Den Juli hab ich vor allem mit Urlaub verbracht. Aber im Urlaub natürlich auch gelesen. Passend zum Thema des Monats – das 50. Jubiläum der Mondlandung – etwas über Raumfahrt. Bzw. nicht “etwas” sondern ein sehr großartiges Buch!
Lady Astronaut of Mars
Mary Robinette Kowal hat 2013 die Kurzgeschichte “The Lady Astronaut of Mars” geschrieben die man komplett online lesen oder auch für ein paar Cent als eBook kaufen kann: “The Lady Astronaut of Mars” (nur auf englisch; übersetzt wurde noch nichts auf deutsch). Die Geschichte spielt in einer alternativen Realität und erzählt von der Astronautin Elma York, die als erster Mensch den Mars betreten hat. Deutlich früher als es jemand in unserer Realität tun wird; aus unserer Sicht spielt Kowals Geschichte in der Vergangenheit. Was genau die Welt von Elma York dazu gebracht hat sich so anders zu entwickeln als unsere erfährt man in den beiden Romanen
“The Fated Sky” und “The Calculating Stars”. Dort setzt die Handlung in den 1950er Jahren an. Der erste Satellit war schon im All – diesmal von den Amerikanern geschickt. Und dann schlägt plötzlich ein Asteroid auf der Erde ein (das sind alles keine Spoiler; das passiert alles schon im ersten Kapitel). Washington D.C. wird ausgelöscht; große Teile der USA und dem Rest der Welt in Mitleidenschaft gezogen. Elma York, die im 2. Weltkrieg zu den Women Airforce Service Pilots gehörte und ihr Mann, ein Raumfahrtingenieur, überleben und werden Teil des neuen internationalen Weltraumprogramms. Denn es stellt sich ziemlich schnell heraus, dass der Impakt des Asteroids eine Klimaveränderung in den nächsten Jahrzehnten verursachen wird die die Erde irgendwann unbewohnbar macht. Es bleibt nur der Weg ins All und die Kolonialisierung von Mond und Mars um zumindest ein paar Menschen dauerhaft retten zu können.
Elmas Mann wird Chefingenieur dieser neuen Raumfahrtagentur; Elma – Physikerin und Mathematikerin und extrem begabt – nimmt als “Computer” am Projekt teil. Gehört also zur Gruppe der vorrangig weiblichen Mitarbeiter die mit den ganzen Berechnungen für die Flüge ins All beschäftigt sind. Aber auch wenn die Fortschritte in der Raumfahrt in der Welt von Elma York schneller geschehen als in unserer Realität bleibt eines doch gleich: Frauen dürfen zwar die “Hilfsarbeiten” erledigen, aber nicht ins All fliegen. Das aber ist der eigentliche Traum von Elma und sie versucht die Politiker und Vorgesetzten zu überzeugen, dass Frauen genau so gut geeignet für den Flug ins All sind wie Männer (und dass die Sache mit den Kolonien ziemlich schwierig wird, wenn man auf die Frauen vergisst…). Dabei wird sie – eher zufällig – ziemlich prominent, was ihr aber eher Schwierigkeiten bereitet. Elma leidet unter einem massiven Impostor-Syndrom, verstärkt durch Panikattacken und hat Probleme sich in den Diskriminierungen der männerdominierten Welt entgegen zu stellen.
Mehr möchte ich jetzt gar nicht erzählen; ihr sollt die Bücher selber lesen! Sie sind nicht umsonst mit jeder Menge Preisen ausgezeichnet worden. Es ist eine wunderbare Geschichte. Einerseits kann man sich über die ganze Raumfahrt-Nostalgie freuen und das reale goldene Zeitalter der Raumfahrt der 1960er noch einmal nacherleben. Andererseits kriegt die Story durch den Alternativwelt-Twist eine ganz neue Spannung. Und der Fokus auf die Diskriminierung der Frauen in der Raumfahrt (gab es in der Realität natürlich auch) rückt die Nostalgie der 1950er und 1960er in ein etwas realistischeres Licht. Alles in allem eine der besten Geschichten die ich in letzter Zeit gelesen habe! Und sie zeigt auch, was möglich sein hätte können: Auch hier ist es kein Spoiler, wenn ich verrate was im zweiten Band passiert – immerhin ist es ja die Vorgeschichte zu “The Lady Astronaut of Mars“.
Ich hab dann auch noch geschaut, was Kowal sonst noch so geschrieben hat und “Shades of Milk and Honey” gelesen. Auch das ist Teil einer Serie (den Rest kenne ich aber noch nicht). Es ist ein seltsames, aber auch schönes Buch. Im Wesentlichen ist es ein klassischer Jane-Austen-Roman der im viktorianischen England spielt. Adelige tun das was Adelige damals getan haben (nicht viel) und die Handlung ist dementsprechend langsam. Es gibt in der Welt des Buchs auch nur eine einzige Abweichung zur realen Welt: Den “Glamour”. “Glamourists” sind in der Lage, den “Äther” zu manipulieren und daraus optische Kunstwerke und andere schöne Spielereien zu basteln. Das ist keine Magie, sondern eine Fähigkeit die jeder lernen kann. Gilt aber in der Welt des Buches als etwas, das vor allem Frauen machen; neben Musik, Zeichnen und dem anderen Kram, der damals als seriöser Zeitvertreib für adelige Frauen akzeptiert war. Man wartet das ganze Buch über, dass irgendein Knalleffekt kommt; irgendwas klassisch Fantasy- oder Sci-Fi-mäßiges. Kommt aber nicht – und wenn man sich mal von der Vorstellung gelöst hat, dass der Roman den üblichen Genre-Konventionen folgen muss, ist das auch absolut nicht tragisch.
Wann kommt die Kernfusion
Ich habe in letzter Zeit begonnen, mich ein wenig mit Kernfusion zu beschäftigen (und werde das in nächster Zeit noch intensiver machen). Recht viel populärwissenschaftliche Bücher zu dem Thema gibt es nicht, aber es gibt “Sun in a Bottle: The Strange History of Fusion and the Science of Wishful Thinking” von Charles Seife und das ist hervorragend! Kernfusion wird ja schon seit den 1950er Jahren als Wunderwaffe deklariert. Einerseits im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich als Waffe. Andererseits gerade jetzt immer wieder als Zaubermittel gegen den Klimawandel; als unerschöpfliche und sauberere Energiequelle. Wie realistisch das ist, deutet der Untertitel des Buches von Seife (wishful thinking) ja schon ein wenig an.
“Sun in a Bottle” folgt einem klassischen historischen Ansatz und beginnt mit Edward Teller & Co und den Versuchen, einer Wasserstoffbombe zu bauen. Und dem gleichzeitig stattfindenden Enthusiasmus, in wenigen Jahren auch Kernfusion als zivile Energiequelle nutzbar zu machen. Nur dass eben alle entsprechende Versuche gescheitert sind. Einen großen (etwas zu großen für meinen Geschmack) Teil des Buches nehmen die verschiedenen Formen der Kalten Fusion ein, also der Versuch Kernfusion ohne große Anlangen mit Lasern oder heißen Plasmen zu erreichen. Das ist interessant, vor allem weil Seife als Wissenschaftsjournalist selbst bei einem der vielen Skandale bei diesem Thema involviert war. Aber mich hätten die seriösen Forschungen mehr interessiert – die aber natürlich auch im Buch vorkommen. Projekte wie JET, NIF und natürlich auch ITER werden vorgestellt und so erklärt, dass man versteht, was da gemacht wird. Und auch versteht, warum es so enorm kompliziert ist, das zu erreichen, was immer versprochen wird: Effizient Energie zu produzieren. Und dass das immer noch nicht klappt, liegt nicht nur daran, dass die Versuche schlecht finanziert oder organisiert sind (wie man immer wieder mal hören kann). Das ist zwar auch der Fall. Aber vor allem liegt es daran, dass sich so ein Plasma eben nicht so simpel verhält, wie man sich das immer wieder gedacht hat. Ein Stern oder eine Bombe sind fundamental andere Dinge als ein Kernfusionsreaktor. Es kann – und wird bei ausreichenden Anstrengungen – irgendwann vielleicht mal ein einsetzbares Kernfusionskraftwerk geben das mehr Energie produziert als hineingesteckt wird. Aber als Strategie gegen den Klimawandel bringt uns das nichts; wenn die Kernfusion irgendwann mal einsatzbereit sein sollte, dann ist die Sache mit dem Klima auf die eine oder andere Weise schon längst gelaufen…
Ich werde mich auf jeden Fall weiter mit dem Thema beschäftigen (und wer auf dem Gebiet forscht soll bitte Bescheid sagen!)
Was ich sonst noch gelesen habe
- “Exhalation” von Ted Chiang: Über die Kurzgeschichten von Ted Chiang hab ich ja früher schon mal geschrieben und sie sehr großartig gefunden. Das ist auch beim neuen Band der Fall. Sie sind – wie immer – sehr kreativ und inspirierend. Eine lange Novelle im Buch beschäftigt sich mit der Frage der künstlichen Intelligenz und meiner Meinung nach deutlich sinnvoller und realistischer als alles andere was ich bisher dazu gelesen habe. Meine Lieblingsgeschichte (“Omphalos”) handelt von einer Parallelwelt, in der die Wissenschaft eine religiöse Disziplin ist. Die wissenschaftliche Erkenntnisse belegen dort direkt die Existenz eines Schöpfergottes (zum Beispiel weil man per Dendrochronologie genau sehen kann, dass es vor ca 8000 Jahre keine Baumringe mehr gab und die Bäume der damaligen Zeit direkt quasi aus dem Nichts geschaffen wurden, ohne Vergangenheit). Und die Arbeit der Wissenschaft besteht – wie im Fall der erzählenden Archäologin – die Geschichte der Welt zu erklären um so den Plan Gottes zu verstehen. Astronomie ist dort eher langweilig; alle knapp 5000 Sterne im Universum sind schon lange gezählt und katalogisiert. Bis dann aber auf einmal eine unerwartete astronomische Entdeckung die Welt der Wissenschaft in eine tiefe Glaubenskrise stürzt. Allerdings nicht, wie man vielleicht denken könnte, durch eine Widerlegung der Existenz Gottes… Aber mehr verrate ich natürlich nicht! Lest das Buch selbst.
- “Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall” von Bernd Franzinger: Der Juli ist auch immer der Monat, in dem ich Bücher über die Tour de France und den Radsport lesen. Den Krimi hätte ich mir aber sparen können; der kann nicht viel. Geschrieben ist er eher mittelmäßig und die Handlung ist nicht sonderlich glaubwürdig.
- “Wide-Eyed and Legless: Inside the Tour de France” von Jeff Connor. Sehr viel besser was Einblicke in die Tour de France angeht ist der Klassiker von Jeff Conor. Er beschreibt, quasi als “embeded Journalist” die Tour des Jahres 1987. Und wer sich für Radsport interessiert, kommt um dieses Buch nicht herum! So eindringlich ist das größte Radsportevent der Welt noch nie beschrieben worden und auch wenn es schon ein paar Jahrzehnte alt ist, lohnt sich die Lektüre immer noch ohne jeden Zweifel.
- “Domestik: Das wahre Leben eines ganz normalen Radprofis” von Charly Wegelius. Hier beschreibt ein Profiradler seinen Arbeitsalltag. Und man erfährt, worum es bei den Straßenradrennen wirklich geht: Nicht um einen Haufen Einzelsportler, die um die Wette durch die Gegend fahren. Sondern einen sehr komplexen Teamsport bei der auch und vor allem diejenigen eine wichtige Rolle spielen, die nicht als erste über die Ziellinie fahren.
Das wars für den Juli; im August geht es weiter. Ich hab noch keinen Plan was meine Lektüre angeht – bin aber wie immer über Hinweise sehr dankbar!
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