SG_LogoDas ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.

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Sternengeschichten Folge 356: 70 Ophiuchi und seine nicht existierenden Planeten

70 Ophiuchi ist ein Stern im Sternbild des Schlangenträgers. Beziehungsweise ist es nicht ein Stern, sondern zwei. Es handelt sich um ein Doppelsternsystem das mit einer Distanz von 16,6 Lichtjahren noch zur Nachbarschaft des Sonnensystems gezählt werden kann. Mit bloßem Auge kann man aber nicht erkennen dass es sich um zwei Sterne handelt. Da sieht man nur einen mäßig hellen Stern am Himmel. Genauer hingesehen hat als Erster der britische Astronom Wilhelm Herschel im 18. Jahrhundert. Der war mit seinem großen Teleskop auf der Suche nach Doppelsternen und 70 Ophiuchi ein lohnendes Ziel. Vor allem deswegen weil er zeigen konnte, dass die beiden Sterne tatsächlich durch die Gravitationskraft die sie aufeinander ausüben zusammengehalten werden. Und nicht einfach nur zufällig am Himmel nebeneinander erscheinen. Die Gravitationstheorie von Isaac Newton war damals ja noch quasi neu und es war durchaus relevant zu wissen, dass sich auch ferne Sterne an die Gesetze halten, die die Bewegung der Himmelskörper im Sonnensystem bestimmen.

Heute wissen wir recht gut Bescheid, was dort zu finden ist. Es handelt sich um zwei Sterne die beide ein bisschen weniger Masse als unsere Sonne haben. 70 Ophiuchi A hat 90 Prozent der Sonnenmasse, 70 Ophiuchi B bringt es auf 70 Prozent. Die Größe der Sterne entspricht ebenfalls in etwa der unserer Sonne. Beide Sterne sind aber deutlich kühler und leuchten deswegen auch viel schwächer. Der Abstand zwischen ihnen beträgt 23,3 Astronomische Einheiten, also ein bisschen mehr als die Distanz zwischen Sonne und Uranus in unserem Sonnensystem. Das ist allerdings nur der mittlere Abstand, die Bahn auf der die beiden Sterne einander umkreisen ist nicht kreisförmig sondern stark exzentrisch weswegen sie sich mal näher und mal ferner sind. Die Minimaldistanz beträgt 11 Astronomische Einheiten, die maximale Distanz 35 Astronomische Einheiten. Oder anders gesagt: Mal sind sie sich so nahe wie Sonne und Saturn, mal so fern wie die Sonne und Pluto. Auf jeden Fall aber brauchen sie für eine Umkreisung knapp 83,5 Jahre.

Als Doppelsternsystem ist 70 Ophiuchi an sich nicht dramatisch außergewöhnlich. Einer der beiden Sterne ist ein sogenannter BY-Draconis-Stern, also ein Stern der große Sternflecken besitzt und dadurch im Laufe einer Drehung um sich selbst seine Helligkeit ein wenig verändert. Aber abgesehen davon handelt es sich um zwei ganz normale Sterne die sich nicht besonders auffällig verhalten. Interessant ist aber das, was es dort nicht gibt, von dem man aber lange Zeit dachte das es dort zu finden sei: Planeten!

Künstlerische Darstellung eines Planeten in einem Doppelsternsystem (Bild: NASA/JPL-Caltech/T. Pyle)

Die Geschichte beginnt mit William Stephen Jacob. Der war Sohn eines Pfarrers und wurde am 19. November 1813 in Somerset, England geboren. 1831 reiste er als Landvermesser nach Indien und baute sich dort aber auch eine kleine private Sternwarte auf. Nach diversen Krankheiten und Reisen in andere Länder wurde er schließlich 1848 zum Direktor des Observatoriums von Madras ernannt. Im gleichen Jahr veröffentlichet er auch einen Katalog mit Beobachtungsdaten von 244 Doppelsternen, später erweiterte er seine Datensammlung und 1855 veröffentlichte er einen Artikel mit dem Titel “Über einige Anomalien beim Doppelstern 70 Ophiuchi”. Darin wies er darauf hin, dass die beobachtete Bewegung der beiden Sterne umeinander nicht ganz zu den berechneten Vorhersagen passten. Man könne, so Jacob, daraus schließen, dass das Gravitationsgesetz außerhalb des Sonnensystems vielleicht doch nicht exakt so funktioniert wie hier bei uns auf der Erde beobachtet. Oder aber, und das war die deutlich einfachere und von ihm favorisierte Variante, dort existiert noch ein dritter, bis jetzt unbeobachteter Himmelskörper dessen Gravitationskraft die Bewegung der beiden Sterne stört und zu den Abweichungen führt. Jacob versuchte die Eigenschaften so eines Objekts zu berechnen und kam zu dem Schluß:
“Es gibt gute Belege für die Existenz eines Planeten in Verbindung mit diesem System, genug um diese Möglichkeit als sehr wahrscheinlich zu erachten und auf jeden Fall gut genug um das Paar genauer zu beobachten um, wenn möglich, bessere Belege zu erhalten.”

Im gleichen Jahr veröffentlichte Jacob auch einen Artikel mit dem Titel “Ein paar Worte über die Vielfalt der Welten” in dem er nahe legte, dass zumindest einige der bekannten Planeten bewohnt sein könnte und es nicht unwahrscheinlich wäre, dass das bei allen der Fall sei. Bekannt waren damals aber nur die Planeten des Sonnensystems und auch wenn es nach damaligen Wissensstand nicht völlig unplausibel war anzunehmen, dass es dort Leben gibt, wissen wir heute doch sehr gut, dass das nicht der Fall ist. Was die Planeten anderer Sterne angeht war der Stand des Wissens im 19. Jahrhundert noch geringer. Man wusste ja damals nicht mal wie Planeten eigentlich entstehen und konnte eigentlich keine vernünftigen Aussagen über die Wahrscheinlichkeit der Existenz anderer Planeten anderer Sterne machen. Aber – und da hatte Jacob völlig recht – wenn es anderswo Planeten gibt, dann würden die mit ihrer Gravitationskraft den Stern den sie umkreisen zum Wackeln bringen und das könnte man zumindest prinzipiell beobachten.

Heute nennen wir die Methode mit der Jacob Belege für die Existenz des Planeten bei 70 Ophiuchi gefunden haben wollte die “Astrometrie-Methode”. Und wissen, das es nicht ganz so einfach ist. Unsere Sonne zum Beispiel wackelt auch ein wenig aufgrund des Einflusses der Planeten die sie umkreisen. Aber der Effekt ist so gering, dass es eben wirklich nur ein kleines hin-und-her-Wackeln ist. Sie wackelt circa 800.000 Kilometer hin und her, was deutlich weniger ist als ihr Durchmesser von 1,4 Millionen Kilometer. Befänden wir uns außerhalb des Sonnensystems, zum Beispiel bei einem unserer Nachbarsterne, würden wir dieses Wackeln mit unseren aktuellen Instrumenten so gut wie nicht wahrnehmen können. Tatsächlich ist es uns bis jetzt noch nicht gelungen, einen Planeten eines anderen Sterns aufgrund dessen Positionsveränderungen zu entdecken. Die vielen Planeten die wir gefunden haben, haben wir mit anderen Methoden gefunden. Im 19. und im frühen 20. Jahrhundert existierten diese Methoden aber noch nicht und wenn man sich überhaupt auf die Suche nach den Planeten anderer Sterne machte, dann versuchte man es mit der Astrometrie-Methode.

Nicht so genial wie er dachte: TJJ See (Bild: gemeinfrei

Einer der das tat war der amerikanische Astronom Thomas Jefferson Jackson See. Er behauptete 1899 durch seine Beobachtung bei 70 Ophiuchi die Existenz eines Planeten nachgewiesen zu haben. Seine Kollegen waren allerdings nicht überzeugt. Ganz besonders nicht Forest Ray Moulton, ein Doktorand von See. Er berechnete, dass die zwei Sterne und der Planet in der von See behaupteten Konfiguration einander nicht stabil umkreisen konnten. Die wechselseitigen Störungen wären so stark, dass der Planet aus dem System geworfen oder mit einem der Sterne kollidieren würde. Außerdem wies er darauf hin, dass ein Kollege die Bewegung der beiden Sterne mittlerweile durchaus sehr exakt mit dem bekannten Gravitationsgesetz beschreiben könne ohne auf die Existenz von Planeten zurückgreifen zu müssen. Die angeblichen Abweichungen waren auf ungenaue Beobachtungsdaten zurück zu führen. Beziehungsweise die schlampige Arbeit von See und dessen Wunschdenken. Denn See nahm es mit der Realität nicht so genau – er wurde im Laufe der Zeit immer mehr zum Pseudowissenschaftler. Er dachte sich wilde Theorien aus über die Entstehung von Planeten, Sternen und die Struktur des Universums. Er schrieb – unter falschem Namen – eine Biografie über sein eigenes Leben in der er seine “revolutionären Entdeckungen” feierte und behauptete, er wäre so genial dass er schon als 2jähriges Kind über den Ursprung des Sonnensystems nachdachte und forschte. Schließlich fing er auch noch Streit mit Albert Einstein an und entwickelte eine sehr konfuse Theorie die die Relativitätstheorie widerlegen sollte. Thomas Jefferson Jackson See starb 1962, immer noch davon überzeugt Recht zu haben und zu den besten Wissenschaftlern aller Zeiten zu gehören.

Die angeblichen Planeten von 70 Ophiuchi hielten sich aber hartnäckig. 1943 veröffentlichten niederländische Astronomen die Entdeckung von mindestens einem Planeten des Doppelsterns. Und auch hier konnte wieder nachgewiesen werden dass die “Entdeckung” auf nicht ausreichend genaue Beobachtungsdaten zurück zu führen ist.

Wir wissen heute, dass keiner der Planetenentdecker Recht gehabt hat. Die von ihnen behaupteten Himmelskörper können nicht existieren. Trotzdem wir in den letzten Jahrzehnten sehr genau hingesehen haben, haben wir dort auch nichts anderes gefunden. Ganz ausschließen kann man die Existenz von Planeten aber nicht. Eine Arbeit amerikanischer Astronominnen und Astronomen aus dem Jahr 2005 zeigt, dass zumindest in der Nähe eines der beiden Sterne die Anwesenheit eines Planeten anhand der vorhandenen Beobachtungsdaten nicht ausgeschlossen werden kann. Vielleicht tauchen die fiktiven Planeten von 70 Ophiuchi ja doch noch irgendwann in der Realität auf…

Kommentare (6)

  1. #1 Thomas N.
    Berlin
    20. September 2019

    Aussagen über die Existenz von Planeten betreffen nicht eventuelle Kleinstplaneten oder Asteroiden, oder?

    In unserem Sonnensystem gibt es ja auch Objekte in (fast) beliebiger Größenordnung kleiner gleich Jupiter. Bei einem planetenlosen System gibt es sicher auch kleinere Objekte, oder gibt es komplett “kahle” Systeme?

  2. #2 pane
    20. September 2019

    Wie soll man sich sicher sein, dass ein Stern keine Planeten hat, wenn wir noch nicht mal sicher im eigenen System sind, ob es nur acht Planeten gibt?

    Wie soll man einen Planet entdecken, der eine Umlaufzeit von mehreren tausend Jahre hat? Außer direkt sichten?

  3. #3 Florian Freistetter
    20. September 2019

    @pane: Ich hab ja explizit nicht gesagt, dass es dort KEINE Planeten gibt. Sondern nur, dass es die nicht gibt von denen behauptet wurde, dass es sie gibt.

  4. #4 Shoogar
    78187 Geisingen
    21. September 2019

    Sie haben sehr verständlich ausgedrückt, was sie zu sagen, und was sie gemeint hatten.
    Auf meiner Seite blieben da keine Fragen offen.

    Wie alle Sternengeschichten war auch diese Folge wirklich interessant und hörenswert (und ich kenne tatsächlich alle).

    Ich möchte mich ausdrücklich für Ihre Mühe bedanken, uns mit Ihren Geschichten auch über die “kleineren” Ecken der Astronomie zu informieren.

    Die erinnern mich (auch in der Qualität) an die Essays von Stephen Jay Gould (1941-2002), einem äußerst lesenswerten Evolutionsforscher.

  5. #5 Martin Neukamm
    München
    28. September 2019

    “Befänden wir uns außerhalb des Sonnensystems, zum Beispiel bei einem unserer Nachbarsterne, würden wir dieses Wackeln mit unseren aktuellen Instrumenten so gut wie nicht wahrnehmen können. Tatsächlich ist es uns bis jetzt noch nicht gelungen, einen Planeten eines anderen Sterns aufgrund dessen Positionsveränderungen zu entdecken.” –

    Stimmt denn das? Angeblich hat man mit dem hochauflösenden Spektrografen HARPS schon dutzende von Planeten anhand ihrer Positionsveränderung nachgewiesen:

  6. #6 Florian Freistetter
    29. September 2019

    Harps misst das “Wackeln” in den Spektrallinien, also indirekt die Bewegungen in der Radialgeschwindigkeit. Aber die konkrete direkte Beobachtung der Positionsveränderung eines Sterns hat noch nie zur Entdeckung eines Planeten geführt.