Eigentlich wäre ich das ganze Frühjahr über auf Tour gewesen. Die neue Show der Science Busters – “Global Warming Party” – war fix und fertig und nach den Vorpremieren bereit, überall in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf die Bühnen gebracht zu werden. Dann kam der Virus und jetzt findet gar nix mehr auf den Bühnen statt. Und da ich nun ebenfalls zuhause sitze und nicht durch die Gegend fahren kann, probiere ich die Tour zumindest hier im Blog weiterleben zu lassen und erzähle etwas über die Wissenschaft aller der Orte, an die ich nun nicht fahren werde. Ich war schon nicht in Wildon, dann nicht in Wien, danach nicht in Passau und nicht in München, nicht in Ingolstadt, nicht in Grafenwörth, nicht in Salzburg, nicht in Leipzig und gestern nicht in Dresden. Heute bin ich von Dresden leider auch nicht nach Berlin weitergereist. Und kann dort nicht nur nicht mit den Science Busters auftreten sondern mich auch nicht darüber freuen in der Heimatstadt des Planeten Neptun zu sein.
Neptun ist ein Berliner! Und damit ist weder gemeint, dass er den Fall der Mauer fordert, noch bezieht sich das auf seine Form. Aber Berlin ist die Stadt in der Neptun entdeckt wurde. Obwohl es ein wenig knifflig ist, den Entdeckungsort von Neptun so eindeutig festzulegen. Was aber direkt mit der sehr faszinierenden Geschichte zu tun hat, die der Entdeckung des Planeten voran gegangen ist. Über Neptun hab ich hier im Blog und anderswo ja schon sehr viel erzählt; seine Entdeckung habe ich hier ausführlich beschrieben; die ebenso faszinierende Geschichte seiner Namensgebung hier und den Planeten selbst hier. Aber weil ich heute nicht in Berlin bin, möchte ich das zum Anlass nehmen ein wenig genauer auf den Berliner Teil seiner Entdeckungsgeschichte zu schauen. Auf die Berliner Sternwarte, auf Johann Gottfried Galle und Heinrich Louis d’Arrest.
Ganz kurz aber noch die Vorgeschichte: 1781 entdeckt Wilhelm Herschel den Planet Uranus; der erste Planet der neben den freiäugig sichtbaren und immer schon bekannten Planeten des Sonnensystems gefunden wurde. Bei der darauf folgenden Beobachtung des Uranus stellte man aber fest, dass sich Uranus nicht exakt so bewegt wie es Newtons Gesetze der Gravitation vorgeben. Die Vermutung: Irgendwo ist da noch ein weiterer unbekannter Planet dessen gravitativer Einfluss den Uranus stört und von seiner eigentlich Bahn abbringt. Der französische Astronom Urbain LeVerrier macht sich daran zu berechnen, wo sich ein Planet aufhalten muss um genau die beobachteten Abweichungen des Uranus zu erzeugen. Schon bald hat er ein Ergebnis und eine konkrete Vorhersage. Aber keine Teleskope mit denen er das überprüfen könnte. Er selbst ist theoretischer Astronom und hat keine eigene Sternwarte zur Verfügung. Also schreibt er Briefe an die wichtigsten astronomischen Einrichtungen und bittet die Leute, seine Vorhersage zu prüfen. Allerdings ohne Resultat. Nicht alle Sternwarten sind in der Lage das zu leisten was er braucht: Das Teleskop muss gut genug sein UND man braucht vor allem einen entsprechend guten Katalog der am Himmel sichtbaren Sterne um ein Objekt finden zu können, das bisher unbekannt ist. Und dann haben auch nicht alle unbedingt Interesse, die wertvolle Teleskopzeit für ein nicht unbedingt vielversprechendes Projekt aufzugeben. Also verlegt sich LeVerrier darauf, Astronomen direkt anzuschreiben. Und erinnert sich im Jahr 1846 an den Brief eines jungen deutschen Astronomen den er ein Jahr zuvor erhalten hat.
Johann Gottfried Galle war der Autor dieses Briefes, geboren im Jahr 1812 in der Nähe von Wittenberg. 1835 wurde er als Assistent an die gerade neu gebaute Berliner Sternwarte berufen. Wo er nicht nur seinen Job als Gehilfe des Direktors Johann Encke erledigte, sondern auch selbst forschte und 1845 seine Dissertation verfasste. Die schickte er an den damals schon berühmten Astronom LeVerrier, mit der Bitte um Kommentare. LeVerrier hat sich damals nicht sonderlich dafür interessiert und den Brief unbeantwortet in einer Schublade verschwinden lassen. Jetzt aber erinnert er sich – und erkennt in Galle einen idealen Kandidaten für sein Projekt. Wenn er nicht dem Chef selbst schreibt, sondern dem Assistenten, dann hätte er vielleicht größere Chancen auf Erfolg. Denn ein junger Astronom will sich vielleicht noch einen Namen machen, wo ein etablierter Forscher wie Encke vielleicht nur abwinkt. Also antwortet er Galle, mit einem Jahr Verspätung, schleimt ein wenig rum und lobt dessen Doktorarbeit um dann ziemlich schnell zum Punkt zu kommen: Ob Galle nicht vielleicht dabei helfen wolle, den von ihm vorhergesagten Planeten zu suchen.
Galle kriegt die späte Antwort am Morgen des 23. September 1846 – und zögert nicht lange. Anstatt sich darüber zu ärgern dass er so lange von LeVerrier ignoriert wurde, fragt er Encke ob er sich auf die Suche nach dem neuen Planeten machen darf. Der ist zwar skeptisch, hat aber vorerst nichts dagegen. Mit dabei ist ein junger Student: Heinrich Louis d’Arrest, 1822 in Berlin geboren und erst seit 1845 Assistent an der Sternwarte. D’Arrest ist es auch, der einen passenden Katalog auftreibt mit dem man den Blick durchs Teleskop mit den schon bekannten Sternpositionen abgleichen kann. Die beiden jungen Astronomen machen sich noch am gleichen Abend an die Arbeit und richten das Teleskop auf die Stelle, die LeVerrier als Position des unbekannten Planeten vorhergesagt hat. Galle sah durch den großen Refraktor der Sternwarte zum Himmel und beschrieb was er beobachtete; d’Arrest verglich die Angaben mit dem Katalog den er zuvor noch in einem Haufen von Sternkarten in Enckes Vorzimmer gefunden hatte.
Die Arbeit dauerte nicht lange. Nach kurzer Beobachtung Galles konnte d’Arrest ausrufen “Dieser Stern ist nicht auf der Karte!”. Encke wurde geholt damit er das Ergebnis selbst im Teleskop sehen konnte. Da war tatsächlich ein unbekannter Himmelskörper; genau dort und so hell wie LeVerrier es vorhergesagt hatte! Beobachtungen in den nächsten Nächten bestätigten die Entdeckung: Ein weiterer Planet im Sonnensystem war gefunden! Neptun, wie er später genannt wurde, trat auf die Bühne der Astronomie.
Wer ist also nun der Entdecker? LeVerrier? Galle? d’Arrest? Oder vielleicht Encke, als Chef der Sternwarte? Üblicherweise wird Urbain Le Verrier als Entdecker genannt; sehr oft zusammen mit Galle. Ich persönlich neige gerne dazu, die deutschen Beobachter zu ignorieren und dem Ruhm dem französischen Himmelsmechaniker zu überlassen. Was aber vermutlich daran liegt, dass die Himmelsmechanik auch mein Spezialgebiet in der Astronomie ist und die Entdeckung Neptuns die Sternstunde dieser Disziplin. Nur mit Papier, Bleistift und dem Wissen über die Theorie der Planetenbewegung ist es LeVerrier gelungen die Existenz eines noch unbekannten Planeten vorherzusagen. Der Blick des Geistes hat über den eingeschränkten Blick der Augen triumphiert! Neptun konnte sich vor den Teleskopen der Beobachter verstecken, aber nicht vor einer mathematischen Analyse der Naturgesetze!
Aber wenn man ehrlich ist, dann ist die beste Vorhersage nichts wert, wenn sie nicht auch überprüft werden kann. Die Theorie kommt nicht ohne Beobachtung und Experiment aus und hätte sich niemand die Mühe gemacht die Vorhersage von LeVerrier zu überprüfen, dann wäre er unentdeckt geblieben. Und es waren eben Galle und d’Arrest die diese Beobachtung machen wollten, sie machen konnten und die nötigen Mittel und Instrumente fanden um sie erfolgreich zu tun. Es hätte genug andere beobachtende Astronomen gegeben die Neptun ebenfalls entdecken hätten können. Der Direktor der Sternwarte von Cambridge, James Challis, hatte schon im August 1846 den Neptun zweimal im Blickfeld seines Teleskops (hier war es der englische Theoretiker John Couch Adams der die entsprechende Vorhersage machte und Challis zur Suche anregte), erkannte aber nicht was er da entdecken hätte können. Sogar Galileo Galilei soll Neptun gesehen und für einen Stern gehalten haben.
Die beiden Berliner Astronomen Galle und d’Arrest sind ebenso Entdecker von Neptun wie LeVerrier. Und alle drei hatten sie großes Glück! Denn LeVerriers Vorhersagen waren nicht ganz so exakt wie es angesichts des schnellen Funds wirkt. Dass Neptun wirklich exakt da war, wo er laut LeVerrier sein sollte war – wie wir heute wissen – im wesentlichen Zufall. Er wäre natürlich früher oder später gefunden worden wenn man LeVerriers Suchprogramm gefolgt wäre. Aber dass es so schnell ging, war Glück. Aber auch das braucht man eben ab und zu in der Wissenschaft…
Man kann Neptun also durchaus als Berliner bezeichnen. Und Berlin dürfte ruhig ein bisschen stolzer auf seine Rolle in dieser Geschichte sein. Immerhin gibt es nur zwei Planeten des Sonnensystems die seit der Antike entdeckt worden sind (bzw. zwei Himmelskörper die auch heute noch als Planet bezeichnet worden sind; Objekte die bei ihrer Entdeckung “Planet” genannt wurden gibt es ein gutes Dutzend). Der Klub der Planetenentdecker ist ein ziemlich exklusiver Verein!
Die Berliner Sternwarte hätte ich bei meinem heute nicht stattfindenden Aufenthalt in der Stadt leider nicht besuchen können, aber immerhin das Veranstaltungszentrum “Urania” das den Namen der Muse der Astronomie trägt. Ich wäre gern wieder mal in der Hauptstadt gewesen. Aber irgendwann wird es ja wieder möglich sein. Bis dahin gehen die Science Busters weiter nicht auf Tour. Das nächste Mal werden wieder nicht in Wien sein! Bis dahin!
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Die abgesagteste Tour des Wissenschaftskabaretts
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- 27.03.2020: Donau, Inn und die beruhigende Gewissheit der Flussordnungszahlen: Die Science Busters kommen nicht nach… Passau!
- 28.03.2020: Erika Cremer und die Gaschromatographie: Die Science Busters kommen nicht nach… München!”
- 30.03.2020: Christoph Scheiner und die Entdeckung der Sonnenflecken: Die Science Busters kommen nicht nach… Ingolstadt!
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