Heute möchte ich euch auf einen sehr lesenwerten Artikel hinweisen. Und zwar den von Stefan Selke, Soziologe an der Hochschule Furtwangen auf spektrum.de mit dem Titel “Weltraumexploration braucht die Gesellschaftswissenschaften. Es geht um ein klassisches Science-Fiction-Thema: Die Besiedelung des Weltalls. Egal ob Star Trek, Star Wars oder welche Zukunftsserie man ansonsten bevorzugt – es geht kaum ohne Menschen die irgendwo im Weltall leben. Und nicht nur eine Handvoll in einer winzigen Raumstation, so wie in unserer realen Gegenwart. Es geht um Städte auf anderen Planeten, auf Raumstationen die tausenden Menschen Platz bieten, um Generationenschiffe zwischen den Sternen und so weiter. Das sind Visionen und Utopien – die aber zumindest in kleinem Rahmen durchaus nicht komplett unrealistisch sind. Viele Menschen denken ernsthaft darüber nach, wie man zum Beispiel dauerhafte Siedlungen auf dem Mars einrichten könnte; vielleicht nicht für Millionen von Menschen aber zumindest für hunderte oder tausende. Und wenn man darüber nachdenkt, dann meistens in einem technischen, physikalischen, geologischen, biologischen oder anderweitig naturwissenschaftlichen Rahmen. Was absolut gerechtfertigt ist: Es müssen enorme technische und wissenschaftliche Probleme gelöst werden, wenn man Menschen durch den lebensfeindlichen Weltraum auf einen lebensfeindlichen Planeten bringen und dort überleben lassen will. Aber die Naturwissenschaft ist nicht die einzige Disziplin auf die man schauen sollte.
In seinem Artikel erklärt Stefan Selke sehr eindringlich, warum auch die Gesellschaftswissenschaft keinesfalls ignoriert werden darf. Denn die reale Besiedelung des Alls ist eben keine Utopie. Sollten irgendwann mal wirklich eine relevante Anzahl an Menschen etwa auf dem Mars leben, dann wird das keine utopische Gesellschaft sein in der sich alle so rational-humanistisch verhalten wie bei Star Trek. Das werden immer noch normale Menschen sein und es werden all die Dinge stattfinden, die passieren wenn Menschen zusammenleben. Selke berichtet in seinem Text von früheren Versuchen mehr oder weniger isolierte “Mustergesellschaften” zu etablieren. Biosphäre 2, Saltaire, Monte Verità, Fordlândia und so weiter: Sie haben alle eines gemeinsam. Sie sind gescheitert.
“Wenn Menschen durch Regelwerke in das Leben von Mitmenschen eingreifen, werden oftmals beklemmende Sozialtechniken real. Dort, wo Regeln allmächtig werden, entstehen Apparaturen der Kontrolle, Mechanismen der Ausbeutung und Werkzeuge der Entfremdung. Visionen werden dann zu Gefängnissen.”
schreibt Selke und genau das ist der Punkt, der bei all den Utopien der Besiedlung des Alls gerne vergessen wird. Genau deswegen muss man sich mit diesem Thema beschäftigen. Die gescheiterten Visionen analysieren und sich überlegen, wie man Menschen organisieren kann so dass sie nicht nur technisch in der Lage sind in einer extraterrestrischen Kolonie zu überleben sondern auch gesellschaftlich. Selke sagt gegen Ende seines Artikels:
“So frech es zunächst klingen mag: Die Gesellschaftswissenschaften und der Konjunktiv werden für eine erfolgreiche Kolonialisierung des Weltraums viel entscheidender sein als die Naturwissenschaften und der zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Utopien sind willkommen. Aber wer Kolonien auf Mond und Mars oder in Zukunft gar multiplanetarische Kolonien und Zivilisationen etablieren möchte, sollte zunächst aus den Lektionen der Vergangenheit lernen. […] Es wäre gut, hochtrabende technologische Utopien mit einem Schuss praktischer Lebensweisheit zu verdünnen, Regeln elastischer zu denken und auf Menschheitsexperimente unter kontrollierten Bedingungen zu verzichten.”
Ob die Gesellschaftswissenschaften tatsächlich entscheidender sein werden als die Naturwissenschaft sein werden weiß ich nicht. Aber sie werden auf jeden Fall entscheidend sein. Aber dem letzten Satz kann ich absolut zustimmen.
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