Der jüngste Altkanzler der österreichischen Geschichte war nach der am Sonntag stattgefundenen Nationalratswahl “unendlich dankbar”. Zumindest hat er das sehr oft und in jedes Mikrofon gesagt das ausreichend nahe war; so oft dass man die Unendlichkeit fast schon ein bisschen spüren konnte. Und dankbar konnte Kurz durchaus auch sein – dass so viele Menschen nach all den Skandalen wieder die ÖVP wählen; dass genau der Kanzler wiedergewählt wird, der die Rechtsextremen in die Regierung gebracht und ihnen die Unterwanderung der österreichischen Sicherheitsorganisationen ermöglicht hat: Dafür kann man tatsächlich “unendlich dankbar” sein. Oder kann man? Politikerinnen und Politiker sagen ja tendenziell viel was sie nicht einhalten können. Wird der kommende Kanzler Österreichs sein Vorhaben der unendlichen Dankbarkeit also in die Tat umsetzen können?
Dazu sollte er zuerst einmal vernünftig definieren, was er mit “Unendlichkeit” überhaupt meint. Aus wissenschaftlicher Sicht ist “unendlich” nämlich nicht gleichbedeutend mit “sehr viel”. Das, was man vermutlich meistens meint wenn man ohne mathematische Präzission von “Unendlichkeit” spricht, ist etwas, was kein Ende findet. So wie die natürlichen Zahlen: Ich kann mit “1, 2, 3” anfangen zu zählen und beliebig lange fortsetzen. Es gibt keine “größte Zahl”; man kann zu jeder beliebigen Zahl “1” addieren und kriegt eine größere. Es gibt unendlich viele natürliche Zahlen und diese Art der Endlosigkeit wird “abzählbar unendlich” genannt weil man in solchen Mengen jedem der in ihr enthaltenen (unendlichen vielen) Elemente genau eine der (unendlich vielen) natürlichen Zahlen zuordnen kann.
Die wahre Unendlichkeit ist aber noch viel größer, auch wenn das schwer vorstellbar erscheint. Aber der deutsche Mathematiker Georg Cantor hat im 19. Jahrhundert gezeigt, dass die simple Menge der natürlichen Zahlen erst der Anfang ist. Nehmen wir reellen Zahlen, also – vereinfacht gesagt – all die Zahlen mit Nachkommastellen. Also nicht nur die natürlichen Zahlen und die Bruchzahlen, sondern auch die Zahlen mit unendlichen vielen Stellen hinter dem Komma (wie zum Beispiel die Zahl Pi). Wie viele gibt es davon? Unendlich viele natürlich – aber kann man sie abzählen? Georg Cantor konstruierte in seinem berühmten “Diagonalargument” eine fiktive Liste all dieser reellen Zahlen. Und konnte mathematisch beweisen, dass sie nicht zählbar sind. Würde man die Einträge dieser Liste mit “1”, “2”, “3” und so weiter durchnummerieren, dann würde man niemals ALLE reellen Zahlen erwischen. Selbst die unendliche Menge der natürlichen Zahlen reicht nicht aus; es bleiben immer reelle Zahlen übrig. Oder anders gesagt: Die Menge der reellen Zahlen ist “überabzählbar”; sie ist “größer als unendlich”.
Cantor klassifizierte die unterschiedlichen Arten der Unendlichkeit mit sogenannten “Kardinalszahlen” – die aber eigentlich keine Zahlen sind, sondern hebräische Buchstaben. Die einfache Unendlichkeit der natürlichen Zahlen nannte er “Aleph-0”. Die reellen Zahlen werden durch die Kardinalszahl “Aleph-1” beschrieben. Und man kann das Prinzip fortsetzen und sich noch größere Unendlichkeiten denken: Aleph-2, Aleph-3, und so weiter bis hin zu “Aleph-unendlich” (obwohl es für diese Klassen keine konkreten Entsprechungen mehr in den bekannten Zahlenmengen gibt). Selbst dann ist noch nicht Schluß; genau so wie die überabzählbare Unendlichkeit größer als die “normale” Unendlichkeit ist, kann man Unendlichkeiten konstruieren, die größer als “Aleph-unendlich” sind. Und noch größere…
Ich weiß nicht, ob Sebastian Kurz auf so viel Unendlichkeit vorbereitet ist. Aber angesichts dessen, was ihm die österreichische Wählerschaft durchgehen hat lassen, sollte er mindestens “Aleph-1 dankbar” sein. Aber egal welche Art der Unendlichkeit er im Sinn hatte: Die konkrete Umsetzung wird schwierig. Wer sich unendlich bedanken will, braucht dafür auch unendlich viel Zeit. Die hat niemand; und auch wenn Kurz von seinen Fans gerne als politischer Messias gefeiert wird, mangelt es ihm an Unsterblichkeit. Da müsste er schon auf die Physik zurückgreifen und auf Albert Einsteins Relativitätstheorie. Die besagt ja, dass die Zeit umso langsamer vergeht, je schneller man sich bewegt. Rascher Wandel ist jetzt nicht unbedingt die Spezialität konservativer Parteien wie der ÖVP von Kurz. Aber würde man ihn auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigen, dann könnte man damit auch dieses Problem lösen. Aus Sicht von Kurz würde die Zeit für ihn still stehen; noch konservativer geht es quasi nicht und das Problem der fehlenden Zeit für ausreichend Dankbarkeit wäre ebenfalls gelöst. Und für den Rest der Welt würde der Kanzler mit maximaler Geschwindigkeit in den Weiten des Alls verschwinden. Da hätten also alle was davon – es bleibt nur noch ein Problem. Um eine Masse (bzw. einen Kanzler) auf Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen ist unendlich viel Energie notwendig. Aber da warten wir einfach ab, bis wir “Wasserstoffnation Nummer Eins” geworden sind, dann klappt das sicherlich!
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