft haben; nicht (mehr) in der Wissenschaft arbeiten beziehungsweise Theorien zu einem Thema entwickelt haben, das nichts mit ihrer eigentlichen Ausbildung zu tun hat.
Von diesen Leuten werden ich dann meistens gebeten, ihre Theorien zu überprüfen und zu beurteilen. Ich, als Experte, müsse das doch schnell erledigen können und können etwaige Fehler schnell beseitigen. Das klingt auf den ersten Blick plausibel. Ist es aber leider nicht. Um nicht jedes Mal erneut erklären zu müssen, warum das mit der Prüfung einer Theorie nicht so einfach ist, wie man sich das vielleicht denkt und auch, weil es da einige wissenschaftstheoretische Aspekte von allgemeinen Interesse gibt, möchte ich meine Gedanken dazu in einem Blogartikel zusammenfassen.
Wer schon einmal in der Lehre gearbeitet hat und dort Arbeiten von Schülern und Studenten korrigieren musste weiß: Wenn man das vernünftig macht, dann ist das eine ziemlich aufwendige Arbeit. Es ist vielleicht noch recht einfach festzustellen, ob ein Ergebnis richtig oder falsch ist. Aber idealerweise sollte man dann auch noch herausfinden, warum das Ergebnis falsch ist und wo genau jemand einen Fehler gemacht hat. Und DAS kann unter Umständen so richtig lange dauern…
Und jetzt stellt euch vor, die Arbeiten die ihr korrigieren müsst, sind in einer völlig fremden Sprache geschrieben. Außerdem fehlen in der Arbeit noch die Hälfte der Zwischenschritte. Genau das ist die Situation in der ich mich befinde, wenn ich die Theorien von “Privatgelehrten” prüfen will. In der Wissenschaft geht es darum, Dinge nachvollziehbar zu kommunizieren. Wer Forschungsergebnisse veröffentlicht, sollte das mit allen relevanten Informationen tun; mit allen Daten, Meßergebnisse, Beobachtungsprotokollen und so weiter. Außerdem muss man klar zeigen, wo die eigene Arbeit sich in den Rest des wissenschaftlichen Gebäudes einfügt. Man muss angeben, wo man auf der Arbeit von anderen aufgebaut hat; wo die eigenen Ergebnisse einzuordnen sind und wo sie bestehenden Wissen bestätigen oder vielleicht in Zweifel ziehen.
Das geht nur, wenn man 1) ein ausreichend genaues Wissen des Status Quo hat. Genau deswegen muss man ja auch iA so lange studieren. Man muss erst mal all das lernen, was wir schon wissen, bevor man daran gehen kann, neue Dinge herauszufinden. Und 2) muss man sich auch der gemeinsamen Sprache der Wissenschaft bedienen. Ich kann mir zwar neue Definitionen ausdenken; neue Worte um Dinge zu bezeichnen; neue mathematische Regeln einführen, und so weiter. Aber dann muss ich auch damit rechnen, das mich niemand versteht.
Genau das ist der Fall bei den zu beurteilenden Arbeiten um die es hier geht. Dort fehlt im Allgemeinen der Kontext. Das heißt, die Autoren haben sich keine Gedanken darüber gemacht, wo ihre Arbeit im Gefüge der Wissenschaft steht. Wo es vielleicht relevante Ergebnisse gibt, die den eigenen Erkenntnissen widersprechen bzw. welche Phänomene man eigentlich mit seiner neuen Theorie beschreiben können muss. Das herauszufinden könnte natürlich die Aufgabe der Person sein, die diese Arbeit beurteilen soll. Aber diese Aufgabe ist kaum zu bewältigen, weil die Arbeiten eben nicht nur eine Privattheorie präsentieren, sondern auch i.A. in einer privaten wissenschaftlichen Sprache abgefasst sind, die kaum Gemeinsamkeiten mit all dem hat, was in der echten Wissenschaft üblich ist.
Natürlich wäre es mir prinzipiell schon möglich, solche Arbeiten zu beurteilen. Aber das wäre enorm viel Arbeit; viel mehr, als sich die Leute die mich darum bitten, vorstellen. Ich müsste erst einmal herausfinden, was die Autoren eigentlich wollen. Also das, was sie präsentieren, in eine normale wissenschaftliche Sprache übersetzen. Dann müsste ich nach Fehlern suchen. Aber auch das ist leichter gesagt als getan. Es geht hier ja nicht um Rechenfehler oder ähnlich leicht zu entdeckende Irrtümer. Sondern im Allgemeinen geht es darum, dass die Autoren irgendein physikalisches Konzept nicht korrekt verstanden haben. Weil ihnen das nötige Hintergrundwissen fehlt – und diese Leuten (weil sie eben keine entsprechende Ausbildung haben) auch nicht bemerken, dass es da relevantes Wissen gibt, das sie nicht haben. Das heißt, die gesamte Theorie basiert auf einem grundlegenden Mißverständnis über die Physik/Astronomie. Da die Autoren das aber natürlich selbst nicht wissen, fällt es mir enorm schwer, die exakte Natur des Missverständnisses aus den Texten zu extrapolieren.
Hinzu kommt: Meistens geht es bei der Frage nach einer kritischen Prüfung der Texte ja nicht wirklich darum, auf Fehler hingewiesen zu werden (ich will hier aber nicht verallgemeinern; ich hab durchaus auch Fälle gehabt, wo genau das der Fall war). Sondern darum, Anerkennung für die vermeintlich revolutionäre Theorie zu erhalten. Selbst wenn ich mir die Mühe mache, die Artikel zu prüfen (was ich früher ab und zu getan habe) und den Leuten mitteile, wo sie falsch liegen: Dann kriege ich danach kein “Danke – das schau ich mir noch mal genauer an und probiere da zu korrigieren” zu hören. Sondern meistens etwas in der Art von “Sie dogmatischer Wissenschaftler wollen meine geniale Theorie doch nur unterdrücken – Sie haben keine Ahnung worum es hier geht!”.
Zusammengefasst: Es ist mir deswegen nicht möglich, die mir zugesandten (wissenschaftlichen?) Theorien zu prüfen, weil das viel mehr Arbeit ist, als man vielleicht denken mag. Da diese Theorien dazu meist auch Aussagen treffen, die dem bestehenden und bestätigten Wissen grundlegend widersprechen, ist es noch dazu extremst unwahrscheinlich, dass so eine Prüfung etwas anderes liefert als das Resultat: “Sorry, das ist falsch”. Den Einsendern genau zu erklären, WO und WARUM die Arbeit falsch ist, ist aber noch viel mehr Arbeit, weil wir dazu erst eine gemeinsame Wissensbasis finden müssen. Es würde also auf einen Crashkurs in Astronomie/Physik hinauslaufen; auf die Vermittlung dessen, was man normalerweise während mehrerer Semester an der Uni lernt. Und das übersteigt die mir zur Verfügung stehende Zeit bei weitem!
Natürlich möchte ich trotzdem nicht ausschließen, dass nicht doch irgendwo vernünftige und interessante Wissenschaft ist, in der halt ein paar kleine Fehler stecken, die erkannt und ausgeräumt werden müssen. Solche Arbeiten haben es verdient, beurteilt, korrigiert und veröffentlicht zu werden. Für das gibt es in der Wissenschaft aber ein lange etabliertes und im Rahmen des möglichen auch recht erfolgreiches Prozedere. Wie das genau abläuft, habe ich hier sehr ausführlich beschrieben. Das dort beschriebene Vorgehen ist der einzig wirklich brauchbare Weg, wenn man ernsthaft daran interessiert ist, wissenschaftliche Erkenntnisse beurteilen und veröffentlichen zu lassen. Ich, als Privatperson, kann das nicht leisten.
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