Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 417: Fluor und sein astronomisches Geheimnis
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um das chemische Element Fluor. Was vielleicht nicht unbedingt nach Astronomie klingt. Aber höchst astronomisch ist, wie wir noch hören werden. Im Alltag treffen wir das Fluor meistens im Badezimmer, nämlich dann wenn wir uns die Zähne putzen. Denn das Fluor kann unseren Zahnschmelz härter machen und vor Karies schützen. Was super ist, aber nicht Thema der Folge. Denn damit das hilfreiche Fluor seine Arbeit machen kann, muss es erstmal in die Zahnpastatube gelangen. Was jetzt nicht so schwer ist; in der Erdkruste ist Fluor das 13häufigste chemische Element. Da kommt es so gut wie immer gebunden vor, also in Kombination mit anderen Elementen, zum Beispiel in Form von Flussspat oder Fluorkieselsäure. Das erste Mal chemisch isoliert, also quasi in Reinform entdeckt hat das Element der französische Chemiker Henri Moissan im Jahr 1886, wofür er dann 1906 auch den Chemie-Nobelpreis bekommen hat. Da hat man also gewusst, dass es so ein chemisches Element gibt und seine Eigenschaften erforschen können. Die fundamentale Frage wurde aber immer noch geklärt: Wo kommt das Zeug her?
Und natürlich ist für das Fundament immer die Astronomie zuständig. Denn abgesehen von Wasserstoff und Helium muss jedes chemische Element irgendwo bei der Kernfusion im Inneren eines Sterns beziehungsweise durch andere astronomische Prozesse erzeugt werden. Also auch das Fluor. Bevor wir aber zur Astronomie kommen schauen wir nochmal kurz auf das Fluor selbst und das Periodensystem der Elemente. Dort finden wir das Fluor mit der Ordnungszahl 9. Weil es 9 Protonen in seinem Atomkern hat und die benachbarten Elemente sind Kohlenstoff, mit 6 Protonen; Stickstoff mit der Ordnungszahl 7, Sauerstoff mit Ordnungszahl 8 und auf der anderen Seite Neon mit der Ordnungszahl 10. So weit, so ordentlich. Jetzt schauen wir auf die Liste mit den häufigsten chemischen Elementen im Universum. Wasserstoff ist natürlich auf Platz 1, Helium auf Platz 2 – für diese beiden Elemente braucht man keine Sterne, die sind direkt beim Urknall selbst entstanden und deswegen auch so häufig. Auf Platz 3 kommt Sauerstoff, auf Platz 4 Kohlenstoff, auf Platz 5 finden wir Neon. Auf Platz 6 steht Eisen und auf Platz 7 finden wir Stickstoff. Dass Eisen so häufig ist, ist auch interessant – aber eine ganz eigene Geschichte die ich ein anderes Mal erzählen werden. Auf jeden Fall sehen wir, dass die ganzen Nachbarelemente von Fluor alle in den Top 7 auftauchen. Aber das Fluor schafft es nicht mal in die Top 20. In unserem Sonnensystem gibt es fast 5000 mal mehr Kohlenstoff als Fluor. Sauerstoff ist fast 9000 mal häufiger und selbst das obskure Neon ist noch fast 1500 mal häufiger. Was ist da los?
Nun, zuerst einmal können wir feststellen, dass der Prozess der Fluor herstellt offensichtlich nicht sehr effektiv ist. Im Inneren von normalen Sternen läuft die Fluor-Produktion tatsächlich eher spärlich. Dort wird ja vor allem Wasserstoff zu Helium fusioniert. In den Spätphasen eines normalen Sterns kriegt man dann aus dem Helium per Fusion noch Sauerstoff oder Kohlenstoff. Aus Kohlenstoff kann man Neon oder Natrium fusionieren; aus Sauerstoff kriegt man Silicium und daraus dann Eisen. Aber Fluor kommt bei diesen Reaktionen nicht vor. Zumindest nicht bei den üblichen Reaktionen was bedeutet, dass die Produktion von Fluor unüblich sein muss.
Im wesentlichen hat man drei hauptsächliche und verschiedene Möglichkeiten und Orte im Verdacht, das Fluor des Universums herstellen zu können. Zuerst einmal wären da die sehr großen Sterne. Also Sterne, die am Ende ihres Lebens bei einer gewaltigen Supernova explodieren können. Die zweite Möglichkeit wären AGB-Sterne, also Sterne mit ein wenig geringerer Masse als die Sterne vom ersten Punkt, die sich am Ende ihres Lebens aufblähen und in deren Gasschichten jede Menge unterschiedliche Kernreaktionen stattfinden können. Und dann gibt es als drittes noch die Möglichkeit von Novae. Also ein Sterne die Helligkeitsausbrüche zeigen die nicht ganz so super sind wie die bei Supernovae. Die lasse ich jetzt aber mal aus, weil diese Möglichkeit sehr hypothetisch ist und es auch keine Beobachtungsdaten dazu gibt.
Schauen wir uns dafür die AGB-Sterne nochmal genauer an. Diese Dinger sind ziemlich komplex; noch komplexer als ein normaler Stern, der schon ziemlich komplex ist. Es handelt sich dabei um Sterne die so viel Masse haben wie unsere Sonne beziehungsweise ein bisschen weniger oder mehr. Die ganze Geschichte der AGB-Sterne hebe ich mir für eine andere Folge auf. Aber es geht auf jeden Fall um das, was in der Spätphase des Lebens so eines Sterns passiert. Unsere Sonne, die derzeit noch in der Mitte ihres Lebens steht, fusioniert in ihrem Kern Wasserstoff zu Helium. Nur dort ist es heiß genug dafür. Irgendwann wird im Kern der Wasserstoff ausgehen, dann fällt – wie ich schon oft erzählt habe – der Strahlungsdruck der Fusion weg. Der Stern fällt dann unter seinem eigenen Gewicht ein wenig in sich zusammen, wodurch es in seinem Zentrum heißer wird als vorher. So heiß, dass jetzt auch das Helium fusionieren kann. Und weiter außen wird es jetzt heiß genug, dass der dortige noch nicht fusionierte Wasserstoff auch fusioniert werden kann. Wir haben jetzt also einen Stern, in dessen Zentrum Helium fusioniert wird und in einer weiter außen liegenden Schale findet Wasserstofffusion statt. Das Spiel setzt sich fort; aus dem Helium im Kern wird Sauerstoff und Kohlenstoff, die auch wieder fusioniert werden können. Die Heliumfusion wandert ein Stück nach außen; die Wasserstofffusion noch weiter raus. Wir kriegen also einen Stern, der aus verschiedenen Schalen besteht in denen verschiedenen Fusionsreaktionen stattfinden. Bei all diesen Reaktionen entstehen alle möglichen Reaktionsprodukte. Es fliegen alle möglichen Atomkerne und Bruchstücke von Atomkernen durch die Gegend. Und wenn die richtigen Teilchen auf die richtige Weise zusammentreffen, gibt es Fluor.
Genau so wie man Fluor in solchen Sternen machen kann, kann man es aber auch wieder zerstören. Wenn die richtigen – oder in unserem Fall dann eher die falschen – Teilchen auf ein Fluoratom treffen, dann wandelt es sich in ein anderes Element um. Wenn das Fluor also nicht rechtzeitig aus dem Inneren des Sterns in die oberflächennahen Regionen kommt, aus denen es ins All hinaus geschleudert werden kann, bringt uns das nicht weiter. Die besten AGB-Sterne für die Fluor-Produktion haben circa die dreifache Sonnenmasse, recht viel mehr als 4 oder weniger als 2 Sonnenmassen sollten es nicht sein.
Neben den AGB-Sternen habe ich vorhin auch noch Supernova-Explosionen erwähnt. Auch da fliegen jede Menge Teilchen und Atome mit sehr viel Wumms durch die Gegend was zur Produktion ungewöhnlicher chemischer Elemente führen kann, wie ich ja auch schon in Folge 412 erklärt habe. Was bei einer Supernova-Explosion auch noch in großer Menge entsteht sind Neutrinos. Diese Elementarteilchen entstehen immer und überall bei Kernreaktionen in Sternen und anderswo im Universum; der Kosmos ist voll mit ihnen. Wir merken aber nichts davon, weil sie so gut wie nie mit normaler Materie in Wechselwirkung treten. In jeder Sekunde fliegen Billiarden von Neutrinos durch unseren Körper, ohne das wir das davon mitkriegen. Aber wenn man wirklich, wirklich, wirklich viele Neutrinos auf vergleichsweise kleinem Raum hat – wie zum Beispiel bei einer Supernova-Explosion – und noch dazu jede Menge passende chemische Elemente, dann können spannende Dinge passieren. Denn ab und zu kann so ein Neutrino DOCH mit einem Atomkern in Wechselwirkung treten. Dann schubst es – vereinfacht gesagt – ein Proton aus einem Neon-Atom und das Resultat ist Fluor. Denn – wie ich zu Beginn gesagt habe – Neon hat 10 Protonen im Atomkern; Fluor hat 9 davon.
Das wirklich spannende an der Neutrino-Geschichte haben die amerikanischen AstronomInnen Catherine Pilachowski und Cameron Pace im Jahr 2015 herausgefunden. Sie haben Sterne nach Fluorwasserstoff abgesucht. Das ist ein extrem giftiges Gas das wir hier auf der Erde zum Beispiel verwenden, um Benzin herzustellen. Aber wir finden es auch im All, denn einerseits ist Fluor ein chemisches Element das sich extrem gern mit anderen Elementen verbindet und andererseits ist Wasserstoff ja überall im Kosmos. Wenn irgendwo Fluor produziert wird, dann ist es also keine schlechte Idee nach Fluorwasserstoff zu suchen. Das giftige Gas wurde in 51 Sternen entdeckt; mehr als die Hälfte der Sterne die untersucht wurden. Das war eine überraschend große Menge, denn die Sterne, die Pilachowski und Pace untersucht haben, waren normale Sterne, keine AGB-Sterne oder Supernova-Explosionen. Das Fluor das dort vorhanden ist, muss also schon vorher irgendwo anders produziert worden sein. Mit so viel Fluor wie bei der Studie gefunden wurde, hat man aber damals nicht gerechnet. Damals dachte man, dass man die Menge an Fluor im Universum durch die Produktion in AGB-Sternen erklären kann und ohne die Neutrinos bei Supernova-Explosionen auskommt. Mit den neuen Daten war das aber nicht mehr vereinbar; es muss auch noch andere Fluorquellen geben: Eben die Supernova-Explosionen.
Das Fazit dieser Geschichte: Wir wissen immer noch nicht genau wo das Fluor herkommt. Später durchgeführte Untersuchungen haben bestätigt, dass es auf jeden Fall mehrere unterschiedliche Quellen braucht. Eine einfache Antwort gibt es nicht. Was aber auch überraschend gewesen wäre. Und irgendwie ist es auch cool zu wissen, dass wir unsere Zahnpasta und unsere – hoffentlich! – gesunden Zähne zum Teil der Tatsache zu verdanken haben, dass vor langer Zeit fern im Universum große Sterne explodiert sind und dabei geisterhafte Neutrinos genau die Atome produziert haben, die wir uns auf die Zahnbürste schmieren…
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