Gestern, am 24. Februar 2020 ist Katherine Johnson gestorben. Sie war 101 Jahre alt und ihr Name ist bei weitem nicht so bekannt wie er es eigentlich sein sollte. Johnson war Mathematikern und maßgeblich daran beteiligt, die theoretischen Grundlagen für die Mercury- und Apollo-Programme der NASA in den 1960er zu erforschen. Oder anders gesagt: Mit ihrer Arbeit hat sie dazu beigetragen dass Menschen ins Weltall, zum Mond und wieder zurück zur Erde fliegen konnten. Das bemerkenswerte ist aber nicht nur ihre Arbeit an sich sondern die Tatsache, dass sie sie überhaupt durchführen konnte!
Johnson wurde 1918 in den USA geboren, ging schon mit 14 Jahren aufs College und war besonders begabt und interessiert was die astronomischen und mathematischen Themen anging. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte ihr sicherlich eine große Karriere in der Wissenschaft offen gestanden. Aber sie war nicht nur eine Frau sondern noch dazu eine die die “falsche” Hautfarbe hatte; zumindest was die USA und die rassistische Zeit betraf in der Johnson aufwuchs und lebte. Sie konnte nur als Lehrerin arbeiten und erst nach dem zweiten Weltkrieg (wo der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften größer als sexistische und rassistische Kräfte war) konnte sie bei der Vorgängerversion der NASA, der NACA (National Advisory Committee for Aeronautics) arbeiten. Nicht als Wissenschaftlerin, sondern als “Computer”, also als “Rechnerin”. Computer im heutigen Sinn gab es damals nicht; gerechnet werden musste aber trotzdem und diese mühsame Arbeit wurde unter anderem an Frauen ausgelagert.
Katherine Johnson wurde allerdings – anfangs befristet – an eine andere Abteilung “ausgeliehen” und arbeitete als erste Frau in der Abteilung für Flugforschung. So erfolgreich, dass sie nicht mehr “zurückgegeben” wurde. Und mit ihren (allesamt weißen und männlichen) Kollegen die Grundlagen der Raumfahrt erforschte. Wer die Biografie von Johnson ausführlich nachlesen möchte, dem kann ich nur dringend das Buch “Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen”* von Margot Lee Shetterly empfehlen (Über das Buch und dessen Verfilmung habe ich hier schon ausführlicher geschrieben).
Heute möchte ich kurz auf eine der wissenschaftlichen Arbeiten von Johnson eingehen. Sie stammt aus dem Jahr 1960, trägt den eher technischen Titel “Determination of Azimuth Angle at Burnout for Placing a Satellite Over a Selected Earth Position” – ist aber trotzdem sehr bemerkenswert. Zum einen, weil es das erste Mal war, dass bei so einem Bericht der NASA auch der Name einer Frau offiziell als Mitautorin genannt wurde. Zum anderen aber auch, weil es trotz des eher trägen Titels darin um durchaus sehr relevante Forschung geht.
Im Jahr 1960 war die Raumfahrt noch ganz am Anfang. Der erste künstliche Satellite – Sputnik – flog im Oktober 1957 durchs All und die Raumflüge von Menschen lagen noch in der Zukunft. Es war noch jede Menge Grundlagenarbeit zu leisten um so ein Vorhaben sicher durchführen zu können. Zu den vielen Fragen die beantwortet werden musste gehörte auch die, die der Arbeit von Johnson zugrunde lag: Wie kriegt man Menschen im All wieder sicher zurück auf die Erde? So ein Satellit bzw. eine Raumkapsel umkreist die Erde ja in einem enormen Tempo. Und man will sie nicht einfach irgendwo auf die Erde fallen lassen sondern an einem Ort, der dafür geeignet ist und den man idealerweise auch vorher bestimmt damit sie dort von einer entsprechenden Crew in Empfang genommen werden kann. Ein Raumfahrzeug ist aber kein Auto, dass man einfach per Lenkrad oder Joystick durch die gegend steuern kann. Man kann die Rakete steuern mit der ein Objekt ins All gebracht wird. Beziehungsweise kann man durch die Wahl des Startzeitpunkts, die Flugbahn und die Flughöhe dafür sorgen, dass ein Satellit an einen bestimmten Punkt über der Erdoberfläche gebracht wird. Aber irgendwann wird der Motor “abgestellt”; es ist “Brennschluss” oder “Burnout” und von da bestimmen im wesentlichen die Gesetze der Physik wohin sich der Satellit bewegt. Er folgt den Newtonschen Gesetzen der Gravitation bei seiner Umkreisung der Erde (je weiter weg vom Erdmittelpunkt desto länger dauert eine Umrundung); die Erde dreht sich aber auch unter dem Satelliten weiter. Will man, dass der Satellit später, nach einer gewissen Anzahl von Erdumkreisungen einen bestimmten Punkt passiert von dem aus er wieder zurück auf die Erde – und zwar auf einen ganz bestimmten Punkt der Erdoberfläche! – gebracht werden kann, muss man das vorher wissen. Genau das war das Thema der Arbeit von Johnson und ihrem Kollegen Ted Skopinski: Es ging um die Bestimmung des Azimutwinkels um einen Satelliten nach dem Burnout über einer ausgewählten Position über der Erde zu platzieren.
Der “Azimutwinkel” ist dabei der Winkel, der zwischen der Bewegungsrichtung des Satelliten zum Zeitpunkt des Burnouts und einer fixen vorgegeben Richtung gebildet wird. Den kann man durch die Flugbahn der Rakete beeinflussen und Johnson entwickelte eine Methode um zu berechnen, welchen Winkel man wählen soll um ausgehend von einer bestimmten Startposition der Rakete dafür zu sorgen, dass der Satellit nach einer bestimmten Zahl von Umläufen eine vorgegebene Position über der Erdoberfläche passiert.
Man kann die ganze Arbeit nachlesen; sie ist vollständig online verfügbar. Auf die mathematischen Details will ich jetzt nicht eingehen; dazu müsste ich zu viel über die Mathematik der Himmelsmechanik erklären. Aber ein interessanter Aspekt der Arbeit ist in Anhang B zu finden. Da rechnen Johnson und Skopinski ein paar Beispiele konkret durch und man findet eine Tabelle in der die relevanten Parameter als iterative Werte aufgeführt sind. Das ist etwas, das damals eine enorm wichtige Rolle gespielt hat; auch heute noch eine enorm wichtige Rolle spielt aber bei weitem nicht mehr so sichtbar ist wie es damals war: Viele für die Anwendung relevanten mathematischen Formeln lassen sich nicht exakt lösen. Für einen Anwendungsfall ist eine exakte Lösung aber auch nicht immer unbedingt nötig; es reicht oft wenn die Lösung ausreichend genau bekannt ist. Dann kann man Näherungsverfahren benutzen um eine Lösung zu finden. Das funktioniert – vereinfacht gesagt – so, dass die exakte und unlösbare Formel durch eine etwas ungenauere aber dafür lösbare Formel ersetzt. Mit der wird ein Ergebnis berechnet, das ebenfalls ungenau ist. Dieses Ergebnis kann man dann aber ein zweites Mal in die ungenaue Formel stecken und so ein zweites Ergebnis bekommen das zwar immer noch nicht exakt ist, aber schon ein wenig genauer als beim ersten Durchlauf. Und so macht man weiter: Man führt die gleiche Rechnung immer und immer wieder aus und nähert sich so dem exakten Ergebnis immer weiter an.
Heute, mit all den schnellen Computern die wir haben, ist das kein Problem. Man kann mit guten Näherungsformeln in kurzer Zeit quasi beliebig genau werden und entsprechende Algorithmen findet man überall (zum Beispiel immer dann, wenn man auf einem Taschenrechner die Wurzel aus einer Zahl zieht). Damals gab es aber eben noch keine Computer im modernen Sinn sondern “Computer” wie Katherine Johnson, die solche Iterationen händisch rechnen mussten. Aber das trotzdem so exakt taten, dass man Satelliten und später Menschen ins All fliegen und sicher wieder zurück zur Erde bringen konnte.
Durch die Arbeit von Johnson gelang es den Amerikanern Alan Shepard in den Weltraum zu bringen, der zweite Mensch im All nach Yuri Gagarin. Sie arbeitete am Raumflug von John Glenn mit, berechnete die Flugbahn der Apollo-11-Mission zum Mond und die Rückkehrbahn der gescheiterte Apollo-13-Mission. Sie arbeitet bis 1986 bei der NASA und ging im Alter von 68 Jahren in Pension. Zum Glück lebte sie noch 33 weitere Jahre – denn es dauerte erschreckend lange bis ihre Leistungen für die Raumfahrt auch von einer breiten Öffentlichkeit entsprechend gewürdigt wurden. In den 1990er Jahren erhielt sie einige Ehrendoktorate amerikanischer Universitäten – aber erst im Jahr 2015 erhielt sie von Barack Obama die Presidential Medal of Freedom, die höchste zivile Auszeichnung die die USA zu vergeben haben. Eine gerechte Würdigung, aber auch viel zu spät für eine Pionierin wie Katerine Johnson die nicht nur dazu beigetragen hat die Grundlagen der Raumfahrt zu entwickeln sondern sich dabei auch noch gegen Diskriminierung und Vorurteile durchsetzen musste.
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