Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 325: Kosmische Strings
In der heutigen Folge Sternengeschichten geht es um kosmische Strings. Das hat nichts mit der Stringtheorie zu tun, über die ich in Folge 74 schon ausführlich gesprochen habe. Bei den kosmischen Strings geht es um die fundamentale Struktur des Universums. Genauer gesagt, es geht um die Stellen, wo unser Universum vielleicht kaputt ist.
Obwohl “kaputt” vielleicht doch nicht das richtige Wort ist. Kosmische Strings sind sogenannte “topologische Defekte”. Vereinfacht gesagt handelt es sich dabei um etwas das auftritt, wenn zwei aneinandergrenzende Strukturen nicht ganz zusammenpassen, so das ein nahtloser Übergang nicht möglich ist. Vielleicht erinnert sich der eine oder die andere noch an die alten Telefone, die mit einer Wählscheibe und einem spiralförmigen Kabel, das Telefon und Hörer verbunden hat. Dieses Kabel war anfangs immer geordnet aufgewickelt; zum Beispiel im Uhrzeigersinn. Wenn man aber lang genug damit hantiert hat, ist es vorgekommen, dass ein Teil des Kabels dann gegen den Uhrzeigersinn verdreht war. Dort, wo die Wicklung im Uhrzeigersinn auf die gegen den Uhrzeigersinn getroffen ist, war das Kabel dann immer irgendwie ein wenig komisch; es gab eine Stelle, die nicht so ganz zum Rest gepasst hat. Genau das ist ein topologischer Defekt.
Mit dem Universum selbst hat das Telefonkabel aber nicht viel zu tun. Hier geht es um abstraktere Vorgänge; um das, was man als “Symmetriebrechung” bezeichnet. In Folge 70 der Sternengeschichten habe ich von der Phase der kosmischen Inflation ganz zu Beginn des Universums erzählt und erklärt, wie aus einer vereinheitlichten Kraft die vier unterschiedlichen Fundamentalkräfte entstehen können, die wir heute beobachten. Kurz zusammengefasst stellt man sich das so vor: In der modernen Physik beschreibt man eine Kraft durch ein quantenmechanischen Feld und die Eigenschaften der Kraft hängen von den Teilchen ab, durch die die Kraft vermittelt wird. Die starke Kernkraft zum Beispiel, die die Atomkerne zusammenhält, wird von den sogenannten “Gluonen” vermittelt; die elektromagnetische Kraft durch die Photonen, also durch Lichtteilchen.
Gluonen und Photonen haben unterschiedliche Massen und deswegen sind auch starke Kraft und elektromagnetische Kraft unterschiedlich. Die Masse eines Teilchens aber wird durch den Higgs-Mechanismus festgelegt und genau hier treffen wir auf die Symmetriebrechungen. Wie das mit dem Higgs-Mechanismus genau funktioniert, könnt ihr euch in Folge 47 noch einmal anhören. Kurz gesagt: Jedes Teilchen wechselwirkt mit einem überall im Universum vorhandenen Higgs-Feld und je nachdem wie es das tut, erscheint es uns als hätte es eine größere oder kleinere Masse.
Kurz nach dem Urknall war es im Universum wahnsinnig heiß. Es gab jede Menge Energie und je höher die Temperatur, desto mehr schwankt die Stärke der Quantenfelder. Auch das Higgs-Feld und weil seine Stärke so wild in alle Richtungen geschwankt ist, hat es im Durchschnitt eine Feldstärke von Null gehabt. Oder anders gesagt: Aus Sicht der ganzen Teilchen im frühen Universum gab es kein Higgs-Feld; es gab nichts, was ihnen einen Masse gegeben hat und deswegen hatten sie alle die gleiche Masse: Nämlich gar keine und sie waren alle im wesentlichen identisch. Wenn aber die Teilchen, die eine Kraft vermitteln, identisch sind, dann gibt es auch keinen Unterschied zwischen den Kräften selbst. Alle Kräfte waren damals eine einzige Kraft. Erst als das Universum weit genug abgekühlt war, haben die wilden Schwankungen des Higgs-Felds aufgehört. Es hat einen bestimmten Wert angenommen, der nun nicht mehr Null beträgt. Oder anders gesagt: Die Symmetrie, die durch das effektiv nicht vorhandene Higgs-Feld geherrscht hat, ist durch die Abkühlung des Universums gebrochen worden. Plötzlich gab es Teilchen mit verschiedener Masse und unterschiedliche Kräfte mit unterschiedlichen Eigenschaften.
Wenn dieser Prozess der Symmetriebrechnung nun gleichmäßig überall im Universum erfolgt, dann ist alles in Ordnung. Es kann aber sein, dass er in unterschiedlichen Regionen des Universums unterschiedlich schnell abgelaufen ist beziehungsweise es kann sein, dass das Higgsfeld in unterschiedlichen Regionen des Universums unterschiedliche Werte angenommen hat. Wenn nun zwei Regionen des Universums aufeinander treffen, in denen das Higgs-Feld unterschiedlich stark ist, dann gibt es an der Grenze einen topologischen Defekt. Der Übergang von keinem Higgs-Feld zu einem einheitlichen Higgs-Feld findet dann überall statt; nur nicht an genau dieser Grenze. Diese Grenze wird “kosmischer String”, also “kosmischer Faden” genannt, weil es sich dabei um ein extrem dünnes Gebilde handelt.
Es wäre eine lange, fadenförmige Struktur die quer durchs gesamte sichtbare Universum reichen kann, dabei aber trotzdem unvorstellbar viel dünner ist als ein einzelnes Atom. Der Durchmesser so eines kosmischen Strings wäre nur ein Trillionstel mal so groß wie der Durchmesser eines Atoms. Selbst wenn man ein Atom zur Größe der Sonne aufblasen würde, wäre ein solcher String in diesem Maßstab immer noch viel, viel dünner als ein menschliches Haar. So ein String würde aber eine extreme gravitative Wirkung ausüben. Es handelt sich ja um eine Verzerrung im Raum selbst und laut Einsteins Relativitätstheorie ist die Gravitation ja nichts anderes als eine Verformung des Raums. Ein String muss, trotz seiner extremen Dünne, nur ein paar Kilometer lang sein, um die Masse zu haben, die der Masse der Erde entspricht.
Kosmische Strings sind also ziemlich extreme Objekte die uns zeigen können, was im Universum unmittelbar nach seiner Entstehung abgelaufen ist. Sofern es sie gibt. Denn bis jetzt haben wir noch keine Anzeichen ihrer Existenz entdecken können. Die Hypothesen die wir zur Beschreibung der Entstehung des Univerums aufgestellt haben sagen die Existenz solcher Strings voraus und diese Hypothesen sind in anderen Bereichen mittlerweile sehr gut durch Beobachtungsdaten belegt. Kosmische Strings konnten wir aber noch nie beobachten.
Direkt sehen kann man sie sowieso nicht; man könnte sie nur indirekt entdecken und zwar durch die gravitative Wirkung die sie auf ihre Umgebung ausüben. Zum Beispiel durch die Gravitationswellen, die sie aussenden. Darüber habe ich ja schon in Folge 184 der Sternengeschichten gesprochen. Bestimmte kosmische Objekte, wie zum Beispiel kollidierende schwarze Löcher, können die Raumzeit quasi zum “Wackeln” bringen und mit den passenden Instrumenten können wir das registrieren. Das ist das erste Mal im Jahr 2015 gelungen und seitdem beobachten wir fast schon regelmäßig, wie fern im Universum schwarze Löcher kollidieren und Gravitationswellen durch den Kosmos schicken. Auch bestimmte Arten kosmischer Strings können solche Wellen erzeugen und im Prinzip könnten wir die auch mit den Gravitationswellendetektoren beobachten. Bis jetzt ist das allerdings noch nicht gelungen.
Eine weitere Möglichkeit wäre der Gravitationslinseneffekt. Lichtstrahlen folgen der Krümmung des Raums auf ihrem Weg durchs Universum und wenn große Massen den Raum entsprechend verformen, können sie den Weg des Lichts so beeinflussen, wie es auch eine optische Linse aus Glas tut. Wir haben den Gravitationslinseneffekt, den beispielsweise Galaxien auf an ihnen vorbeifliegende Lichtstrahlen ausüben, schon oft beobachtet und theoretisch kann auch ein kosmischer String die Ausbreitung des Lichts auf eine ganz charakteristische Art beeinflussen. Wenn etwa so ein String irgendwo zwischen uns und einer fernen Galaxie liegt, dann würden wir das Bild dieser Galaxie doppelt oder mehrfach sehen können. Man hat schon öfter geglaubt, solche Mehrfachbildern beobachtet zu haben, die charakteristisch für den Einfluss eines kosmischen Strings sein könnten. Bei genauerer Betrachtung haben sie sich aber bis jetzt immer als normale Gravitationslinsenbilder die von normalen Galaxien verursacht worden sind, herausgestellt.
Wir wissen also noch nicht, ob es diese seltsamen und extremen Objekte wirklich gibt. Wenn unsere derzeitigen Hypothesen korrekt sind, dann ist es aber durchaus möglich, dass sich im frühen Universum ein ganzes Netzwerk aus extrem dünnen, extrem massereichen Fäden gebildet hat, das den gesamten Kosmos durchzieht. Die kosmischen Strings sind quasi die Risse, die sich im Raum selbst gebildet haben, als er von den enormen Temperaturen die ganz zu Beginn herrschten, abgekühlt ist. Früher dachte man, dass es auch genau diese kosmischen Fäden waren, die dafür gesorgt haben, dass sich die Materie im Universum zu den fadenartigen Filamenten angeordnet hat, die die größten Strukturen des Kosmos bilden und von denen ich in Folge 63 der Sternengeschichten mehr erzählt habe. Irgendetwas muss ja dafür gesorgt haben, dass sich die ursprünglich gleichmäßig im Universum verteilte Materie ein wenig zusammengeklumpt hat. Denn nur so konnten Sterne und Galaxie entstehen; Galaxienhaufen und Haufen von Galaxienhaufen. Mittlerweile ist man aber eher davon überzeugt, dass diese ersten Klumpen durch rein zufällige Fluktuationen entstanden sind, als das Universum selbst noch kleiner als ein Atom war und den typischen Schwankungen der quantenmechanischen Gesetze unterworfen war. Wenn, dann haben die kosmischen Strings nur einen kleinen Teil dazu beigetragen, die heute sichtbaren Strukturen im Universum zu schaffen.
Es kann aber auch genau so gut sein, dass es die kosmischen Strings gar nicht gibt. Das frühe Universum zu erforschen ist mehr als nur schwierig. Immerhin geht es hier um Vorgänge, die sich in Bruchteilen einer Sekunde und vor fast 14 Milliarden Jahren abgespielt haben! Es handelt sich um Prozesse, die wir in Experimenten nicht direkt nachvollziehen können; um Zustände bei denen Temperaturen und Bedingungen geherrscht haben, die wir uns nicht vorstellen können. Alles was uns bleibt ist der Versuch zu verstehen, wie sich all das, was wir denken das damals passiert ist, auf das heutige Universum ausgewirkt hat und dann zu schauen, ob das zu dem passt, was wir tatsächlich beobachten können. Wenn es kosmische Strings gibt, wird uns irgenwann ein Weg einfallen, wie wir sie auch nachweisen können. Und gleichzeitig werden wir versuchen, auch die Entstehung des Kosmos selbst besser zu verstehen um noch bessere Vorhersagen machen zu können. Es ist schon erstaunlich genug, dass wir überhaupt in der Lage sind, irgendwas über diese längst vergangene Zeit herauszufinden. Noch viel erstaunlicher wäre es, wenn wir irgendwann konkrete Überleibsel aus der Entstehungszeit des Kosmos finden. Egal, ob es sich um kosmische Strings handelt oder etwas ganz anderes, das wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.
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