Es hält sich ja immer noch der Mythos, es könne keine Planeten in Doppel- oder Mehrfachsternsystemen geben (hab ich gerade erst wieder in einem kürzlich erschienenen populärwissenschaftlichen Buch über Astronomie gelesen). Was allerdings Unsinn ist. Nicht nur wissen wir schon sehr lange dass es solche Planeten geben kann und haben auch schon einige entsprechende Systeme entdeckt. Jetzt zeigt sich auch, dass die Planetensysteme in Mehrfachsternsystemen komplexer sein können als man sich das bisher vorgestellt hat.

Es geht um den Stern GW Orionis. Der erstens knapp 1300 Lichtjahre von uns entfernt, in Richtung des Sternbild Orion. Sondern zweitens genaugenommen nicht ein Stern, sondern drei. Zwei davon umkreisen einander extrem eng und sind nur wenig weiter voneinander entfernt als Erde und Sonne. Der dritte Stern ist von diesen beiden ungefähr so weit entfernt wie der Saturn von der Erde und braucht 11,5 Jahre für eine Runde um die beiden inneren Sterne. Die Sterne sind allesamt recht jung, höchstens eine Million Jahre alt; vielleicht auch erst ein paar hunderttausend Jahre. Was heißt, dass sie auch noch das haben, was solche jungen Sternensysteme normalerweise haben: Eine protoplanetare Scheibe.

Eine protoplanetare Scheibe ist – wie der Name nahelegt – eine Scheibe aus Gas und Staub in und aus der im Laufe der Zeit Planeten entstehen. Üblicherweise ist so eine Scheibe flach weswegen sich auch die daraus entstehenden Planeten später alle in mehr oder weniger der gleichen Ebene um ihren Stern (oder ihre Sterne) herum bewegen. In unserem Sonnensystem ist es auf jeden Fall so; seine acht Planeten sind auf ihren Bahnen kaum gegeneinander geneigt. Aber wie Forschung an der Europäischen Südsternwarte (ESO) kürzlich festgestellt hat: Das muss nicht der Normalfall sein und ist es höchstwahrscheinlich auch nicht.

Zurück zu GW Orionis: Mit den großen Teleskopen der ESO hat man nun die Staubscheibe um das Sternentriple nun genau untersucht und festgestellt, dass das Ding ziemlich schief ist. Also nicht nur “schief”; die protoplanetare Scheibe ist in sich verworren, deformiert und auseinander gebrochen. Insbesondere gibt es im inneren Teil der Scheibe einen Ring aus Gas und Staub der deutlich gegenüber dem Rest gekippt ist. So sieht das aus (rechts die Beobachtungsdaten; links eine künstlerische Rekonstruktion):

Der Grund für die ganze Unordnung ist die Bewegung der Sterne. Denn die kreisen auch nicht alle in der gleichen Ebene umeinander; ihre Umlaufbahnen sind zueinander geneigt. Wie sich dass dann auf die Form der Gas- und Staubwolke auswirkt, haben Forscherinnen und Forscher anhand der Beobachtungsdaten mit Computersimulationen untersucht (“A triple star system with a misaligned and warped circumstellar disk shaped by disk tearing”). Und konnten die Daten dabei gut rekonstruieren. In dem deutlich abgesetzen Ring befinden sich übrigens circa 30 Erdmassen an Material. Also genug, damit dort Planeten entstehen können. Und wenn die dort entstehen sollten, dann werden sie danach auf der gleichen geneigten Bahn um die Sterne kreisen wie zuvor der Staub.



Doese Entdeckung hat durchaus Konsequenzen auf unser Verständnis der Planetensysteme. Dass das Sonnensystem weit davon entfernt ist der Normalfall zu sein wissen wir ja schon länger, hat sich aber nun wieder einmal bestätigt. Darüber hinaus sind aber die meisten Sterne der Milchstraße Teil von Doppel- und Mehrfachsternsystemen. Es ist also durchaus damit zu rechnen, dass sehr viele Planeten entstehen, die extreme Bahnen einnehmen und weitab der Hauptebene eines Sternsystems ihre Runden ziehen. Dort fallen sie kaum auf; zumindest mit den Methoden die wir derzeit hauptsächlich für die Suche nach Planeten benutzen. Es könnte also eine relevante unbekannte Planetenpopulation geben die noch auf ihre Entdeckung wartet. Mehr werden wir in ein paar Jahren wissen, wenn das neue Extremly Large Telescope der ESO den Betrieb aufnimmt. Dann wird man solche Planeten auch direkt beobachten können. Ich bin auf jeden Fall schon sehr gespannt darauf, was das Universum noch an schrägen Planeten für uns bereit hält.

Kommentare (5)

  1. #1 Keno
    8. September 2020

    Es wird doch sicherlich schon darüber theoretisiert worden sein, wie mögliche Planetenorbits verlaufen und ob es stabile Konfigurationen gibt, oder?

  2. #2 pederm
    8. September 2020

    @ Keno: Na, der Ring zeigt doch schon mal eine zumindest mittelfristig (im astronomischen Maßstab) stabile Zone für Orbits. Sonst wäre er da ja nicht, stabil nämlich. Oder bin ich auf der falschen Spur?

  3. #3 Aginor
    9. September 2020

    Sehr interessant!
    Ich gebe zu dass ich in einem solchen System nicht mit einigermaßen stabilen Orbits gerechnet hätte.

    Meine Erwartung zu Planeten in Mehrfachsternsystemen waren nur zwei Szenarien:

    a) Mehrere Sterne nah bei einander (wenige AE) und die ganze protoplanetare Scheibe dreht sich um sie herum.
    b) Mehrere Sterne sehr weit voneinander entfernt (von Proxima Centauri z.B. wissen wir ja dass das ganz schön weit sein kann) und einer oder mehrere davon haben eine jeweils nur um diesen einen Stern kreisende Scheibe.

    Das oben gezeigte hatte ich nicht erwartet.

    Danke für den Artikel!

    Gruß
    Aginor

  4. #4 Michael Becker
    28. September 2020

    Es könnte also eine relevante unbekannte Planetenpopulation geben die noch auf ihre Entdeckung wartet.

    Das klingt vieleicht sehr naiv aber, welchen Anteil können solche Planeten an der fehlenden sichtbaren Masse in unserem Universum haben.

  5. #5 Captain E.
    28. September 2020

    @Michael Becker:

    Das klingt vieleicht sehr naiv aber, welchen Anteil können solche Planeten an der fehlenden sichtbaren Masse in unserem Universum haben.

    Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen verschwindend geringen. Schau dir doch nur einmal die Masseverhältnisse in unserem Sonnensystem an! Mehr als 99% der Masse ist in der Sonne konzentriert, und selbst der riesige Jupiter ist nur so ein kleiner Schmutzfleck. Wo sollen nennenswerte Massen in Planetenform herkommen?