Der Artikel ist Teil einer Serie zum Buch ”Die Himmelsscheibe von Nebra – Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas”* von Harald Meller und Kai Michel. Die restlichen Artikel der Serie findet man hier.
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Die “Archäostronomie” ist, wie in der letzten Folge dieser Serie über das Buch zur “Himmelsscheibe von Nebra” von Harald Meller und Kai Michel beschrieben, eine sehr faszinierende, aber auch komplizierte Disziplin, bei der man schnell Gefahr läuft, sich in haltlosen Spekulationen zu verlieren. Genau das sollte bei der astronomischen Interpretation der Himmelsscheibe nicht passieren, weswegen man hier ganz besonders genau hinschaute.
Die Himmelsscheibe von Nebra ist aber etwas sehr spezielles und man sieht auf den ersten Blick, das es hier um Astronomie geht. Sieht man von den schnell erkennbaren Sternen und Mondbildern ab, fallen die goldenen Bögen an ihrem Rand auf (bzw. einer, der zweite ist irgendwann verloren gegangen; seine ehemalige Position aber noch erkennbar). Der Astronom Wolfhard Schlosser lieferte die erste Interpretation. Wenn man die Scheibe horizontal hält, so wie eine Landkarte, dann zeigt der rechte Bogen den Bereich am Horizont an, in dem die Sonne während eines Jahres aufgeht. Der Bogen auf der linken Seite zeigt die entsprechenden Sonnenuntergänge. Das passt auch symbolisch/farblich: Der Kreis der Scheibe ist der Horizonzt; und gold ist sie dort, wohin die Sonne gelangen kann.
Die Sonne geht an unterschiedlichen Orten der Welt unterschiedlich auf und unter. Die Horizontbögen der Scheibe müssen also eine bestimmte Größe haben, wenn sie an einem konkreten Ort funktionieren soll. Bzw. kann man aus der Größe der Bögen berechnen, an welchem Ort sie die Bedingungen korrekt angeben. Das ist in diesem Fall ein Zone, die sich 30km nördlich bzw. südlich von Magdeburg erstreckt. Wer auch immer die Horizontbögen auf die Scheibe gebastelt hat, hat das also offensichtlich in Mitteldeutschland getan! Die Scheibe ist also kein Import aus den klassischen Hochkulturen im Mittelmeerraum sondern stammt wirklich aus dem Herzen Europas.
Vergraben wurde die Scheibe aber ein wenig außerhalb der oben genannten Zone; 70 km südlich am Mittelberg bei Nebra. Aber auch der passt ins Konzept. Der Gipfel des Mittelbergs war früher unbewaldet und von dort aus gesehen ging die Sonne rund um die Sommersonnenwende genau hinter dem Brocken unter; dem höchsten Berg Norddeutschlands und ein sehr markanter Gipfel der Gegend. Auf dem Gipfel des Mittelbergs konnte man die Scheibe also quasi “einrichten” und mit Hilfe des Brockens so orientieren und halten, dass die Horizontbögen auch tatsächlich die korrekte Position hatten.
Neben den Horizontbögen sind es aber vor allem die Sterne, die auffallen. 32 goldene Punkte findet man auf der Scheibe und die erste Frage die sich Wolfhard Schlosser gestellt hat war natürlich: Sind da irgendwelche Sternbilder zu sehen? Die Antwort lautete: “Nein, und zwar mit Absicht!”. Bzw. war da 7 Sterne die auf der Scheibe dicht beieinander standen und die alle sofort an die Plejaden erinnerten. Aber die restlichen Sterne zeigten keine Struktur. Und das war erstaunlich. Denn selbst wenn man einfach per Zufall ein paar Punkte irgendwo hin malt, gibt es dort immer ein paar Cluster; ein paar Anhäufungen die man als Sternbilder interpretieren kann. Lässt man einen Computer zufällig Sterne verteilen, kriegt man immer Sternbilder. Menschen dagegen bemühen sich aktiv, solche Anhäufungen zu vermeiden, wenn sie zufällige Muster erzeugen sollen. Und die Sterne auf der Himmelsscheibe sind so extrem ausgewogen verteilt, dass es Absicht gewesen sein muss. Das einzige, was aus dem gleichmäßigen Sternenhintergrund heraussticht sind die sieben Sterne der Plejaden und man muss davon ausgehen, dass genau das von den Schöpfern der Himmelsscheibe so gewollt war.
Denn die Plejaden sind nicht nur eine extrem auffällige Sternengruppe am Himmel; es handelt sich auch um Sterne die schon immer von den Menschen als zeiticher Orientierungspunkt genutzt worden sind. Die Plejaden sind von Mitteldeutschland aus nicht das ganze Jahr über am Himmel zu sehen. Das letzt Mal kann man sie Anfang März gerade noch in der Abenddämmerung sehen. Im Herbst tauchen sie dann im Oktober am Morgenhimmel wieder auf. Im Frühling kann man neben den Plejaden in der Abenddämmerung den junge, sichelförmigen Mond stehen sehen; am Morgenhimmel des Herbstes werden sie von einem Vollmond begleitet.
Diese Konstellationen – Plejaden und Mondsichel das letzte Mal am Abendhimmel und Plejaden und Vollmond das erste Mal am Morgenhimmel – stellen also die wichtigsten Termine im bäuerlichen Jahr dar; die Zeiten von Aussaat und Ernte. Man findet diesen Bezug in vielen Bauernregeln, aber auch in antiken Texte, zum Beispiel von Hesiod aus dem Jahr 700 vor Christus. Und nun offensichtlich auch auf der viele Jahrhunderte älteren Himmelsscheibe, in simpler grafischer Form. Denn neben den 32 Sternen sind Mondsichel und Mondscheibe die markantesten Symbole auf dem Objekt.
Die Plejaden scheinen auch die Öffentlichkeit zu faszinieren. Harald Meller kriegt im Landesmuseum Halle regelmäßig Post von den “Plejadiern”; die ihm erklären, dass der Weltuntergang kurz bevor steen würde. Nur 40 Menschen können gerettet werden und sollte er ihnen die geheime Botschaft der Himmelsscheibe verraten, dann würde er den letzten Platz im kosmischen Rettungsboot erhalten…
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