Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
Mehr Informationen: [Podcast-Feed][iTunes][Bitlove][Facebook] [Twitter]
Über Bewertungen und Kommentare freue ich mich auf allen Kanälen.
—————————————————————————————
Sternengeschichten Folge 410: Das Fermi-Paradoxon
“Where is everybody”? Wo sind die alle? Und mit “die” sind Außerirdische gemeint. Wo also sind die Außerirdischen? Diese Frage hat der Physiker und Nobelpreisträger Enrico Fermi 1950 gestellt. Unterwegs zum Mittagessen, gemeinsam mit ein paar anderen hochdekorierten Kollegen, als sie über einen Cartoon in einer Zeitung diskutiert haben, in dem es um UFO-Sichtungen ging. “Wo sind sie alle?” hat Fermi sich und seine Kollegen gefragt und die Tatsache, dass wir bis jetzt noch keinerlei Spuren von Aliens entdeckt haben, ist als “Fermi-Paradoxon” in die Geschichte und auch die wissenschaftliche Forschung eingegangen.
Das klingt erstmal ein wenig komisch. Wieso soll es paradox sein, dass wir noch keine Aliens entdeckt haben? Um zu verstehen was Fermi gemeint hat, muss man sich seinen Gedankengang ein wenig genauer ansehen. Er ging zuerst einmal davon aus, dass wir Menschen nicht die einzigen intelligenten Lebewesen in unserer Milchstraße sind. Sondern dass es auch anderswo entsprechende Zivilisationen gibt; vor allem Zivilisation die technisch ebenfalls in der Lage sind, den Weltraum zu erreichen. Und nicht nur das: Zivilisationen die in der Lage sind, zwischen den Sternen zu reisen. Wenn man das nicht mit irgendwelchen Science-Fiction-Methoden probiert sondern mit halbwegs plausibeln technischen Lösungen, dann dauert es durchaus ein paar Jahrtausende bis man von einem Stern zum anderen reist, wie ich in Folge 402 ausführlich erklärt habe.
Die Milchstraße, also die Galaxie zu der die Sonne gehört, ist groß. Sie besteht aus mindestens 100 Milliarden Sternen und hat einen Durchmesser von 100.000 bis 150.000 Lichtjahren. Mal angenommen, wir könnten den uns nächstgelegenen Stern – Proxima Centauri, 4 Lichtjahre weit weg – in 1000 Jahren erreichen. Also ein Lichtjahr in 250 Jahren zurücklegen. Dann bräuchten wir 25 bis 38 Millionen Jahre, um die Milchstraße von einem Ende zum anderen zu durchqueren. Geben wir noch ein paar Millionen Jahre dazu für diverse Zwischenstopps und sagen wir, wir brauchen 50 Millionen Jahre für eine Tour durch die Galaxie. Dann klingt das zwar nach einer sehr, sehr langen Zeit. Und es ist auch eine sehr, sehr lange Zeit. Verglichen mit den circa 10 Milliarden Jahren die unsere Galaxis schon existiert ist es aber ein extrem kurzer Zeitraum. In der Zeit könnten wir 200 Mal hin und her fliegen. Und 1000 Jahre bis Proxima Centauri ist das, was wir mit der derzeit verfügbaren und vorstellbaren Technik schaffen könnten. Eine etwas weiter fortgeschrittene außerirdische Zivilisation wäre vielleicht schneller; vielleicht bräuchte sie keine 1000 Jahre wie wir sondern nur 100 Jahre? Dann könnten sie ein paar tausend Mal durch die Milchstraße reisen, zumindest theoretisch.
Wenn es also da draußen auch nur eine Zivilisation gibt, die zu interstellarer Raumfahrt in der Lage ist und das auch tut, dann sollte eigentlich ausreichend Zeit vergangen sein, um irgendwas davon mitzukriegen. Dann sollten wir bei jeder Menge Sterne Anzeichen für eine außerirdische Zivilisation beobachten können. Tun wir aber nicht. Und deswegen die Frage von Enrico Fermi: Where is everybody?
Was Fermi 1950 beim Mittagessen vor sich hin gedacht hat, wurde 1975 vom amerikanischen Astronom Michael Hart wissenschaftlich untersucht. Hart war allerdings auch überzeugter Rassist, insofern muss man seine Ausführungen über nichtmenschliche und außerirdische Zivilisation vielleicht ein wenig kritisch betrachten. Am Ende spielt es aber auch keine Rolle, weil im Laufe der Zeit sehr viele andere probiert haben, die Frage von Enrico Fermi zu beantworten und das Paradoxon aufzulösen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ebenso wie Leute die Science-Fiction-Bücher geschrieben haben.
Die möglichen Erklärungsversuche für die Abwesenheit der Aliens sind vielfältig. Die simpelste Antwort würde lauten: Wir sehen deswegen nichts von irgendwelchen Außerirdischen, weil es keine gibt. Wir sind allein im Universum; zumindest aber sind wir allein in unserer Milchstraße. Leben mag vielleicht häufig sein, intelligentes Leben aber ist es nicht. Das finden viele deprimierend, kann aber nicht einfach von der Hand gewiesen werden, wie ich in Folge 305 ausführlicher erklärt habe. Wir wissen schlicht und einfach nicht, wie wahrscheinlich es ist, dass irgendwo Leben entsteht und wie wahrscheinlich es ist, dass sich aus Leben auch intelligentes Leben entwickelt. Auf der Erde existiert Leben schon seit mehr als 3 Milliarden Jahren. Intelligentes Leben aber erst seit vergleichsweise enorm kurzer Zeit. Wir haben keine Ahnung, warum das Leben intelligent geworden ist, wo es doch für Milliarden Jahre wunderbar ohne Intelligenz ausgekommen ist. Vielleicht ist es tatsächlich enorm unwahrscheinlich. Und dann gibt es da draußen niemanden außer uns.
Oder aber es gibt noch niemanden außer uns. Bzw. niemanden mehr. Wenn intelligente Zivilisation selten sind, dann gibt es keinen Grund davon auszugehen, dass sie alle gleichzeitig existieren. Vor allem: Es gibt keinen Grund, dass eine intelligente Zivilisation beliebig lange existieren kann. Das ist eine weitere klassische Auflösung für das Fermi-Paradoxon: Jede technisch ausreichend fortgeschrittene Zivilisation bringt sich irgendwann selbst um. Was nicht ganz unplausibel ist, immerhin sind wir selbst ja auch auf nem guten Weg dazu. Wir haben es zwar geschafft, uns noch nicht in einem globalen Atomkrieg auszurotten. Aber mit dem menschengemachten Klimawandel haben wir eine andere Möglichkeit gefunden, uns unsere Zukunft selbst schwer zu machen. Und auch wenn wir davon ausgehen, dass wir das alles irgendwie hinkriegen: Keine Spezies lebt ewig. Dafür sorgt schon die Evolution. Den modernen Menschen gibt es – je nachdem wie man es betrachtet – seit ein paar hunderttausend Jahren. Von all den anderen Spezies die auf der Erde gelebt haben, sind so gut wie alle im Laufe der Zeit ausgestorben bzw. im Laufe der Evolution etwas anderes geworden. Wieso sollte gerade uns dieses Schicksal erspart bleiben.
Und dann sind da noch die Naturkatastrophen. Massensterben gibt es in der Geschichte der Erde immer wieder. Supervulkane die ausbrechen; Asteroiden die einschlagen, und so weiter. Man kann sich zwar vorstellen, dass eine ausreichend weit fortgeschrittene Zivilisation das irgendwie in den Griff bekommt. Aber was ist mit außerirdischen Katastrophen, wie Gammastrahlenausbrüchen von Sternen in unserer Umgebung. Wenn ein ganzer Stern explodiert ist es schwer sich zu überlegen, was man dagegen tun könnte.
Noch ein wenig abgefahrener ist die Idee des “Großen Filters”. Kurz gesagt geht es darum, dass jede Zivilisation auf dem Weg zur erfolgreichen interstellaren Raumfahrt bzw. allgemein dem langfristigen Überleben eine Art Nadelöhr durchqueren muss. Dass also irgendwann im Laufe der Entwicklung irgendwas passiert, was es sehr schwer macht, sich so weit zu entwickeln um die Milchstraße zu kolonialisieren. Was eine interessante Frage für die Menschheit aufwirft: Haben wir diese Hürde schon hinter uns? Oder wartet der Große Filter noch in unserer Zukunft?`Im ersten Fall würden wir zu den wenigen Glücklichen gehören die weit genug fortschreiten können und es wäre an uns, die Milchstraße zu besiedeln. Im zweiten Fall müssen wir noch ein wenig abwarten bis wir wissen, was die ganzen Aliens – sofern es sie gibt – daran hindert ins All aufzubrechen.
Es könnte natürlich auch einfach sein, dass es überall außerirdische Zivilisationen gibt. Die aber schlicht und einfach keine Lust darauf haben, Millionen Jahre mit der Besiedelung der Milchstraße zu verbringen. Was auch irgendwie verständlich ist: Warum sollte man sich das antun? Tun wir ja auch nicht. Rein technisch wäre wir unter Umständen durchaus in der Lage, eine Art Generationenraumschiff zu bauen um zu anderen Sternen zu fliegen. Es wäre zwar eine gigantische technische und wissenschaftliche Aufgabe die absurd teuer wäre und wahnsinnig viele Ressourcen verbrauchen würde. Aber im Prinzip wüssten wir, was man dafür tun müsste; wir müssten dafür keine komplett neue Wissenschaft erfinden. Aber wir haben ja schon Schwierigkeiten, nach den 1970er Jahren wieder zum Mond zu fliegen; von anderen Planeten oder Sternen ganz zu schweigen. Selbst der reichste Milliardär wäre nicht in der Lage, so eine Mission im Alleingang zu finanzieren und die Staaten der Erde würden ebenso wenig einfach mal so ein Projekt unterstützen das Jahrhunderte dauert und Unmengen an Geld kostet. Wir stellen uns irgendwelche Aliens ja gerne als eine Art gottgleiche Übermenschen vor, moralisch perfekt und wissenschaftlich quasi allwissend. Aber nur weil wir uns das so vorstellen muss das noch lange nicht so sein. Vielleicht sind die Aliens auch einfach nur Leute die ungern ihre globale Wirtschaft in den Dienst der interstellaren Kolonialisierung stellen wollen.
Überhaupt: Das ganze Fermi-Paradoxon hat ein großes Problem. Und das sind die Voraussetzungen. Dass man nicht einfach voraussetzen sollte, dass intelligente Zivilisationen häufig sind, hab ich ja schon erläutert. Ebenso dass man nicht zwingend davon ausgehen muss, dass jemand zwischen den Sternen reisen will, nur weil man theoretisch zwischen den Sternen reisen könnte. Was man aber ebenfalls nicht voraussetzen kann: Das wir auch nur irgendeine halbwegs realistische Vorstellung davon haben, was etwaige Außerirdische denken. Wir Menschen denken wie Menschen weil wir Menschen sind und sich unser Gehirn mit seinem Bewusstsein im Laufe der Evolution auf der Erde so entwickelt hat, wie es das eben getan hat. Wir haben keine Ahnung, wie sich Intelligenz anderswo entwickelt und ob das auch nur annähernd irgendwas mit unserer Intelligenz zu tun hat. Mit unserem menschlichen Gehirn können wir uns zwangsweise nur irgendwas vorstellen, was so ähnlich funktioniert wie wir. Aber es kann auch komplett anders sein. Und Aliens können von irgendwelchen Motivationen getrieben sein, die wir uns nicht mal vorstellen können. Vielleicht sind da ja auch überall Außerirdische – aber sie sind schlicht so anders, das wir sie nicht erkennen.
Das ist auch das Problem bei anderen populären Lösungen des Fermi-Paradoxons. Das etwa die Milchstraße tatsächlich komplett voll mit Zivilisationen ist, wir aber nix davon mitkriegen weil wir in einer Art galaktischen Zoo leben. Die Aliens schirmen uns und sich ab, weil wir wahlweise noch nicht entwickelt genug sind um dem Rest der galaktischen Föderation beizutreten oder zu gefährlich. Ein Gedankengang der aber eher von klassischer Science-Fiction motiviert ist und nicht von irgendwelchen wissenschaftlichen Fakten. Ebenso wie die These, dass deswegen keine Aliens zu sehen sind, weil jede Zivilisation die zu sichtbar wird, sofort von einer anderen, aggressiveren Zivilisation ausgelöscht wird.
Ebenso wenig mit Wissenschaft zu tun haben die Lösungen des Fermi-Paradoxons die mit Verschwörungstheorien zu tun haben. Also: Es gibt jede Menge Hinweise auf außerirdische Zivilisationen, die aber vor der Öffentlichkeit vertuscht werden!!
Wenn man lange und kreativ genug nachdenkt, findet man noch jede Menge andere Möglichkeiten, Fermis Frage nach dem Verbleib der Aliens zu beantworten. Das macht ihren Reiz aus, aber nicht unbedingt ihren Wert für die Wissenschaft. Um sie in der Hinsicht seriös beantworten zu können, wissen wir einfach zu wenig. Es ist verlockend, sich irgendwelche Aliens so vorzustellen, wie wir das aus den Science-Fiction-Filmen gewohnt sind. Und nach einer Art galaktischer Föderation zu suchen wie in Star Trek; einem Imperium wie bei Star Wars und all den besiedelten Planeten mitsamt interstellaren Raumschiffverkehr. Mit echter astronomischer Forschung hat das aber nichts zu tun. Hier können wir nur feststellen, dass das Universum ein sehr, sehr großer und vor allem sehr, sehr leerer Ort ist. Selbst wenn wir derzeit nicht die einzigen intelligenten Lebewesen sein sollten, ist es auf jeden Fall ein absurder Aufwand, zwischen den Sternen zu reisen. Von einer Millionen Jahre dauernden Kolonisation einer ganzen Galaxie gar nicht zu reden. Vielleicht sind wir ja doch irgendwann mal bereit, diesen Aufwand zu treiben. Und dann können wir selbst herausfinden, wo alle sind!
————-
In der Folge erwähnte andere Folgen: Folge 402, Folge 305
Kommentare (11)