Morgen, am 31. August 2018, geht die große Konferenz der Internationalen Astronomischen Union (IAU) in Wien zu Ende. Die etwa 3000 Astronominnen und Astronomen aus aller Welt werden wieder nach Hause fahren (bis auf die, die aus Wien kommen natürlich). Manche haben das auch schon früher getan; nicht alle sind die ganzen zwei Wochen vor Ort. Und auch ich werde den letzten Tag leider nicht mehr in Wien verbringen können. Und daher auch den letzten Vortrag der Konferenz verpassen.
Das Letzte, das es – zumindest laut offiziellen Programm – auf der Tagung zu hören gibt, ist ein Vortrag der Astronomin Ana Catarina Leite vom Instituto de Astrofísica e Ciências do Espaço aus Portugal. Zwischen 17.50 und 18.00 Uhr wird sie im Rahmen des IAU Symposium 347: Early Science with ELTs (EASE) über das Thema “Fundamental physics constraints from testing the stability of the fine-structure constant with the ELTs” sprechen. Das klingt äußerst interessant und ich hätte mir das sehr gerne angehört. Aber auch wenn ich morgen nicht mehr dabei bin, kann ich doch ein wenig darüber schreiben. Denn es gibt ja auch die Kurzzusammenfassung im Konferenzprogramm und anderswo publizierte Arbeiten zu diesem Thema.
Leite wird in ihre Vortrag über ELTs sprechen, also “Extremely Large Telescopes”. Das sind die extrem großen Teleskope der nächsten Generation. Zum Beispiel das ELT, das die Europäische Südsternwarte gerade in Chile baut und das mit einem Spiegel von 39 Metern Durchmesser nach seiner Fertigstellung das größte Teleskop der Welt sein wird. Mit diesem Teleskop wird man die Dinge machen, die man sich so vorstellt. Also Planeten, Sterne, Galaxien beobachten, und so weiter. Ana Catarina Leite spricht aber über ein Projekt, das einem angesichts eines großen Teleskops nicht sofort in den Sinn kommt.
Es geht um ein ziemlich fundamentale Frage: Sind die Naturkonstanten wirklich konstant? Gut, der Name “Konstante” deutet das ein wenig an. Aber nur weil wir glauben, das etwas konstant ist, muss es ja noch lange nicht so sein. Man kann sich durchaus Universen vorstellen, in denen fundamentale physikalische Konstanten nicht immer exakt den gleichen Wert haben (und theoretische Physiker haben sich natürlich schon jede Menge solcher Modell ausgedacht).
Nehmen wir zum Beispiel die Feinstrukturkonstante. Mit dieser Zahl beschreibt man in der Physik, wie stark die elektromagnetische Kraft ist. Oder etwas genauer: Wie stark das Teilchen, über das die elektromagnetische Kraft wirkt, also das Photon, an andere elektrisch geladene Elementarteilchen koppelt. Der Wert dieser Konstante beträgt nach aktuellen Messungen etwa 1/137. Eine ziemlich kleine Zahl – aber ziemlich groß, wenn man sie zum Beispiel mit der entsprechenden Zahl vergleicht, mit der man die Stärke der Gravitationskraft betrachtet. Die liegt bei 10-39, ist also dramatisch viel kleiner. Und tatsächlich ist die Gravitationskraft auch dramatisch viel schwächer als der Elektromagnetismus. Das erkennt man u.a. daran, das ein simpler Magnet genügt um etwas entgegen der gravitativen Anziehungkraft der gesamten Erde hochzuheben!
Warum die Gravitationskraft so viel schwächer ist als die elektromagnetische Kraft ist eine der großen offenen Fragen der Physik. Und erklärt, warum es sich lohnt, sich solche Konstanten genauer anzusehen. Welchen Wert sie heute hat, können wir messen. Aber nicht beliebig genau. Deswegen können wir auch nicht mit letzter Gewissheit sagen, ob die Feinstrukturkonstante wirklich immer exakt den gleichen Wert hat. Vielleicht ändert er sich minimal? Vielleicht war er in der Frühzeit des Universums anders als heute?
Fundamentale Fragen dieser Art sind wichtig, wenn wir die Entwicklung des Universums verstehen wollen bzw. die grundlegenden Gesetze finden wollen, die allen Phänomenen zugrunde liegen. Und bei der Antwort auf diese Fragen kann die Astronomie mit ihren Teleskopen helfen! Denn wir Astronomen beobachten Licht. Und Licht ist nichts anderes als eine elektromagnetische Welle. Wir beobachten insbesondere Veränderungen im Licht. Zum Beispiel die Wechselwirkung von Licht mit Materie: Wenn Licht auf die Elektronen eines Atoms trifft, wird ein Teil absorbiert, erhöht die Energie des Elektrons und später wieder abgestrahlt. Diese Interaktion zwischen Licht und Elektronen können wir als “Spektrallinien” beobachten. Der absorbierte Teil des Lichts fehlt dann gewissermaßen und wenn wir das Licht etwa eines Sterns in seine Bestandteile aufspalten, sehen wir in bestimmten Bereichen dunkle Linien.
Welcher Teil des Lichts nun genau absorbiert wird, hängt von der Konfiguration der Elektronen ab. Wir können das aber ziemlich genau ausrechnen, denn wir kennne die Gesetzmäßigkeiten, nach denen das passiert. Und natürlich spielt dabei die Feinstrukturkonstante eine wichtige Rolle – sie ist ja gerade dafür zuständig, die Wechselwirkung zwischen Licht und Elektronen zu beschreiben.
Das was Astronomen beobachten hängt also mit dem Wert der Feinstrukturkonstante zusammen. Das was Astronomen beobachten passiert aber sehr oft sehr weit in der Vergangenheit. Das Licht ferner Galaxien braucht entsprechend lange, bis es bei uns angelangt ist und ist oft Milliarden von Jahren unterwegs. Es wurde also auch vor Milliarden von Jahren abgestrahlt, als das Universum noch viel jünger war. Wir können dieses Licht also beobachten und nachschauen, ob es sich so verhält, wie das die uns bekannten Gesetze mit dem heute bekannten Wert der Feinstrukturkonstante vorhersagen. Wenn die Konstante früher einen anderen Wert gehabt hat, müsste es systematische Abweichungen von der Vorhersage geben, die unter anderem von der Distanz der beobachteten Objekte abhängt.
So weit zumindest die Theorie. Die Praxis ist ein wenig komplizierter. Mit dem was wir bisher wissen und messen können (zum Beispiel mit Atomuhren, die ja ebenfalls auf der Wechselwirkung von Licht basieren), können wir den Wert der Feinstrukturkonstante schon ziemlich genau messen. Ebenso genau müsste man auch das Licht ferner Galaxien beobachten, wenn man vernünftige Aussagen über die Eigenschaften der Feinstrukturkonstante machen will. Mit den bisherigen Instrumenten ist das in begrenzten Rahmen möglich und die Ergebnisse sagen uns, das die Konstante früher genau den gleichen Wert hatte wie heute. Aber halt nur innerhalb der bisherigen Meßgenauigkeit. Bessere Teleskope können besser messen und wie das geht und was davon zu erwarten ist, ist das Thema von Leites Vortrag.
Um sehen zu können, wie gut die entsprechenden Beobachtungen der kommenden Großteleskope sind, müssen wir warten, bis sie fertig sind. Das wird nicht vor dem nächsten Jahrzehnt sein. Aber schon jetzt gibt es ein Instrument, das Leite für eine Abschätzung benutzt. Es heißt ESPRESSO, was für “Echelle SPectrograph for Rocky Exoplanet- and Stable Spectroscopic Observations” steht und ist ein Gerät mit dem sich das Licht extrem genau in seine Bestandteile aufspalten lässt; mit dem man also Spektrallinien extrem genau vermessen kann. Es wird am VLT, dem “Very Large Telescope” der Europäischen Südsternwarte installiert und ist in der Lage, Licht mehrerer Einzelteleskope simultan zu verarbeiten. So kann mit den vorhandenen 8-Meter-Teleskopen ein 16-Meter-Teleskop simuliert werden (größer als alles was derzeit in Betrieb ist). ESPRESSO hat im November 2017 die erste Testphase begonnen und wird im Dezember 2018 den regulären Betrieb aufnehmen.
Ein paar erste Daten aus der Testphase gibt es aber schon und die hat Leite offensichtlich benutzt um abschätzen zu können, wie weit das kommende ELT eine mögliche Variation der Feinstrukturkonstante einschränken kann. Was die Beobachtungen dann aber tatsächlich ergeben, werden wir erst sehen, wenn sie gemacht werden. Aber es ist gut zu wissen, dass die Astronomen vorbereitet sind!
Auch wenn es vermutlich nicht so geplant war: Leites Vortrag ist ein passender Abschluss für die IAU-Konferenz. Wenn dieser letzte Vortrag morgen zu Ende ist, dann ist die Konferenz zwar ebenfalls zu Ende – die Wissenschaft aber noch lange nicht! Es gibt noch viel zu viele offene Fragen; viel zu viele Beobachtungen die gemacht werden müssen und viel zu viel, das verstanden werden will. Und jede Antwort wird zweifelsfrei wieder neue Frage liefern!
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