Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 380: Das Tunguska-Ereignis
Am 30. Juni 1908 muss es ziemlich spektakulär gewesen sein in Sibirien. Sergei Semenov, ein Bauer in der Region war damals dort und was er zu sagen hat, klingt dramatisch:
“Ich saß morgens auf der Veranda meines Hauses in der Handelsstation Vanavara als der Himmel im Norden plötzlich entzwei brach. Der ganze nördliche Himmel hoch über den Wäldern schien in Flammen zu stehen. In diesem Moment fühlte ich eine große Hitze so als ob mein Hemd zu brennen angefangen hatte. Ich wollte mein Hemd ausziehen und es von mir werfen aber in diesem Moment gab es einen großen Knall am Himmel und ein enormes Donnern war zu hören. Ich wurde etwa 7 Meter weit von meiner Veranda weg zu Boden geworfen und war für einen Moment bewußtlos. Nach dem großen Knall folgte ein Geräusch das so klang als würden Steine vom Himmel fallen oder Kanonen abgefeuert. Die Erde bebte und als ich auf dem Boden lag schütze ich meinen Kopf aus Angst das ich von Steinen getroffen werde.”
Rentierhirten gab es damals auch in der sibirischen Taiga und sie taten das, was Rentierhirten eben so tun. Bis am 30. Juni 1908 auf einmal alles gar nicht mehr so war wie sonst:
“Früh am Morgen als noch alle im Zelt schliefen wurde es plötzlich mitsamt den Menschen in die Luft geblasen. Einige wurden bewußtlos. Als sie wieder zu sich kamen, hörten sie großen Lärm und sahen den Wald um sich herum zerstört und brennend. Der Boden bebte und ein enorm langes Grollen war zu hören. Die gesamte Umgebung war voller Rauch und Nebel von brennenden und fallenden Bäumen. Der Lärm hörte irgendwann auf und auch der Wind ebte ab. Viele Rentiere waren geflohen oder gestorben.”
Es ist als etwas passiert. Aber was? Es war auf jeden Fall etwas, was nicht nur Bauern und Rentierhirten in Sibirien bemerkt hatten. Auch noch ein paar hundert Kilometer entfernt von diesen beiden speziellen Augen- bzw. Ohrenzeugen haben Menschen von lautem Lärm und hellem Licht berichtet. Und selbst mehr als 6000 Kilometer weit weg, in Jena, schlugen die Seismographen aus und zeigten, dass da im fernen Sibirien etwas passiert sein musste.
Es war schwer herauszufinden, was da los war. Die Region ist mehr als nur abgeschieden; selbst heute noch und damals noch viel mehr. Aus den Berichten der Zeugen konnte man einigermaßen rekonstruieren wo das ominöse “etwas” stattgefunden hatte. Was auch immer passiert war, hatte ungefähr 65 Kilometer vom Dorf Wanawara entfernt stattgefunden. Also mitten in der sibirischen Wildnis. Bis auf ein paar Rentierhirten war dort wirklich niemand und es war schwierig, dorthin zu gelangen. Erst 1927, also knapp 20 Jahre später, konnte der russische Mineraloge Leonid Alexejewitsch Kulik eine Expedition ausrüsten und sich in die abgelegene Region in der Nähe des Flusses der “Steinigen Tunguska” aufmachen können. Was er dort sah, war immer noch dramatisch. Unzählige umgestürzte Bäume. Man schätzt, dass circa 60 Millionen Bäume auf einer Fläche von 2000 Quadratkilometern entwurzelt und umgeknickt wurden.
Kulik war vor allem auf der Suche nach einem Krater. Er war der Meinung, dass damals ein Objekt aus dem Weltall, ein Komet oder ein Asteroid auf der Erde eingeschlagen ist. Das würde die Druckwelle erklären die die Augenzeugen beschrieben haben; das würde die Messungen der Seismographen erklären; den Lärm und die Hitze. Das würde auch die umgefallenen Bäume erklären und es müsste einen Einschlagskrater geben. Der war aber nirgends zu finden. Im Jahr 1929 flog das deutsche Luftschiff “Graf Zeppelin” einmal um die Erde herum und dabei auch über fragliche Region in Sibirien. Man suchte nach einem Krater – fand aber nichts. Kulik selbst sorgte 1937 und 1938 dafür, dass die Tunguska-Region von Flugzeugen aus fotografiert wurde – aber mehr als die umgefallenen Bäume waren auch dort nicht zu sehen.
Dieser nicht vorhandene Krater ist auch der Grund, weswegen man heute offiziell immer noch vom “Tunguska-Ereignis” spricht und nicht vom “Tunguska-Einschlag”. Der Einschlag eines Objekts aus dem Weltall ist immer noch die beste und wahrscheinlichste Möglichkeit zu erklären, was damals in Sibirien passiert ist. Wir wissen dass immer wieder Himmelskörper auf der Erde einschlagen. Wir sehen die Krater der großen Einschläge der Vergangenheit und wir können Nacht für Nacht die kleinen Objekte am Himmel als “Sternschnuppen” verglühen sehen, die es nicht bis zum Erdboden schaffen.
Als mögliche Einschlagskörper kommen Kometen und Asteroiden in Frage. In diesem Fall wäre ein Komet aber eher unwahrscheinlich. Sie bestehen zu einem großen Teil aus Eis und anderen gefrorenen Materialien und würden beim Flug durch die Erdatmosphäre auseinanderbrechen. Nur ein sehr großer Komet würde es bis zum Boden schaffen; dort aber dann auch extreme Zerstörung anrichten. Beim Tunguska-Ereignis waren die Folgen dramatisch, aber lokal begrenzt; es muss sich also um ein kleineres Objekt handeln und es ist unwahrscheinlich, dass ein kleiner Komet auf der Erde einschlägt und so tief in die Atmosphäre eindringt. Viel wahrscheinlicher ist ein Asteroid und zwar einer aus Gestein. Wir wissen heute, dass kleine Asteroiden auch nicht bis zum Erdboden durchkommen weil sie vorher auseinanderbrechen. Schäden anrichten können sie aber trotzdem.
Das hat man zum Beispiel im Jahr 2013 gesehen, als – ebenfalls in Russland – über der Stadt Tscheljabinsk ein circa 20 Meter großer Asteroid explodierte. Ein Krater am Boden ist nicht entstanden, dafür aber eine enorme Druckwelle die in der ganzen Stadt für große Schäden gesorgt hat. So ein Ereignis nennt man “Airburst” und man kann sich jetzt fragen, warum so ein Asteroid überhaupt explodiert. Die Dinger sind ja aus Gestein, Eis und Metall – aber nicht aus Sprengstoff! Das hat mit der Oberfläche und der Reibung zu tun. Wenn ein Asteroid durch die Erdatmosphäre fliegt, wird er durch die Reibung mit der Luft aufgeheizt. Je mehr Oberfläche vorhanden ist die sich an der Luft reiben kann, desto höher die Temperatur und desto stärker wird der Asteroid abgebremst. Durch die Reibung kann und wird er auch irgendwann auseinanderbrechen. Statt einem großen Objekt hat man nun also mehrere kleinere Objekte die durch die Atmosphäre sausen. Und zusammengenommen haben die Bruchstücke eine größere Oberfläche als der ursprüngliche Asteroid. Wenn der Asteroid also auseinander bricht, verstärkt sich die Erhitzung durch die Reibung schlagartig enorm. Die Bruchstücke explodieren regelrecht und genau das erzeugt eine Druck- und Hitzewelle die sich in alle Richtungen; also auch in Richtung Erdboden ausbreitet.
Die Druckwelle würde – so wie beobachtet – die Bäume umstürzen lassen ohne dabei einen Krater zu hinterlassen. Man müsste aber trotzdem kleinste Bruchstücke finden. Im Fall von Tscheljabinsk hat man das getan; in Tunguska konnten bis heute keine physischen Spuren des Einschlagskörpers gefunden werden. Zumindest keine die unumstritten sind. 1978 sammelte der ukrainische Wissenschaftler Mykola Kovalyukh Gesteinsproben die 2013 analysiert wurden. Sie sehen genau so wie das, was man sich von einem eisenhaltigen Gesteinsmeteoriten erwarten würde. Aber es ist nicht zu 100 Prozent sicher dass die Proben wirklich aus dem Jahr 1908 stammen und einige Metalle die man in Meteoriten in großen Mengen finden müsste sind dort nur spärlich vertreten.
Aber die Region ist auch heute noch extrem unzugänglich und da niemand genau weiß, wo der Asteroid explodiert ist, ist es enorm aufwendig ein so großes Gebiet nach winzigen Gesteinsspuren zu untersuchen die aus dem Weltall stammen könnten. Deswegen gibt es immer noch einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die andere Ursachen für das Tunguska-Ereignis in Betracht ziehen. Zum Beispiel die Explosion von enorm großen Mengen Erdgas, die aus Rissen im Boden ausgetreten sind und sich entzündet haben. Das würde die Druckwelle ebenfalls erklären, aber nicht die weit sichtbaren Leuchterscheinungen und die von den Zeugen gespürte Hitze. Erdgas würde nicht so hell brennen und auch keine so starke Wärmestrahlung aussenden dass man sie noch fast 100 Kilometer weit entfernt spüren kann.
Manche vermuten auch eine vulkanische Eruption als Ursache und zwar einen Ausbruch, der entsteht wenn sich unterhalb der Erdkruste ein massiver Gasdruck aufbaut. Dann könnte der Boden tatsächlich regelrecht explodieren. Tatsächlich befindet sich die Tunguska-Region in einer Gegend in der vulkanische Aktivität beobachtet werden kann. Einen Ausbruch der ein Ereignis wie Tunguska erklären könnte wurde aber noch nie irgendwie zweifelsfrei beobachtet.
Der Einschlag eines Asteroiden ist immer noch die wahrscheinlichste Möglichkeit. Die Daten deuten auf ein Objekt hin, das 30 bis 80 Meter groß war, aus Gestein und in 5 bis 14 Kilometer Höhe über dem Boden explodiert ist. Und ich bin ziemlich sicher dass wir das früher oder später auch einwandfrei bestätigen können wenn entsprechende Gesteinsproben untersucht worden sind. Da die Ursache des Ereignisses aber so lange ungeklärt geblieben ist, haben sich gerade um Tunguska auch einige eher unkonventionelle Hypothesen gebildet. Obwohl das fast schon zu seriös klingt, denn eigentlich handelt es sich nicht um wissenschaftlich ernsthafte Theorien sondern mehr oder weniger um reine Fantasie oder kompletten Unsinn. Ein außerirdisches Raumschiff soll dort abgestürzt sein oder eine Maschine des Physikers Nikola Tesla soll die Energie aus den USA quasi nach Sibirien “geschossen” haben. In der Science-Fiction und Fantasy kann man immer wieder auf das Tunguska-Ereignis treffen. Und die Spekulationen werden vermutlich auch dann nicht aufhören, wenn wir irgendwann zweifelsfrei den Einschlag eines Asteroiden als Ursache identifiziert haben.
Was die Sache aber nicht weniger spektakulär macht. Tunguska zeigt uns, dass die Erde nicht allein im Weltall herum fliegt. Wäre der Asteroid ein paar Stunden früher oder später auf die Erde getroffen, dann wäre er nicht über der sibirischen Taiga explodiert – sondern über Mitteleuropa oder Nordamerika. Und anstatt jeder Menge Bäume wären es vielleicht Häuser gewesen, die umgefallen wären. Man muss jetzt keine akute Angst vor Asteroideneinschlägen haben. Sie kommen selten vor; vor allem die, die wirklich groß und gefährlich sind. Aber komplett ignorieren sollte man sie auch nicht und es ist gut zu wissen, dass die Astronomie dieses Thema weiterhin erforscht und sich Gedanken darüber macht, wie man diese Art von Katastrophen verhindern kann.
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