Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 383: Das Keine-Haare-Theorem der schwarzen Löcher
Schwarze Löcher haben keine Haare. Ja, natürlich. Wieso denn auch? Was ist das für eine blöde Aussage und wieso steht sie am Anfang einer Folge der Sternengeschichten die sich ja eigentlich mit ernsthafter Astronomie beschäftigen soll? Kein Sorge: Es mag zwar tatsächlich ein klein wenig absurd klingen über die Haare von schwarzen Löchern zu sprechen. Aber dahinter steckt sehr seriöse und vor allem sehr spannende Wissenschaft.
Fangen wir mit den schwarzen Löchern an. Über diese seltsamen Himmelskörper habe ich in den Sternengeschichten ja schon oft und in vielen verschiedenen Zusammenhängen gesprochen. Da sie aber für die aktuelle Folge wirklich zentral sind, fasse ich noch einmal das wichtigste darüber zusammen. Ein schwarzes Loch kriegt man, wenn man ausreichend viel Masse auf ausreichend kleinem Raum zusammenquetscht. Und zwar jeweils so ausreichend, dass ein “Ereignishorizont” entsteht. Ich vereinfache das jetzt sehr stark damit ich nicht zu viel erklären muss; wer gerne möchte kann ein paar Details in den Folge 40, 41 und 357 nachhören. Also: Masse übt eine Anziehungskraft aus. Die spürt man umso stärker, je näher man der Masse kommt. Man kann einer Masse normalerweise nicht beliebig nahe kommen. Wir Menschen, die wir auf der Oberfläche der Erde langlaufen, spüren die Anziehungskraft der Erdmasse. Die Erde ist aber ein großer Planet und wir sind kleine Menschen. Es gibt Teile der Erde die weiter weg sind – zum Beispiel das was auch immer auf genau der uns gegenüberliegenden Seite des Planeten liegt. Und es gibt Teile die uns nahe sind – zum Beispiel das bisschen Erde das direkt unter unser Füßen ist. Was wir spüren ist die Anziehungskraft der GESAMTEN Erdmasse. Aber was wir spüren ist auch das Maximum der Anziehungskraft; wir können der Erde ja nicht näherkommen als wir es schon sind. Wollen wir uns dauerhaft von der Erde entfernen, müssen wir ausreichend schnell sein um von der Anziehungskraft nicht wieder zurück geholt zu werden. Das sind, bei der Erde, knapp 11 Kilometer pro Sekunde, fast 40.000 km/h, wie ich in Folge 151 der Sternengeschichten ausführlich erklärt habe. Sind wir langsamer als diese Fluchtgeschwindigkeit kommen wir nicht weg.
Auf der Erde ist nix von einem Ereignishorizont zu sehen; hier haben wir offensichtlich nicht ausreichend viel Masse auf ausreichend kleinem Raum konzentriert. Aber was, wenn wir die Erde zusammenquetschen. Wenn wir die ganze Masse statt in einer Kugel mit einem Durchmesser von 12.742 Kilometer in eine Kugel mit einem Durchmesser von zum Beispiel 10 Kilometer quetschen. Dann ist die Masse immer noch in der Lage die gleiche Anziehungskraft auszuüben wie zuvor die normale Erde. An der Masse hat sich ja nix geändert. Aber weil die Erde jetzt nur noch 10 Kilometer groß ist, können wir uns viel stärker annähern. Würden wir auf der Oberfläche dieser Quetscherde rumlaufen wäre die andere Seite immer nur 10 Kilometer weit weg und nicht mehr als 12.000 Kilometer wie zuvor. Weil wir also der gesamten Erdmasse viel näher sind als vorher, spüren wir auch eine viel stärkere Anziehungskraft und müssen viel schneller sein, wenn wir ihr dauerhaft entkommen wollen. Mit den 11 km/s pro Sekunde könnten wir von der Quetscherde nicht ins All fliegen; wir müssten schneller sein.
Mit dem Ereignishorizont ist es aber immer noch nix. Damit wir den kriegen, müssen wir die gesamte Masse der Erde in eine Kugel mit einem Durchmesser von nur 1,8 Zentimeter hineinquetschen. Auf so einer winzigen Erde könnten wir schlecht herumlaufen. Sollten es aber auch nicht tun, denn auch wenn sie winzig ist, hat sie doch immer noch die gleiche Masse wie zuvor. Und weil sie so viel kleiner ist und wir der gesamten Erdmasse so sehr viel näher sind, zieht die uns nun RICHTIG stark an. So stark, dass wir schneller als das Licht sein müssten, wenn wir ihr dauerhaft entkommen wollen. Was aber nicht geht, weil nichts schneller als das Licht sein kann, wie Albert Einstein bekannterweise festgestellt hat.
Und genau da haben wir jetzt den Ereignishorizont: Wenn eine Masse so stark zusammengequetscht wird, dass man in ihrer Nähe schneller als das Licht sein müsste um sich dauerhaft zu entfernen, dann entspricht genau der Abstand in dem das der Fall wäre, dem Ereignishorizont. Alles was näher dran ist, kommt nicht weg. Gar nichts kommt weg, nicht mal Licht, weswegen so ein schwarzes Loch ja eben auch schwarz ist. Von außen sehen wir nur diesen Ereignishorizont. Oder sehen ihn halt nicht, je nachdem wie man es nimmt. Wir sehen auf jeden Fall, dass da eine kugelförmige Region im All ist, aus der keinerlei Strahlung oder sonst irgendwas entkommt.
Was hinter dem Ereignishorizont ist, wissen wir und sehen wir nicht. Dazu haben wir momentan keine passenden wissenschaftlichen Theorien. Gut, wir wissen, das man die Erde sehr vermutlich nicht auf knapp 2 Zentimeter quetschen kann. Aber wir wissen sehr wohl, dass große Sterne am Ende ihres Lebens wenn sie keine Kernfusion mehr in ihrem Inneren durchführen unter ihrem eigenen Gewicht in sich zusammenfallen. Und wenn die Masse der Sterne ausreichend groß ist – deutlich größer als die Masse der Sonne übrigens – dann kollabiert der Stern mit so einer Wucht das keine uns bekannte Kraft diesen Kollaps aufhalten kann. Ich habe in den Folge 279 und 280 von den Hypothesen und Spekulationen erzählt die beschreiben was mit solchen unaufhaltsam kollabierenden Sternen passieren könnte und wie ihr kompletter Zusammenfall vielleicht doch aufgehalten werden kann. Wir wissen aber auf jeden Fall dass solche Sterne so sehr in sich zusammenfallen um ausreichend viel Masse auf ausreichend kleinem Raum zu vereinen um einen Ereignishorizont zu erzeugen.
Es gibt schwarze Löcher im All; wir haben sie beobachtet (das geht, wie ich in Folge 357 erklärt habe). Womit wir endlich bei den Haaren wären. Von außen sehen wir nur den Ereignishorizont. Wir können nicht dahinter schauen und von dahinter kann auch nichts rauskommen. Was seltsame Konsequenzen hat: Es ist zum Beispiel komplett egal woraus ein schwarzes Loch entstanden ist. Ich kann einen 80 Kilogramm schweren Menschen nehmen und zu einem schwarzen Loch quetschen. Oder einen 80 Kilogramm schweren Zementsack. Am Ende kriege ich ein schwarzes Loch mit einer Masse von 80 Kilogramm und einem entsprechenden Ereignishorizont. Das “Menschen-Loch” und das “Zementsack-Loch” sehen von außen betrachtet genau gleich aus. Und sie sehen nicht nur gleich aus, sie sind auch gleich. Das sagt, im wesentlichen, das Keine-Haare-Theorem.
Ein schwarzes Loch hat von außen betrachtet nur drei Eigenschaften. Es hat eine bestimmte Masse. Es hat eine bestimmte elektrische Ladung. Und es hat einen bestimmten Drehimpuls. Mehr nicht. Das sind wenig Eigenschaften; weniger als man sonst bei normalen Objekten bestimmen kann. Der fiktive Mensch den wir vorhin in ein schwarzes Loch gesteckt haben, hatte eine Körperform, eine Hautfarbe, er hatte Haare, an manchen Stellen mehr und an manchen weniger. Er hatte eine Frisur, vielleicht einen Bart. Und so weiter. Schwarze Löcher haben all das nicht. Sie haben, wie es der Satz vom Anfang an ausdrückt, keine Haare. Der Ausspruch stammt übrigens vom Physiker John Wheeler. Oder von seinem Kollegen Jacob Bekenstein. Das ist nicht restlos klar – was klar ist, ist aber der Inhalt.
Jetzt könnte man die Haarlosigkeit von schwarzen Löchern einfach in die Liste der vielen seltsamen Eigenschaften dieser Objekte schreiben und zur Tagesordnung übergeben. Dass schwarze Löcher keine Haare haben ist aber ein großes Problem für die Physik. Daraus folgt nämlich das sogenannte “Informationsparadoxon”. Stellen wir uns vor, ich würde ein Buch verbrennen (was ich in echt nie tun würde). Dann kriege ich einen Haufen Asche und die Information aus dem Buch ist weg. In der Praxis, in der Theorie könnte ich aber ganz genau messen, wie sich alle die Rauch- und Ascheteilchen bewegen; ich könnte dafür sorgen dass sich all die Teilchen dann genau umgekehrt bewegen; ich könnte den ganzen Verbrennungsprozess umkehren und aus der Asche wieder das ursprüngliche Buch machen. Wie gesagt, nur in der Theorie, aber darum geht es. Die üblichen Gesetze der Physik sind “reversibel”, das heißt sie machen keinen Unterschied was den Verlauf der Zeit angeht. Oder anders gesagt: Ich kann durch das Verbrennen die Information im Buch zwar massiv verändern. Sie aber nicht zerstören. Ohne jetzt ins Detail gehen zu wollen – dann müssten wir auch noch über Quantenmechanik reden – gilt das für die gesamte Physik. Information kann nicht verschwinden. Was aber, wenn ich mein Buch nun nicht verbrenne sondern in ein schwarzes Loch werfe. Dann ist es hinter dem Ereignishorizont und von außen hab ich absolut keinen Zugriff mehr darauf. Ich habe absolut keine Möglichkeit irgendwas über das zu erfahren was im schwarzen Loch vor sich geht. Die Information IST in diesem Fall tatsächlich zerstört. Denn das Loch hat keine Haare; es hat nur die drei Eigenschaften von denen ich vorhin geredet habe. Und es ist vollkommen egal, was alles hinter dem Ereignishorizont ist.
Das ist das Informationsparadoxon und es ist immer noch ungelöst. Vielleicht möchte jetzt der eine oder die andere fragen, was denn mit der Hawking-Strahlung ist. Denn die kommt ja aus dem schwarzen Loch raus, oder? Nicht ganz – das ist ein ziemlich kniffliges Thema und ich habe in Folge 238 mein bestes getan zu erklären, was da abgeht. Sie kommt nicht wirklich aus dem Loch raus – das geht nicht – aber sie führt dazu, dass sich so ein Loch im Laufe der Zeit auflöst. Taucht dann mein Buch plötzlich wieder auf? Dann wäre das Problem gelöst, aber so einfach ist es nicht. Die Materie wartet nicht einfach hinter dem Horizont. Durch die Hawking-Strahlung verliert das Loch ständig an Masse und wenn es sich aufgelöst hat, ist auch die Masse weg; inklusive meinem Buch. Wenn, dann müsste die Information aus dem Buch irgendwie in der Hawking-Strahlung zu finden sein. Und ob das der Fall ist, darüber ist sich die Physik noch nicht einig. Nicht mal Stephen Hawking; der hat seine Meinung zu diesem Thema im Laufe seines Lebens mehrmals geändert. Das Problem an der Sache ist das wir noch nicht richtig verstehen, was mit der Materie in einem schwarzen Loch passiert. Wir haben keine physikalische Theorie um das zu beschreiben. Wenn wir sie hätten, würde sich das Problem vielleicht lösen. Aber wir haben sie eben nicht. Was wir aber seit einiger Zeit haben sind Möglichkeiten reale Beobachtungsdaten über schwarze Löcher zu sammeln. Wir können seit 2015 die Gravitationswellen messen die entstehen wenn zwei schwarze Löcher miteinander verschmelzen. Und seit 2019 können wir den Ereignishorizont von manchen, sehr großen Löchern auch direkt beobachten. Mit diesen Beobachtungsdaten können wir die bestehenden Theorien prüfen. Und Ideen sammeln, wie neue Theorien aussehen könnten. Die bis jetzt erfolgten Tests haben gezeigt, dass die Beobachtungsdaten tatsächlich keine “haarigen” schwarzen Löcher zeigen. Noch bleibt das Informationsparadoxon bestehen. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt. Vielleicht stellen wir bald fest, wie die Frisur der schwarzen Löcher tatsächlich aussieht und sie nicht so glatzköpfig sind wie wir gedacht haben. Oder aber – und auch das wäre revolutionär – wir stellen fest, dass Information eben doch vernichtet werden kann.
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