Wenn das nicht mal spektakulär ist! Die NASA hat ein Paralleluniversum entdeckt! Noch dazu eines in dem die Zeit rückwärts läuft. Steht zumindest überall im Internet und in den Schlagzeolen der Medien die wir seltsamerweise immer noch “Zeitung” nennen. Das erzeugt einerseits jede Menge Science-Fiction-Visionen. Und wirft andererseits Fragen auf. Wie um Himmels Willen findet man ein Paralleluniversum? Wie kommt man auf die Idee, dass dort die Zeit rückwärts läuft? Und was ist da jetzt eigentlich wirklich los…
ANITA und die Neutrinos
Es geht um wissenschaftliche Forschung die schon im Jahr 2018 veröffentlicht wurden ist. Da hat ANITA etwas ganz besonders entdeckt. Und ANITA ist wieder mal eines der seltsamen Akronyme aus der Wissenschaft (die überraschend oft Frauennamen bilden). Es steht für “ANtarctic Impulsive Transient Antenna”, ein wissenschaftliches Experiment das von der Universität Hawaii betrieben und von der NASA und dem amerikanischen Verteidigungsministerium finanziert wird.
In der Antarktis wird ja jede Menge Wissenschaft betrieben; auch jede Menge Astronomie. Man hat dort konventionelle Teleskope aufgestellt (immerhin ist es dort sehr trocken und die Gegend um den Südpol liegt auch sehr hoch), aber auch viel speziellere Instrumente. Über die antarktische Astronomie habe ich hier schon mehr erzählt und dabei unter anderem auch das “ICE CUBE”-Neutrinoteleskop erwähnt. Um Neutrinos geht es auch bei ANITA.
Neutrinos sind Elementarteilchen (und wer sich mit Neutrinos auskennt kann gern zum nächsten Abschnitt springen). Es gibt enorm viele davon im Universum (zahlreicher sind nur noch die Photonen); sie werden überall bei allen möglichen Prozessen im Inneren von Sternen, bei Supernova-Explosionen, und so weiter erzeugt. Neutrinos treten aber auch sehr ungern mit dem Rest der Materie in Wechselwirkung. Sie fliegen also quasi überall ungehindert durch; ein paar Billionen davon zum Beispiel in jeder Sekunde durch jeden Quadrazentimeter unserer Körperoberfläche. Wir wollen die Dinger aber trotzdem beobachten; sie können uns enorm viel Informationen liefern. Zum Beispiel über das, was im Inneren von Sternen passiert. Oder in der Umgebung schwarzer Löcher. Gerade WEIL sie überall durchkommen kommen sie auch von überall aus dem Universum zu uns. Aber sie fliegen dann eben auch durch die Erde durch und wir müssen uns sehr anstrengen, sie irgendwie zu registrieren.
Ich will jetzt nicht im Detail auf die verschiedenen Methoden der Neutrinodetektion eingehen. Ganz vereinfacht gesagt: Ab und zu gibt es doch eine Wechselwirkung zwischen einem Neutrino und normaler Materie. Dabei kann Strahlung freiwerden, die man messen kann. Um die Chancen auf eine Messung zu erhöhen, braucht man im Idealfall sehr viel Materie auf einem Haufen die man auf diese Strahlung überwachen kann. ANITA macht genau das: Der große Haufen an Materie ist das Eis der Antarktis und die Strahlung nach der man sucht ist Radiostrahlung. ANITA steht auch nicht einfach in der Gegend rum. Es handelt sich um Radioantennen die mit einem Heliumballon bis zu 37 Kilometer hoch über die Antarktis gebracht werden. Beim dritten Flug von ANITA (zwischen Dezember 2014 und Januar 2015) wurden die Neutrinos gemessen, um die es hier geht (“https://arxiv.org/abs/1803.05088”). Beziehungsweise: Wurden die Messungen gemacht um die es hier geht. Denn WAS man genau gemessen hat ist die Frage, die am Ende die Schlagzeilen über die Paralleluniversen erzeugt hat.
Durch die Erde?
Was ANITA normalerweise misst ist folgendes: Neutrinos kommen aus dem All, treffen auf das Eis der Antarktis und erzeugen dort kurze “Radioblitze”. Die werden registriert. Was ANITA auch noch messen kann ist kosmische Strahlung. Also andere geladene Teilchen die aus dem All auf die Atmosphäre der Erde treffen und dort einen Schauer weiterer Teilchen (und Radiostrahlung) erzeugen. All das hat ANITA auch gemessen. Und eben zwei Ereignisse, die ein wenig seltsam waren. Die Teilchenschauer die von kosmischer Strahlung erzeugt werden, bewegen sich von oben nach unten. Was logisch ist, weil die Strahlung ja von oben kommt und sich nach unten bewegt. ANITA hat nun aber etwas registriert was wie ein Teilchenschauer aussieht, der sich von unten nach oben bewegt. Das kann nichts mit der kosmischen Strahlung zu tun haben, denn die kommt ja aus dem All und nicht dem Eis der Antarktis. Was aber durchaus aus dem Eis der Antarktis kommen kann, sind Neutrinos. Beziehungsweise kommen die nicht aus dem Eis. Sie kommen schon auch aus dem All, nur eben von der anderen Seite. Weil sie überall durchkommen, können sie natürlich auch die Erde durchqueren und wenn man auf der anderen Seite der Erde misst, schaut das so aus, als würden sie aus der Erde austreten.
So. Jetzt wirds ein wenig kompliziert. Ich hab mehrmals erwähnt, dass Neutrinos überall durchgehen und sich kaum um die normale Materie kümmern. Tun sie auch, aber wenn es sich um Neutrinos mit sehr viel Energie handelt, dann stimmt das nicht mehr. Dann können sie wechselwirken und tun das auch. Hochenergetische Neutrinos durchqueren die Erde also nicht. ANITA kann also höchstens Neutrinos mit wenig Energie registriert haben. Neutrinos mit wenig Energie hätten aber nicht gereicht, um den beobachteten seltsamen Teilchenschauer zu erklären. Was ist das nun also passiert?
Teilchen aus der Parallelwelt?
Die kurze Antwort: Das weiß man nicht. Die simpelste Erklärung wäre eine sehr starke Neutrinoquelle irgendwo im All. Also eine Supernova, ein aktives schwarzes Loch oder sonst irgendwas, in dem sehr, sehr viele Neutrinos erzeugt werden. Da besteht dann zumindest eine kleine Chance, dass ein paar hochenergetische Teilchen doch die Erde durchqueren könnten. Wenn das so ist, dann hätte aber auch das andere große Neutrinoteleskop in der Antarktis – IceCube – diese Neutrinos sehen müssen. Was aber nicht der Fall war. Das hat man ausführlich untersucht und die entsprechenden Ergebnisse sind kürzlich publiziert worden (“A search for IceCube events in the direction of ANITA neutrino candidates”).
In dieser Arbeit schreiben die Forscherinnen und Forscher am Ende, was denn noch an Erklärungsmöglichkeiten übrig ist. Es könnte sich um irgendwelche noch unbekannten Teilchen handeln. Davon hat die Teilchenphysik ja jede Menge zur Auswahl. Zum Beispiel irgendwas, das mit der dunklen Materie zu tun hat. Oder “sterile Neutrinos”, über die ich hier schon mehr geschrieben habe. Es kann aber auch einfach “nur” ein systematischer Effekt sein, was nichts anderes heißt als: Irgendwas mit dem Experiment läuft nicht so, wie man gedacht hätte das es läuft (vereinfacht gesagt: Ein Kabel ist falsch angesteckt und keiner hat es bis jetzt gemerkt). Oder es hat mit Eigenschaften des antarktischen Eises zu tun, die man bisher noch nicht ausreichend berücksichtigt hat. Oder mit durch kosmische Strahlung ausgelösten elektrischen Strömen. Kurz gesagt: Entweder man hat das ANITA-Experiment nicht so gut verstanden wie man bisher dachte. Oder man hat tatsächlich komplett neue Physik entdeckt. Um zu unterscheiden was der Fall ist, braucht man – wenig überraschend – mehr Messungen.
Und das Paralleluniversum? Das taucht in einer ebenfalls kürzlich veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeit auf (“Upgoing ANITA events as evidence of the CPT symmetric universe”). Darin geht es um das sogenannte “CPT-symmetrische Universum” das in einer Arbeit aus dem Jahr 2018 vorgestellt worden ist. Das ausführlich und verständlich zu erklären würde nicht nur meine Fähigkeiten sondern auch den Platz hier im Blog sprengen. Kurz gesagt: CPT steht für “charge, parity, time”, also Ladung. Parität und Zeit. Die CPT-Symmetrie besagt, dass der Physik CPT-Änderungen egal sind. Oder anders gesagt: Wenn ich bei einem Vorgang jedes Teilchen durch sein Antiteilchen ersetze (und umgekehrt), also die Ladungen umkehre; wenn ich alle drei Raumkoordinaten der Teilchen umkehre (also sie quasi spiegele) und zusätzlich auch noch die Richtung der Zeit umkehre, DANN ist das Ergebnis ebenfalls ein physikalisch gültiger Vorgang. Das muss nicht heißen, dass so etwas in der Natur auch vorkommt. Einen Haufen Scherben der sich auf genau die richtige Art und Weise zu einer kompletten Kaffeetasse zusammenfügt sieht man ja auch eher selten. So ein Vorgang würde aber nicht den Naturgesetzen widersprechen. Bei der CPT-Symmetrie geht es grundlegende Eigenschaften von Teilchen; um fundamentale Naturgesetze, etc und es ist aus verschiedenen Gründen die ich jetzt nicht ausführen möchte wichtig zu wissen ob es solche Symmetrien geben kann oder nicht. Die Existenzt der CPT-Symmetrie hat man 1954 entdeckt (bzw. aus anderen Gesetzen abgeleitet). Man könnte auch sagen: Wenn man das ganze Universum mit allen Teilchen darin einer CPT-Transformation unterzieht kriegt man ein neues Universum das genau den gleichen physikalischen Gesetzen folgt wie unseres.
Wieder: Daraus folgt nicht, dass es so ein Spiegel-Universum gibt. Man kann das mathematisch formulieren, wenn man möchte und das haben Forscher getan. Sie haben sich quasi ein Universum (unseres) und ein Anti-Universum (CPT-symmetrisch zu unserem) ausgedacht die im gleichen Moment, dem Urknall, entstanden sind und sich dann in unterschiedliche Zeitrichtungen entwickelt haben (ich hab über sowas ähnliches vor ein paar Jahren schon mal geschrieben). Wenn man das macht, dann kann man damit jede Menge kosmologische und physikalische Hypothesen aufstellen. Und wie das so ist mit diesen Themen, kann man auch die Existenz noch unbekannter Teilchen vorhersagen. Ein so ein Teilchen das aus der Existenz des CPT-Anti-Universums folgen würde, könnte nun – so zumindest die Behauptung der Forscher – die Beobachtungen von ANITA erklären.
Ich würde es allerdings eher so formulieren: Die Beobachtungen von ANITA stehen nicht im Widerspruch zur Hypothese des CPT-symmetrischen Universums. Was definitiv nicht den Schluss zulässt, dass die NASA ein Paralleluniversum entdeckt hat. Was man entdeckt hat, sind Messwerte, die mit dem derzeitigen Wissensstand nicht zufriedenstellend erklärt werden können. Vielleicht war es nur ein simpler Messfehler. Vielleicht braucht man auch neue Physik um alles zu verstehen. Und ganz, ganz vielleicht hat die Sache mit dem CPT-Universum was damit zu tun. Meistens ist in solchen Fällen aber dann doch eher die “langweilige” Erklärung die wahrscheinlichere. Aber mal schauen. Es wird weiter gemessen werden. Und eventuell stoßen wir ja doch noch auf neue Physik!
Mehr schlechte Schlagzeilen gibt es hier.
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