Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 339: Die deutsche Physik
In dieser Folge der Sternengeschichten geht es um die “deutsche Physik”. Und damit ist nicht die Physik gemeint, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland entwickelt haben. Beziehungsweise schon auch irgendwie. Es geht um etwas anderes. Es geht um das, was dieser Satz ziemlich deutlich und grauenhaft ausdrückt:
“Das hervorragendste Beispiel schädlicher Beeinflussung der Naturforschung von jüdischer Seite hat Herr Einstein geliefert.”
Dieser Satz, der kaum falscher sein könnte, stammt nicht von irgendeinem verwirrten und antisemtischen Pseudowissenschaftler, sondern vom deutschen Physik-Nobelpreisträger Philipp Lenard. Wir wissen heute natürlich, dass Albert Einsteins Einfluss auf die Naturforschung alles andere als schädlich war. Ganz im Gegenteil; Albert Einstein hat mit seiner Arbeit die Grundlage für die moderen Physik gelegt. Er hat die Relativitätstheorie aufgestellt und bei der Entwicklung der Quantenmechanik mitgearbeitet. Genau die beiden Theorien also, auf denen die moderne Beschreibung unseres Universums ruht und die beide in unzähligen Experimenten bestätigt worden sind. Die beiden Theorien auf denen unsere moderne Zivilisation ruht; unsere gesamte Technik. Wie weit der Einfluss von Einsteins Theorie gehen wird, wusste man damals, zu Beginn des 20. Jahrhunderts natürlich noch nicht. Aber DAS Einsteins wissenschaftliche eine revolutionäre und wichtige Arbeit war, war auch damals eigentlich schon klar als Philipp Lenard seinen Quatsch verkündet hat.
Man sieht hier auf sehr eindrucksvolle Art und Weise, wie die Wissenschaft in die Irre gehen kann, wenn sie sich statt von der Realität von Ideologie leiten lässt. Lenard war selbst durchaus auch ein guter Forscher; zumindest anfangs. Er hat seine Doktorarbeit an der Universität Heidelberg geschrieben und später als Assistent von Heinrich Hertz gearbeitet, also dem Wissenschaftler, der die Radiostrahlung nachweisen konnte. Lenard selbst hat gegen Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch bei anderen großen Entdeckungen mitgearbeitet.
Er hat zum Beispiel eine Gasentladungsröhre entwickelt, mit der später Conrad Röntgen die nach ihm benannte Röntgenstrahlung entdeckt hat. Das war vielleicht auch der Anfang der vielen Streitigkeiten mit seinen Kollegen. Denn Röntgen hat dafür den allerersten Nobelpreis für Physik bekommen. Lenard wurde nicht ausgezeichnet und war darüber enorm verärgert. Er hat Röntgen sogar fälschlicherweise beschuldigt, seine Entdeckung gestohlen zu haben. Später hat Lenard sich dann mit der Wechselwirkung von Licht und Materie beschäftigt, also dem Gebiet, auf dem auch Albert Einstein arbeitet. Lenard schaffte es allerdings nicht zu erklären, wie Licht und Materie miteinander wechselwirken; das gelang erst Einstein und Einstein erhielt für diese Forschung auch seinen Nobelpreis.
Lenard hätte da aber eigentlich gar nicht mehr neidisch sein zu brauchen, denn er hatte mittlerweile selbst auch schon einen Nobelpreis; 1905 bekam er ihn für seine Forschung an Kathodenstrahlen verliehen. Trotzdem war Lenard einer der größten und heftigsten Kritiker von Einstein, seiner Relativitätstheorie und der Quantenmechanik. Er lehnte beide Theorien ab; und das nicht unbedingt aus wissenschaftlichen Gründen. Seine Kritik war ideologisch motiviert und für allem antisemitisch.
1936 veröffentliche Lenard ein vierbändiges Lehrbuch mit dem Titel “Deutsche Physik”. In der Einleitung dazu schrieb er: “Deutsche Physik?” wird man fragen. – Ich hätte auch arische Physik oder Physik der nordisch gearteten Menschen sagen können, Physik der Wirklichkeits-Ergründer, der Wahrheits-Suchenden, Physik derjenigen, die Naturforschung begründet haben. [Es] hat sich sehr breit eine eigentümliche Physik der Juden entwickelt, die nur bisher wenig erkannt ist, […] und wer heute noch die Behauptung von der Internationalität der Naturwissenschaften verficht, der meint wohl unbewusst die jüdische, die allerdings mit den Juden überall und überall gleich ist. […] Die Wissenschaft ist und bleibt international!‘ wird man mir einwenden wollen. Dem liegt aber immer ein Irrtum zugrunde. In Wirklichkeit ist die Wissenschaft, wie alles was Menschen hervorbringen, rassisch, blutsmäßig bedingt.”
Aus heutiger Sicht ist das ziemlich widerlicher und antisemtischer Quatsch. Und das war es damals natürlich auch schon. Nur war es damals etwas, mit dem man im politischen Klima des nationalsozialistischen Deutschland gut Karriere machen konnte. Und sowohl die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik waren damals noch vergleichsweise neu. Die durch diese beiden Theorien ausgelöste wissenschaftliche Revolution war für Lenard und seine Kollegen – er nicht der einzige Anhänger dieser “deutschen Physik” – zu wenig anschaulich, zu theoretisch und zu kompliziert. Das behaupteten sie zumindest; man kann darüber spekulieren ob sie sich aus ideologischen Gründen einfach nicht ausreichend in die neue Wissenschaft vertiefen wollten oder ob sie sie wirklich nicht verstanden haben.
So oder so, Lenard und seine Anhänger wollten weiter auf der klassisch-mechanischen Grundlage der alten Physik festhalten. Sie wollten zeigen, dass alles neue falsch ist und deswegen hat Lenard seine “Deutsche Physik” entwickelt. Die war im wesentlichen das Gegenteil dessen, was Einstein gezeigt hatte. Lenard behauptete weiterhin, es gäbe eine “Äther”, also ein Medium; ein Gas, irgendeine Art von Materie die sich überall zwischen den Planeten im Weltraum befindet. Genau das, was von dem Einstein mit seiner Relativitätstheorie zeigen konnte das es nicht existiert.
Schon 1923 hat Lenard eine Arbeit mit dem Titel “Über die Lichtfortpflanzung im Himmelsraum” geschrieben und erklärt, das es nicht nur einen “Äther” sondern auch einen “Uräther” gibt. Der Äther wäre seiner Meinung nach ein “Ausweg” aus der fehlgeleiteten Entwicklung der Physik. Er hat geschrieben: “Der Ausweg führt weg von der nur mathematisch formelmäßigen, auf physikalisches Denken verzichtenden Behandlungsart des Gegenstandes , mit welcher man mangels anderer Lösung glaubt sich begnügen zu müssen.”
Das was Einstein zuvor herausgefunden hatte, hat Lenard komplett ignoriert und stattdessen behauptet, dass jeder Planet von seinem ganz eigenen Äther umgeben sei; das sich zwischen den Planeten eine andere Art von Äther befände und der Äther auch innerhalb der Atome vorhanden sei. Das war die Grundlage seiner “Deutschen Physik” und andere Physiker sind ihm gefolgt. Johannes Stark zum Beispiel oder Rudolf Tomaschek. Die politische Entwicklung in Deutschland hat es diesen Leuten leicht gemacht an den Universitäten wichtige Positionen zu bekommen. Jüdische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurden vertrieben und der staatlich unterstützte Antisemitismus hat den “deutschen Physikern” ihre Karriere leicht gemacht.
Zumindest kurzfristig, denn der Rest der wissenschaftlichen Welt hat sich von den deutschen Antisemiten nicht so sehr beeindrucken lassen. Vor allem, da die “Deutsche Physik” mit jeder neuen Erkenntnis aus Quantenmechanik und Relativitätstheorie immer mehr an Boden verloren hat (sieht man mal davon ab dass an ihr sowieso nie etwas dran gewesen ist).
Und spätestens, als mit der Entdeckung der Kernspaltung auch die nationalsozialistischen Machthaber an den militärischen Entwicklungen und dem Bau einer Atombombe interessiert waren, konnten Lenard und seine Kollegen nicht mehr verbergen, dass ihre “Deutsche Physik” nicht geeignet war, die Natur vernünftig zu beschreiben.
Die “Deutsche Physik” hat zum Glück nicht lange existiert. Quantenmechanik und Relativitätstheorie bilden heute die Basis der modernen Physik und haben unsere Welt auf eine Weise verändert, die anders nicht möglich gewesen wäre. Aber man sollte diese Episode trotzdem nicht vergessen und in den Geschichtsbüchern verschwinden lassen. Politik und Ideologie können auch heute noch die Wissenschaft negativ beeinflussen. Normalerweise ist
die wissenschaftliche Methode ausreichend robust genug um sich durch sowas nicht irritieren zu lassen. Aber wenn der politische Einfluss von außen groß genug wird, dann wird es gefährlich. Meistens interessiert sich die Politik nicht ausreichend stark für die Wissenschaft – was auch ein großes Problem ist – als dass hier ein großer Einfluss möglich wäre. Aber gerade wenn es um Themen wie den Klimawandel, die Medizin oder zum Beispiel Gentechnik geht muss man auch heute noch darauf achten, dass die Wissenschaft sich an der Realität orientiert und nicht an irgendeiner Ideologie.
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