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Sternengeschichten Folge 406: Cygnus X-1

Das Sternbild Schwan kann man auf der Nordhalbkugel der Erde vor allem im Sommer sehr gut beobachten. Mit ein wenig Fantasie kann man in der kreuzförmigen Anordnung der hellsten Sterne dieser Region des Himmels tatsächlich einen fliegenden Schwan erkennen. Sein Schwanz wird von Deneb gebildet, einem der hellsten Sterne des gesamten Himmels; der ebenfalls kaum zu übersehende Stern Albireo bildet den Hals des Vogels. Ganz in der Nähe des himmlischen Schwanenhalses befindet sich auch das Objekt um das es heute geht und von dem man mit freiem Auge nix sehen kann. Bis 1964 hat man von seiner Existenz überhaupt nichts gewusst. Gesehen hat man es erst, als wir in der Lage waren Röntgenaugen in den Himmel zu schießen und bis wir verstanden haben um was es sich dabei handelt ist noch sehr viel mehr Zeit vergangen. Dann hat es sich aber als höchst außergewöhnlich herausgestellt und eine lange offene Frage in der Geschichte der Astronomie auf ziemlich revolutionäre Weise beantwortet.

1964 flogen zwei Raketen von New Mexico in den Himmel. Nicht bis ins All, nur einmal bis an die Grenze der Atmosphäre und dann wieder zurück. An Bord waren Instrumente die in der Lage waren Röntgenstrahlung zu messen. Die gibt es nicht nur im Krankenhaus sondern auch überall sonst im Universum. Es gibt jede Menge kosmische Phänomene die in der Lage sind, hochenergetisches Röntgenlicht zu erzeugen. Vom Erdboden aus können wir es aber nicht sehen da es von der Atmosphäre der Erde blockiert wird. Bei dieser ersten Suche nach Objekten im All die Röntgenstrahlung erzeugen fand man acht Stück. Eine dieser Quellen war im Sternbild Schwan und bekam die Bezeichnung Cygnus X-1- “Cygnus”, weil das Sternbild Schwan so offiziell und auf Latein heißt. “X” weil von dort Röntgenstrahlung kommt, also “X-Rays” auf englisch. Und “1” weil es das erste bekannte Objekt dieser Art in diesem Sternbild war.

Im Röntgenlicht war Cygnus X-1 extrem hell. Mit normalen Teleskopen konnte man dort am Himmel aber nichts erkennen. Ebensowenig mit Radioteleskopen. Zumindest damals nicht. Was man aber mit diesen ersten Versuchen festgestellt hat: Es lohnt sich, den Himmel im Röntgenlicht zu betrachten. 1970 schickte die NASA daher “Uhuru” ins All, ein Satellit der mehr als zwei Jahre lang den kompletten Himmel nach Röntgenquellen abgesucht hat. Er hat knapp 300 Objekte gefunden und unter anderem auch Cygnus X-1 genauer erforscht. Mit den neuen und besseren Daten hat man dann auch festgestellt, dass Cygnus X-1 ein wenig flackert. Die Intensität der Röntgenstrahlung ändert sich ein bisschen, mehrmals pro Sekunde. Das war interessant. Denn das bedeutet, dass die Prozesse die dort ablaufen auf relativ kleinem Raum ablaufen. Je größer ein Objekt ist, desto langsamer kann es sich verändern. Vereinfacht gesagt: Es braucht Zeit, damit Information von einem Ende des Objekts zum anderen gelangen kann. Es kann sich ja nichts schneller als das Licht bewegen. Um helle Röntgenstrahlung zu erzeugen, müssen in Cygnus X-1 irgendwelche hochenergetischen Prozesse ablaufen. Die können sich aber nicht beliebig schnell so großflächig verändern um die Intensität der Strahlung mehrmals pro Sekunde zu verändern. Das geht nur, wenn das ganze Ding nicht größer als 100.000 Kilometer ist. Was durchaus groß ist – aber zum Beispiel deutlich kleiner als ein Stern wie unsere Sonne, die einen Durchmesser von 1,4 Millionen Kilometer hat.

Röntgenbild von Cygnus X-1 (Bild: NASA/CXC)

Cygnus X-1 kann also schon mal auf jeden Fall kein normaler Stern sein. Was es aber sonst sein könnte, war unbekannt. Vor allem, weil man auch die Position nicht so genau messen konnte, das ging mit den Röntgenteleskopen nicht. 1971 konnte man dann aber doch noch Radiostrahlung messen, die genau aus der Richtung von Cygnus X-1 zu kommen schienen. Mit den Daten der Radioteleskope konnte man die Position genauer bestimmen. Und genau da, wo die hergekommen sind, war ein Stern mit der Bezeichnung HDE 226868. Ein Riesenstern, ein sogenannter blauweißer Überriese der ungefähr 30 Mal größer als unsere Sonne ist, ungefähr 30 Mal so viel Masse hat wie sie und eine Temperatur von mehr als 30.000 Grad. Er leuchtet 200.000 mal heller als die Sonne – aber er leuchtet nicht im Röntgenlicht. So ein Riesenstern ist beeindruckend – aber nicht in der Lage die intensive Röntgenstrahlung zu erzeugen die von Cygnus X-1 kommt.

1971 kam dann der Durchbruch. Die Astronomin Louise Webster und ihr Kollege Paul Murdin von der Royal Greenwich Sternwarte in England und unabhängig davon der kanadische Astronom Tom Bolton machten beide die gleiche Entdeckung. Der Stern HDE 226868 wackelt. Er wackelt sehr schnell. Er kommt ein wenig auf die Erde zu, dann entfernt er sich wieder ein Stück, dann kommt er wieder, usw. Er wackelt mit einer Periode von nur 5,6 Tagen hin und her. Was an sich schon interessant ist, aber noch interessanter wird, wenn man sich die Strahlung von Cygnus X-1 genauer anschaut. Die zeigt nämlich nicht nur die sekundenschnellen Veränderungen sondern ändert ihre Helligkeit darüber hinaus auch noch im Verlauf von circa fünfeinhalb Tagen. Genau im gleichen Rhythmus wie der Stern selbst. Das ließ nur einen Schluss zu: Der Stern ist nicht allein, sondern umkreist etwas. In sehr geringem Abstand, so daß er nur fünfeinhalb Tage für eine Runde braucht. Dieses etwas ist Cygnus X-1, die Quelle der Röntgenstrahlung. Und weil man nun wusste, wie lang der Stern für eine Runde braucht, konnte man daraus auch die Stärke der Gravitationskraft berechnen die Cygnus X-1 auf den Stern ausübt. Beziehungsweise die Masse die Cygnus X-1 haben muss: Fast 16 mal so viel Masse wie unsere Sonne.

Und jetzt wird es spannend. Man wusste nun einerseits, dass man etwas mit sehr viel Masse hat. Das andererseits auch einen sehr kleinen Raum einnehmen muss. Ein Stern kann es nicht sein, das war ja schon vorher klar. Es muss also etwas sein, das kleiner als ein Stern ist aber mehr Masse als ein typischer Stern hat. Ein Kandidat dafür sind Neutronensterne, von denen ich ja schon oft in den Sternengeschichten gesprochen habe. Das sind die extrem kompakten Überreste die übrig bleiben, wenn ein großer Stern am Ende seines Lebens keine Kernfusion mehr treiben kann und in sich zusammenfällt. Neutronensterne sind definitiv klein, nur ein paar Dutzend Kilometer groß höchstens. Sie können aber auch nicht mehr als höchstens circa die dreifache Masse der Sonne haben. Viele Möglichkeiten bleiben nicht mehr: Das einzige was Cygnus X-1 noch sein kann, ist ein schwarzes Loch!

Dass es so etwas zumindest theoretisch geben könnte, war auch in den 1970er Jahren schon länger klar. Die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein sagt voraus, dass man Masse so stark komprimieren kann, dass am Ende nichts und auch kein Licht mehr dauerhaft aus ihrer Nähe entkommen kann. Ob es solche extremen Objekte aber auch in der Realität geben kann, wusste damals noch niemand. Cygnus X-1 war das erste konkrete Objekt bei dem eine realistische Chance bestand, dass es sich um ein echtes schwarzes Loch handelt. Zwei Wissenschaftler die sich damals besonders intensiv mit schwarzen Löcher beschäftigt haben, haben darüber sogar eine Wette abgeschlossen. Kip Thorne und Stephen Hawking: 1974 wettete Hawking, dass Cygnus X-1 kein schwarzes Loch ist; Thorne wettete dagegen. Hawking war zwar eigentlich überzeugt dass es schwarze Löcher gibt, aber falls er sich doch irren sollte, wollte er als Trost zumindest noch die Wette gewinnen, wie er oft erzählt hat.

Künstlerische Darstellung von Cygnus X-1 und HDE 226868 (Bild: NASA/CXC/M.Weiss)

Im Laufe der Zeit sind die Hinweise immer deutlicher geworden, dass Cygnus X-1 tatsächlich ein schwarzes Loch ist. Aber schauen wir zuerst vielleicht nochmal, wo denn diese Röntgenstrahlung eigentlich her kommt. Dazu müssen wir noch mal zum Riesenstern HDE 226868. Der ist wirklich groß. Er ist im Laufe der Zeit enorm heiß geworden; in seinem Inneren wird enorm viel Energie und Strahlung produziert. Die drückt nach außen, wodurch der Stern sich aufgebläht hat. Irgendwann ist er so groß geworden, dass er die äußeren Schichten seiner Materie durch seine Gravitationskraft nicht mehr festhalten kann. Und was ist gleich nebenan? Das schwarze Loch. Die vom Stern abgestoßene Materie kann vom schwarzen Loch eingefangen werden, wirbelt dann enorm schnell in einer Scheibe um das Loch herum und wird dabei auf ein paar Millionen Grad aufgeheizt. So heißes Gas macht jede Menge interessante Sache, unter anderem gibt es aber sehr helle Röntgenstrahlung ab. Es leuchtet also nicht das Loch selbst, sondern seine Umgebung.

Die hat man im Jahr 2001 mit dem Hubble-Weltraumteleskop im Detail betrachtet. Und dabei keine Röntgenstrahlung gesehen, was Hubble nicht kann. Aber Ultraviolettstrahlung. Die von dem heißen Gas auch erzeugt wird. Eine Analyse dieses Licht hat gezeigt, dass sich aus der heißen Scheibe voll Gas immer wieder “Brocken” lösen. Die bewegen sich auf einer Spiralbahn immer näher an das Loch, werden dabei immer schneller und auch dunkler. Bis das Licht irgendwann plötzlich verschwindet. Wie gesagt: Man hat das nicht DIREKT gesehen – aber wenn man das Licht genau genug analysiert kann man herausfinden wie sich dort was bewegen muss, um genau die beobachteten Helligkeitsänderungen zu erzeugen. Und Hubble hat eben genau das gesehen, was man sehen sollte, wenn dort immer wieder Gas aus der Scheibe im schwarzen Loch verschwindet.

Heute weiß man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass Cygnus X-1 ein schwarzes Loch ist. Irgendwann war es mal ein großer Stern. Wirklich groß, mit mehr als der 40fachen Masse der Sonne und Teil eines Doppelsternsystems mit dem ebenfalls nicht kleinem HDE 226868. Vor ein paar Millionen Jahren ist dem Stern dann der Treibstoff für die Kernfusion ausgegangen. Er ist in sich zusammengefallen und das aufgrund seiner hohen Masse mit solcher Wucht, dass ein schwarzes Loch entstand. Der Begleitstern war langlebiger und ist heute noch da. Das schwarze Loch ist kaum größer als ein Asteroid, knapp 50 Kilometer groß. Beziehungsweise ist das genaugenommen der Durchmesser des Ereignishorizonts, also der Grenze, hinter der die Gravitationskraft so stark wird, dass kein Licht mehr entkommen kann. Die Scheibe aus Gas um das Loch herum hat einen Durchmesser von einigen 10.000 Kilometern. In einem Abstand von 14 Millionen Kilometern davon befindet sich der Stern HDE 226868. Der liefert immer wieder Nachschub für die Scheibe und Cygnus X-1 kann weiterhin hell im Röntgenlicht leuchten.

Der Abstand des ganzen Systems zur Erde beträgt nur wenig mehr als 6000 Lichtjahre. Was Cygnus X-1 zu einem der uns am nächsten gelegenen schwarzen Löcher macht. Aber natürlich kein Grund zur Sorge ist, das ist mehr als genug Abstand als das davon auch nur irgendeine Gefahr für die Erde ausgehen könnte. Heute haben wir jede Menge andere schwarze Löcher entdeckt; wir haben sogar ein Bild eines schwarzen Lochs gemacht. Aber Cygnus X-1 war das erste das wir gefunden haben. Im Jahr 1990 war übrigens auch Stephen Hawking überzeugt und gestand ein die Wette mit Kip Thorne verloren zu haben.

Kommentare (9)

  1. #1 Lercherl
    4. September 2020

    Was hat die Batterie von Curiosity mit Cygnus X-1 zu tun?

  2. #2 Robert
    Oberland
    4. September 2020

    Fangen beide mit “C” an ; ) Sehr guter Artikel!

  3. #3 Captain E.
    4. September 2020

    Hat HDE 226868 wohl Masse von seinem sterbenden Begleiter übernommen?

  4. #4 Kerberos
    4. September 2020

    “” Er ist in sich zusammengefallen und das aufgrund seiner hohen Masse mit solcher Wucht, dass ein schwarzes Loch entstand.””

    Diese Kausalität ist eine Wucht!

  5. #5 Bullet
    4. September 2020

    Du meinst als “Blue Straggler”?

  6. #6 Captain E.
    4. September 2020

    @Bullet:

    Du meinst als “Blue Straggler”?

    Das wäre zumindest eine Möglichkeit. Ob der masseärmere Stern zum Blauen Nachzügler wird, dürfte unter anderem davon abhängen, wie viel Masse den Besitzer wechselt, oder?

  7. #7 Bullet
    4. September 2020

    Würd ich jetzt auch so sagen, aus der hohlen Hand. Unzweifelhaft ist, daß Sterne in engen Doppels, die sich gegenseitig Masse zuschustern, bisweilen seltsame Konfigurationen aufweisen. Da zieht dann der schwerere der beiden Teilnehmer dem leichteren Masse ab und bleibt daher “jünger”, während der Verlierer, der immer noch genug Masse hat, um selbst nach normaler Zeit zum Black Hole zu werden, dann natürlich früher in dieses Stadium rutscht als der räuberische Begleiter, und sich dann hinterher die Masse vom Begleiter zurückholt. Schon crazy, diese Stellarphysik.

  8. #8 Harald
    7. September 2020

    Ob HDE 226868 Masse von seinem sterbenden Begleiter übernommen habt, sollte man an der Metallizität seiner Hülle sehen. Ist aber nicht unbedingt gesagt, denn das würde ich nur dann sehen, wenn der Vorläufer des BH eine SN Typ II geworden wäre. Bei der Masse 40 Msun wird es aber so gewesen sein, dass das Ding als Un-Nova direkt zusammengefallen ist. (Die Wikipedia *hust* schreibt das auch so.) Ich finde keine Quelle dafür, dass HDE 226868 eine metallreiche Hülle hat, ergo… Derwegen kam man ja auch auf die Un-Nova.

  9. #9 Frank
    Bonn
    13. September 2020

    Habe mal nachgeschaut: Cygnus X-1 hat eine Masse von etwa 15,8 M⊙, HDE 226868 eine Masse von 25 bis 35 M⊙, die beiden Komponenten umkreisen sich mit einer Periodendauer von 5,6 Tagen. Die Entfernung von nur 14 Mio km ist ein Witz! Merkur beispielsweise ist 58 Mio km von der Sonne entfernt. Da geht also richtig der Punk ab. Beide Monster müssen schon immer Drehimpuls und Masse ausgetauscht haben.