Den Juli hab ich vor allem mit Urlaub verbracht. Aber im Urlaub natürlich auch gelesen. Passend zum Thema des Monats – das 50. Jubiläum der Mondlandung – etwas über Raumfahrt. Bzw. nicht “etwas” sondern ein sehr großartiges Buch!

Lady Astronaut of Mars

Mary Robinette Kowal hat 2013 die Kurzgeschichte “The Lady Astronaut of Mars” geschrieben die man komplett online lesen oder auch für ein paar Cent als eBook kaufen kann: “The Lady Astronaut of Mars” (nur auf englisch; übersetzt wurde noch nichts auf deutsch). Die Geschichte spielt in einer alternativen Realität und erzählt von der Astronautin Elma York, die als erster Mensch den Mars betreten hat. Deutlich früher als es jemand in unserer Realität tun wird; aus unserer Sicht spielt Kowals Geschichte in der Vergangenheit. Was genau die Welt von Elma York dazu gebracht hat sich so anders zu entwickeln als unsere erfährt man in den beiden Romanen
“The Fated Sky” und “The Calculating Stars”. Dort setzt die Handlung in den 1950er Jahren an. Der erste Satellit war schon im All – diesmal von den Amerikanern geschickt. Und dann schlägt plötzlich ein Asteroid auf der Erde ein (das sind alles keine Spoiler; das passiert alles schon im ersten Kapitel). Washington D.C. wird ausgelöscht; große Teile der USA und dem Rest der Welt in Mitleidenschaft gezogen. Elma York, die im 2. Weltkrieg zu den Women Airforce Service Pilots gehörte und ihr Mann, ein Raumfahrtingenieur, überleben und werden Teil des neuen internationalen Weltraumprogramms. Denn es stellt sich ziemlich schnell heraus, dass der Impakt des Asteroids eine Klimaveränderung in den nächsten Jahrzehnten verursachen wird die die Erde irgendwann unbewohnbar macht. Es bleibt nur der Weg ins All und die Kolonialisierung von Mond und Mars um zumindest ein paar Menschen dauerhaft retten zu können.

Elmas Mann wird Chefingenieur dieser neuen Raumfahrtagentur; Elma – Physikerin und Mathematikerin und extrem begabt – nimmt als “Computer” am Projekt teil. Gehört also zur Gruppe der vorrangig weiblichen Mitarbeiter die mit den ganzen Berechnungen für die Flüge ins All beschäftigt sind. Aber auch wenn die Fortschritte in der Raumfahrt in der Welt von Elma York schneller geschehen als in unserer Realität bleibt eines doch gleich: Frauen dürfen zwar die “Hilfsarbeiten” erledigen, aber nicht ins All fliegen. Das aber ist der eigentliche Traum von Elma und sie versucht die Politiker und Vorgesetzten zu überzeugen, dass Frauen genau so gut geeignet für den Flug ins All sind wie Männer (und dass die Sache mit den Kolonien ziemlich schwierig wird, wenn man auf die Frauen vergisst…). Dabei wird sie – eher zufällig – ziemlich prominent, was ihr aber eher Schwierigkeiten bereitet. Elma leidet unter einem massiven Impostor-Syndrom, verstärkt durch Panikattacken und hat Probleme sich in den Diskriminierungen der männerdominierten Welt entgegen zu stellen.

Mehr möchte ich jetzt gar nicht erzählen; ihr sollt die Bücher selber lesen! Sie sind nicht umsonst mit jeder Menge Preisen ausgezeichnet worden. Es ist eine wunderbare Geschichte. Einerseits kann man sich über die ganze Raumfahrt-Nostalgie freuen und das reale goldene Zeitalter der Raumfahrt der 1960er noch einmal nacherleben. Andererseits kriegt die Story durch den Alternativwelt-Twist eine ganz neue Spannung. Und der Fokus auf die Diskriminierung der Frauen in der Raumfahrt (gab es in der Realität natürlich auch) rückt die Nostalgie der 1950er und 1960er in ein etwas realistischeres Licht. Alles in allem eine der besten Geschichten die ich in letzter Zeit gelesen habe! Und sie zeigt auch, was möglich sein hätte können: Auch hier ist es kein Spoiler, wenn ich verrate was im zweiten Band passiert – immerhin ist es ja die Vorgeschichte zu “The Lady Astronaut of Mars“.

Ich hab dann auch noch geschaut, was Kowal sonst noch so geschrieben hat und “Shades of Milk and Honey” gelesen. Auch das ist Teil einer Serie (den Rest kenne ich aber noch nicht). Es ist ein seltsames, aber auch schönes Buch. Im Wesentlichen ist es ein klassischer Jane-Austen-Roman der im viktorianischen England spielt. Adelige tun das was Adelige damals getan haben (nicht viel) und die Handlung ist dementsprechend langsam. Es gibt in der Welt des Buchs auch nur eine einzige Abweichung zur realen Welt: Den “Glamour”. “Glamourists” sind in der Lage, den “Äther” zu manipulieren und daraus optische Kunstwerke und andere schöne Spielereien zu basteln. Das ist keine Magie, sondern eine Fähigkeit die jeder lernen kann. Gilt aber in der Welt des Buches als etwas, das vor allem Frauen machen; neben Musik, Zeichnen und dem anderen Kram, der damals als seriöser Zeitvertreib für adelige Frauen akzeptiert war. Man wartet das ganze Buch über, dass irgendein Knalleffekt kommt; irgendwas klassisch Fantasy- oder Sci-Fi-mäßiges. Kommt aber nicht – und wenn man sich mal von der Vorstellung gelöst hat, dass der Roman den üblichen Genre-Konventionen folgen muss, ist das auch absolut nicht tragisch.

Wann kommt die Kernfusion

Ich habe in letzter Zeit begonnen, mich ein wenig mit Kernfusion zu beschäftigen (und werde das in nächster Zeit noch intensiver machen). Recht viel populärwissenschaftliche Bücher zu dem Thema gibt es nicht, aber es gibt “Sun in a Bottle: The Strange History of Fusion and the Science of Wishful Thinking” von Charles Seife und das ist hervorragend! Kernfusion wird ja schon seit den 1950er Jahren als Wunderwaffe deklariert. Einerseits im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich als Waffe. Andererseits gerade jetzt immer wieder als Zaubermittel gegen den Klimawandel; als unerschöpfliche und sauberere Energiequelle. Wie realistisch das ist, deutet der Untertitel des Buches von Seife (wishful thinking) ja schon ein wenig an.

“Sun in a Bottle” folgt einem klassischen historischen Ansatz und beginnt mit Edward Teller & Co und den Versuchen, einer Wasserstoffbombe zu bauen. Und dem gleichzeitig stattfindenden Enthusiasmus, in wenigen Jahren auch Kernfusion als zivile Energiequelle nutzbar zu machen. Nur dass eben alle entsprechende Versuche gescheitert sind. Einen großen (etwas zu großen für meinen Geschmack) Teil des Buches nehmen die verschiedenen Formen der Kalten Fusion ein, also der Versuch Kernfusion ohne große Anlangen mit Lasern oder heißen Plasmen zu erreichen. Das ist interessant, vor allem weil Seife als Wissenschaftsjournalist selbst bei einem der vielen Skandale bei diesem Thema involviert war. Aber mich hätten die seriösen Forschungen mehr interessiert – die aber natürlich auch im Buch vorkommen. Projekte wie JET, NIF und natürlich auch ITER werden vorgestellt und so erklärt, dass man versteht, was da gemacht wird. Und auch versteht, warum es so enorm kompliziert ist, das zu erreichen, was immer versprochen wird: Effizient Energie zu produzieren. Und dass das immer noch nicht klappt, liegt nicht nur daran, dass die Versuche schlecht finanziert oder organisiert sind (wie man immer wieder mal hören kann). Das ist zwar auch der Fall. Aber vor allem liegt es daran, dass sich so ein Plasma eben nicht so simpel verhält, wie man sich das immer wieder gedacht hat. Ein Stern oder eine Bombe sind fundamental andere Dinge als ein Kernfusionsreaktor. Es kann – und wird bei ausreichenden Anstrengungen – irgendwann vielleicht mal ein einsetzbares Kernfusionskraftwerk geben das mehr Energie produziert als hineingesteckt wird. Aber als Strategie gegen den Klimawandel bringt uns das nichts; wenn die Kernfusion irgendwann mal einsatzbereit sein sollte, dann ist die Sache mit dem Klima auf die eine oder andere Weise schon längst gelaufen…

Ich werde mich auf jeden Fall weiter mit dem Thema beschäftigen (und wer auf dem Gebiet forscht soll bitte Bescheid sagen!)

Was ich sonst noch gelesen habe

  • “Exhalation” von Ted Chiang: Über die Kurzgeschichten von Ted Chiang hab ich ja früher schon mal geschrieben und sie sehr großartig gefunden. Das ist auch beim neuen Band der Fall. Sie sind – wie immer – sehr kreativ und inspirierend. Eine lange Novelle im Buch beschäftigt sich mit der Frage der künstlichen Intelligenz und meiner Meinung nach deutlich sinnvoller und realistischer als alles andere was ich bisher dazu gelesen habe. Meine Lieblingsgeschichte (“Omphalos”) handelt von einer Parallelwelt, in der die Wissenschaft eine religiöse Disziplin ist. Die wissenschaftliche Erkenntnisse belegen dort direkt die Existenz eines Schöpfergottes (zum Beispiel weil man per Dendrochronologie genau sehen kann, dass es vor ca 8000 Jahre keine Baumringe mehr gab und die Bäume der damaligen Zeit direkt quasi aus dem Nichts geschaffen wurden, ohne Vergangenheit). Und die Arbeit der Wissenschaft besteht – wie im Fall der erzählenden Archäologin – die Geschichte der Welt zu erklären um so den Plan Gottes zu verstehen. Astronomie ist dort eher langweilig; alle knapp 5000 Sterne im Universum sind schon lange gezählt und katalogisiert. Bis dann aber auf einmal eine unerwartete astronomische Entdeckung die Welt der Wissenschaft in eine tiefe Glaubenskrise stürzt. Allerdings nicht, wie man vielleicht denken könnte, durch eine Widerlegung der Existenz Gottes… Aber mehr verrate ich natürlich nicht! Lest das Buch selbst.
  • “Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall” von Bernd Franzinger: Der Juli ist auch immer der Monat, in dem ich Bücher über die Tour de France und den Radsport lesen. Den Krimi hätte ich mir aber sparen können; der kann nicht viel. Geschrieben ist er eher mittelmäßig und die Handlung ist nicht sonderlich glaubwürdig.
  • “Wide-Eyed and Legless: Inside the Tour de France” von Jeff Connor. Sehr viel besser was Einblicke in die Tour de France angeht ist der Klassiker von Jeff Conor. Er beschreibt, quasi als “embeded Journalist” die Tour des Jahres 1987. Und wer sich für Radsport interessiert, kommt um dieses Buch nicht herum! So eindringlich ist das größte Radsportevent der Welt noch nie beschrieben worden und auch wenn es schon ein paar Jahrzehnte alt ist, lohnt sich die Lektüre immer noch ohne jeden Zweifel.
  • “Domestik: Das wahre Leben eines ganz normalen Radprofis” von Charly Wegelius. Hier beschreibt ein Profiradler seinen Arbeitsalltag. Und man erfährt, worum es bei den Straßenradrennen wirklich geht: Nicht um einen Haufen Einzelsportler, die um die Wette durch die Gegend fahren. Sondern einen sehr komplexen Teamsport bei der auch und vor allem diejenigen eine wichtige Rolle spielen, die nicht als erste über die Ziellinie fahren.

Das wars für den Juli; im August geht es weiter. Ich hab noch keinen Plan was meine Lektüre angeht – bin aber wie immer über Hinweise sehr dankbar!

Die Links zu den Bücher sind Amazon-Affiliate-Links. Beim Anklicken werden keine persönlichen Daten übertragen.

Kommentare (28)

  1. #1 äymm
    30. Juli 2019

    Lady Astronaut kann ich mich nur anschließen, die hab ich dieses Jahr gehört!

  2. #2 Bernhard
    30. Juli 2019

    Werner Gruber scheint ja ziemlich überzeugt davon zu sein, dass die Fusion bereits funktioniert und mit dem nötigen politischen Willen vom experimentellen in den produktiven Einsatz überführt werden kann. ITER im speziellen soll hier entsprechend weit in der Forschung sein. Wie kommt es, dass er, durchaus jetzt kein Laie auf dem Gebiet, eine derart konträre Sichtweise hat? Seine Ansicht, es sei eine Lösung für den Klimawandel, hat mich allerdings eh skeptisch gemacht, denn selbst seine optimistischen Zeitpläne wären dafür viel zu spät.

  3. #3 Niko Kitsakis
    Zürich
    30. Juli 2019

    Zum Thema Kernfusion: Mit der typisch deutschen Haltung «geht ja sowieso nicht» wird auch nie irgendetwas zustande kommen. Aber aus Deutschland, dem Entwicklungsland das sich für eine Industrienation hält, kommt ja auch nichts mehr – weder technologisch noch intellektuell.*
    Was den Autor des Buches, Charles Seife, betrifft muss man auch nicht wirklich lange recherchieren bis man seine politische Gesinnung und Haltung zu Technologie versteht. Mich würde interessieren Herr Freistetter: Wie genau stellen Sie sich denn unsere Zukunft vor? Meiner Ansicht nach gibt es nämlich, wen man es herunterbricht, nur drei Optionen.

    1) Wir machen genau so weiter wie bisher (klappt ja offenbar nicht)

    2) Wir schränken uns nach Thunberg-Diktat ein (klappt auch dann nicht wenn alle 7.7 Milliarden mitmachen. Wir zögern damit unser Klima-Ende nur hinaus – und der nächste Extinction-Event wartet auch nur darauf, uns moderne Höhlenbewohner dann auszurotten)

    3) Wir investieren in Bildung, entwickeln neuen Technologien – wie u.A. Fusionsenergie – und verteilen uns im ersten Schritt auf unsere benachbarten Himmelskörper.

    Letzteres klappt nur in den Köpfen derjenigen nicht, die keine Geschichte kennen und/oder innerlich schon tot sind.

    Was soll das für eine Aussage sein, dass «… sich so ein Plasma eben nicht so simpel verhält, wie man sich das immer wieder gedacht hat.» Erstens würde ich mal gerne wissen wer sich denn wirklich gedacht hat, dass so ein Unterfangen einfach sein würde und zweitens: Ja und? Fangen wir jetzt an zu flennen deswegen? Diese miesmacherische Einstellung ist das Einzige, was mir persönlich im Zusammenhang mit der ganzen Klimadiskussion – oder überhaupt in Zusammenhang mit unserer Zukunft – Angst macht.
    Man sollte in der Zeit zurückreisen und den Leuten in den Bell Labs der 40er Jahre ein iPhone mit knapp 7 Milliarden Transistoren zeigen. Oder den Wright Brüdern eine selbstlandende Rakete von SpaceX.
    Flennen hat uns noch nie weitergebracht. Innovation schon. Deswegen hat meiner Meinung nach die Haltung «das ist alles viel schwieriger als wir gedacht haben / das ist Wunschdenken» keinen Platz. Das ist Gift für unsere Zukunft und Garant dafür, dass wir es *nicht* schaffen werden.

    * Indizien gibt es einige. Hier nur mal Eines: Im QS Top 100 Ranking der Universitäten taucht Deutschland – mit seinen 80 Millionen Einwohnern – das erste Mal auf Platz 55 (TU München) auf. Die Schweiz mit 8 Millionen ist auf den Plätzen 6 (ETH) und 18 (EPFL) vertreten…

  4. #4 Florian Freistetter
    30. Juli 2019

    @Bernhard: “Werner Gruber scheint ja ziemlich überzeugt davon zu sein, dass die Fusion bereits funktioniert und mit dem nötigen politischen Willen vom experimentellen in den produktiven Einsatz überführt werden kann. ITER im speziellen soll hier entsprechend weit in der Forschung sein. Wie kommt es, dass er, durchaus jetzt kein Laie auf dem Gebiet, eine derart konträre Sichtweise hat? “

    Dass musst du ihn schon selbst fragen. Und “Laie” ist man schnell auf dem Gebiet. Laien sind eigentlich alle, die keine Plasmaphysiker sind (was Werner Gruber nicht ist). ITER ist noch nicht mal fertig gebaut! Da ist noch kein Plasma irgendwo. Und selbst wenn ITER alles das schafft, was er laut Plan schaffen soll, dann wird er immer noch nicht dauerhaft mehr Energie produzieren als reingesteckt wird. Das wird erst der geplante Nachfolger von ITER können (laut den Behauptungen). Wenn wir jetzt also davon ausgehen, dass ITER irgendwann in 10 bis 20 Jahren fertig ist und alles kann, was geplant ist, dauert es immer noch ein paar Jahrzehnte bis der Nachfolger läuft und dann noch ein paar Jahrzehnte, bis die Energieversorgung umgestellt ist. Das sind natürlich alles Best-Case-Szenarien! Also selbst bei bester Finanzierung und bester Organisation ist der Klimawandel so oder so schon längst erledigt, bevor wir Kernfusion haben. Wenn Werner Gruber die Kernfusion als Rezept gegen den Klimawandel anpreist, dann kann man daraus vermutlich nur schließen, dass er sich nicht ausreichend informiert hat (was ja anscheinend öfter vorkommt, wie ich leider auch schon bei seinem Astronomie-Buch feststellen musste).

  5. #5 Florian Freistetter
    30. Juli 2019

    @Niko Kitsakis: “Meiner Ansicht nach gibt es nämlich, wen man es herunterbricht, nur drei Optionen.”

    Das bestreite ich. Es gibt mehr als “Weitermachen”, “Weltrettung durch Forschung” und “Zurück in die Höhle”. Weitermachen klappt natürlich nicht. Und ein “Diktat” mit dem Ziel zurück in die Vorindustrielle Zeit existiert auch nur in den Köpfen derer, die das Problem gerne ignorieren würden. Man muss sich halt vernünftig anstellen. Wir müssten nicht alle mit eigenen Autos durch die Gegend fahren, wenn es vernünftigen öffentlichen Verkehr gäbe. Wir müssen nicht Braunkohle aus der Erde graben, wenn wir vernünftig die regenerativen Energien einsetzen. Usw. Das sind alles politische Entscheidungen. Wenn Flugverkehr und Autos finanziell und steuerlich besser gestellt sind als Bahn und andere Öffis, dann wird sich natürlich nichts ändern. Wenn man ständig vor der Industrie kuscht und sich nichts zu ändern traut, dann wird auch nichts passieren. Die Politik wartet darauf, dass sich irgendein Wundermittel präsentiert mit dem man die Welt retten kann ohne das wir die Welt verändern müssen. Das aber wird es nicht geben.

    Natürlich können wir forschen (und müssen das auch!). Kernfusion, etc sind wichtige Themen. Aber sie werden die Welt nicht retten. Denn bis wir die im Griff haben, ist es schon zu spät.

    ” Erstens würde ich mal gerne wissen wer sich denn wirklich gedacht hat, dass so ein Unterfangen einfach sein würde und zweitens: Ja und? Fangen wir jetzt an zu flennen deswegen?”

    Dir ist aber schon klar, dass ich hier eine Buchrezension geschrieben habe und keinen Fachaufsatz über Plasmaphysik? Wenn du im Detail wissen willst, wer das gedacht hat, dann lies doch das Buch. Es waren all die, die damals daran geforscht haben. Und erst bei der Forschung die Komplexität der Magnetohydrodynamik entdeckt haben…

    Und wir müssen nicht anfangen zu “flennen” weil es kompliziert ist. Aber wir sollten nicht so tun, als wäre die Kernfusion etwas, was wir demnächst im Griff haben werden und dann wird alles gut mit dem Klima. Das wäre extrem naiv.

  6. #6 Niko Kitsakis
    Zürich
    30. Juli 2019

    @Florian Freistetter

    «Und ein “Diktat” mit dem Ziel zurück in die Vorindustrielle Zeit existiert auch nur in den Köpfen derer, die das Problem gerne ignorieren würden.»
    Dann muss ich was falsch verstanden haben bei der Klimajugend (und den Grünen die sie unterstützen) die u.A. ein komplettes Flugverbot fordern.

    «Man muss sich halt vernünftig anstellen. Wir müssten nicht alle mit eigenen Autos durch die Gegend fahren, wenn es vernünftigen öffentlichen Verkehr gäbe. Wir müssen nicht Braunkohle aus der Erde graben, wenn wir vernünftig die regenerativen Energien einsetzen. Usw. Das sind alles politische Entscheidungen.»
    Es ist sicher nicht falsch die vorhandenen Ressourcen vernünftig zu nutzen. Aber eben, das allein wird nicht genug bringen (Nebenbei: Ich persönlich hatte zum Beispiel nie einen Führerschein und habe ihn in Jahrzehnten nicht vermisst. Ich wäre ausserdem aus rein geopolitischen Gründen schon mehr als dafür, dass wir uns endlich von dem verdammten Öl trennen). Für mich ist das jedoch Teil der von mir angesprochenen Option 3: Das Schienennetz auszubauen und weniger von der Strasse abhängig zu sein ist eine Entwicklung nach vorne. Sich von überholten Technologien zu trennen auch. Von der Politik ist jedoch nicht viel zu erwarten. Die reagiert erfahrungsgemäss bestenfalls 20 Jahre *nach* einer neuen Entwicklung (ob jetzt eine gesellschaftliche oder technologische. Siehe Internet-Revolution 1994 und das langsame Erwachen jetzt). Impulse kommen vom Volk, von Unternehmern und von der Grundlagenforschung. Die Politik hat den Frieden zu wahren und den Nährboden für Wohlstand zu pflegen.

    «Die Politik wartet darauf, dass sich irgendein Wundermittel präsentiert mit dem man die Welt retten kann ohne das wir die Welt verändern müssen. Das aber wird es nicht geben.»
    Die Politik wartet auf genau gar nichts. Selten gibt es mal hier und da einen Politiker der eine Vision zu fliegen bringt aber das passiert vielleicht einmal pro Jahrhundert. Ansonsten schläft man dort.
    Die Aussage it dem Wundermittel irritiert mich allerdings wenn man sie für sich nimmt. Genaus deswegen habe ich SpaceX und die Transistorendichte angesprochen: Man muss nur weit genug zurückgehen in der Zeit und dann sind auch dies «Wunder»…
    Hier ist mal eine häretische Idee: Kernfusion würde innerhalb der nächsten zehn Jahre – bis spätestens 2029 – kommerziell funktionieren wenn nur der Wille da wäre (ITER selbst spricht ja von First Plasma in 2025). Wenn man die Menschen genug motiviert geht plötzlich ganz Unmögliches. Ich denke an die Mondlandung, die DARPA Grand Challenge, Falcon Heavy (deren Entwicklungskosten ein Bruchteil der von SLS sind – und dabei basiert SLS auf bestehenden Komponenten) usw.
    Garantieren kann man davon natürlich nichts aber wer die Zukunft garantiert haben will, dem ist sowieso nicht mehr zu helfen. Das ist wahrscheinlich auch, was mich an der Stimmungslage zu diesen Themen momentan so sehr nervt: Anstelle mal zum Thema zu machen was funktioneren könnte und wo Opportunitäten für die Zukunft sind und wie diese anzupacken wären wird alles mies gemacht.

    «Natürlich können wir forschen (und müssen das auch!). Kernfusion, etc sind wichtige Themen. Aber sie werden die Welt nicht retten. Denn bis wir die im Griff haben, ist es schon zu spät.»
    Zu spät wofür genau? Und um «die Welt» geht es auch nicht. Nur um unsere eigene Haut. Die Welt wird uns überleben. Wenn es tatsächlich einen Tipping-Point-Event in zehn Jahren geben sollte ist es auch jetzt schon zu spät für Alles. Vielleicht sollten sich die Umweltfreunde besser mal Gedanken machen, was es heisst, auf einem geologisch aktiven Planeten zu leben (inklusive gratis Asteroidengürtel drumherum). Ob jetzt anthropogener Klimawandel, natürlicher oder Extinction-Event: Wir werden so oder so Technologien brauchen um auf einem sehr veränderten Planeten leben zu können. Nicht falsch verstehen: Ich bin auch dafür, dass man den anthropogenen Klimawandel mit den besten Mitteln und so schnell wie möglich einschränkt/stopt. Ich verstehe allerdings nicht, wie uns Visionen der Nicht-Machbarkeit dabei helfen sollen.

    «… erst bei der Forschung die Komplexität … entdeckt haben…»
    Ach nee?! Das war jetzt aber das erste Mal in der Geschichte der Wissenschaft, dass man bei der Lösung eines Problems auf zwei Neue gestossen ist. (Nicht im Ernst jetzt, oder lieber Florian?)

    «Das wäre extrem naiv.»
    Ja. Von Forschung und Technologie Lösungen zu erwarten wäre tatsächlich naiv. Hat ja noch nie funktioniert. Siehe dazu aber auch gerne hier: https://youtu.be/lX-K63pVPTM

  7. #7 Florian Freistetter
    30. Juli 2019

    @Niko: “Dann muss ich was falsch verstanden haben bei der Klimajugend (und den Grünen die sie unterstützen) die u.A. ein komplettes Flugverbot fordern.”

    Vermutlich. Ich wüsste nämlich nicht, wo irgendwer (zumindest jemand der halbwegs ernstzunehmen ist) ein KOMPLETTES Flugverbot gefordet hat. (finde auch nichts)

    “Anstelle mal zum Thema zu machen was funktioneren könnte und wo Opportunitäten für die Zukunft sind und wie diese anzupacken wären wird alles mies gemacht.”

    Ich glaube, du hast einen sehr eingeschränkten Blick auf die Thematik bzw. eher einen verzerrten. Es werden sehr viele Vorschläge gemacht. Aber das sind halt Vorschläge, die viele (inklusive dir anscheinend) nicht hören wollen, weil sie beinhalten, das wir ETWAS ÄNDERN müssen. Du willst anscheinend Vorschläge der Art “Lasst uns jetzt sehr intensiv und mit viel Förderung X erforschen!”. Gerne – ich bin immer für Forschungsförderung. Aber es ist eigentlich trivial, dass wir in einem System mit endlichen Ressourcen kein dauerhaftes Wachstum durchführen können. Und ebenso trivial, dass wir – aufgrund der Realität der klimatischen Prozesse – nicht irgendwann in Zukunft was tun müssen, sondern jetzt. Das heißt: Wir können nicht so weitermachen wie jetzt und die Lösung der Probleme auf die potentiellen Innovationen der Zukunft abwälzen. Sondern müssen jetzt etwas tun. Nur das eben “etwas tun” nicht gleichbedeutend mit “zurück in die Vergangenheit” ist, wie du zu denken scheinst. Wir KÖNNEN einen sauberen, effektiven und attraktiven öffentlichen Verkehr aufbauen. Wir KÖNNEN die finanzielle Förderung des Flugverkehrs streichen. Wir KÖNNEN beim Städtebau den Fokus mehr auf Menschen, Klimaschutz und zB Radverkehr legen anstatt auf Parkplätzen und Straßen. Und so weiter. Da muss nix verboten werden; da müssen wir (und in Folge die von uns gewählte Politik) nur entscheiden, etwas zu ändern. Aber wir entscheiden eben das lieber alles so bleiben soll wie jetzt und reden uns (so wie du) darauf aus, dass das ja alles eh nicht geht und das wir stattdessen lieber X erfinden sollen, dann wirds schon wiedern.

    “Ich bin auch dafür, dass man den anthropogenen Klimawandel mit den besten Mitteln und so schnell wie möglich einschränkt/stopt. Ich verstehe allerdings nicht, wie uns Visionen der Nicht-Machbarkeit dabei helfen sollen.”

    Sag mal, du willst mich auch absichtlich falsch verstehen, oder? Aber ich irgendwo gesagt, wir sollen Kernfusion et al NICHT erforschen? Nein, hab ich nicht. Natürlich brauchen wir auch technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt. Aber das kann nicht die einzige Strategie sein! Und wieso regst du dich so über die Vorschläge zum Klimaschutz auf, die wir JETZT umsetzen könnten, wenn wir es nur wollten? Wenn du doch den Klimawandel “so schnell wie möglich” stoppen willst? “So schnell wie möglich” funktioniert halt eben leider nicht mit Kernfusion. Kernfusion bringt uns vielleicht in 50 Jahren was. “So schnell wie möglich” wäre dagegen zB die Forderung an die Politik, endlich dafür zu sorgen, dass der öffentliche Verkehr deutlich besser, billiger und attraktiver wird. Oder die Forderung dafür zu sorgen, dass klimaschädliche Aktivitäten nicht auch noch extra gefördert wird (Autoindustrie, Steuerfreiheit auf Kerosin, usw).

    Es gibt viele Dinge, die wir JETZT tun können. Und es gibt Dinge, die uns vielleicht in Zukunft helfen können. Daraus folgt aber nicht, dass wir jetzt nichts zu tun brauchen.

  8. #8 flow
    Wann kommt die Kernfusion ?
    30. Juli 2019

    In 20 Jahren kommt sie !
    Und das schon seit 50 Jahren 🙂

  9. #9 Braunschweiger (DE)
    30. Juli 2019

    @Niko Kitsakis:
    Es gibt tatsächlich mehr als die drei von dir genannten Optionen. Wenn ich mir den (zumindest gedachten) Zusammenhang zwischen Verbraucher, Ressourcen und deren Verbrauchsdurchsatz überlege und dann dazu, was Menschen sonst oft noch so machen, komme ich sehr schnell auf eine andere Möglichkeit: wir werden nicht alle überleben. Schaue ich mir die aktuelle Weltpolitik an (so, wie ich sie verstehe), komme ich sehr schnell auf viele Möglicheiten, wie man die Behauptung interpretieren kann und wie sie wirklich werden könnte.

    Das Prinzip Hoffnung ist ja schön und wichtig, aber man sollte auch eine Menge Realismus anwenden, um Möglichkeiten zu finden, was wir wirklich tun können. Vielleicht sehe ICH die Sache zu eingeschränkt, aber mir macht die zu beobachtende Umweltausbeutung verglichen mit dem, was wir eigentlich vernünftigerweise tun können und sollten, doch schon ein wenig Angst.

  10. #10 Braunschweiger (DE)
    30. Juli 2019

    Um auch mal was Positives zu sagen: die Geschichten von Ted Chiang halte ich mit meinem Geschmack für durchaus empfehlenswert. Auch die englischen Originale sind nach meinem Dafürhalten mit etwas Erfahrung im Englischlesen für einen Nicht-Muttersprachler verständlich. Der Band “Exhalation” ist angeblich eine Neuveröffentlichung nach der Ausgabe von 2008. Die Kurzgeschichten sind auf Deutsch schon in anderer Zusammenstellung in den Bänden “Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes” (aka “Story of Your Life”) und “Das Wahre Wesen der Dinge” erschienen (2011 + 2014 bei Golkonda), zusammen mit weiteren anderen.

    Ted Chiangs Kurzgeschichten sind allesamt einzeln in verschiedenen Magazinen veröffentlicht worden und haben bisher vier Hugo- und Nebula-Awards gewonnen (Auszeichnungen der SciFi-Szene). – “Exhalation” ist als “Ausatmung” im erstgenannten deutschen Band veröffentlicht worden und befasst sich hintergründig recht interessant mit Thermodynamik, hauptsächlich dem 2-ten Hauptsatz. Aber: als SciFi eben zwei wesentliche Dinge: 1. Roboter, und folgerichtig 2. Mechanik und Hydrodynamik.

  11. #11 Spritkopf
    30. Juli 2019

    @FF

    ITER ist noch nicht mal fertig gebaut! Da ist noch kein Plasma irgendwo.

    Da muss man sich aber auch fragen, woran das liegt. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass man ITER Kostendeckelungen auferlegt, die der langen Bauzeit und der unvermeidlichen Inflation währenddessen nicht mal annähernd Rechnung tragen.

    Warum statten wir ITER nicht mit einem Budget aus, welches den Bau in einer Weise beschleunigt, die der Dringlichkeit des Energieproblems der Menschheit angemessen ist? Das ist doch Irrsinn, wie da um jeden Euro gefeilscht und die Fertigstellung von ITER immer weiter verzögert wird. Gleichzeitig müssen wir uns Sprüche wie den in #8 anhören. Wundert das wen?

    Und wie teuer kommt ITER uns wirklich? Deutschland bezahlt für ITER etwa 100 – 200 Millionen im Jahr; das ist das gleiche Geld, was wir uns auch unsere politischen Parteien kosten lassen. Wohlgemerkt: Für eine Technik, mit der wir das Energieproblem ein für allemal lösen könnten.

    Und selbst wenn ITER alles das schafft, was er laut Plan schaffen soll, dann wird er immer noch nicht dauerhaft mehr Energie produzieren als reingesteckt wird. Das wird erst der geplante Nachfolger von ITER können (laut den Behauptungen).

    Zumindest laut der Seite bei Wikipedia stimmt das nicht.

    Wobei ich die Forderung von manchen, ITER müsse unbedingt zeigen, dass er mehr Energie produziert, als man in ihn hineinsteckt, für grausamen Unsinn und für absolut kontraproduktiv halte. ITER ist ein Forschungsreaktor! Mit ihm soll der Fusionsprozess erforscht werden und wie man den stabil gestaltet. Wenn man das beherrscht, kommt die Effizienz von alleine.

    Meine Ansicht: Baut das Ding endlich fertig! Wenn wir dann feststellen, dass Energieerzeugung mittels Kernfusion weder mit dem Tokamak noch mit dem Stellarator von Wendelstein 7-X zur Produktionsreife gebracht werden kann (was ja durchaus passieren könnte), dann haben wir zumindest das in Erfahrung gebracht. Aber dieses elende Rumgehampel ist nicht zum Aushalten.

    Rant over.

  12. #12 Niko Kitsakis
    Zürich
    30. Juli 2019

    @Florian
    Nichts für ungut aber wir kommen hier wohl auf keinen grünen Zweig. Ich glaube Du hast durchaus Dein Herz am richtigen Fleck aber ich mag jetzt nicht mehr auf die Punkte eingehen.

    @Braunschweiger
    Meine Einstellung als «das Prinzip Hoffnung» zu bezeichnen kann ich verstehen, ist aber trotzdem nicht ganz richtig. Es zeigt sich nur wieder und wieder, dass wir vor neue Probleme gestellt werde für die wir neue Lösungen brauchen (die dann wieder neue Probleme generieren für die wir wieder neue Lösungen brauchen… siehe Antibiotika usw.). Das hat nichts mit Hoffnung zu tun sondern mit der Natur der Dinge (wenn Du es so nennen magst. Mir fällt gerade nichts Besseres ein). Ich sage nur, dass wir uns weiter unserer Stärken als Menschen bedienen müssen. David Deutsch sagt das im verlinkten Clip oben um einiges eloquenter als ich.

    Ich weiss (oder denke das zumindest) was Du meinst mit «man sollte auch eine Menge Realismus anwenden», will dem aber stark widersprechen: Der Realismus stellt sich von selber ein, dem muss man nicht extra mit ins Spiel bringen. Im Gegenteil: Es waren immer nur die Leute die nicht gewusst haben wie naiv sie sind, die dann die Welt verändert haben. Steve Wozniak hat mal so was über Apple und IBM gesagt. Sie hätten nie mit Apple angefangen, wenn sie sich bewusst gemacht hätten, dass sie in direkte Konkurrenz zu IBM gehen. In vielen der Mond-Dokus die jetzt liefen hat man das auch gesehen: Die NASA hat ganz bewusst sehr junge Leute angestellt (die meisten Anfang 20) um eben genau diesem das-geht-sowieso-nicht Morast entgegenzuwirken. Solche und ähnliche Beispiele findet man viele in Technik und Wissenschaft.

    Und dann gibt es eben die Anderen wie Paul R. Ehrlich nach dessen Berechnungen der Planet schon seit 30 Jahren überbevölkert sei (hab ich noch nicht gemerkt) und Thomas Malthus demzufolge wir im 19. Jahrhundert schon nicht mehr genug zu essen produzieren konnten (ich meinerseits fühle mich gerade, AD 2019, satt).
    Der Punkt ist, dass sich Probleme nicht linear in die Zukunft erstrecken.
    Der praktische Nutzen aus dieser Erkenntnis? Kein direkter (Induktion funktioniert ja immerhin nicht.) Aber nur so, nur mit dieser Einstellung, lässt es sich in die Zukunft gehen. Nicht wissend das alles OK wird, das ist Schwachsinn, aber wissend, dass wir das Potential haben.
    So miserabel vieles in den U.S.A. auch läuft, aber das können die Menschen dort (noch). Deswegen kommt fast alles was uns irgendwie helfen wird dann am Schluss eben doch von dort (oder solchen Kulturen, UK wäre ein anderes Beispiel) und nicht von hier.

    P.S.
    Danke für die Buchtips. Mein SF-Tip wäre «The End of Eternity» von Isaac Asimov

  13. #13 Florian Freistetter
    30. Juli 2019

    @Spritkopf: “Warum statten wir ITER nicht mit einem Budget aus, welches den Bau in einer Weise beschleunigt, die der Dringlichkeit des Energieproblems der Menschheit angemessen ist? “

    Kann man machen und sollte mMn auch. Aber – und genau deswegen empfehle ich das Buch von Seife ja auch – es ist eben nicht damit getan, nur Geld auf das Problem zu werfen. Seit den 1950er Jahren hat man durchaus jede Menge Ressourcen auf die Kernfusion verwendet und die Forscher waren immer deutlich zuversichtlicher was die Ergebnisse angeht als es am Ende gerechtfertigt war. Die Kernfusion ist ein verdammt schwieriges Problem. Und immer wenn jemand gesagt hat: “Bald haben wir’s!” ist ein neues Problem aufgetaucht, neue physikalische Effekte, Instabilitäten, etc und alles wurde komplizierter. Selbst ein perfekt finanzierter ITER wird in absehbarer Zeit keinen klimarelevanten Beitrag leisten können. Was eben nicht heißt, dass man ihn nicht erforschen sollte!

  14. #14 Florian Freistetter
    30. Juli 2019

    @SPritkopf: “enn wir dann feststellen, dass Energieerzeugung mittels Kernfusion weder mit dem Tokamak noch mit dem Stellarator von Wendelstein 7-X zur Produktionsreife gebracht werden kann”

    Eben das werden wir – wenn – erst mit dem ITER-Nachfolger DEMO feststellen können. Alles was derzeit rumsteht oder gebaut wird, sind Experimentalreaktoren die gar nicht auf reale Energieproduktion ausgelegt sind. Das braucht dann nochmal neue Geräte, neue Designs und neue Forschung.

  15. #15 Niko Kitsakis
    Zürich
    30. Juli 2019

    @Spritkopf
    «Warum statten wir ITER nicht mit einem Budget aus, welches den Bau in einer Weise beschleunigt, die der Dringlichkeit des Energieproblems der Menschheit angemessen ist? Das ist doch Irrsinn, wie da um jeden Euro gefeilscht und die Fertigstellung von ITER immer weiter verzögert wird. Gleichzeitig müssen wir uns Sprüche wie den in #8 anhören. Wundert das wen?»
    Genau das!! Oder eben ein Wettbewerb wie das die DARPA mit den selbstfahrenden Autos gemacht hat.

    «Wobei ich die Forderung von manchen, ITER müsse unbedingt zeigen, dass er mehr Energie produziert, als man in ihn hineinsteckt, für grausamen Unsinn und für absolut kontraproduktiv halte. ITER ist ein Forschungsreaktor! Mit ihm soll der Fusionsprozess erforscht werden und wie man den stabil gestaltet. Wenn man das beherrscht, kommt die Effizienz von alleine.»
    Deren Idee war (offenbar) immer, dass, sobald das Proof-of-Concept da ist, die Privatwirtschaft dann übernehmen soll. Was die Leistung betrifft war es wohl ganz am Anfang die Idee, das ITER 1:1 funktionieren soll (also gleich viel Energie rein wie raus) und man dann aber relativ schnell 1:10 angepeilt hat (also rein 1, raus 10). Bei meinem letzten Check deren Website war das immer noch so…

  16. #16 Florian Freistetter
    30. Juli 2019

    @Niko Kitsakis: Schade. Nach dem ganzen Rant hätte ich mir schon noch was konkretes erwartet. Wenn man all die Maßnahmen die wir JETZT SCHON MACHEN könnten deiner Meinung nach nicht machen sollen, hätte mich interessiert, was stattdessen geschehen soll. Mehr Forschung fordern ist schön und gut (was ich absolut ernst meine; es muss sehr viel mehr Forschung gefördert werden!). Aber ich verstehe nicht, wie dadurch Probleme gelöst werden, die wir JETZT haben. Wir haben Probleme. Es gibt Dinge die wir dagegen tun können. Malthus, Wozniak, Space X und der ganze Zukunftsoptimismus ist eh ok. Aber der hilft uns nicht in der Gegenwart. Nochmal: Ja, bitte fördern wir die Kernfusionsforschung endlich so vernünftig, dass wir ein für alle mal klären können, ob und wie wir damit Energie produzieren können! Da bin ich absolut dafür (und habe in meinem Artikel auch nirgendwo das Gegenteil gesagt). Aber wenn wir das tun, lösen wir damit nicht das Problem, das in der Gegenwart existiert. Und wenn wir das tun, können wir ja trotzdem all das tun, von dem wir JETZT wissen, das es helfen würde, oder? Es sei denn, dein Plädoyer für die Erschaffung der grandiosen Zukunft ist doch noch ein verkapptes “Ich will mich nicht ändern, ich will auf nichts verzichten, die Zukunft wird’s schon richten…”

  17. #17 Florian Freistetter
    30. Juli 2019

    @Niko Kitsakis: “Wobei ich die Forderung von manchen, ITER müsse unbedingt zeigen, dass er mehr Energie produziert, als man in ihn hineinsteckt, für grausamen Unsinn und für absolut kontraproduktiv halte.”

    Das Kernfusion in entsprechenden Anlagen machbar ist, muss ITER nicht zeigen. Das hat u.a. der Vorgänger JET schon gezeigt. Das muss ITER nicht unbedingt nochmal machen. Was eben tatsächlich noch niemand gezeigt hat: Dass man damit wirtschaftlich Energie produzieren kann! Solange das nicht passiert, wird auch die Privatwirtschaft nicht “übernehmen”. Warum sollte sie? Und wenn dir eh klar ist, dass ITER nur ein Forschungsreaktor ist: Wieso die Überzeugung, dass man damit irgendwas sinnvolles in Sachen Klimawandel machen kann?

  18. #18 rolak
    30. Juli 2019

    vor allem mit Urlaub

    Klingt super, Florian, beste Erholung nachträglich!

    Omphalos .. eine religiöse Disziplin

    Nomen est omen… ChiangTipps sind immer willkommen, thx!

  19. #19 Alderamin
    31. Juli 2019

    @Florian

    Das Kernfusion in entsprechenden Anlagen machbar ist, muss ITER nicht zeigen. Das hat u.a. der Vorgänger JET schon gezeigt. Das muss ITER nicht unbedingt nochmal machen. Was eben tatsächlich noch niemand gezeigt hat: Dass man damit wirtschaftlich Energie produzieren kann!

    Soweit ich verstanden habe, ist das erst die Aufgabe des ITER-Nachfolgeprojekts DEMO. ITER soll schon zeigen, dass man mehr Energie gewinnen kann, als man reingesteckt hat, aber ohne große Rücksicht auf den operationellen Betrieb und Aufwand.

    JET hat gezeigt, dass man die Fusion überhaupt zündet und ein paar Sekunden aufrecht erhalten werden kann, ITER soll einen Nettogewinn erzielen, indem die Fusion 400s (6 min 40s) lang aufrecht erhalten wird und sich selbst ausreichend heizt, und später soll vielleicht auch etwas Tritium erbrütet werden. DEMO soll dann ein Prototyp-Kraftwerk zur Demonstration des operationellen Betriebs werden (vielleicht auf der Basis des Stellarator-Prinzips) und ist immer noch nicht auf Wirtschaftlichkeit optimiert. Dann kommt vielleicht noch PROTO und dann die Kraftwerke. 2100 oder so.

    Vielleicht schaffen die Chinesen oder Lockheed Martin schon vorher was auf die Beine zu stellen. Die offizielle Schiene ist jedenfalls ziemlich langsam. Die Kooperation zahlreicher Länder und Firmen, bei denen jede mitverdienen will, machte es jedenfalls nicht leichter. Eine einzelne Nation, die ein solches Projekt durchzieht, wäre sicherlich effizienter. Und würde sich einen riesigen technischen Vorsprung verschaffen. Apollo war teuerer als ITER…

  20. #20 Florian Freistetter
    31. Juli 2019

    @Alderamin: “Soweit ich verstanden habe, ist das erst die Aufgabe des ITER-Nachfolgeprojekts DEMO. ITER soll schon zeigen, dass man mehr Energie gewinnen kann, als man reingesteckt hat, aber ohne große Rücksicht auf den operationellen Betrieb und Aufwand. “

    Dann haben wir uns missverstanden; genau das hab ich auch gemeint. JET hat gezeigt das es prinzipiell funktioniert; ITER soll zeigen dass es wirtschaftlich ist (bzw. sollte; ich bin mir nicht sicher ob das Ziel nicht nach dem letzten Downsizing rausgekürzt worden ist bzw. ob man es dann wieder reingenommen hat – das Ding ist ja ein einziges Finanzierungschaos; mal ist die USA drin, mal ist sie draußen, usw) bzw. dass diese bis jetzt ungetestete Methode mit der Live-Produktion des nötigen Tritiums klappt und DEMO soll ein Ding sein, dass dann tatsächlich quasi ein echtes Kraftwerk ist.

  21. #21 Alderamin
    31. Juli 2019

    @Florian

    Dass Missverständnis liegt vermutlich im Wort “wirtschaftlich”. Nach meinem Verständnis ist Wirtschaftlichkeit noch nicht erreicht, wenn ein Nettoenergiegewinn gegenüber der Heizleistung erzielt wird, sondern erst, wenn ein Kraftwerk zu vertretbaren Kosten im Dauerbetrieb konkurrenzfähigen Strom erzeugt. Und nach dem, was ich eben bei Wikipedia über DEMO nachgelesen habe, ist dies noch nicht einmal das Ziel von DEMO (hatte ich bisher immer so verstanden).

    Also:
    JET – zündet
    ITER – brennt im Pulsbetrieb mit Nettoenergieausbeute (ohne Stromerzeugung)
    DEMO – Demonstration des operationellen Betriebs (Erbrüten von Tritium, Verschleiß, eigentliche Stromerzeugung etc.)
    PROTO (oder was auch immer) – wirtschaftlicher operationeller zu konkurrenzfähigen Kosten.

    DEMO wäre demnach ein prototypisches Kraftwerk mit überteuertem Strom, das höchstens phasenweise in Betrieb sein wird. Quasi der GroWiAn der Fusionsforschung…

  22. #22 Alderamin
    31. Juli 2019

    @myself

    Man denke sich noch einen “Betrieb” in der PROTO-Zeile.

  23. #23 Bbr
    Niedersachsen
    31. Juli 2019

    Der Growian-Vergleich passt. Wie wir wissen, war der Growian ja mehr oder weniger ein Fehlschlag. Was dann passiert ist: Man hat die kleinen Dreiflügel-Anlagen, die es ja schon vorher gab, Schritt für Schritt immer größer gebaut. Und verbessert. Bis sie irgendwann größer und wirtschaftlicher als der Growian waren.

    Nur leider ist dieser Weg bei der Kernfusion nicht gangbar. Ein kleiner Fusionsreaktor funktioniert schlichtweg nicht, weil die Oberfläche des Plasmas im Verhältnis zum Volumen zu groß ist. Und damit kann es die Temperatur nicht halten. Man muss gleich groß anfangen, und das ist das Problem.

  24. #24 Böx
    1. August 2019

    Um mal auf Bücher zurück zu kommen: Habe letztens “The tangled tree“ von David Quammen gelesen, in dem die Geschichte erzählt wird, wie horizontaler Gentransfer entdeckt und erforscht wurde. Und wie das unser Bild von der Evolution verändert. Es wird auch die Frage gestellt, ob ein sicj verzweigender Baum die richtige Metapher für Evolution darstellt. Sehr gutes Buch.
    Derzeit lese ich “Cosmic Web“ von Richard Gott. Zum einen ist es natürlich super, wenn einem Gott “the mysterious architecture of the universe“ erklärt :-), zum anderen sind die Anekdoten aus Gotts Forscherleben echt lesenswert. Für mich als Nicht-Physiker ist es aber nicht ohne…teilweise recht detailliert. Vor Formeln und Ergebnissen mit Messungenauigkeiten wird nicht zurückgeschreckt. Aber für den Blogautor wär’s bestimmt was 🙂

  25. #25 Florian Freistetter
    1. August 2019

    @Böx: “Derzeit lese ich “Cosmic Web“ von Richard Gott.”

    Ich war etwas enttäuscht von Gotts Schreibstil. Das liest sich irgendwie alles als wäre es schlecht übersetzt worden – obwohl ich es ja im originalen Englisch gelesen habe…

  26. #26 Norbert
    1. August 2019

    @Niko: “Dann muss ich was falsch verstanden haben bei der Klimajugend (und den Grünen die sie unterstützen) die u.A. ein komplettes Flugverbot fordern.”

    Vermutlich. Ich wüsste nämlich nicht, wo irgendwer (zumindest jemand der halbwegs ernstzunehmen ist) ein KOMPLETTES Flugverbot gefordet hat.

    Und ich muß spontan an ein 30 Jahre altes Lied denken: https://youtu.be/GsNIK3rE8kk (Gundermann – Halte Durch)

  27. #27 solminore
    Bornheim
    8. August 2019

    Zu Prognosen der Machbarkeit möchte ich darauf verweisen, daß es noch immer kein Mittel gegen Haarausfall gibt, und das, obwohl das ein gigantischer Markt wäre. Ebenso warten wir bis heute auf einen Impfstoff gegen Rhinoviren, die Jahr für Jahr als Auslöser von grippalen Infekten volkswirtschaftlichen Schaden in Millionenhöhe verursachen.

    Was ich damit nur sagen will: Manche Probleme sind schwieriger. als erwartet, und schwieriger, als der Laie sich das so denkt. Und viele Probleme harren immer noch ihrer Lösung, obwohl diese Lösung enorm wünschenswert wäre. Wissenschaft funktioniert nicht nach der Gleichung Politischer Wille + Geld = brillante Erfindungen.

    Kann sein, es gibt irgendwann einen Durchbruch beim Kampf gegen Glatzen und Schnupfen und bei der Kernfusion. Kann aber auch sein, die Probleme sind zu schwierig.

  28. #28 Dampier
    dampierblog.de
    8. August 2019

    Das schönste Buch, das ich in letzter Zeit gelesen habe, ist die neue Magellan-Biografie von Christian Jostmann. Kann ich sehr empfehlen!

    Ich erlaube mir mal, auf meine Rezension zu verlinken, die endlich fertig ist :-]