Heute gibt es mal wieder einen Gastbeitrag. Und zwar vom Historiker Christian Schwaderer. Viel Spaß damit!
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Ein Beispiel für den Blick aufs große Ganze

weil ich nach der jahrelangen Differenziererei […] angefangen habe das Nichtdifferenzieren zu lernen (Rainald Goetz, Irre ,Frankfurt am Main 1983 S. 240.)

Das große Ganze in den Blick zu nehmen und zu behalten ist eine ebenso häufig gehörte wie schwer zu erfüllende Forderung. Manchmal erscheint das große Ganze auch erst, wenn man das Differenzieren weglässt und mit etwas Abstand zurückblickt, auf eine Zeit, in der vielleicht zu sehr auf Details fixiert war. Ich habe vor mehr als fünf Jahren eine Dissertation vollendet, von der ich nicht sagen kann, ob sie zurecht vollkommen unbeachtet geblieben ist, der man auf jeden Fall aber wird vorwerfen müssen, einen bestimmten Blick auf das größte Ganze, das wir kennen, versäumt zu haben.

Wenn man nicht mehr im Sumpf der Details feststeckt und der Blick nicht mehr am durch Quellenzitate und Literaturbelege zerfurchten Text haften bleiben kann, kann das Auge ungehindert in fremde Sphären schweifen und das große Ganze sehen. Und plötzlich wird klar, dass die Geschichtswissenschaft zu einer der größten Fragen der Menschheit etwas zu sagen hat: Gibt es irgendwo dort draußen in sphärischer Ferne intelligentes Leben?

Bild: CSIRO, CC-BY-SA 3.0

Wenn man den Blick aufs große Ganze fremder Wissenschaften richtet, wird man deren Inhalte und Ergebnisse selten gänzlich begreifen können, aber womöglich ist es entscheidender, deren Grenzen und Probleme zu erahnen. Wenn man auf diesem Wege der Astrophysik und der „Search for Extraterrestrial Intelligence“ (SETI) einen Besuch abstattet, wird man womöglich auf das sogenannte Fermi-Paradox stoßen, das da in etwa lautet: Es gibt vermutlich so viele Planeten alleine in unserer Galaxie – da muss es doch intelligentes Leben geben! Warum sehen wir dann nichts davon?

Man hat versucht, sich der Anzahl potenziell mit uns „kommunikationsfähiger“ außerirdischer Zivilisationen mit einer Formel zu nähern, der sogenannten Drake-Gleichung: Anzahl Sterne, Anteil von Sternen mit Planeten, Anzahl potenziell lebensfreundlicher Planeten und so weiter. Am spannendsten und wohl kontroversesten darunter dürfte der Faktor fi sein: der Anteil an Planeten mit intelligentem Leben.

Nun sollte man gewiss die Frage stellen, was Intelligenz eigentlich sei und wo sie beginne (nicht nur wenn man über „außerirdische“ Intelligenz spricht, auch bei ganz profan-irdischen Dingen). Aber an dieser Stelle ist das gar nicht das Problem. Das Problem liegt in der Geschichte.

Schauen wir 5000 Jahre zurück.

Ja, für eine Wissenschaft wie Astrophysik, die sich etwa damit befasst, ob die Erde nun 3,8 oder doch 4,0 Milliarden Jahre alt sei, sind 5000 Jahre nur ein kurzes Rauschen im Sternenstaub. Der Historiker aber kann mit einem Zeitraum von 5000 Jahren argumentativ durchaus etwas anfangen.

Begeben wir uns also etwa 5000 Jahre zurück irgendwohin ins Nirgendwo der verschneiten Alpen und treffen dort den „Ötzi“. Ötzi besaß Kleidung, Schuhe, Waffen und Intelligenz. Wie auch immer man die kognitive Leistung von Delfinen, Papageien, Raben oder anderen schlauen Tieren betrachten möchte – keines davon wurde je mit einem Kupferbeil gesehen (zumindest nicht mit einem selbst gebauten). Die Frage mithin müßig, was Intelligenz sei: Ötzi hatte sie. Er war Teil einer menschlichen Gesellschaft, die in der Lage war, komplexe Werkzeuge herzustellen, und über Sprache verfügte. Wenn wir an die Drake-Gleichung denken, ist ihr Faktor fi hier gegeben und für den Kosmos alles bereitet: Intelligenz war da – der Rest doch nur eine Frage der Zeit. Und unter astrophysischen Maßstäben eine Frage von geradezu lächerlich kurzer Zeit. Ötzi gehörte bereits der potenziell kommunikationsfähigen Spezies „Mensch“ an – und er hatte lediglich das Pech, dass Menschen nicht 5200 Jahre als werden können. Sonst wäre es ihm dereinst vergönnt gewesen, auf seinem Fernseher mitzuverfolgen, wie Neil Armstrong den Mond betrat.

Aber ist es wirklich von da an so einfach?

Die Drake-Gleichung enthält auch den Faktor fc für den Anteil an Zivilisationen, die kommunizieren (können). Was die SETI-Community allerdings nach dem Wenigen und Undifferenzierten, das ich von außen sehe, kaum macht, ist das Bedenken von Wahrscheinlichkeiten in der Menschheitsgeschichte.

Wahrscheinlichkeiten überhaupt, ganz gewiss. Darum handelt die ganze Diskussion um die Drake-Gleichungs-Faktoren, etwa bei der Intelligenz: Wie wahrscheinlich ist es, dass sich intelligentes Leben ausbildet? War es ein großer, womöglich einmaliger Zufall, dass das Menschen-Vorfahr-Tier seine Bäume verließ und mit den Fähigkeiten, die zum Baumleben ausgebildet waren, dereinst begann, komplexe und modifizierte Werkzeuge benutzen? Oder passiert derlei gar öfter?

Wenn wir das wüssten, wären wir einen Schritt weiter. Aber wir wären längst nicht bei der Beantwortung der Frage: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir mit Außerirdischen kommunizieren können?

Denn es bleibt die Anschlussfrage: Ist es von dem Weltmoment an, als der Vor-Mensch seinen Baum verließ, ein Selbstläufer? Führt von der Höhlenmalerei ein direkter Weg ins Internet? Gibt es hier nicht eine Berufsgruppe, die vielleicht etwas dazu zu sagen hätte?

Doch, die gibt es.

Und wenn man als Historiker*in die Differenziererei einmal beiseite lässt, kann man sich der Antwort immerhin nähern: Wie wahrscheinlich ist es, dass sich der Mensch vom Jäger und Sammler zum Beherrscher von Hochtechnologie entwickelt hat?

Wenn man aus der Vogelperspektive einen Blick auf die Menschheitsgeschichte wirft, scheint es, dass von dem Moment, als der anatomisch moderne Mensch über die Kontinentalplatten streifte, der Weg zu so etwas wie „Hochkultur“ oder „Zivilisation“ frei war: Menschen sind offenbar grundsätzlich in der Lage, Räder, Häuser und Tempel zu bauen. Mehrmals hat sich der Homo sapiens in größeren Gebilden (man sollte besser nicht von „Staaten“ sprechen) zusammengetan und Schrift entwickelt.

Was aber geschah dann? Die meisten „Reiche“ sind auf diesem Stadium geblieben und früher oder später untergegangen. Dass der Mensch dereinst Dampfantrieb, Feuerwaffen und Verbrennungsmotor erfand und Elektrizität für sich nutzbar machte, gab es nur einmal, nämlich in Europa (und Nordamerika).

Rekonstruktion von Ötzis Axt (Bild: Bullenwächter, CC-BY-SA 3.0)

Wenn man so will, ist der Flaschenhals zwischen Primaten auf Bäumen und Büromenschen mit Smartphone die Erfindung von Hochtechnologie.

Nun ist es keineswegs so, dass sich noch niemand Gedanken gemacht hat, warum gerade in Europa die ersten Menschen mit Brillen auf der Nase und einem gedruckten Buch in der Hand in einen Zug gestiegen sind. Im Gegenteil: Herausgebildet hat sich gar der schöne Ausdruck vom „europäischen Sonderweg“, ein Konsens hingegen nicht.

Aber darum soll es hier gar nicht gehen.

Die Frage ist: Wie „zwangsläufig“ war das alles? Wären Brillen, Buchdruck und Eisenbahnen irgendwann auch in Südamerika, Afrika oder Australien erfunden worden, wenn die Menschen dort nur lange genug Zeit gehabt hätten, bevor sie von europäischen Kolonialherren entmündigt worden sind?

Eine Antwort darauf brächte uns zumindest Indizien dazu, wie groß die Chance ist, dass extraterrestrische Zivilisationen das Stadium „mit uns kommunikationsfähig“ erreichen.

Der Geschichtswissenschaft ist es verwehrt, Dinge experimentell zu veri- oder falsifizieren. Wir können nicht sagen, was nur eine Frage der Zeit gewesen wäre, was einem einmaligen Zufall, was äußeren Einflüssen geschuldet war.

Doch eine These lässt sich immerhin aufstellen: Die Wahrscheinlichkeit einer „zwangsläufigen Hochtechnologisierung“, die bei genügend Zeit immer und überall stattfände, dürfte dann als recht hoch gelten, wenn im Menschen etwas wie ein immerwährender Drang zur Erfindung verankert wäre. Wenn der Mensch nie etwas anderes gewollt hätte als Hochtechnologie zu erfinden, dann hätte er es früher oder später getan.

Aber ist dem so? Hatte der Mensch allzeit einen starken Zug zu technischen Innovationen? Hat die Menschheit (oder einzelne Gruppen) Fähigkeit, Willen und Weitsicht, das eigene Leben durch Technik umzugestalten?

Ich selbst habe – ohne dass mir das damals in diesem Zusammenhang bewusst war – in den Köpfen der Menschen nach Antworten gesucht.

In meiner Dissertation hatte ich mir zur Aufgabe gemacht, nach Technik- und Innovationsdiskussionen im finsteren Mittelalter zu suchen. Es gab tatsächlich im Europa in der Zeit zwischen 500 und 1200 Technik, Erfindungen und Innovationen. Wenn dem aber so aber: Wie wurde es denn bewertet? Wie hat man darüber gedacht, gesprochen und geschrieben? Gab es ein mittelalterliches Äquivalent zu den Apple-vs-Windows-PC-Flame-Wars? Gab es gar die Hoffnung, durch zukünftige technische Neuerungen Antworten auf die Fragen der Zeit zu finden?

Kurz gesagt: Ich habe nichts derlei gefunden. Die erhaltenen Texte aus jenen Tagen entstammen zu einem überwältigenden Teil der Feder gebildeter Geistlicher. Der Foren-Troll war im Mittelalter noch nicht erfunden, es überwiegt der schreibende Mönch. Und so scheint es, als habe zumindest die geistliche Elite der Zeit sich keine großen Diskussionen um das Für und Wider geliefert, als um sie herum die Technik langsam, aber stetig weiterentwickelt wurde. Hin und wieder aufblitzende Einzelbemerkungen zu technischen Dingen und zu kleinen Erfindungen, aber nichts zum großen Ganzen. Es gab keine Partei, welche die Technisierung forderte, forcierte und publizistisch flankierte. Technik war nichts, was zwischen 500 und 1200 erkennbar die Menschen aufwühlte und schon gar nichts, auf das sie ihre Hoffnungen richtete. Sie zu verbessern kein Lebensziel.

Das ist keine Antwort, aber immerhin eine Nicht-Antwort. Falls es zu allen Zeiten einen „Drang zur Erfindung von Technik“ gegeben hat, mit dem man die Annahme, „Vom Ötzi zum Laptop ist es nur eine Frage der Zeit“ (die ich den SETI-Leuten schlichtweg unterstelle), begründen könnte – dann habe ich von diesem Drang kaum eine Spur entdeckt.

Ein Blick auf die Menschheitsgeschichte zeigt uns: Der Weg zur Hochtechnologie war singulär. Ein Blick in die Köpfe schreibender Geistlicher zwischen 500 und 1200 zeigt uns:

Der Wille zur Technik war damals nicht da.

Wenn man mithin einen nicht-differenzierenden Historiker fragt, ist es – bei aller Unwahrscheinlichkeit – immerhin noch wahrscheinlicher, dass irgendwo zwischen Sternen, schwarzen Löchern und Dunkler Materie ein Planet ist, auf dem intelligente Lebewesen mit Häusern, Kunstwerken und einer kleinen schriftkundigen Elite leben, als dass es dort draußen Beherrscher gigantischer Radiotransmitter gibt, deren Wellen uns dereinst erreichen könnten.

Die Chance, dass es in naher Zukunft auf interstellar-neutralem Nicht-Boden zum gemütlichen Kaffeetrinken zwischen Menschheitsvertretern und Außerirdischen kommen wird, ist damit noch geringer geworden.

Kommentare (78)

  1. #1 Herr B
    21. Januar 2019

    Interessante Überlegungen. Und sie laden auch gleich zum Widerspruch ein. 😉

    Dass die neolithische Revolution auf der Erde mehrmals, die industrielle Revolution aber nur einmal stattgefunden hat, liegt nicht zwingend daran, dass letztere unwahrscheinlicher wäre. Ackerbau, Viehzucht, Städte etc. konnten und mussten in Westasien, Ostasien, Mittelamerika etc. unabhängig voneinander entstehen, weil sich diese Regionen aufgrund der Entfernungen kaum bis gar nicht gegenseitig beeinflusst haben. Dampfmaschine, Elektrizität, Verbrennungsmotor hatten die Möglichkeit, binnen vergleichsweise kurzer Zeit aus die ganze Welt zu erfassen, sie selbst haben dies ja ermöglicht. Da war und ist dann kein Platz für eine davon unabhängige weitere.

    Ja, es mussten schon besondere Bedingungen herrschen, damit die technische Innovation richtig Fahrt aufnehmen konnte, wie dein (Gegen-)Beispiel aus dem Mittelalter zeigt. Aber das galt ja auch für die neolithische Revolution. Für die hat sich der Mensch immerhin mehr als 100.000 Jahre Zeit gelassen, für die industrielle dann nur noch 10.000 Jahre.

  2. #2 Thomas N.
    21. Januar 2019

    Hm. Und wenn bei gegebener Intelligenz nur noch das Konzept von Besitz, Konkurrenz und Profit hinzukommen muss, damit ein Wirtschaftskreislauf entsteht, bei dem es von Vorteil ist, durch Entwickeln von Technologie die Absatzchancen zu steigern? Sollte die Marktwirtschaft, deren Entstehung vielleicht weniger unwahrscheinlich ist in intelligenten Gesellschaften, letztlich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Technologie-Evolution führen?

  3. #3 schorsch
    21. Januar 2019

    Das UFO als kapitalistisches Übel

    Könnte man diese These nicht noch etwas zuspitzen und und feststellen, dass ausschließlich kapitalistische Gesellschaften den “Wille zur Technik” entwickelt haben – Gesellschaften, in denen jede Person als grundsätzlich gleichberechtigt handelndes Wirtschaftssubjekt betrachtet wird?

    Im Gegensatz zu feudalistischen Gesellschaften, die große Teile der Bevölkerung nicht als konsumierende, sondern als ausschließlich produzierende Wirtschaftssubjekte betrachtet haben.

    Als Beispiel mögen die USA bis nahezu 1900 gelten, in denen nahezu jeglicher technischer Fortschritt vom Norden ausging, während im Süden jegliche Form der Bildung – nicht nur für Schwarze – als nahezu ketzerisch und unerwünscht betrachtet wurde, wo technischer Fortschritt oftmals als Bedrohung der bestehenden Verhältnisse aufgefasst wurde.

  4. #4 wereatheist
    21. Januar 2019

    Kleiner Einwand zu “nur in Europa”:
    die ersten Feuerwaffen (Kanonen, aber auch Raketen) wurden ja wohl in China entwickelt.
    Außerdem fuhr im frühen 15. Jahrhundert eine richtig große chinesische Expeditionsflotte, gegen die das “Geschwader” des Kolumbus wie ein schlechter Scherz gewirkt hätte, bis nach Ostafrika.
    Letztlich hat sich am Hof zu Peking die Anti-Fortschritspartei durchgesetzt, die Flotte wurde “warm abgewrackt”, mechanische Uhrwerke und anderes Teufelszeug wurden verboten, das Reich kapselte sich ab.
    Aber auch in Europa standen lange Zeit Technikverächter mächtig auf der Bremse.
    Es gibt da ein schönes Seneca-Zitat, das ich später mal suchen werde (grad keine Zeit).

  5. #5 knorke
    21. Januar 2019

    Herr B: Der Springende Punkt der gemacht wird, ist ja nicht der, zu erklären, dass das singulär sei, sondern dass es nicht zwingend so sein muss, dass es überhaupt dazu kommt. Das ist nicht ganz dasselbe.
    Selbst heute kann man doch konstatieren, dass viele Technik nur verwenden, nicht aber selbst weiterentwickeln, sondern dass es ein relativ kleiner Teil der Menschheit ist, der wirklich aktiv daran mitwirkt.

    Ich könnte die steile These aufstellen, dass es für Innovation Rahmenbedingungen braucht, die weniger mit unserer Intelligenz, als mit gesellschaftlichen Möglichkeiten zu tun hat:
    Wann geschieht Innovation?
    – weil man sie braucht
    – oder weil man sichs leisten kann, über Sachen nachzudenken die (noch) keiner braucht und das langfristig einer Gesellschaft nicht schadet, besser sogar es nutzt

    Ersteres ist in meinen Augen absolut entsprechend der Natur von Intelligenz: Problemlösen zur Anpassung an die Umwelt. Das ist solange möglich, wie eine Person oder eine kleine informelle Gruppe von Personen ein Problem prinzipiell noch lösen kann.

    Letzteres erfordert eine Gesellschaft, die ein Stückweit so etwas einfordert, und wo Kooperation systematisch geschieht. Anders kommt man vielleicht über einen gewissen Komplexitätsgrad nicht hinaus. Es ist kein Zufall, dass Spezialisierung heute so nötig ist, während ein Newton, Goethe, Galilei oder selbst Archimedes noch mehr oder minder als Universalgelehrte durchgehen konnten, die auf vielen Interessengebieten einigermaßen State of the Art waren (auch wenn nicht alles davon heute noch als Ruhmesblatt gilt). Vielleicht ist also das die “magische Hürde”: Eine Gesellschaft, die Innovation fördert und einfordert: indem sie sich Denker, “Think Tanks” leistet. Als notwendige Bedingungung.

    Dann wäre es keinesfalls mehr zwingend, dass jede Gesellschaft soweit kommt. So wie eben auch nicht jede Gesellschaft patriarchalisch organisiert ist/war, nicht jede Kultur Reittiere hatte oder brauchte, nicht jede Gesellschaft Gentechnik für eine Tolle Sache halten muss etc.

  6. #6 knorke
    21. Januar 2019

    @wereatheist (4)

    War das mit China nicht so, dass sich das schlicht nicht gerechnet hat, und darum aus kostengründen eingestellt wurde? Ich meine jedenfalls sowas mal gelesen zu haben. Das lag vermutlich daran, dass die Chinese ganz andere Interessen hatten – die sind überall vorgefahren, um Tribut einzusammeln. Die Europäer wollten ihren Luxushandel, den es schon seit Jahrhunderten gab, nicht mehr mit den Osmanen teilen, die auf den Orient-Handel ja quasi den Daumen drauf gesetzt hatten. Die Europäer hatten vielmehr zu gewinnen wenn ihre Erwartungen aufgingen.

  7. #7 Dampier
    dampierblog.de
    21. Januar 2019

    @Christian Schwaderer

    Schöner Artikel mit interessantem Denkansatz.

    Wären Brillen, Buchdruck und Eisenbahnen irgendwann auch in Südamerika, Afrika oder Australien erfunden worden, wenn die Menschen dort nur lange genug Zeit gehabt hätten, bevor sie von europäischen Kolonialherren entmündigt worden sind?

    Ich stimme @Herrn B zu: gleichzeitig mit der Industrialisierung setzte auch die Globalisierung ein (Dampfschiff ff.). Das ging so schnell, dass keine andere Kultur der Welt die Gelegenheit bzw. Notwendigkeit hatte, das gleiche nochmal entwickeln zu müssen (Im Gegensatz zu Ackerbau und Schrift).

    Die Wahrscheinlichkeit einer „zwangsläufigen Hochtechnologisierung“, die bei genügend Zeit immer und überall stattfände, dürfte dann als recht hoch gelten, wenn im Menschen etwas wie ein immerwährender Drang zur Erfindung verankert wäre. Wenn der Mensch nie etwas anderes gewollt hätte als Hochtechnologie zu erfinden, dann hätte er es früher oder später getan.

    Ich glaube, der “Drang zum Entdecken” passt hier noch besser. Ob man neugierig ist, was hinter dem nächsten Berg liegt, oder wie etwas funktioniert & wie man es sich nutzbar machen kann, geht auf den selben Impus zurück. Dieser Impuls – unstillbare Neugier, die einen sogar hohe persönliche Risiken eingehen lässt – ist sicherlich ein entscheidender Teil unserer Intelligenz. Er lässt sich in konformistischen Gesellschaften wie dem europäischen Mittelalter oder dem China der frühen Neuzeit vielleicht für eine Weile (einige Generationen) unterdrücken oder verlangsamen, aber nie ganz abschaffen. (Nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.) Dass gerade Europa just in der Epoche, als die Entwicklung von Hochtechnologie möglich wurde, die geistige Freiheit besaß, um da etwas draus zu machen, halte ich für Zufall.

    “Nie etwas anderes gewollt, als Hochtechnologie zu erfinden” finde ich aber irreführend. Der Mensch hat auch die neolithische Revolution nicht “gewollt”. Das waren kleine graduelle Veränderungen über Jahrhunderte, ich denke, es gab nie einen Einzelnen, der da eine kühne Vision von Sesshaftigkeit hatte, das durchrechnete und dann entschlossen zur Umsetzung schritt. Es war also eher Evolution als Revolution.

    Technische Visionäre gab es zwar später (als der Mensch sich befähigte, das “große Ganze” zu sehen, also ab der Zeit der Aufklärung & der Zurückdrängung der geistigen Hegemonie des Religiösen), aber sie konnten immer nur vom derzeitigen Kenntnisstand aus ein wenig extrapolieren, und sie lagen auch sehr oft daneben. Die Höherentwicklung von Technologie ist immer ein Gemeinschaftsprojekt gewesen – und immer ein unbewusstes. “Große Sprünge nach vorn” mit Ansage haben noch nie funktioniert.

    Wir sind da alle so reingerutscht, getrieben von unserer kleinen Neugier. Das war letztlich bei der Industrialisierung nicht anders, auch wenn es viel schneller ging. Wahrscheinlich wird es bei der Künstlichen Intelligenz wieder genauso sein: bevor wir genau kapieren, was passiert ist, werden wir von den (evolutionären) Ergebnissen hunderter kleiner Entwicklungsschritte überrumpelt sein.

    „Vom Ötzi zum Laptop ist es nur eine Frage der Zeit“

    Für den Homo Sapiens würde ich sagen: ja. Auch wenn es Phasen der Stagnation gab (wie die, die du untersucht hast). Auf anderen Planeten mag das anders sein. Da lässt sich nach wie vor nur trefflich spekulieren (auch interessant … *grübel* …)

  8. #8 Tina_HH
    21. Januar 2019

    Ein entscheidender Faktor für die Entwicklung einer hochtechnisierten Zivilisation ist sicher die Ausdifferenzierung der Strukturen, insbesondere die Arbeitsteilung mit Herausbildung von spezialisierten Kompetenzen in den unterschiedlichsten Bereichen und damit verbunden die Schaffung von entsprechenden funktionierenden gesellschaftlichen Institutionen.
    Eine gute Balance von Zwang zur Anpassung an die Umwelt (Hervorbringung von Innovationen) bei gleichzeitiger Gewährleistung von grunglegenden existenziellen Sicherheiten für die Individuen sollte gegeben sein bzw. ist natürlich vorteilhaft.

    Man könnte sicher so argumentieren, dass zwar nicht jede menschliche Kultur in der Vergangenheit dazu in der Lage war, eine hochtechnisierte Zivilisation zu erschaffen, es jedoch in etlichen davon Ansätze dazu gegeben hat. Eine war dann eben die erste, in der vieles nahezu gleichzeitig erfunden und entwickelt wurde und die dann den Durchbruch schaffte.

    Wäre unsere Geschichte nicht so abgelaufen wie sie es konkret ist, wäre sie zwar anders gewesen, aber deshalb nicht unbedingt weniger “erfolgreich”. Eine andere Kultur hätte irgendwann ebenso innovativ werden können, vielleicht hätte es nur länger gedauert – oder es wäre vielleicht sogar schon früher geschehen, wenn nicht bestimmte Hemmnisse z.B. durch Religionen oder bestimmte Weltanschauungen bestanden hätten.

    Da wir nur diese eine Erde mit dieser einen Menschheit mit ihrer stattgefundenen Historie haben, ist das leider nicht überprüfbar und muss deshalb zum Teil im Spekulativen bleiben. Eine zweite Erde mit leicht abweichenden Bedingungen und Ergebnissen zu beobachten, wäre aber natürlich schon cool, haben wir aber eben leider nicht… 😉

  9. #9 Tina_HH
    21. Januar 2019

    @Dampier

    Besser kann man es nicht sagen.

    Gesellschaftliche Entwicklungen sind zu einem seht viel kleineren Teil wirklich geplant und gesteuert als so allgemein angenommen wird. Vieles geschieht im täglichen Handeln der Milliarden Menschen nebeneinander, nebenbei, zufällig, greift dann irgendwann ineinander und führt schließlich zu vorher nicht absehbaren Ergebnissen und weiteren Folgen. Im Nachheinein betrachtet kann es dann so aussehen, als hätte es einen Plan gegeben, was aber nicht wirklich stimmt.

    Was die Künstliche Intelligenz betrifft, vermute ich, dass irgendwann die Singularität “hallo” sagen wird und dann wird nichts mehr so sein wie zuvor. 😉

  10. #10 M
    Bolivien
    21. Januar 2019

    Meiner Meinung nach wurde und wird die Entwicklung von Technologie vor allem von dem Zusammenspiel der inneren Zwänge Fortpflanzungstrieb und Selbsterhaltungstrieb einerseits und äußeren Zwängen wie Resourcenverteilung und vor allem Klima bestimmt. Wenn einem gebratene Tauben ins Maul fliegen und kein neidischer Nachbar mit der Keule droht, entwickelt sich evtl Kunst aber sicher keine Technologie.

    Die Römer z.B. entwickelten früh Kriegstechnologie und Bewässerungssysteme, in der dekadenten Spätphase dann nur noch Gesetze, die heute noch die Menschheit plagen wie eine HIV-Infektion.

    In Mittel- und Nordeuropa musste man Konservierungstechniken entwickeln, das war in Mittelamerika nicht und selbst im Mittelmeerraum weniger nötig.

    In der frühen Neuzeit haben die Adligen Getreide für strenge Winter gehortet, untereinander getauscht und auch züchterisch verbessert, so dass die Menschen sich vermehren konnten wie die Karnickel in Australien.

    Die Entwicklung geht nicht immer in kleinen Schritten vorwärts. Es gibt auch disruptive Vorkommnisse. Mit negativen Auswirkungen z.B. Fanatismus wie die Katholen in Europa oder die Abschotter in China. Mit positiven Auswirkungen z.B. der winterharte Weizen und die Dampfmaschine, beides in Europa.

    Positiv und Negativ nicht im ethischen Sinn.

    Also braucht es eine Spezies mit hoher Vermehrungsrate und zumindest zeitweise oder regional ‘aufmunterndem’ Klima.

    Wenn jmd Gegenbeispiele hat bin ich türlich für eine Diskussion offen.

  11. #11 Dampier
    21. Januar 2019

    @M

    Wenn einem gebratene Tauben ins Maul fliegen und kein neidischer Nachbar mit der Keule droht, entwickelt sich evtl Kunst aber sicher keine Technologie.

    Warum nicht? Ich denke, das hängt von den individuellen Vorlieben ab. Ein prähistorischer Nerd würde halt lieber an der Entwicklung des Rades arbeiten, als Höhlen zu bemalen.

  12. #12 wereatheist
    21. Januar 2019

    Das von mir versprochene Zitat ist aus Seneca d. J., epistulae morales XC, 24-26, gefunden in diesem Blogpost (man beachte den ersten Kommentar, der ist spot-on).
    Mich erinnert das sehr an heutige Vertreter des Bildungsbürgertums, für die MINT-Scheiß nicht zur Bildung gehört. Betriebsblindheit und Selbstbetrug.

  13. #13 wereatheist
    21. Januar 2019

    @knorke, #6:

    Die Europäer hatten viel mehr zu gewinnen wenn ihre Erwartungen aufgingen.

    Sieht ganz danach aus. Hauptexportgut von Ostafrika dürften Sklavinnen (und Sklaven) gewesen sein; davon hatte China genug.
    Aber es war vielleicht auch viel Angst vor ‘verderblichen Einflüssen’ im Spiel. Warum die Flotte vernichten? Man hätte sie ja noch im näheren Umfeld einsetzen können.

  14. #14 wereatheist
    21. Januar 2019

    @knorke, #6:

    Die Europäer hatten viel mehr zu gewinnen wenn ihre Erwartungen aufgingen.

    Sieht ganz danach aus; Hauptexportgut Ostafrikas dürften Sklavinnen (und Sklaven) gewesen sein, und davon hatte China genug.
    Aber vielleicht war auch Angst vor ‘schlechten Einflüssen’ im Spiel: warum die Flotte zerstören? Man hätte sie ja noch im nahen Umfeld nutzen können. Warum Technikverbote?

  15. #15 knorke
    22. Januar 2019

    @wereatheist
    Das mit den Sklaven ist sicherlich nicht ganz falsch für den Regionen in Westafrika, aber vor allem wollte man Indien erreichen. Das war eines der wesentlichen Motive für beide Kolonisationsrouten der Europäer: Den, wie man hoffte, direkten Weg nach Indien Richtung Westen (wobei es wohl so war, dass z.B. Kolumbus entweder aus Dummheit oder aus Propagandistischen Gründen einen viel zu kleinen Erdumfang annahm – man wusste es bereits besser!) als auch um Afrika herum, was ja maßgeblich von den Portugiesen vorangetrieben wurde. Afrika selbst war zu dem Zeitpunkt eher mittelmäßig interessant als Handelspartner und Flottenstützpunkt. Ich hab ma nen ganz interessanten Vortrag bei Youtube geguckt von einem Historiker der die These aufstellt, dass Ost und West sich in ihrer technischen und gesellschaftlichen Entwicklung im Grunde erst zu dem Zeitpunkt auseinanderbewegt hatten, und dass es insofern auch die Europäer waren, die die besseren Voraussetzungen dafür hatten, weil sie geografisch die besseren Voraussetzungen dafür hatten, die neue Welt zu erreichen (und den Dreieckshandel mit Afrika einzuleiten, der ein maßgeblicher Treiber war für die Entwicklung der Kolonien, die ja aufgrund von Seuchen von ursprünglichen Einwohnern fast entvölkert waren) und regulär anzusteuern als beispielsweise die Chinesen, die dazu prinzipiell technisch genauso in der Lage waren. Um den Bogen zum Topic zu kriegen: Als dann die Notwendigkeit erstmal da war, entwickelten die Eruopäer auch zunehmend modernere Schiffe für Ozean-Überquerungen und der Hype um die Reichtümer der neuen Welt dürfte das Klima für Entdeckertum und Imperialisten gleichermaßen angeheizt haben. Es scheint so, als ginge Innovation 10 mal so schnell voran, wenn man dabei was zählbares sich ausrechnet. War bei den Chinesen halt nicht so.

  16. #16 Captain E.
    22. Januar 2019

    So aus dem Zusammenhang gerissen:

    Japan hat einst das Gewehr aufgegeben, aber das war irgendwie logisch. Ein Samurai musste viele Jahre trainieren, um seinen Job gut erledigen zu können. Ein Bauer brauchte dagegen nur Wochen, um mit dem Gewehr einen Samurai erschießen zu können. Also musste das Gewehr weg.

    Bewässerungssysteme gab es übrigens auch woanders. Die Könige von Sri Lanka haben ihre gesamte Insel umgestaltet, um die Felder bewässern zu können, und davon haben von Beginn auch wilde Pflanzen und Tiere profitiert. Möglicherweise hat man die dazu nötige Technologie selbst entwickelt.

  17. #17 Norbert
    22. Januar 2019

    Letztlich hat sich am Hof zu Peking die Anti-Fortschritspartei durchgesetzt, die Flotte wurde “warm abgewrackt”, mechanische Uhrwerke und anderes Teufelszeug wurden verboten, das Reich kapselte sich ab.

    Hast Du Quellen dafür? Soweit ich weiß wurde die Schatzflotte erstmal nur in die Häfen verbannt – wo sie dann aufgrund fehlender Finanzierung verfiel, und außer Dienst gestellt und abgewrackt wurde, als die Schiffe nicht mehr reparabel waren. Hintergrund war wohl neben den erheblichen Unterhaltskosten (vergleichbare Schiffsgrößen wurden erst im Laufe des 19. Jh. wieder erreicht), daß China damals von einer Reihe Naturkatastrophen getroffen wurde, und das Geld anderweitig benötigte.

  18. #18 Dampier
    22. Januar 2019

    @Norbert

    Letztlich hat sich am Hof zu Peking die Anti-Fortschritspartei durchgesetzt, die Flotte wurde “warm abgewrackt”, mechanische Uhrwerke und anderes Teufelszeug wurden verboten, das Reich kapselte sich ab.

    Hast Du Quellen dafür?

    Ich glaube, diese sehr dramatische Darstellung geht auf Gavin Menzies’ Buch 1421 zurück. Danach war ich auch erst mal sauer über die Borniertheit der Chinesen, später habe ich erfahren, dass es wohl eher so war, wie du beschreibst (und dass Menzies auch sonst sehr viel Mist geschrieben hat).

  19. #19 Norbert
    22. Januar 2019

    Ich glaube, diese sehr dramatische Darstellung geht auf Gavin Menzies’ Buch 1421 zurück

    Der Verdacht, daß an dem Bild etwas nicht stimmen kann, sollte sich eigentlich jedem Besucher barocker Schlösser aufdrängen. Wenn sich China damals tatsächlich so abgeschottet hätte, wie es mitunter dargestellt wird, ließe sich die Chinabegeisterung der frühen Neuzeit nur schwer erklären.

  20. #20 ulv
    Hamburg
    22. Januar 2019

    Denn (Zeit)raum Europa 500 bis 1200 und Mönche in Schreibstuben zu betrachten,
    ist vielleicht etwas eng.
    Im Römischen Reich gab es viele Innovationen und wo zu wenig Sklaven verfügbar
    waren, gab es verschiedenste Maschinen, zB. Wasser getriebene Mühlen, auch so
    eine Art Mähdrescher war schon erfunden.
    Mit Ausbreitung des Islam kam es dann zu einer grossen Bewegung, das verfügbare
    Wissen (der Antike) wurde gesammelt und ins Arabische übersetzt, kommentiert und
    bewertet. In dieser Zeit wurden dadurch gewaltige Fortschritte in den Wissenschaften
    gemacht, vielleicht sogar die moderne Wissenschaft erfunden.
    Alhazen mit dem Buch über Optik (Kitab al-Manazir), Al-Biruni wandte Trigonometrie
    an und ermittelte den Erdumfang ziemlich genau (und schrieb über verschiedene
    Religionen), Moshe ben Maimon (Maimonides) versuchte Glauben und Philosophie
    zusammenzukriegen .. und vieles mehr, Astronomie, Mathematik, Medizin, Müllabfuhr ..
    Wissen wurde systematisch gesammelt, übersetzt, dabei geprüft, bewertet und
    kommentiert, wenn sinnvoll wurde es angewendet. Natürlich gab es auch immer
    wieder Rückschläge, wo Leute meinten Bücher verbrennen zu müssen.
    Nebenher wurde die Grosskreis Navigation neben dem Nutzen für die Seefahrt und
    dem Handel, vielleicht auch deshalb erfunden um in einem grösser werdenden Gebiet
    exakt zu wissen wo Mecca ist (sollte vielleicht mal jemand denen von Boko Haram erzählen)…
    Buchdruck wurde allerdings trotz der Tatsache das Bücher in grossem Umfang
    vervielfältigt wurden (und teilweise vervielfärtigt werden mussten!) nicht eingesetzt,
    obwohl sicher irgendjemand in dieser Zeit mal über Hinweise auf diese Technologie
    gestossen sein muss. Schreiben war eben etwas Besonderes.

    Ich denke das dieser Raum und diese Zeit in der Betrachtung der Geschichte ‘unserer’
    Kultur immer ein wenig zu kurz kommt. Gerade auch weil in guten Zeiten dieses Zeitalters
    Menschen verschiedener Religionen zusammengearbeitet haben, während Mönche
    Pergament recycelt haben um Psalme zu schreiben, auf denen vorher Calculus erwähnt war..

  21. #21 Kai
    23. Januar 2019

    Ich fand es als Schüler immer traurig, dass wir im Geschichtsunterricht jeden blöden Krieg, der in Europa stattfand, lernen mussten, aber technologische Entwicklungen und Kulturen außerhalb Europas immer als nachrangig behandelt und oft nur kurz angerissen wurden. Über die Napoleonkriege hat man mehr gelernt als über die industriellle Revolution. Afrika und Asien wurden im Geschichtsuntericht ganz ausgelassen. Amerika nur kurz angerissen – immerhin gab es dort ja auch ein paar Kriege.

    Kurz gesagt: Nicht nur damals, auch heute, scheint man sich (zumindest in der Schule) recht wenig für die Entwicklung technischer Innovation zu interessieren.

  22. #22 Wizzy
    23. Januar 2019

    Die Frage nach dem Aufstreben einer Zivilisation und wie weit diese Entwicklung geht, ist grundsätzlich interessant. Es stellen sich ja noch weitere Fragen: Werden wir die Folgen unserer Entwicklung (z.B. Nuklearwaffen) stemmen können oder werden sie eine Zivilisation später wieder verhindern? Werden durch Evolution die Menschen im Zeitalter der Verhütung wieder dümmer? Führt die Entwicklung ausgefeilter virtueller Welten dazu, dass wir an der Wirklichkeit (und damit an Weltraumforschung) irgendwann nicht mehr interessiert sind?

    Da gibt es auch in der Zukunft noch einige Risiken abgesehen von der Frage ob der in neuerer Zeit vorhandene Fortschrittswille auch ohne die oben genannten Faktoren wieder nachlassen könnte. Ich würde zwar keine Prognose wagen, in optimistischer Sichtweise sind das alles womöglich nur kleine Risiken, verglichen damit dass intelligentes Leben überhaupt entsteht.

  23. #23 Tina_HH
    23. Januar 2019

    @Wizzy

    Die Risiken für das langfristige Fortbestehen unserer Zivilisation sind schwer abzuschätzen. Am bedrohlichsten sind wahrscheinlich die umfangreichen Arsenale an Atomwaffen, bei denen man einerseits nicht weiß, ob sie überhaupt dauerhaft gesichert verwahrt werden können (politische Umbrüche, Terrorismus) und andererseits, ob sie nicht doch irgendwann durch sehr dumme Verwicklungen und Streitigkeiten von verantwortungslosen Entscheidern eingesetzt werden könnten.

    Dazu dann noch die Gefahr durch den Klimawandel, kollabierende Ökosysteme, Artensterben, Meeresverschmutzung usw. und so fort.
    Dann noch die Gefahren durch Naturkatastrophen wie Asteroideneinschläge oder große Vulkanausbrüche… Die Liste ließe sich fast beliebig weiter fortsetzen.

    An eine generelle Verdummung der Menschheit glaube ich allerdings eher nicht. Warum gerade durch Verhütung? Ist doch eine der positivsten Erfindungen überhaupt. Und die Bildungsmöglichkeiten sind in den letzten Jahrhunderten ja nun eindeutig weltweit gestiegen.

    Was die virtuellen Welten betrifft, kann ich mir schon vorstellen, dass sie zu einer Flucht aus der Wirklichkeit führen könnten, aber wahrscheinlich nicht in allen Bereichen und auch nicht bei allen Menschen in gleicher Weise. Ob dadurch das Interesse an Weltraumforschung zurückgehen könnte? Wer weiß, vielleicht würde es auch zunehmen, wenn die virtuellen Welten zum Beispiel so ausgestaltet wären, dass sie Neugier auf das Weltall und die Abenteuer- und Entdeckerlust wecken.

  24. #24 Wizzy
    23. Januar 2019

    @Tina_HH
    Grundsätzlich sehe ich die angesprochenen Dinge recht ähnlich wie Du schreibst.
    Zur Verhütung: Unintelligente Menschen verhüten Stand heute deutlich weniger als intelligente, bekommen also mehr Kinder. Dies zusammen mit dem erblichen Anteil an der Intelligenz, der zweifellos da sein muss – sonst hätte sich Intelligenz nicht per Evolution entwickeln können.

  25. #25 Tina_HH
    23. Januar 2019

    @Wizzy

    Wenn man mal die prinzipiellen Schwierigkeiten von Intelligenztests (wie kann man Intelligenz sinnvoll messen) ausklammert und einfach annimmt, dass Intelligenz zu ca. 50 bis 80 Prozent vererbt wird (bin da keine Expertin, habe das nur gelesen), dann bleiben immer noch die Umweltfaktoren (elterliches Milieu, Förderung im Kindesalter, Schulbildung), die ziemlich wichtig für die Entwicklung – nicht nur der Intelligenz, sondern auch für emotionale und soziale Kompetenzen sind.

    Bei entsprechender Förderung profitieren erwiesenermaßen gerade die Kinder aus sozial schwächeren Schichten am meisten. Deshalb ist es ja so wichtig, sich für mehr Chancengleichheit und gute Bildung für alle einzusetzen, weil davon letztlich nicht nur die Einzelnen, sondern die ganze Gesellschaft profitiert. Dann muss man auch keine Verdummung der Menschheit befürchten, egal, wer nun wie viele Kinder bekommt.

  26. #26 Wizzy
    23. Januar 2019

    @Tina_HH
    Das geht aber nur gut zum Ausgleich des langfristig wirksamen Fertilitätseffektes, wenn angeeignete Bildung sich epigenetisch auswirkt und dann auch vererbt wird. Dazu wiederum gibt es derzeit keine Evidenz. Vielleicht also reicht das, vielleicht auch nicht.

  27. #27 Heljerer
    23. Januar 2019

    Ein hochinteressantes Thema, mit dem ich mich schon aus wissenschaftshistorischer Sicht beschäftigt habe.

    Bei der bisherigen Diskussion vermisse ich das ganz besondere singuläre europäische Ereignis, das in seiner Folge erst unsere Hochtechnologie möglich gemacht hat: Die wissenschaftliche Revolution im 17. Jahrhundert.

    Es ist richtig: Fortgeschrittene Technik gab es im Hellenismus, im römischen Reich, im alten China. Das römische Reich und China waren kulturell und technisch ähnlich hoch entwickelt.

    Es ist ein Irrtum zu glauben, dass sich aus dieser Technologie quasi durch naturgegebenen Fortschritt letztendlich irgendwann Eisenbahnen, Flugzeuge und Radioteleskope entwickeln. Tatsächlich kann man aber im China der Song-Dynastie oder im alten Rom ziemlich genau das kulturelle und technische Entwicklungsmaximum ablesen, welches ohne Zuhilfenahme der Naturwissenschaft möglich ist.

    Das naturwissenschaftliche Weltbild ist tatsächlich singulär. Es wurde im Keim im klassischen und hellenistischen Griechenland entwickelt und nirgendwo sonst. Dieser Keim fiel viermal auf fruchtbaren Nährboden.
    – im hellenistischen Griechenland
    – im Islam des frühen Mittelalters
    – am Merton-College im europäischen Mittelalter (schwächster der 4 Nährböden)
    – im Europa des 16. und. 17. Jahrhunderts

    Dreimal wurde es im Keim wieder erstickt, erst beim vierten Mal war die naturwissenschaftliche Revolution fruchtbar. Seitdem wird der Fortschrittsmotor durch die Dreieckbeziehung aus

    Naturwissenschaft – Technik – Kapitalismus

    angetrieben.

    Ich habe mich wirklich schon lange und intensiv mit der Geschichte der wissenschaftlichen Revolution beschäftigt. Je länger ich mich damit beschäftige, um so rätselhafter wird dieses singuläre, kulturelle Ereignis.

    Wären im 16. Jahrhundert einige Kleinigkeiten anders gelaufen, wären wir heute nach wie vor maximal auf dem Niveau der alten Chinesen.

    Wären ein paar Kleinigkeiten im hellenistischen Griechenland anders gelaufen, hätte sich die wissenschaftliche Revolution schon 100 v. Chr. entwickeln können. Dann wären wir heute da, wo wir tatsächlich erst im Jahr 3700 sein werden. (Also vielleicht schon 10 °C Klimaerwärmung oder wie auch immer.)

    Würden wir eine zweite Erde schaffen, auf der die Menschen ein zweites Mal bei Null starten müssten, so wäre es extrem unwahrscheinlich, dass es dort jemals wieder so etwas wie Radioantennen geben würde, die Signale aus dem Weltall empfangen könnten.

  28. #28 Tina_HH
    23. Januar 2019

    @Heljerer

    Sehr interessante Darstellung und ich würde auch alles unterschreiben mit Ausnahme des letzten Absatzes. Denn warum sollte es so extrem unwahrscheinlich sein, dass der Durchbruch in Naturwissenschaft und Technik auf einer zweiten Erde ebenfalls gelingen würde? Du schreibst doch:

    Wären ein paar Kleinigkeiten im hellenistischen Griechenland anders gelaufen, hätte sich die wissenschaftliche Revolution schon 100 v. Chr. entwickeln können.

    Wir können da zwar nur spekulieren, aber ich denke, da es einmal gelungen ist, könnte es prinzipiell immer gelingen.

    Hat man mit der wissenschaftlichen Entschlüsselung der Natur einmal begonnen, gibt es im Prinzip keine festgelegte Grenze bei der das ganze Projekt zwangsläufig stoppen muss – vielleicht nicht mal durch unsere eigene begrenzte Erkenntnisfähigkeit, wenn wir irgendwann tatsächlich mal eine echte künstliche Intelligenz haben sollten. Insofern ist die Zukunft immer offen (und die Vergangenheit wäre es auch, wenn nochmal ablaufen könnte).

  29. #29 M
    Bolivien
    24. Januar 2019

    @Dampier

    Weil ich das hier in Südamerika Live mitbekomme

  30. #30 Heljerer
    24. Januar 2019

    @Tina_HH

    Denn warum sollte es so extrem unwahrscheinlich sein, dass der Durchbruch in Naturwissenschaft und Technik auf einer zweiten Erde ebenfalls gelingen würde?

    Der eigentliche Flaschenhals lag ja nicht darin, dass der Keim der Wissenschaft auf fruchtbaren Boden treffen musste. Dies ist relativ schnell gelungen, nämlich schon nach 1800 Jahren (= hellenistische Mathematiker wie Archimedes, Erathostenes etc. bis Galilei etc.). Der eigentliche Flaschenhals lag vorher bei der Herausbildung der hellenistischen Kultur. Dies hat auf der Erde nur ein einziges Mal stattgefunden. In der chinesischen Kultur fanden sich beispielsweise nicht die geringsten Ansätze zu etwas vergleichbarem.

    Ich gebe dir aber Recht, dass wir prinzipiell gar keine Möglichkeit haben, die Wahrscheinlichkeit des Eintretens der wissenschaftlichen Revolution fundiert zu berechnen. Insofern ist meine Beurteilung sicher nur eine persönliche Einschätzung und keine geschichtswissenschaftlich fundierte Tatsache.

    Vielleicht müsste ich es auch anders und klarer formulieren, worauf ich hinaus will. Es geht mir darum, dass die menschliche Entwicklungsgeschichte keiner inneren Notwendigkeit unterliegt. Es ist eben nicht so wie es sich Hegel und Marx noch vorgestellt haben, dass wir stufenweise zu immer höherem oder besserem bestimmt sind. Ist stimmt schon gar nicht, dass die naturwissenschaftlich-technisch geprägte Kultur eine dieser universellen Standardstufen der menschlichen Entwicklung darstellt.

    Worum es in dieser Diskussion ja letztlich geht, ist, dass bei den Einzelparameter der Drake-Gleichung regelmäßig der Faktor vergessen wird, der die Wahrscheinlichkeit einer wissenschaftlich-technologischen Entwicklung beschreibt. Von vielen wissenschaftsafinen Autoren wird stillschweigend so getan als ob der Faktor langfristig bei nahe 1 läge. Genau hier kommt der (Wissenschafts-)Historiker ins Spiel, der natürlich diesen Faktor auch nicht genau beziffern kann, der aber zumindest unseren naiven Fortschrittsmythos entlarven kann.

  31. #31 Wizzy
    24. Januar 2019

    @Heljerer
    Ich bin kein Historiker, aber skeptisch gegenüber Deinen Thesen. Inbesondere sehe ich die chinesische Kultur als einigermaßen kontinuierlich-fortschrittlich (erst in der Neuzeit dann überholt durch einen Entwicklungsschub des Westens), siehe z.B. https://en.wikipedia.org/wiki/History_of_science_and_technology_in_China
    Woran machst Du es denn fest, dass es in China nicht “vergleichbare Ansätze” (Ansätze zu was?) gegeben habe? Ich sehe es statsächlich so, dass der Faktor wissenschaftlich-technologischer Entwicklung bei nahe 1 liegt.
    Vielleicht (Gegenthese) waren wir hier in unserer Historie ja ausgesprochen von Pech behaftet und die meisten menschlichen Zivilisationen (im Sinne von Läufen mit leicht anderen Anfangsbedingungen) hätten sich schon vor uns zum heutigen Stand Kultur entwickelt – und wir waren halt untypisch spät dran. Meine rein subjektive Schätzung sagt, dass es auch hätte langsamer gehen müssen – aber im kosmologischen und sogar erdgeschichtlichen Kontext sind ein paar zehntausend Jahre hin oder her ein Wimpernschlag; ich gehe in der Tat eher von der Biologie/Evolution als zeitbegrenzendem Faktor aus gegenüber der Kulturentwicklung – im Sinne davon, dass als Voraussetzung Gene des Homo Sapiens bereits verbreitet sind (ein mögliches frühzeitiges Aussterben also nicht betrachtet wird), und allein die Kulturentwicklung Gegenstand ist.

  32. #32 Heljerer
    24. Januar 2019

    @Wizzy
    Leider ist gerade meine Antwort auf deinen letzten Beitrag in den Tiefen der Blog-Zensur verschwunden. Ich kann es auch kein zweites Mal mehr senden. Daher nur kurz ein Literaturhinweis:

    Floris Cohen, How Modern Science Came Into the World: Four Civilizations, One 17th-Century Breakthrough, AMSTERDAM UNIV PR, 2011

  33. #33 Tina_HH
    24. Januar 2019

    @Heljerer

    An eine zwangsläufige Höherentwicklung glaube ich auch nicht. Aber daran, dass es auch besser gegangen wäre als geschehen.

    Die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie wurde ja in der Vergangenheit stark durch bestimmte Weltanschauungen behindert. Ein ganz wichtiger Faktor war die Geringerschätzung praktischen Wissens (z.B. Handwerk) gegenüber der rein geistigen Beschäftigung, so dass sich über sehr lange Zeit beide nicht gegenseitig befruchten konnten und viele Gedankengebäude der reinen Phantasie entsprangen ohne in der Wirklichkeit und ihren Gesetzmäßigkeiten verankert zu sein.

    Man kann sich jedoch vorstellen, dass es durchaus auch andere Weltanschauungen (schon viel früher) hätte geben können, die den Prozess der Entstehung der ersten echten Naturwissenschaften und der entsprechenden technischen Anwendungen hätten beschleunigen können.

    Da wir ja im Rückblick immer nur das sehen, was tatsächlich geschehen ist, ist es schwierig, sich etwas anderes vorzustellen. Aber das Andere wäre vielleicht sogar viel besser gewesen als das, was wir als konkrete Geschichte heute haben.

    Und um nochmal den Bogen zu eventuellen ausserirdischen Intelligenzen zu schlagen: Ich denke, da gilt das Gleiche. Man sollte nicht denken, dass wir mit unserer speziellen biologischen Ausstattung (und speziellen Intelligenz) sowie unserer konkreten Geschichte nun unbedingt das Nonplusultra im Universum darstellen. Da ist durchaus noch Luft nach oben. 😉

  34. #34 Wizzy
    24. Januar 2019

    @Heljerer
    Danke für die Referenz! Ganz schön groß, aber dafür scheint es gut zu sein ^^

  35. #35 Hoffmann
    24. Januar 2019
  36. #36 Heljerer
    24. Januar 2019

    @Hoffmann
    Ich habe beide Bücher. Das Buch, das du verlinkt hast, ist keine Übersetzung des englischen Titels! Es geht allerdings in beiden Büchern um das gleiche Thema. Das deutsche Buch ist für den interessierten Laien geschrieben. Das Buch, das ich zitiert habe, ist dagegen sehr wissenschaftlich geschrieben.

  37. #37 Dampier
    dampierblog.de
    24. Januar 2019

    @M, ich bezog mich auf diese Aussage:

    Wenn einem gebratene Tauben ins Maul fliegen und kein neidischer Nachbar mit der Keule droht, entwickelt sich evtl Kunst aber sicher keine Technologie.

    Wo ist das denn in Bolivien der Fall?

    Magst du nochmal kurz erklären, was du da live beobachtest, und was du daraus schließt?

  38. #38 Heljerer
    24. Januar 2019

    @Wizzy
    Nochmal zum Thema China.

    Technischer Fortschritt geht selbstverständlich auch ohne Naturwissenschaft. Dann hat der Fortschritt aber Grenzen, die weitaus niedriger liegen als das wir hier gerade diskutieren. Naturwissenschaft ist die Synthese aus Naturphilosophie, Mathematik und Experiment. Dies gab es im hellenistischen Griechenland in allerersten Ansätzen. Die chinesische Naturphilosophie war völlig anders gestrickt. Eine solche Synthese war dort in keiner Weise in Sicht.

  39. #39 Dampier
    dampierblog.de
    24. Januar 2019

    @Heljerer

    Das naturwissenschaftliche Weltbild ist tatsächlich singulär.

    Der eigentliche Flaschenhals lag vorher bei der Herausbildung der hellenistischen Kultur. Dies hat auf der Erde nur ein einziges Mal stattgefunden.

    Ich bin sicher, unter anderen Umständen hätte es auch woanders oder sogar mehrmals stattfinden können. Warum soll das singulär sein?

    Ich stimme Wizzy zu, das was uns zur Hochtechnologie befähigt, sollte eher in evolutionsgeschichtlichen Maßstäben gemessen werden. Unsere Wissbegierde ist durch die Evolution verankert und lässt sich auf gesellschaftlicher Ebene nur bedingt steuern. Da gibt es vielleicht mal ein paar Dellen in der Kurve, aber sie strebt gegen 1. Ein Absinken der Kurve könnte nur durch evolutionäre Mechanismen stattfinden, das sind ja ganz andere Zeiträume.

    Ich kann mir keinen Mechanismus vorstellen (SF mal ausgenommen), der die gesamte Menschheit in geschichtlichen Zeiträumen global und nachhaltig so dumm & faul hätte machen können, dass der technologische Fortschritt irgendwann zB. im Mittelalter tatsächlich und endgültig zum Erliegen gekommen wäre.

    Das habe ich gerade auf Wikipedia gefunden (Neugier):

    Eine Studie von 2015 zeigt, dass Menschen, um Unklarheiten zu beseitigen, gewillt sind, Neues zu erforschen, auch wenn es negative Konsequenzen haben kann.

    Ich glaube, das gehört schon immer zur Grundausstattung des Homo Sapiens.

  40. #40 Heljerer
    24. Januar 2019

    @Tina_HH

    Man kann sich jedoch vorstellen, dass es durchaus auch andere Weltanschauungen (schon viel früher) hätte geben können, die den Prozess der Entstehung der ersten echten Naturwissenschaften und der entsprechenden technischen Anwendungen hätten beschleunigen können.

    Homo Sapiens gibt es seit 300000 Jahren. Natürlich könnte die Menschheit heute ganz anders aussehen, wenn meinetwegen vor 50000 Jahren die Weichen anders gestellt worden wären. Aber das ist natürlich alles sehr spekulativ. Wenn wir ein bisschen weniger spekulativ vorgehen und uns die Welt im Jahr 800 v. Chr. anschauen, dann stellen wir fest, dass es ausnahmslos Kulturen mit mythologischen Weltbildern gab. Naturphilosophie sozusagen die Vorstufe zur Wissenschaft entwickelte sich erst in den Jahrhunderten danach. (Karl Jaspers nannte das “Achsnezeit”.) Bereits 600 Jahre später gab es in Griechenland erste Ansätze dessen, was wir heute Wissenschaft nennen. Jetzt meine Frage: Nach welchem Szennario hätte das schneller stattfinden sollen? Aus einer mythologischen Weltsicht kann eben nie direkt eine echte Naturwissenschaft entstehen.

  41. #41 Heljerer
    24. Januar 2019

    @Dampier

    Unsere Wissbegierde ist durch die Evolution verankert und lässt sich auf gesellschaftlicher Ebene nur bedingt steuern.

    Ob eine Kultur zur Wissbegierde neigt und insbesondere ob sie den Willen zur Veränderung hat, ist sehr wohl gesellschaftlich bedingt. Claude Lévi-Strauss schuf dafür den Begriff der kalten und heißen Kulturen.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Kalte_und_heiße_Kulturen_oder_Optionen

    Außerdem reicht der Wille zum Fortschritt nicht aus. Fortschritt erfordert in extremer Weise den passenden gesellschaftlichen Nährboden. Und wir reden ja hier nicht von irgendeinem kleineren schrittweisen Fortschritt sondern von einem fundamentalen Paradigmenwechsel, wie er eben mit der Geburt der Naturwissenschaft stattgefunden hat.

    Ich hasse eigentlich das Wort “Paradigmenwechsel”, da es mittlerweile für jede Kleinstveränderung verwendet wird. Aber wenn es so etwas gibt, das den Namen verdient, dann ist es der Übergang vom Mythos zur Philosophie und später der Übergang zur Wissenschaft. Das bedeutet zwei Paradigmenwechsel innerhalb von 300000 Jahren. Den 3. versuchte die New Age Bewegung vergeblich. Aber wer weiß? Vielleicht gibt es ja irgendwo Außerirdische, die den 3. Paradigmenwechsel schon hinter sich haben – wie auch immer der aussehen soll…

  42. #42 Gudea
    25. Januar 2019

    #40 Heljerer

    Die Sumerer mußten bereits ca. 3000 Jahren und mehr vor dem Hellenismus die Entwicklung von Vorstufen der Wissenschaft betreiben. Andererseits hätten sie ihr grandioses wirtschaftliche Programm nicht mehr beherrschen können. Sie entwickelten die Schrift, das Rechnen (mittels unglaublich umständlicher und deshalb komplexer Rechengesetze), Geometrie, betrieben Archäologie und bauten pyramidenähnliche Bauten von gigantischer Größe. Und das alles, obwohl sie wohl noch weitaus tiefer in mythologischen Verirrungen verhaftet waren als die Griechen. Die Entwicklung der “Wissenschaft” der Leberschau ist ein Beispiel ihrer Weltsicht. Offensichtlich von ihnen ist diese “Wissenschaft” zu den Griechen und anderen Völkern gekommen.

  43. #43 Heljerer
    25. Januar 2019

    @Gudea
    Die Sumerer haben auch die Vorstufe des Automobils entwickelt.

    Aber um diese Art der Vorstufe geht es bei der wissenschaftlichen Revolution nicht. So ist auch die sumerische und später die babylonische Mathematik nicht “wissenschaftlich”. Erst in Griechenland wurde die Verbindung zwischen Philosophie und Mathematik hergestellt. Zu einer echten wissenschaftlichen Revolution wie später im 17. Jahrhundert kam es aber noch nicht.

    Die antiken Gesellschaften wie die der Sumerer, Ägypter und Römer zeigen auf eindrucksvolle Weise zu welchen technischen und organisatorischen Leistungen der Mensch in der Lage ist. Man sieht aber auch sehr gut, dass eine einmal angestoßene Entwicklung auf einem hohen Niveau zum Stillstand kommt und keinesfalls daraus ein Selbstläufer entsteht, der die Kultur zu immer weiteren Höhen treibt.

    Die wissenschaftliche Revolution hat eine völlig neue Entwicklung eingeleitet. Dieses Ereignis war singulär. Erst die positive Rückkopplung zwischen Wissenschaft und Technik hat unsere heutige Welt möglich gemacht. Ein wesentlicher Punkt ist hierbei, dass die Entwicklung der Naturwissenschaft ein europäischer Sonderweg war und eben nichts irgendwie menschlich-kulturell Natürliches darstellt. Das unterscheidet die Naturwissenschaften eben fundamental von anderen menschlichen Kulturgütern wie Musik, Tanz, Religion, Kunst. Klar weiß niemand ob ohne Europa vielleicht die Chinesen irgendwann in 10000 Jahren auch so etwas wie Naturwissenschaften entwickelt hätten. Im Zeitraum von einigen Jahrhunderten würde ich das allerdings ausschließen.

    “Leberschau” ist in diesem Sinn übrigens keine Wissenschaft.

  44. #44 Tina_HH
    25. Januar 2019

    @Heljerer

    Nach welchem Szennario hätte das schneller stattfinden sollen?

    Was die konkrete Geschichte betrifft, kann ich das nicht beantworten.

    Meine Argumentation geht in die Richtung, dass etwas, was einmal stattgefunden hat (hier also die Entwicklung von Naturwissenschaften und Technologien), prinzipiell immer stattfinden kann, weil es zeigt, dass Menschen grundsätzlich in der Lage sind, so zu denken und zu handeln. Die Schritte dorthin mögen schwierig und vielleicht auch sehr selten sein, aber sie sind möglich, wie die Geschichte ja nun einmal eindrucksvoll gezeigt hat.

    Alles andere (über alternative Geschichtsverläufe, “zweite Erde”, ausserirdische Intelligenzen usw.) muss Spekulation bleiben, aber da sind wir uns ja ohnehin einig.
    Und da wir hier leider schlecht mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten können, können wir eben auch nicht sagen, dass es extrem unwahrscheinlich ist, dass die Entwicklung ohne die griechische Philosophie überhaupt stattgefunden hätte. Denn an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit hätten andere Menschen zu ähnlichen Ansichten und Methoden gelangen können, eben weil dies prinzipiell möglich ist.

  45. #45 M
    Bolivien
    25. Januar 2019

    @Dampier
    Zumächst zu deiner Steinzeit-Nerd-Theorie:
    Der kann so tolle Sachen erfinden wie er will, wenn kein Interesse besteht sie zu nutzen werden sie spätestens nach seinem Tod weggeworfen und vergessen. Was will eine nomadische in ausgedehnten Waldgebieten lebende Jäger- und Sammlergesellschaft mit einem Rad anfangen?
    Es müssen da auch äußere Voraussetzungen stimmen.
    Die dt. Chem. Industrie hat sich nur entwickeln können (und das passierte amS vor der ‘techn. ‘ Industrie!), weil es Bedarf an Farbstoffen gab, der sich auch nur im Zusammenspiel mit der Entdeckung erster synthet. Färbestoffe und dem ‘Ende’ der Leibeigenschaft in Frankreich entwickeln konnte. Die Gier nach bunten Stoffen ist mir bis heute unbegreiflich. Auch dass es ausgerechnet in dem rückständigen Bauernstaat Deutschland am schnellsten fortgeschritten ist.

    Zu Bolivien:
    Die Leute hier sind auf einem sehr niedigren Bildungsniveau, die Handwerker sind auch schlecht ausgebildet. Es gibt Erdgas und etwas Erdöl. Eigentlich gute Voraussetzungen um etwas zu ändern. Es gibt auch einige Leute die etwas ändern wollen. Aber man stösst auf weitgehendes Desinteresse. Nicht Abneigung. Es ist nur so als wollte man durch Tiefschnee laufen. Die Politiker sind extrem Entscheidungsunfreudig. Kriegen ihr Geld ja eh und laufen dann nicht Gefahr etwas falsch zu machen. Die Leute auf dem Land können 3-4mal im Jahr ausreichend ernten. Trotz Ochsenpflug, wenig Kunstdünger und wenig Pestiziden. Die haben auch kaum Interesse an Fortschritt.
    Und auch die nutzlosen Städter überleben ohne sich totzuarbeiten.
    Was an Neuerungen kommt kommt von außen. Und so richtig durchsetzen konnte sich davon nur motorisierte Fortbewegung, Fernsehen und vor allem Handy. Und in jüngerer Zeit Internet, das aber auch vorwiegend zu privater Kommunikation und Streaming genutzt wird, nicht um sich fortzubilden oder zur Organisation.

    Ich würde auch nicht viel ändern wollen. Das entschläunigte freie Leben ist schon schön.
    Aber Nutzung von Wind und Sonne zur Energieerzeugung, Pflanzenkläranlagen, moderne Müllverbrennung, Elektromobilität, chem. Kleinindustrie und moderne techn. Kleinindustrie wären schon schön und sehr sinnvoll. Noch brauchte ich es nicht, aber etwas besseres Gesundheitswesen käme auch gut.

  46. #46 Norbert
    25. Januar 2019

    Die Gier nach bunten Stoffen ist mir bis heute unbegreiflich. Auch dass es ausgerechnet in dem rückständigen Bauernstaat Deutschland am schnellsten fortgeschritten ist.

    Das mit dem rückständigen Bauernstaat ist auch wieder so ein Vorurteil. Im 15. und 16. Jh hatten sich hierzulande vielerorts bedeutende Industrien entwickelt – in den nordeutschen Hansestädten genauso wie in den sächsischen Bergbaugebieten. Ohne die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges wäre die Industrielle Revolution möglicherweise von Deutschland ausgegangen.

  47. #47 Tina_HH
    25. Januar 2019

    Noch ein Nachtrag. Eigentlich sind wir bei vielen Fragestellungen in einer sehr ähnlichen Situation. Wir haben einen konkreten Fall, aber wissen nicht, wie wahrscheinlich die Entwicklung war.

    Bei der Entstehung des Lebens auf der Erde können wir ja auch nur sagen, dass es entstanden ist und (mit Unsicherheiten) wann dies wohl passiert sein könnte. Aber wie wahrscheinlich es war, dass Leben überhaupt entsteht, wissen wir nicht. Genauso, wie wir bisher nicht wissen, wie wahrscheinlich es ist, dass auf anderen Planeten Leben entstanden ist. Entsprechend gehen die Spekulationen dann ja auch von nahezu Null bis hin zu zig Milliarden Planeten mit Lebewesen.

    Und um doch nochmal kurz auf das Thema Entwicklung von Wissenschaft und Technologie zurück zu kommen. Da wir diese heute haben, ist es klar, dass sie irgendwo und irgendwann entstanden und entwickelt worden sein müssen, es also den Durchbruch gegeben hat und irgendwo in diesem ganzen Prozess gab es dann auch die ersten, die dies geschafft haben. Das sagt aber nichts darüber aus, wie wahrscheinlich das ist, nur, dass es prinzipiell möglich ist.

  48. #48 Tina_HH
    25. Januar 2019

    P.S. Trotzdem macht das Spekulieren über Themen, die noch nicht geklärt sind (bzw. sich nicht klären lassen), natürlich Spaß. Ich tendiere ja zu der Annahme, dass sich Wissenschaft und Technologie ohne die alten Griechen auch an anderen Orten und zu anderen Zeiten hätten entwickeln können. Und dass es außer der Erde noch andere Planeten gibt, auf denen sich (intelligentes) Leben bereits entwickelt hat und noch entwickeln wird. Es ist einmal passiert, also prinzipiell möglich und es wäre sehr eigenartig, wenn wir im unvorstellbar großen Universum ein Einzelfall wären.

  49. #49 fadent
    25. Januar 2019

    @Heljerer
    Ich würde eher Tina zustimmen, was einmal irgendwo erfunden (z.B. das wissenschaftliche Modell) wird, kann prinzipiell woanders genauso oder in abgewandelter Form (wieder)erfunden werden. Insofern wäre es naheliegend anzunehmen, dass die Wahrscheinlichkeit den Weg in Richtung Wissenschaft einzuschlagen intrinsisch bei 1 bzw. nahe daran liegt und nur von den äußeren Umständen beeinflußt wird.
    Dein Argument, dass z.B. in China nichts davon in Sicht war ist meines Erachtens nach schwach, dann hätte man dort halt 1000 Jahre länger gebraucht, um auf eine ähnliche Schiene zu kommen, passiert wäre es aber sehr wahrscheinlich, stagnierende Systeme sind eher selten.

  50. #50 Heljerer
    25. Januar 2019

    @Tina_HH

    Ich tendiere ja zu der Annahme, dass sich Wissenschaft und Technologie ohne die alten Griechen auch an anderen Orten und zu anderen Zeiten hätten entwickeln können.

    Du hast schon zu Recht auf die Parallelen zwischen der biologischen Evolution und der kulturellen Evolution hingewiesen. Die Frage “was wäre ohne die alten Griechen?” hat bei der biologischen Evolution das Pendant “was wäre ohne den Menschen?”.

    Man kann hier analog sagen:
    “Ich tendiere zu der Annahme, dass sich intelligentes, zivilisiertes Leben auf der Erde auch ohne den Menschen irgendwo zu anderen Zeiten hätte entwickeln können.”

    Wir können ja mal folgende beiden Gedankenexperimente machen:

    Gedankenexperiment 1:
    Der Mensch verschwindet von heute auf morgen von der Erde. Jetzt warten wir, bis die Evolution eine zweite Tierart hervorbringt, die in der Lage ist, eine technologische Zivilisation aufzubauen. Dafür stünden voraussichtlich noch wenige 100 Mio Jahre zu Verfügung. Dannach wird’s bereits zu warm auf der Erde.

    Gedankenexperiment 2:
    Wir lassen von heute auf morgen alles vom Menschen erschaffene verschwinden und fangen mit 10000 Menschen nochmals bei Null an. Hier liegt die Zeitskala bei weniger Mio Jahren. Länger überlebt eine Säugetierspezies in der Regel nicht.

    Obwohl ich von Biologie und Evolution nur sehr wenig verstehe, habe ich bei Gedankenexperiment 1 trotzdem geringere Probleme mit meiner Phantasie als bei Gedankenexperiment 2.

  51. #51 Heljerer
    25. Januar 2019

    @fadent
    Wir sind sind uns ja im Prinzipiellen darüber einig: Was einmal irgendwo stattgefunden hat, kann prinzipiell woanders (wieder)erfunden werden. Ich glaube nicht, dass hier irgendjemand widersprechen würde!

    Worüber offensichtlich keine Einigkeit herrscht, ist die Beurteilung bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Ereignisses. Ich sage, die Wahrscheinlichkeit (für eine zweite unabhängige wissenschaftliche Revolution) ist so gering, dass wir eben nicht über 1000 Jahre reden, sondern über deutlich mehr. Gegebenenfalls sind die Zeitspannen sogar so groß, dass die Menscheit ausstirbt, bevor das Ereignis ein zweites Mal stattfindet.

    Der zweite Punkt, über den anscheinend keine Einigkeit herrscht, ist, dass ich eine intrinsische Veranlagung des Menschen zur Entwicklung zu immer höherer Kultur ablehne. Ich sehe darin ein veraltetes Menschenbild, wie es traditionell von Geschichtsphilosophen wie Hegel und Marx vertreten wurde.

    Auch hier kann man eine Parallele zur Evolution ziehen. Es gibt in der Evolution kein intrinsisches Gesetz, das vorgibt, dass sich alles zu immer höherem entwickelt.

  52. #52 Wizzy
    25. Januar 2019

    @Heljerer

    Ich werde immer begeisterter von dieser Diskussion, also danke für den Anstoß dazu, Heljerer! Ich kann Deine Gedankengänge prinzipiell gut nachvollziehen.

    Ich bin allerdings überrascht über Dein Gefühl zu G.exp. 1 vs. 2. Tatsächlich würde ich eher auf Experiment 2 als auf 1 wetten, wobei ich bei 1 auf einige 100 Millionen Jahre ebenfalls zuversichtlich wäre. Auch wenn ich bei Exp. 2 lieber mit sagen wir ein paar Mio. Steinzeitmenschen anfangen würde, denn es geht hier ja um Kulturentwicklung, und nicht um evolutionistische Aussterbewahrscheinlichkeiten einer kleinen Population, nicht wahr?

    Dann stelle ich mir die Frage, ob es wirklich einer so außergewöhnlichen Kombination von Philosophie und Mathematik bedarf. Schließlich waren einige bedeutende Naturwissenschaftler religiös gläubig, was sie von ihren Befunden nicht abhielt. Im Moment bezweifle ich noch etwas, ob die Entwicklung der Naturwissenschaft wirklich derart singulär war – eine Art “runaway effect” nachdem eine Gesellschaft den Nutzen davon erkennt will ich nicht bestreiten – aber ich würde annehmen dass das in verschiedenen Gesellschaften (z.B. China) auch möglich ist. Sonderlich fruchtbar war unsere Kirchengesellschaft ja auch nicht gegenüber dem Fortschritt, aber es hat bei uns _trotzdem_ geklappt.

  53. #53 Tina_HH
    25. Januar 2019

    @Heljerer

    Bei Gedankenexperiment 1 wäre ich eigentlich weniger zuversichtlich. Es hat in den letzten Hunderten Millionen Jahren so viele Tierarten gegeben und bis jetzt haben nur die Menschen eine Intelligenz entwickelt, die die Grundlage für den Aufbau einer technologischen Zivilisation war.

    Bei G2 wäre ich wesentlich zuversichtlicher. Intelligenz ist bereits vorhanden und Millionen Jahre sind eine sehr lange Zeit, in der sehr viele verschiedene Kulturen auftreten können. Da sollte es schon möglich sein, dass irgendwann alle Umstände stimmen, um sich von den mythischen Weltbildern gedanklich zu entfernen und auf die ein oder andere Idee zu kommen, die auch die alten Griechen hatten und diese dann auch umzusetzen.

    Aber interessant, dass du das genau andersherum siehst.

  54. #54 Heljerer
    25. Januar 2019

    @Wizzy

    Dann stelle ich mir die Frage, ob es wirklich einer so außergewöhnlichen Kombination von Philosophie und Mathematik bedarf.

    Wichtig bei der “Kombination” von Philosophie und Mathematik war, dass nicht beide isoliert nebeneinander auftraten, sondern zu einer echten Synthese geführt wurden. Z.B. hatte sich Kopernikus mit beidem beschäftigt, war aber nicht in der Lage beides zu echter Naturwissenschaft zu kombinieren.

    Sonderlich fruchtbar war unsere Kirchengesellschaft ja auch nicht gegenüber dem Fortschritt, aber es hat bei uns _trotzdem_ geklappt.

    Der Kirche wird bezüglich ihrem Beitrag zur Wissenschaft oft eine Rolle zugewiesen, die dem realen historischen Verlauf nicht gerecht wird. Ohne Die Kirchenvertreter haben im Mittelalter viele der antiken Schriften vor dem Verlust gerettet. Sie haben bewahrt, kommentiert, diskutiert und teilweise – wenn auch in geringem Umfang – Neues entwickelt. Die wissenschaftliche Revolution kam ja nicht aus dem Nichts, sondern hatte eine lange Vorgeschichte. Hier waren Gelehrte wie
    – Thomas von Aquin
    – Albertus Magnus
    – Nikolaus von Oresme
    – Johannes Buridan
    – Richard Swineshead
    – Thomas Bradwardine
    – Duns Scotus
    – Wilhelm von Ockham
    – Nikolaus von Kues
    von großer Bedeutung.

    Der Geburt der Naturwissenschaft (ca. 1600) geht deren Schwangerschaft (Spätmittelalter und Renaissance) voraus. Bei den Geburtsvorbereitungskursen haben Kirchenvetreter einen großen Beitrag geleistet.

  55. #55 Heljerer
    25. Januar 2019

    @Tina_HH

    Aber interessant, dass du das genau andersherum siehst.

    Da haben wir uns missverstanden! Ich meinte es genau so wie du auch! Bei der Evolution finde ich es einfacher. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde sich in den restlichen paar Mio. Jahren, die der Erde für höhere Organismen noch bleiben, keine zweite Art mehr vergleich bar mit dem Menschen entwickeln.

    Bei der kulturellen Entwicklung fällt es mir schwer, überhaupt irgendwelche Prognosen zu treffen. Feststeht nur, dass der Mensch bisher 300000 Jahre gebraucht hat. Was in 290000 Jahren nicht funktioniert hat, kann natürlich auch in 5 Mio. Jahren nicht funktionieren. Ich wage hier keine Prognose, wäre aber trotzdem zuversichtlicher als bei Experiment 1!

  56. #56 Dampier
    25. Januar 2019

    @Heljerer

    dass ich eine intrinsische Veranlagung des Menschen zur Entwicklung zu immer höherer Kultur ablehne.
    (…)
    Auch hier kann man eine Parallele zur Evolution ziehen. Es gibt in der Evolution kein intrinsisches Gesetz, das vorgibt, dass sich alles zu immer höherem entwickelt.

    Ein “intrinsisches Gesetz” sehe ich auch nicht am Werk. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich hier nicht etwa ein teleologisches Weltbild vertrete. Ich glaube nicht an eine Zweckgerichtetheit der Evolution, oder einen vom Menschen unabhängigen “Sinn des Lebens”.

    (Ich finde es schwer, meine Gedanken hierzu zu formulieren, OHNE auf teleologische Begriffe wie “Sinn”, “Zweck” oder “Ziel” zurückzugreifen.)

    Ich halte die Fähigkeit zu technologischer Innovation für eine emergente Eigenschaft eines kleinen Satzes von evolutionär verankerten Grundregeln, die u. a. besagen: “sei neugierig, auch unter Inkaufnahme eines persönlichen Risikos”. (Dazu gehört nicht nur die kognitive Ausstattung des Homo Sapiens, sondern auch die anatomische. Vielleicht wären Delfine auch zu Technologie in der Lage, aber ohne Hände und ohne die Möglichkeit, das Feuer zu nutzen, werden sie wohl nicht weit kommen).

    Diese Grundregeln/Urtriebe mögen ursprünglich ganz anderen “Zwecken” gedient haben; ich kann mir aber gut vorstellen, dass produktive Neugier seit jeher einen enormen evolutionären Vorteil darstellte.

    Zur Emergenz möchte ich euch mal Conways Spiel des Lebens ans Herz legen, welches zeigt, wie aus ganz wenigen Grundregeln unabsehbar komplexe Strukturen/Verhaltensweisen entstehen können.

    Somit habe ich mit Gedankenexperiment 2 überhaupt keine Probleme. (Die 1 ist viel spekulativer, weil ja auch noch die anatomische Ausstattung als Variable dazukommt, während sie in GE 2 gegeben ist).

    Ja, und ich finde diese Diskussion auch große Klasse, da mich das Thema auch schon lange beschäftigt. Danke euch allen für die guten Denkanstöße – und ein Dank auch an den Artikelautor! Ich hätte mich gefreut, auch von ihm etwas hier im Forum zu lesen.

  57. #57 Tina_HH
    25. Januar 2019

    @Heljerer

    Wenn man sich die menschliche Geschichte ansieht, fällt ja auf, dass über sehr lange Zeiträume scheinbar nicht so wahnsinnig viel passiert ist, also in den Zeiten, in denen die Menschen als Jäger und Sammler nomadisch lebten bzw. dass diese langen Zeiträume offenbar nötig waren, um auf einen bestimmten Stand der Kultur und Technik zu kommen.

    Aber dann, nach der Sesshaftwerdung, ging es doch recht schnell. Also ungefähr gut 10.000 Jahre bis heute. Mit Ackerbau und Viehzucht haben sich viele unterschiedliche Kulturen entwickelt und viele neue Erfindungen wurden in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum gemacht. Man könnte die Sesshaftwerdung also quasi als eine notwendige Hürde ansehen, die übersprungen wurde – wobei das alles andere als einfach war und den Menschen enorme Leistungen, Verzicht und Schinderei abverlangte. Yuval Noah Harari hat das ja in seinem Buch “Eine kurze Geschichte der Menschheit” eindrucksvoll dargestellt.

    Wenn man also die gut 10.000 Jahre von damals bis heute ansieht, und dann nochmal die Zeit der alten Griechen bis zur Entwicklung des Computers und des Internets, könnte man sagen, dass die Menschheit quasi in den Turbogang geschaltet hat.

    Vor diesem Hintergrund erscheinen mir einige Millionen Jahre wie im Gedankenexperiment ziemlich üppig bemessen. Da sollte eigentlich auch noch die genauere Erforschung des Sonnensystems mit entsprechenden Sonden drin sein… 😉

  58. #58 Christian Schwaderer
    25. Januar 2019

    Als Verfasser des Textes möchte ich mich kurz zu Wort melden und mich entschuldigen: Ich kann gerade viel weniger Zeit und Energie auf die Diskussion verwenden, als ich das gerne würde. Ich freue mich jedenfalls über die lebhafte Diskussion! Eines muss ich nach kursorischer Lektüre einiger Kommentare frei­he­r­aus gestehen: Von der Geschichte Chinas und des Orientraums habe ich sehr wenig Ahnung. Inwieweit mehr Wissen hier meine These ändern würde, vermag ich leider nicht zu sagen.

  59. #59 UMa
    25. Januar 2019

    Eine sehr interessante Diskussion.
    Die Frage ist was gab es im 16. Jh was die alte Griechen und Römer nicht hatten?

    Neben gedanklichen und gesellschaftlichen Unterschieden, gab es auch einige technische Fortschritte, von denen einige vielleicht einen Unterschied gemacht haben könnten.

    Kummet, Tiefpflug, Dreifelderwirtschaft, mechanische Räderuhren (Feinmechanik), verbesserte Glasherstellung, Ethanol, Schwefelsäure, Salpetersäure, Schießpulver, Kompass, Linsen, Brillen, Buchdruck mit beweglichen Lettern, evtl. Windmühlen, …?

    Auch wenn in einigen Bereichen die Römer vielleicht erst im 19. Jh übertroffen wurden, gab es nach dem Mittelalter doch einige Erfindungen die in der Antike vermutlich unbekannt waren.

    Welche könnten einen Unterschied gemacht haben?

  60. #60 wereatheist
    25. Januar 2019

    Das Buch von Gavin Menzies, das ab #18 erwähnt wurde, habe ich noch nicht mal gelesen. Offenbar ist die dramatische Darstellung irgendwie zu mir diffundiert. Da sie wohl falsch (übertrieben) ist, mea culpa für fehlende Recherche. Man sollte halt nicht einfach etwas glauben, bloß weil es ins Weltbild passt…
    Ich finde es dennoch erstaunlich, dass so ein großes Reich wie China, mit seinem langgestreckten Küstenbogen, sich Jahrhunderte lang keine hochseetüchtige Flotte geleistet hat, obwohl man hautnah mitbekommen hat, wie sich Korea im späten 16. Jhd. einer japanischen Invasion erwehrte, nämlich mit ziemlich innovativer Schiffstechnik (Panzerschiffe).

  61. #61 Norbert
    25. Januar 2019

    Ich finde es dennoch erstaunlich, dass so ein großes Reich wie China, mit seinem langgestreckten Küstenbogen, sich Jahrhunderte lang keine hochseetüchtige Flotte geleistet hat, obwohl man hautnah mitbekommen hat, wie sich Korea im späten 16. Jhd. einer japanischen Invasion erwehrte,…

    Naja, ganz so war es ja nicht. China hat, wenn auch spät, in den besagten Krieg auf Seiten Koreas zu Land und zu Wasser eingegriffen (Imjin-Krieg, 1592-98). Die letzten Seeschlachten dieses Krieges wurden von einem chinesischen Admiral kommandiert (Chen Lin), dem sich selbst Koreas Admiral Yi unterzuordnen hatte.
    Die Schatzflotte wurde schon weiter oben erwähnt, und der letzte Kaiser der Song-Dynastie ertrank 1279 bei der Schlacht von Yamen – laut Wikipedia einer der größten Seeschlachten der Weltgeschichte.
    China hat in seiner Geschichte immer wieder, und über lange Zeiträume hinweg eine Hochseeflotte unterhalten, und damit seine Vormachtstellung im Süd- und Ostchinesischem Meer gesichert. Allerdings gibt es in China eine Besonderheit: Den Kaiserkanal. Eine 1800km lange Wasserstraße, die weit im Landesinneren parallel zur Küste verläuft, und seit mindestens 1500 Jahren Peking mit Shanghai verbindet (eigentlich mit Hangzhou, etwas weiter südlich). Damit konnte ein großer Teil des Fernhandels von der Küste in’s Landesinnere verlegt werden, wo er vor Piraten und Angriffen fremder Mächte weitgehend geschützt war. Dadurch hatte eine Hochseeflotte für China keine besonders hohe Priorität.
    Auf der anderen Seite hat Europa einige Besonderheiten: Binnenmeere, an deren gegenüberliegendem Ufern mächtige Feinde lauern können. China kennt das nicht. China grenzt an zwei große Meere, auf deren anderen Seite ein paar kleine Inseln liegen, und dahinter die Weite des Ozeans. Die chinesische Geschichte kennt kein Äquivalent zu den Konflikten zwischen Rom und Karthago, England und Spanien, Schweden und Dänemark.

  62. #62 M
    25. Januar 2019

    @Norbert#46

    Die Anfänge der indust. Revolution waren eigentlich Egreniermaschine, Spinnmaschine und Webstuhl im 18. Jhdt. Aber auch da frage ich mich warum der Bedarf an Klamotten so stark gestiegen war. Auch dies eine Voraussetzung für die dt. Chem. Industrie, und damit auch für die pharmazeutische.

  63. #63 wereatheist
    25. Januar 2019

    Jetzt wird mir so Einiges erklärbar, worüber ich rätselte!

    China grenzt an zwei große Meere, auf deren anderen Seite ein paar kleine Inseln liegen

    Ja. Zum Beispiel der Japanische Archipel. Der für “interessante Zeiten” ursächlich war, so zwischen 1932 und 1945.

  64. #64 Norbert
    26. Januar 2019

    Ja. Zum Beispiel der Japanische Archipel. Der für “interessante Zeiten” ursächlich war, so zwischen 1932 und 1945.

    Sicher. Die Japaner haben in den 150 Jahren seit der Meiji-Restauration mächtig aufgeholt. Die 1500 Jahre davor waren sie aus chinesischer Sicht aber nur ein obskures Inselvölkchen, das man nicht weiter beachten mußte. Der Imjin-Krieg war für die Chinesen z.B. nur ein Konflikt zwischen zwei ihrer vielen Vasallen, und dementsprechend sind sie da auch vorgegangen.

  65. #65 Heljerer
    26. Januar 2019

    @UMa

    Die Frage ist was gab es im 16. Jh was die alte Griechen und Römer nicht hatten?

    Welche könnten einen Unterschied gemacht haben?

    Diese Frage wurde von Historikern bereits sehr augiebig diskutiert, mit teilweise sehr unterschiedlichen Antworten. Technisch gibt es kaum Unterschiede. Die häufig vetretene Auffassung, in der Antike hätte es keine Maschinen gegeben, weil man ja billige Sklaven hatte, ist nicht richtig.

    Floris Cohen (siehe oben zitierte Bücher) geht davon aus, dass ein allgemeiner langsamer Niedergang innerhalb einer Kultur der Normalfall und nicht die Ausnahme ist. Die hellenistische Kultur hatte ihren Niedergang bereits ca. 150 v. Chr. Naturphilosophie und Mathematik waren bei den Römern nicht besonders ausgeprägt.

    Im 16. Jahrhundert gab es dagegen ein sehr breites Interesse und zwar von gar ganz unterschiedlichen Personenkreisen. Es waren nicht mehr nur die gelehrten Theologen wie zuvor im Mittelalter, sondern auch reiche Kaufleute, Künstler, Seefahrer. Was in dieser Zeit erstmals (nach langem wieder) auftrat, war die Betonung des Neuen als etwas Positives. Es erscheinen haufenweise Bücher, die ganz bewusst das Wort “neu” im Titel tragen.

    Offensichtlich wurde dann Anfang des 17. Jahrhunderts die kritische Masse überschritten, die die wissenschaftliche Revolution endgültig mittels positiver Rückkopplung ausgelöst hat. Das Thema ist aber außerordentlich komplex. Leute wie Floris Cohen haben ihre ganze wissenschaftliche Laufbahn dem Thema gewidmet, ohne sie alle zum vollen Verständnis notwendigen Verästelungen bereits durchschauen würden.

    Ich halte die Fähigkeit zu technologischer Innovation für eine emergente Eigenschaft eines kleinen Satzes von evolutionär verankerten Grundregeln, die u. a. besagen: “sei neugierig, auch unter Inkaufnahme eines persönlichen Risikos”.

    Es ist ja gerade das Thema von Christian Schwaderers Blogbeitrag, dass dieser Drang zur Innovation nicht naturgegeben menschlich, sondern kulturbedingt ist. Denn wir reden ja hier nicht nur über schlichte “Neugierde”, in dem Sinn wie sie sicher jeder Mensch und vielleicht sogar jede Katze hat. Wir reden von der ständigen Bereitschaft, das Bisherige in Frage zu stellen und Neues zu entwickeln.

  66. #66 Heljerer
    26. Januar 2019

    @wereatheist
    Das Buch von Menzies ist komplett für die Mülltonne. Noch nie hatte ich mich so über einen Buchkauf geärgert. Den Kern bilden die historisch belegten Schiffsreisen von Zheng He, welchen ihn z.B. an die ostafrikanische Küste geführt haben. Dann lässt Menzies seiner Phantasie aber freien Lauf und lässt die Flotte bis Amerika und um die Welt reisen, wofür es aber nicht die geringsten historischen Belege gibt.

  67. #67 Dampier
    26. Januar 2019

    Es ist ja gerade das Thema von Christian Schwaderers Blogbeitrag, dass dieser Drang zur Innovation nicht naturgegeben menschlich, sondern kulturbedingt ist.

    Ist mir klar; ich sehe es eben andersherum, wobei ich ‘naturgegeben’ durch ‘evolutionär bedingt’ ersetzen würde (eben nicht teleologisch begründet).

    Denn wir reden ja hier nicht nur über schlichte “Neugierde”, in dem Sinn wie sie sicher jeder Mensch und vielleicht sogar jede Katze hat. Wir reden von der ständigen Bereitschaft, das Bisherige in Frage zu stellen und Neues zu entwickeln.

    Vielleicht drücke ich mich zu unklar aus, mit ‘produktive Neugier’ meine ich genau das. Mir fehlen da oft die historischen Fachbegriffe, und ich konstuier mir selbst welche 😉

    Wahrscheinlich haben Autoren wie Menzies genau deswegen solchen Erfolg, weil sie genau diesen ‘Entdeckertrieb’ im Menschen ansprechen (und vorgeben, einfache – und spektakuläre – Erklärungen zu haben).

  68. #68 Heljerer
    26. Januar 2019

    @Dampier
    Ich denke, ich habe schon verstanden, worauf du hinaus willst. Dass es in der menschlichen Kulturentwicklung die Tendenz zum Komplexeren gegeben hat, ist ja auch unbestritten. In der menschlichen Kultur ist es aber wie bei der Evolution. Ohne den Meteoriteneinschlag vor 66 Mio Jahren, wäre die Welt vermutlich immernoch von dümmlichen Dinosaurieren beherrscht. Bei der Evolution scheint das auch jeder einigermaßen zu verstehen, da jeder weiß, wie schwierig der Schritt zu einer neuen intelligenten Art ist. Bei der menschlichen Kultur geht man aber offensichtlich davon aus, dass die entscheidenden Kulturschritte ein Klacks sind und in wenigen Jahrtausenden unwegerlich klappen müssen. Wenn wir über universell kulturelle Dinge reden, kann ich das noch einsehen. Anders sieht es aber bei der Naturwissenschaft aus. Naturwissenschaftliches Denken ist kulturell einmalig und damit alles andere als universell. Die Wahrscheinlichkeit, dass es bei dem Gedankenexperiment 2 zu einer nochmaligen Entwicklung der Naturwissenschaften kommen würde, schätze ich auf verschwindend gering ein. Neugierde und Fortschrittswille hin oder her, das wird nix.

    Hier geht es ja letztendlich um die Frage wie hoch der Faktor fc innerhalb der Drake-Gleichung ist (Anteil der Zivilisationen, die kommunizieren können). Meine persönliche Schätzung liegt bei 0,001 – also weit unter 1.

  69. #69 UMa
    26. Januar 2019

    @Heljerer:
    Maschinen hat es in der Antike natürlich gegeben. Vom einfachen Hebel über die archimedische Schraube, zum Kran und Tretrad. Wassermühlen und mit Wasserrad betriebene Sägewerke, wenn wohl erst deutlich in der Spätphase des Römischen Reiches. Womit auch hier ein technischer Fortschritt gegenüber den Zeiten Cäsars auszumachen ist. Oder siehe die Werke Herons von Alexandria (um 60?).
    Aber mit Ausnahme der Wasserräder wurden wohl alle produktiv eingesetzten Maschinen von tierischer oder menschlicher Muskelkraft betrieben, oder?
    Das mit den Maschinen bezieht sich wohl auf die Dampfmaschine. Hätte man Herons Erfindung sinnvoll als Antrieb für Mühlen, zum Wasserheben oder für Sägewerke einsetzen können? Vermutlich nicht.
    Selbst Newcomens atmosphärische Dampfmaschine war, selbst unter wirtschaftliche günstigen Bedingungen, wegen des schlechten Wirkungsgrades, nur knapp billiger, als mit Pferden oder Muskelkraft das Wasser aus dem Bergwerk zu pumpen.

    Ein entscheidender Faktor war möglicherweise der Buchdruck. Aber der setzt billiges Papier voraus.
    Das gab es im Mittelalter aus Lumpen. Denn dank Spinnrad konnte mehr Garn gesponnen werden, als mit der Handspindel.
    Vielleicht mangelte des den Römern an billigen Schreibmaterial. Pergament ist teuer. Ansonsten wurde wohl Papyrus aus Ägypten genommen.
    Warum haben die Römer nicht den Buchdruck auf Papyrus erfunden?
    Die Chinesen sind vielleicht durch ihre komplizierten Schriftzeichen aufgehalten worden?!
    Ein weitere Faktor könnte die Konkurrenz durch Kleinstaaterei sein, oder? Antikes Griechenland und Europa später. Einheitliche Kaiserreiche sind vielleicht weniger innovationsfreudig?!

    Andererseits waren die Römer in der Metallproduktion quantitativ sehr erfolgreich. Hat aber nicht lange gedauert, dann muss die römische Wirtschaft wieder zusammengebrochen sein.

  70. #70 Heljerer
    26. Januar 2019

    @UMa

    Warum haben die Römer nicht den Buchdruck auf Papyrus erfunden?
    Die Chinesen sind vielleicht durch ihre komplizierten Schriftzeichen aufgehalten worden?!

    Gutenbergs Verdienst bei der Erfindung des Buchdrucks ist nicht in erster Linie die grundsätzliche Idee. Diese wurde auch schon zuvor in Asien entwickelt (Ich meine es war in Korea, bin aber nicht sicher.).

    Gutenbergs Verdienst war, einen technisch ausgereiften Prozess zu entwickeln. Man brauchte für ein flüssigen Ablauf des Druckprozesses etwa 50000 Lettern. Gutenberg entwickelte eine Methode, mit der in kurzer Zeit eine große Anzahl von Lettern gegossen werden konnten. Dazu brauchte er eine niedrig schmelzende Metalllegierung, welche auch erst speziell entwickelt werden musste.

    Meines Wissens haben die Asiaten die Schriftzeichen in Holz geschnitzt. Man muss sich jetzt nur mal überlegen, was es heißen würde 50000 hölzerne Lettern von Hand zu schnitzen. Auch an die Präzision und Schönheit des Drucks wurden hohe Ansprüche gestellt, da es galt, mindestens mit den Handschriften mitzuhalten.

    Hätte man die gleiche Erfindung schon in der Antike machen können? Vermutlich ja. Aber der gesamte Druckprozess war schon sehr ausgefeilt und anspruchsvoll, also nicht so naheliegend wie es auf den ersten Blick erscheint.

  71. #72 UMa
    27. Januar 2019

    Damit wird es noch seltsamer, dass Asien den Vorsprung der 1300 ja wohl noch da war so schnell einbüßte und auf der Stelle trat. Woran das gelegen haben könnte?
    Zum Buchdruck:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Buchdrucks

  72. #73 Heljerer
    27. Januar 2019

    @UMa

    Damit wird es noch seltsamer, dass Asien den Vorsprung der 1300 ja wohl noch da war so schnell einbüßte und auf der Stelle trat. Woran das gelegen haben könnte?

    Das liegt an unserem eurozentrischen Fortschrittsdenken! Man könnte es auch Fortschrittsmythos nennen. Der Mythos will uns weismachen, dass Fortschritt das Normale und Stagnation Symptom eines Mangels ist. Die Story wurde so oft erzählt, dass es schwer fällt nicht daran zu glauben.

    Das Beispiel China zeigt uns aber, wie eine normale Entwicklung aussieht. China hatte so ziemlich das Maximum dessen erreicht, was technologisch möglich war. Stagnation ist daher nur die Konsequenz daraus.

    Europas Sonderweg besteht darin, dass technologischer Fortschritt aus naturwissenschaftlichen Erkennnissen generiert wurde. Ohne Naturwissenschaft keine Chemieindustrie und petrochemische Industrie. Ohne Chemie kein Benzin, kein Auto, kein Kunststoff, keine Mikroelektronik. Auch Stahl und Glas lassen sich ohne naturwissenschaftliche Basis nicht als hochwertige Massenprodukte herstellen.

    Technologie – Naturwissenschaft – Kapitalismus:
    Ohne deren Zusammenwirken, wären wir heute weltweit nach wie vor maximal auf dem Niveau der alten Chinesen.

  73. #74 Norbert
    27. Januar 2019

    Damit wird es noch seltsamer, dass Asien den Vorsprung der 1300 ja wohl noch da war so schnell einbüßte und auf der Stelle trat. Woran das gelegen haben könnte?

    Wenn Du erklären kannst, warum die Europäer um die 1300 Jahre gebraucht haben, um auch nur wieder in die Nähe dessen zu kommen was die Alten Römer erreicht hatten, kannst Du das gleiche Phänomen bei den Chinesen erklären. Wobei die Periode in China kürzer ist – da gab es so alle 500 Jahre eine Blütezeit (Han, Tang, Song, Ming), die auf die vorangegangene Blüte noch etwas draufsattelte, bevor der nächste Abschwung folgte.

  74. #75 UMa
    27. Januar 2019

    @Heljerer:
    Ich bin nicht so davon überzeugt, dass es am Denken liegt.
    Ich vermute eher, dass andere Faktoren eine größere Rolle gespielt haben.
    Zunächst ist ein Zusammenspiel von Theorie und Praxis nötig.
    Ich kann noch eine so gute Idee haben, wenn ich sie nicht herstellen kann nützt sie wenig. Z.B. Thermometer ohne Glasröhren, oder eine Kolbendampfmaschine, wenn der Schmied beim besten Willen keinen dichten Kolben herstellen kann.
    Der nächste Punkt ist, dass Erkenntnisse sowohl theoretischer als auch praktischer Natur nicht wieder verloren gehen und möglichst einfach von anderen Menschen erfahren werden können. Hier könnte der entscheidende Faktor der Buchdruck gewesen sein. Dadurch gab es nicht nur wenige Exemplare von Ergebnissen, die mühsam per Hand abgeschrieben worden waren, sondern viele und sie wurden erschwinglich.
    Der nächste Punkt ist die Anzahl der Menschen, die sowohl theoretisch als auch praktisch zum Fortschritt betragen und Verbesserungen erfinden. Wenn 90% mit der Nahrungsmittelproduktion beschäftigt sind und nur gerade so über die Runden kommen sind das weniger als wenn dies nur 50% sind und ein diverses Handwerk usw. existiert. Letztlich hängt es auch von der Gesamtbevölkerung ab. Je mehr desto schneller kann der Fortschritt vorangehen.
    Ich vermute dass durch eine Kombination dieser Ursachen in der Renaissance in Europa eine kritische Schwelle überschritten worden sein könnte, wodurch sich der Fortschritt gegenüber früher um eine großen Faktor beschleunigt hat. Was sonst 1000 Jahre gedauert hat geschah in 100 Jahren. Das ganze hat sich dann weiter selbst verstärkt.

  75. #76 Dampier
    dampierblog.de
    27. Januar 2019

    Ich kann noch eine so gute Idee haben, wenn ich sie nicht herstellen kann nützt sie wenig.

    Stimmt. Siehe Herons Dampfmaschinen. Der entscheidende Faktor waren offenbar die Materialwissenschaften. Die guten Ideen gabs schon lange.

  76. #77 adent
    28. Januar 2019

    @Heljerer

    Da haben wir uns missverstanden! Ich meinte es genau so wie du auch! Bei der Evolution finde ich es einfacher. Mit hoher Wahrscheinlichkeit würde sich in den restlichen paar Mio. Jahren, die der Erde für höhere Organismen noch bleiben, keine zweite Art mehr vergleich bar mit dem Menschen entwickeln.

    War zwar an Tina, aber ich sehe bei beiden Szenarien keine Problem. Nehmen wir 100 Mio Jahre als Zeitraum, warum sollte in der Zeit keine zweite “Menschheit” entstehen?
    Ich sehe als Hinderungsgrund nur die Argumente, die auch schon die Entstehung der ersten Menschheit hätte verhindern können (bzw. deren Entstehung begünstigt haben).
    Genau wie du sehe ich auch keine intrinsische Entwicklung zu höherem/besserem in der Evolution, aber die Entstehung von Intelligenz erlaubt gewisse Überlebensvorteile und sichert zumindest eine überdurchschnittliche Fortpflanzung und Verbreitung der Art. Da wir im einzelnen nicht die Faktoren kennen, die zur Ausbildung der Menschenart aus ehemals kleinen Säugetieren führte, wieso glaubst du dann sagen zu können das würde in dem gegebenen Zeitrahmen nicht nochmal funktionieren? Das verstehe ich nicht. Wenn man die Menschenaffen nicht auch wegnimmt wäre es sogar wahrscheinlich, dass diese nachfolgen.
    Warum denke ich das? Weil das System Erde sehr wechselhaft ist und sich daher anscheinend nur Arten langfristig in großer Zahl halten, die anpassungsfähig und verbreitet sind. Das sind im Moment die Bakterien, Pilze, Pflanzen und von den Tieren die Menschen und Insekten.
    Das mag auf anderen Planeten anders sein (zu stabil, keine oder wenig Entwicklung zu instabil, keine Zeit für die Entwicklung). auf der Erde hat es aber ja nachweislich funktioniert. Insofern wäre meine Prämisse, auf einem Planeten mit ähnlichen Bedingungen wie auf der Erde entsteht auch ähnliches Leben, ergo kann es auch zur Ausbildung höherer Intelligenz kommen, es sei denn diese hat langfristig einen Evolutionsnachteil (z.B. Entwicklung zu mächtiger Waffen oder zu großer Umweltbeeinflußung und nachfolgende Auslöschung der Art, in der Beantwortung dieser Frage stecken wir ja leider grad mittendrin).
    Im Szenario 2 sehe ich nicht das Problem? Wenn wir mit 10.000 Menschen neu anfangen, warum sollte sich die Geschichte nicht wiederholen? Oder meintest du 10.000 Hominiden?

  77. #78 Cornelia Stella Gliem
    Korbach
    18. März 2019

    ah faszinierend. und interessante historische Annäherung an das Fermi-Paradox und die drake-Formel.
    die schlussfolgerung stimmig auch nicht abgeschlossen oder unwidersprechbar :-).
    China hatte auch zt Erfindungen erfunden lange vor den Europäern. und die frage wieso die Europäer dann mit diesen schneller erfolgreich waren, ist davon getrennt zu betrachten. Ich persönlich halte das ganze für recht zufällig.
    unabhängig davon: vielleicht gucken wir in die falschen Köpfe – außerhalb der Kloster hatten etwa die dombaumeister sehr wohl riesen Interesse an jeder technischen Neuerung.

    Aber ja: der europäische Sonderweg hat z.gr.T. unsere Vorstellung von der Geschwindigkeit (technischer) Entwicklung geprägt/verzerrt; wir als Menschheit brauchten für die meisten Entwicklungen Veränderungen Jahrtausende nicht Jahrhundert oder Jahrzehnt.

    Ach was für ein faszinierendes Thema.
    hoffentlich kann man bald historische Betrachtungen nichtmenschlicher nichtirdischer Gesellschaften anstellen!